[ox] Diskussionsfuehrung in Oekonux
- From: Stefan Merten <smerten dialup.nacamar.de>
- Date: Sat, 09 Oct 1999 14:52:00 +0200
Hi alle!
Aus dem Thread "Theorie-Projekt" greife ich mal den Teil
Gesprächsführung in unserer Mailing-Liste heraus. Dazu fällt mir
reichlich was ein.
Es geht also um die Organisation einer Diskussion per eMail über eine
Mailing-Liste. Kurz zu meinem Hintergrund (damit ihr wißt, wovon ich
rede): Ich habe mittlerweile ein paar Jahre Erfahrung mit
Mailing-Listen (gute und schlechte) und einiger Jahre mehr Erfahrung
mit bewußt geführten i.d.R. konsensorientierten Gesprächen. Allerdings
habe ich bislang auch noch keine vernünftige Übertragung der dort
gefundenen Techniken auf virtuelle Diskussionen gefunden, würde mir
aber wie Annette sehr wünschen, so etwas zu haben - nicht nur für
Oekonux sondern auch allgemein.
Daneben habe ich auch ein gerüttelt Maß an technischer Erfahrung mit
der Verwendung und Verarbeitung von eMail.
Ein paar Punkte, die beachtet werden sollten, sind m.E.:
* Treffende Subjects
Subjects sind m.E. von eminenter Bedeutung, ganz einfach deswegen,
weil über sie (für Menschen verstehbar) zusammengehörende
Einzelbeiträge in einen Zusammenhang gestellt werden. Subjects sind
quasi das Aushängeschild einer Stellungnahme, unter der sie später
wieder gefunden werden können - oder eben nicht.
Noch dazu sind Subjects leicht automatisch zu verarbeiten und
gleichzeitig der einzige Hinweis auf den Inhalt einer Mail. Auch für
technische Operationen ist daher ein sorgfältiger Umgang mit
Subjects wichtig.
Ich plädiere daher dafür, zur Einleitung eines Threads so treffende
Subjects wie möglich zu verwenden und bei Replies zu einem Thread
die Vorgabe des Mailers zu benutzen (d.h. "Re: <Altes Subject>").
Aus ebenfalls technischen Erwägungen würde ich auch empfehlen,
tatsächlich das Reply-Feature zu verwenden und nicht per Hand selbst
ein Reply zu basteln. In echten Replies ist nämlich in den
Mail-Headern ein Hinweis auf die (`Message-Id:' der) bezogenen Mail
enthalten, der hervorragend automatisch ausgewertet werden kann.
[Auch unser Archiv nach Threads beruht übrigens zum guten Teil
darauf.]
* Splits
Sollte sich im Laufe eines Threads herauskristallisieren, daß er
sich auf mehrere unabhängige Themen aufgespalten hat, so sollte sich
das in den Subjects wiederspiegeln. D.h. dann z.B. auch, daß auf
einen Beitrag mit Aufspaltungstendenz mehrere Replies geschickt
werden können, die dann eben unterschiedliche Subjects bekommen und
jeweils eins der Spaltprodukte behandeln.
Es empfiehlt sich, in den so entstehenden neuen Subjects dann das
alte Subject mit einer Konstruktion "(was: <Altes Subject>)" nochmal
zu erwähnen, weil auch das später hilft, die Zusammehännge
wiederzufinden.
* Disziplin
Disziplin der Beteiligten ist m.E. für jede gelingende Diskussion
von großer Bedeutung. Dazu gehört natürlich, daß klar sein muß,
welche Regeln im Interesse eines Gelingens eingehalten werden
sollten.
* Störungen
Wie IRL auch, können Störungen in einer eMail-Diskussion auftreten.
Da Störungen unterschiedlichster Form einem Projekt über kurz oder
lang den Garaus machen können, halte ich es für ausgesprochen
wichtig, daß mit solchen Störungen umgegangen wird - wenn irgend
möglich produktiv.
Dazu gehört als erstes, daß die Störung benannt wird. D.h. wenn sich
jemensch gestört fühlt, sollte das in der Runde erwähnt werden. Auf
der Krisis-Liste ist das in letzter Zeit z.B. mehrfach geschehen.
Dabei fände ich es toll, wenn eine Störung sehr stark im
Zusammenhang mit einer einzelnen Person steht, daß diese Person
nicht sofort beleidigt ist und sich schlimmstenfalls zurückzieht.
Dann sollte die Störung bearbeitet werden. Dazu kenne ich momentan
nur Techniken aus RL-Situationen. Aber ich habe schon einmal (sehr
erfolgreich) an einer Mediation mit einer Mediatorin per eMail
teilgenommen, die einen Angstgegner zu einem Freund gemacht hat :-)
(q.e.d. ;-) ). Allerdings sollte so schweres Geschütz nur bei tief
sitzenden, ins persönliche gehenden Konflikten nötig sein. [Sehe ich
momentan auf Oekonux nicht mal in Andeutungen :-) .]
* EmotIcons
Ein Problem von eMail-Kommunikation ist, daß sie so extrem
schmalbandig ist. Bei geschriebener Sprache bleibt von sonst
existierenden Kommunikationskanälen (Stimme, Sprechstil, Gestik,
Mimik, etc. pp.) aber auch gar nichts übrig.
Mit der Verengung der Kommunikationskanäle wachsen aber immer die
Projektionsflächen - was bei Konflikten so schnell wie nach meiner
Erfahrung in keinem anderen Medium zu einer unglaublichen Schärfe
und (unnötigen und) schädlichen Verletzungen führt.
Ich halte daher den ausgiebigen Gebrauch der EmotIcons (z.B. ;-) )
für ausgesprochen nützlich. Zwar gehen natürlich auch die über den
Kopf, aber immerhin ist damit z.B. Ironie leichter als solche zu
erkennen.
* Vorstellung
Ein weiteres Hilfsmittel um die Projektionsflächen zu verkleinern
ist m.E. eine Vorstellung der Diskutanten. Ich sage mittlerweile
ausdrücklich der Diskutanten, weil ich es bisher noch nie erlebt
habe, daß LurkerInnen sich auch tatsächlich durchgehend vorstellen.
Da beuge ich mich quasi der Realität ;-) . Ist aber vielleicht in
vielen Kreisen, die über keine allzu intimen oder sonstwie heißen
Themen sprechen auch nicht unbedingt nötig.
Eine Vorstellung sollte m.E. das (ungefähre) Alter beinhalten. Ich
finde das jedenfalls sehr nützlich. Ein Bild hat mir in der
Vergangenheit oft besser das Gefühl gegeben, mit einem echten
Menschen zu tun zu haben als eine dürre eMail-Adresse. Der
berufliche Hintergrund ist natürlich auch von Interesse - oder sagen
wir mal: Womit beschäftigt sich die Person so den lieben langen Tag.
In einer Liste wie Oekonux fände ich den politischen Background
natürlich auch interessant.
Well, vielen ist so ein Striptease erfahrungsgemäß zu heftig - daher
fordere ich das nicht dogmatisch. Wünschen tue ich es mir aber
schon. [Haben wir bei Oekonux ja im wesentlichen auch gemacht.]
Ein paar erkannte Defizite in Diskussionen über Mailing-Listen (aber
auch IRL) scheinen mir zu sein:
* Diskussionen drehen sich im Kreis
Oft habe ich erlebt, daß eine Diskussion sich im Kreis dreht. Dies
passiert m.E. vor allem dann schnell, wenn auf jede Mail quasi
einzeln eingegangen wird - schlimmstenfalls auf einzelne Absätze
oder gar Sätze.
Es geschieht in eMail sehr leicht, sich einen Punkt aus einer
längeren Mail auszupicken und den zu beackern. Wenn dies bewußt und
vielleicht mit Ankündigung geschieht ist das ja auch in Ordnung.
Wenn das aber geschieht, weil die LeserIn nicht willens ist, einer
längeren Argumentation zu folgen, dann halte ich das mindestens für
unhöflich gegenüber der SchreiberIn. Schwieriger ist es natürlich,
wenn die LeserIn nicht in der Lage ist zu folgen. Dann sollte m.E.
besser nachgefragt werden.
Ich denke, daß wenn diese Punkte beachtet werden, es dann weniger
leicht passiert, daß ein Thread nach drei bis vier Mails wieder
exakt am Ausgangspunkt ankommt.
* Diskussionen wiederholen sich
Auch dies ein Phänomen, daß häufiger vorkommt. Wiederholungen haben
aber auch den Vorteil, daß sie deutlich machen, wo wichtige Punkte
liegen - sonst kämen sie ja nicht immer wieder auf.
Wird eine Wiederholung wahrgenommen, so ist vielleicht ein Hinweis
auf diese Tatsache nützlich. Optimal ist es dann natürlich, wenn ein
gut organisiertes Archiv zur Verfügung steht, auf das dann verwiesen
werden kann. Hierzu wären auch (halb-)technische Lösungen denkbar.
* Diskussionen versacken ergebnislos
Leider auch ein häufiges Phänomen, wenn mensch als Ergebnis nicht
nur die persönlichen Gewinne nimmt, die jedeR Beteiligte hatte.
Nach meiner Wahrnehmung ist dies ein Problem, daß nur mit großer
Bewußtheit überhaupt wahrgenommen wird: Wenn etwas nicht mehr da
ist, muß es ja aktiv vermisst werden!
Bei all diesen Problemen kann natürlich eine Moderation (im
Gespächssinne - nicht im eMail-Sinne, wo Moderation eigentlich Zensur
ist) hilfreich sein. Eine Moderation hätte m.E. vor allem die Aufgabe
gelegentlich ins Bewußtsein zu heben, wo sich der Stand der Diskussion
momentan befindet. Das kann z.B. bedeuten, die laufenden Threads kurz
zu sammeln und evt. zu klassifizieren. Hinweise auf Wiederholungen,
Verwandschaften und mögliche Splits wären natürlich toll.
Eine an eine/wenige Personen delegierte Moderation entlastet die
anderen DiskussionsteilnehmerInnen, die sich entsprechend weniger um
die Gesprächsführung kümmern müssen. Ich halte eine solche Delegation
von Aufgaben übrigens nicht für einen Widerspruch zur
Selbstorganisation. Selbstorganisation heißt ja nicht, daß keine
Arbeitsteilung (besser vielleicht: Tätigkeitsteilung) stattfinden
darf.
Well, soweit erstmal. Hoffentlich habe ich nicht zuviel unsortiertes
Losgelassen und/oder Eulen nach Athen getragen.
Mit li(e)bertären Grüßen
Stefan