Message 00718 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT00718 Message: 1/2 L0 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

[ox] Robert Kurz: Postmarxismus und Arbeitsfetisch



Liebe Leute,

aus dem längeren Krisis-Beitrag

		   Postmarxismus und Arbeitsfetisch

(Krisis 15, 1995) von Robert Kurz möchte ich einige Passagen
reproduzieren. Ulrich Leicht war so nett, den Text zu erfassen und mir
zukommen zu lassen.

Es geht nochmal um den Begriff der Arbeit und seine Aufhebung. Die
Teile des Textes, die sich direkt mit einer Auseinandersetzung mit der
Arbeiterbewegung befassen, lasse ich hier mal weg. Die Stellen, die
eine Marx-Kritik beinhalten halte ich aber für so interessant, daß ich
sie trotz des teils recht internen Diskussionscharakters auch für uns
für wertvoll halte.

Leider ist der Text m.W. bis dato noch nicht im Web, aber die
Krisis-Leute sind offenbar wild entschlossen ihre Internet-Präsenz
demnächst unter `www.krisis.org' neu und besser zu machen.

Die einzelnen Kapitel sind:

- Geschichte und Untergang der Marxismus
- Der doppelte Marx
- Arbeit als Fetischbegriff
- Der doppelte Begriff der abstrakten Arbeit und die gesellschaftliche
  Sphärentrennung
- Die Aufhebung der Arbeit
- Das Ende des Leistungswahns


						Mit li(e)bertären Grüßen

						Stefan

--- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< ---

Arbeit als Fetischbegriff

[...]

So verstanden, d.h. die "Arbeitsamkeit" nicht im platt
protestantischen Sinne als zwanghafter Selbstzweck festgeschrieben,
könnte die logische Konsequenz eigentlich sein, dass "Arbeit" und ihre
Darstellungsform Wert bzw. Geld nach Erfüllung ("Erledigung") ihrer
begrenzten historischen Aufgabe abgestoßen werden können als jene
verfallenden "Mittel", deren eigentlicher Zweck, nämlich die
"wirklichen Quellen des Reichtums" zu erschließen, erreicht ist und
sie damit positiv überflüssig und sinnlos gemacht hat. Tatsächlich ist
diese Konsequenz überraschenderweise schon früh angedeutet, nämlich in
der "Deutschen Ideologie", einem nach langer Archivlagerung 1932
erstmals veröffentlichten Gemeinschaftswerk von Marx und Engels. Dort
heißt es ziemlich eindeutig, "dass in allen bisherigen Revolutionen
die Art der Tätigkeit stets unangetastet blieb und es sich nur um eine
andere Distribution dieser Tätigkeit, um eine neue Verteilung der
Arbeit an andre Personen handelte, während die kommunistische
Revolution sich gegen die bisherige Art der Tätigkeit richtet, die
Arbeit beseitigt(!) ..." (Deutsche Ideologie, 71; Hervorhebung
Marx/Engels).

Aus dieser scheinbar ungeheuerlichen Auffassung ergibt sich ein nicht
weniger ungeheuerliches Ansinnen an die "Proletarier": "Während also
die entlaufenden Leibeigenen nur ihre bereits vorhandenen
Existenzbedingungen frei entwickeln und zur Geltung bringen wollten
und daher in letzter Instanz nur bis zur freien Arbeit kamen, müssen
die Proletarier, um persönlich zur Geltung zu kommen, ihre eigne
bisherige Existenzbedingung, die zugleich die der ganzen bisherigen
Gesellschaft ist, die Arbeit, aufheben" (a.a.O., 79) Natürlich taten
die "Proletarier" Marx diesen Gefallen ganz und gar nicht. Der
Horizont ihres Verlangens, "persönlich zur Geltung zu kommen", war der
historische Entwicklungshorizont der "Arbeit" selbst. Marx unterläuft
hier eine optische Täuschung, der auch andere Theoretiker der Moderne
(z.B. Kant) streckenweise erlegen sind, und die den Blick der
marxistischen Ideologie immer wieder genarrt hat: Das gerade erst
embryonal erscheinen historisch Neue, das in seinem frühen Erscheinen
logisch erfasst werden kann, wird bereits als "fertig" wahrgenommen,
ohne zu realisieren, dass die logische Darstellung und Extrapolation
eine realhistorische Ausentwicklung kurzschlüssig vorweggenommen hat,
deren realgesellschaftlicher gang natürlich viel langsamer und
windungsreicher durch viele Stadien hindurch verläuft als der schnelle
und geradlinige Flug des theoretischen Gedankens. Tatsächlich steckten
die Existenzbedingungen der "Proletarier" noch tief in erst
oberflächlich zersetzten vormodernen Strukturen, und es bedurfte eben
noch der Entwicklungskämpfe von mehr als einem Jahrhundert, bis das
system der "Arbeit" überhaupt in sein Reifestadium treten konnte.

[...]

Der doppelte Begriff der abstrakten Arbeit und die gesellschaftliche
Sphärentrennung

Für Marx muss das immanente Dilemma seiner "doppelten" Argumentation
gerade hinsichtlich des Arbeitsbegriffs stets als bohrender Stachel
präsent gewesen sein, auch wenn er sich dies (Patriarch und
Choleriker, der er war) nie eingestehen mochte. Bei näherer
Betrachtung seines Umgangs mit diesem fast ungreifbar schillernden
Problem zeigt sich, dass er sich zur Behebung des Dilemmas mit einem
begrifflichen Trick sozusagen selbst überlistet hat. Denn eigentlich
ist der Begriff der "Arbeit" ohne jedes Attribut, die Abstraktion
"Arbeit" also, bereits der Begriff der warenproduzierenden
Produktionstätigkeit. Die sogenannte Gebrauchswertseite dieser
Tätigkeit kann überhaupt nur die Kehrseite derselben
gesellschaftlichen Realabstraktion sein: die Art und Weise nämlich,
wie diese gesellschaftliche Abstraktion sich des sinnlichen Stoffes
bemächtigt und ihn ihrer Form unterwirft. Der "Doppelcharakter der
Arbeit" (Marx) ist nicht ontologisch verankert, er ist seinem Wesen
nach der Doppelcharakter warenproduzierender Verhältnisse. Marx macht
nun aus der stofflichen-sinnlichen Seite der "Arbeit" (und damit aus
dem "Gebrauchswert", der doch nur die stofflich-sinnliche Seite
derselben Wertabstraktion darstellt) einen ontologischen Begriff, der
eben jene "ewige Naturnotwendigkeit" sein soll. Damit wird er
kompatibel mit dem immanenten, notwendigen Selbstverständnis der
Arbeiterbewegung.

Um aber andererseits seinen transzendierenden Ansatz zu retten,
verdoppelt Marx den an sich schon abstrakten Begriff der Arbeit noch
einmal attributiv, indem er die spezifisch historische
warenproduzierende "Arbeit" von der ontologischen "Arbeit" abgrenzen
will. Der dabei herauskommende berühmte Begriff der "abstrakten
Arbeit" ist eigentlich ein merkwürdiger Ausdruck, eine rhetorische
Verdoppelung, als würde man von einem "abstrakten Grün" sprechen, wo
doch die Bezeichnung von etwas als "grün" an sich schon eine
Abstraktion ist. Marx reißt die Realabstraktion sozusagen auseinander:
Ihre Form sei historisch begrenzt, ihre Substanz oder ihr Inhalt sei
ontologisch. So haben wir also "Arbeit" als ewige Naturnotwendigkeit
und "abstrakte Arbeit" als historische Bestimmung warenproduzierender
Systeme.

[...]

Die Aufhebung der Arbeit

Die Herausbildung der "Arbeit" ist gleichzeitig destruktiv und
fortschrittlich, ihre emanzipatorische Seite darf nicht vernachlässigt
werden, um nicht in eine krude, rückwärtsgewandte Romantik zu
verfallen. Trotzdem ist sie nur ein transitorisches Stadium und muss
selber wieder aufgehoben werden. Aufhebung der "Arbeit" hieße
konsequenterweise ihre Aufhebung nach beiden Momenten der
Realabstraktion hin: nämlich Aufhebung als Formabstraktion und
Aufhebung als getrennte Sphäre (was dann gleichzeitig auch die
Aufhebung des "Gebrauchswerts" wäre). Marx blockiert sich auch hier
wieder selber, weil er die Aufhebung nur halb denken kann und die
"Arbeit" als getrennte Sphäre letztlich
geschlechtshierarchisch-identitär ontologisiert; genauer: Diese
Ontologisierung kommt dem implizit durchaus aufscheinenden Gedanken,
die Sphärentrennung aufzuheben, systematisch in die Quere.

Denn die Fixierung auf den "Doppelcharakter der Arbeit", in der die
vermeintliche Befreiung der Gebrauchswertseite als ontologischer Hebel
erscheint (und demzufolge die "Arbeiterklasse" als
subjektiv-objektiver Aufhebungsträger statt als immanente
Funktionskategorie), verstellt den Blick auf das Moment der
Sphärentrennung, dessen geschlechtshierarchischer Kern folgerichtig
"ableitungslogisch" auf eine Sekundärebene verbannt (soweit überhaupt
erwähnt) wird. Für ein konsequentes Aufgreifen der
Sphärentrennungs-Problematik und das Denken der Aufhebung von diesem
Moment her, was dann die Aufhebung auch der Formabstraktion überhaupt
erst möglich macht, wird aber logischerweise zusammen mit der
ausdiffernzierten Sphäre "Arbeit" auch diese selber und als solche zum
Aufhebungsgegenstand, da ihr Begriff an diesem Charakter als besondere
Sphäre hängt und zusammen mit diesem steht und fällt; und damit würde
notwendigerweise das ganze ontologische Konstrukt in sich
zusammenkrachen, einschließlich der damit verbundenen geschlechtlichen
Zwangsidentitäten (auch der zwangsheterosexuellen Orientierung).

Das Aufhebungsproblem auf der Basis eines ontologischen
Arbeitsbegriffs, das sich auf den geschlechtshierarchisch
strukturierten, warenlogisch immanenten Gegensatz von
Gebrauchswert-Substanz ("ewig") und Form ("historisch") beschränkt,
verzweigt sich seinerseits in zwei Argumentationsstränge, die Marx nur
"stellenweise" andeutet und die von den Marxisten je nach Gusto
mobilisiert worden sind. Beide Stränge lassen sich geradezu an
idealtypischen Figuren darstellen. Einerseits entwickelt sich die
Vorstellung, eine von ihrer realabstrakten Form befreite "Arbeit"
würde in der sozialistischen Zukunftsgesellschaft zur "attraktiven
Arbeit" werden, zum positiven "ersten Lebensbedürfnis". Auch wenn die
Diskurse sich heute kaum noch auf Marx beziehen, taucht dieser Gedanke
doch in den verschiedensten Verkleidungen immer wieder auf.
Typologisch lässt sich sagen, dass sich dafür eher der "künstlerische"
Mann begeistern kann, der (ohne sich als "Mann" im psychosozialen,
geschlechtshierarchischen Sinne preisgeben zu wollen) seine
"weiblichen" Seiten entdeckt; früher eher eine randständige Boheme
-Existenz, ist er heute in der kasinokapitalistischen
"Erlebnisgesellschaft" häufiger anzutreffen. Für diesen
Künstler-Arbeiter bleibt die Frau dennoch letztlich Gegenstand und
Natur. Er nähert sich dem Aufhebungsproblem durchaus, aber auf eine
paradox zurückgebogene Weise, so dass die "Aufhebung" eigentlich keine
sein darf und deswegen nur in der Form einer attributiven Veredelung
der "Arbeit" erscheinen kann.

Die kapitalistische Inflationierung des Arbeitsbegriffs
(Beziehungsarbeit, Trauerarbeit usw.) wird daher positiv aufgenommen,
"Arbeit" soll zur Kunst, zum Genuss usw. werden. Die "Arbeit", als
ontologische Bestimmung unaufhebbar gemacht, soll also in ihrer
kapitalistischen Form nur insofern "aufgehoben" werden, als sie
verallgemeinert und totalisiert wird unter Einschluss der
künstlerischen und wissenschaftlichen Momente, um gerade dadurch
"attraktiv" zu werden. Nur in diesem geradezu perfiden Sinne scheint
dann auch eine Aufhebung der Sphärentrennung auf: nicht als
Wiederzurücknahme der "Arbeit" auf höherer Entwicklungsstufe in den
gesellschaftlich-menschlichen Lebensprozess, sondern umgekehrt als
ihre endgültige Usurpation der Lebenstotalität, freilich unter
"Totschweigen" des dunklen, als "weiblich" definierten und
abgespaltenen Kontinents der Reproduktion, dessen fatale Existenz sich
diesem arbeitsfetischistischen Totalisierungskonstrukt sperrt. Negiert
wird nicht die patriarchal-okzidentale Arbeits-Identität überhaupt,
sondern nur die evidente Schmachgestalt des kapitalistisch
ausgebeuteten unmittelbaren Produzenten: Alle Arbeits-Männer sollen
Arbeits-Supermänner werden dürfen. An die Stelle des negatorischen
Moments einer Aufhebung der Arbeit als solcher tritt das
identifikatorische Moment eines "substantiellen Zusichselbstkommens"
der Arbeit - Befreiung der Arbeit statt Befreiung von der Arbeit.

Andererseits entwickelt sich die Vorstellung, die "Arbeit" würde in
der sozialistischen Zukunftsgesellschaft als eine Art Residuum der
"Notwendigkeit" zurückbleiben, eben als das berühmte "Reich der
Notwendigkeit", auf dem sich aber dann ein "Reich der Freiheit"
jenseits der "Arbeit" entfalten könne. Also hier plötzlich keine
positive, sondern eine negative Ontologie der Arbeit, nämlich die
ewige Naturnotwendigkeit des psychischen und sozialen Leidensmoments
an der Arbeitswelt, das reduziert, aber nicht aufgehoben werden könne.
Hier erscheint das patriarchal-"männliche" Selbstbild der Moderne
gewissermaßen als Festhalten an diesem Leidensmoment, das der "Held
der "Arbeit" (ähnlich dem christlichen Leidensfürsten) geradezu für
sich in Anspruch nimmt, um es gleichzeitig zu kompensieren durch ein
phantasmatisches "Reich" jenseits der "Arbeit", in dem sich die
ordinäre "Freizeit" ebenfalls zu einer Art heldischer Supertätigkeit
veredelt (also im Grunde genommen die "Arbeit" gar nicht aufgehoben,
sondern nur in anderer Gestalt fortgesetzt wird). Dafür vermag sich
vor allem der Typus des "Machers", der starrgesichtige Mann, der homo
faber, der Technokrat und Szientist zu - "begeistern" wäre zuviel
gesagt, denn seine Emotionen laufen grundsätzlich auf Sparflamme; er
besitzt ungefähr die Leidenschaftlichkeit eines Taschenrechners.

Einem Begriff von "Arbeit" als Spiel oder Kunst etc. steht dieser
Typus (der wohl in der alten Arbeiterbewegung häufig anzutreffen war)
eher misstrauisch gegenüber, und er wäre gerade deswegen vielleicht
durchaus dazu bereit, das "Reich der Freiheit" als ein Jenseits der
"Arbeit" zu "definieren", aber eben in jenem schiefen Sinn ihrer
freigesetzten Verlängerung über die starre "Notwendigkeit" hinaus.
Allerdings ist dies eher weniger sein Reich, auch wenn er sich mit
einer gewissen Höflichkeit darauf bezieht; soweit er sich selber in
diesem Reich vorzustellen vermag, geschieht dies wohl eher in einem
traditionell bildungsbürgerlichen Sinne (als Verallgemeinerung der
Hausmusik, des Museumsbesuchs etc.) oder andererseits als immer noch
protestantisches Ethos des andauernden Erfindens, Komponierens,
Bauens, Malens usw. Sein eigentliches ein und alles, auch wenn er sich
dies nicht selber einzugestehen vermag, ist und bleibt aber in
Wahrheit das Reich der Notwendigkeit, die Lust der Selbstunterwerfung
unter das abstrakt herauspräparierte Leidensmoment als "Held der
(vermeintlichen) Notwendigkeit". Das "Reich der Notwendigkeit" muss
also bis ans Ende aller Tage dauern. Hier bleibt noch zuletzt die
individuelle Zurechenbarkeit wichtig, aber weniger als veredelter
Werktätigenstolz als vielmehr in einem dürren abrechnungstechnischen
Sinne: "jedem nach seiner Leistung". Der stocknüchterne und
berechnende Geist des häuslebauenden Mittelstands, der jedem unnützen
Exzess abhold ist, pocht auf eine anständige "gesellschaftliche
Rechnungsführung" und Leistungsabrechnung, die niemandem ein Stück
Brot zuviel gönnt.

Auch bei Marx tauchen beide Momente dieser verkürzten
arbeitsontologischen "Aufhebungs"-Vorstellung auf (die komplementär
sind, aber durchaus auch in Widerspruch zueinander treten können),
ohne dass sie wie gesagt systematisch ausformuliert wären. Beide
Aufhebungsbegriffe kommen nicht grundsätzlich an das Problem einer
Aufhebung der "Arbeit" als getrennte Sphäre heran, und gerade das
Problem der geschlechtshierarchischen Abspaltung bleibt
notwendigerweise in diesem Kontext völlig "unvermittelt". Die
Vorstellung von der "attraktiven Arbeit" möchte bloß die gewöhnliche
Erwerbsarbeit mit den Elementen der "gehobenen" Arbeit des Künstlers,
Theoretikers etc. anreichern. Das ewige Faszinosum der
Renaissance-Künstler also, die Selbstübergipfelung des "männlichen
Anspruchs: jeder Mann ein kleiner Leonardo da Vinci, gleichzeitig
genialer Wissenschaftler, tiefgründiger Philosoph, begnadeter Maler
und möglichst vielleicht auch noch Zehnkämpfer. Diese Imagination, die
aus der abstrakten "Arbeit" als solcher folgt, bleibt selbst dann noch
wirksam, wenn Frauen eigene "Karrieren" im männlich dominierten
"Arbeits-Universum durchlaufen. In dieses unaufgehobene, veredelte
Universum kann die "Gleichberechtigung" durchaus kurzschlüssig und
formal hineingedacht werden, unter Ignoranz den ebenso unaufgehobenen
abgespaltenen Bereichen und Momenten gegenüber (die sich aber
natürlich real schmerzhaft bemerkbar machen).

Diese falsche, patriarchal-bürgerliche Imagination des zukünftigen
Super- und Edelarbeiters vergisst dabei völlig, dass die
"Attraktivität" von Tätigkeit nicht in der Verfeinerung und Vergoldung
männlicher Selbstherrlichkeit liegt (und auch nicht in der gnädigen
Aufnahme der "Weiber" in dieses männlich ausgeheckte Arbeitsparadies),
sondern gerade in deren Aufhebung, in der Aufhebung einer
wechselseitig ausschließenden menschlichen Beziehungsform. Das
wesentliche ist nicht die bloß anspruchsvolle Veredelung der
unmittelbaren Tätigkeit, sondern die Herstellung befriedigender
menschlicher Beziehungen in allen Tätigkeiten, und das heißt die
Reintegration der "abgespaltenen" Bereiche auf höherer
Entwicklungsstufe: die Entwicklung einer Kultur, in der
gesellschaftliche Produktion und Erotik ebenso wenig getrennt sind wie
"Freiheit" und "Notwendigkeit", Philosophie und Alltag usw. (und in
der sich demzufolge auch eine andere Naturbeziehung entwickelt, in der
die Natur nicht auf eine tote Gegenständlichkeit "männlicher"
Selbstverherrlichungs"arbeit" reduziert wird). Indem die "Arbeit" als
getrennte Sphäre verschwindet, wird sie als solche aufgehoben.

Ansätze für ein solches Denken finden sich gewiss eher in der
Geschichte des künstlerischen Typus, d.h. in der ersten falschen
Aufhebungsvariante, in der die "Arbeit" als Spiel und Kunst
"attraktiv" werden und also eigentlich keine "Arbeit", d.h. keine
getrennte Sphäre der "Realabstraktion" mehr sein soll. Dieser Ansatz
zeigte sich schon in der Frühromantik, die keineswegs im bloßen
"Irrationalismus" aufgeht. Unter den Utopisten war es Fourier, der die
"Arbeit" geradezu erotisieren wollte, aber eben nicht als "Erotik des
Leidens", sondern eher in einem durchaus hedonistischen Sinne für
beide Geschlechter. Kein Zufall ist es sicher, dass sowohl bei den
Frühromantikern als auch bei Fourier die Emanzipation der Frau als
Problem eine unverhältnismäßig größere Rolle gespielt hat als bei
anderen zeitgenössischen Theorien und Strömungen. In diesen Wein hat
freilich die Frauenforschung inzwischen etlichen Essig gießen müssen,
indem sie das gebrochene Verhältnis gerade der Frühromantiker dem
zugeschriebenen "Weiblichen" gegenüber nachwies. Die mangelnde
(historisch noch beschränkte) Aufhebungsqualität dieser Gedanken
korrespondiert mit dem Festhalten am Arbeitsbegriff. Fourier, obwohl
Marx natürlich analytisch und theoretisch ansonsten weit unterlegen,
kommt mit seiner Variante der "attraktiven Arbeit", die mit Spiel,
Erotik usw. durchsetzt eigentlich schon keine "Arbeit" mehr ist, sogar
an diesem Punkt noch näher an die Aufhebung der getrennten Sphären
heran als Marx, obwohl auch er die entscheidende Schwelle noch nicht
überschreitet (und bei ihm protestantische und hedonistische Momente
unentwirrbar miteinander verschlungen sind, was oft in Gestalt krauser
Gedanken und Phantasien erscheint).

Marx sperrt sich sogar, hier wieder ganz "protestantisch",
ausdrücklich gegen den noch unklaren weitergehenden Aufhebungsansatz
von Fourier: "Die Arbeit kann nicht Spiel werden, wie Fourier will,
dem das große Verdienst bleibt die Aufhebung nicht der Distribution,
sondern der Produktionsweise selbst in höherer Form als ultimate
object ausgesprochen zu haben" (Grundrisse, 599). Gerade hier wäre es
aber angemessen, den in Metaphern gekleideten Gedanken Fouriers
weiterzuentwickeln im Sinne einer Aufhebung der Getrenntheit von
"labor" und Genuss, von Aktivismus und Kontemplation usw., und damit
eben einer Aufhebung der "Arbeit" selber. Marx, der doch sonst das
"Geniale" bei den Utopisten so gut und verständnisvoll zu entdecken
und aufzunehmen vermag, stolpert hier allzu verräterisch über den
Begriff des "Spiels", den er sofort abwehrt für eine so
(protestantisch) ernsthafte Angelegenheit wie die "Arbeit".

Damit erledigt sich auch die zweite verkürzte und arbeitsontologische
Aufhebungs-Vorstellung. Denn das "Reich der Notwendigkeit" wird
keineswegs allein durch technologische Fortschritte minimiert, während
es "an sich" unaufhebbar bliebe, sondern es wird dadurch real
aufgehoben, dass die Momente des "Notwendigen", das vermeintliche
Residuum von "labor", ihre geschichtlich herausgebildete, abgetrennte
Sonderexistenz auf höherer Entwicklungsstufe wieder verlieren. Im
Kontext einer nicht mehr arbeitsontologisch fixierten Kultur und
befriedigender Sozial- und Geschlechtsbeziehungen können sogar
Tätigkeiten, die als abgetrennte (eingesperrt in eine
abstraktifizierte Sondersphäre, sei es die häusliche Liebes"arbeit",
sei es die öffentliche Erfolgs"arbeit") nichts als "labor" im ältesten
Sinne wären, selber "attraktiv" sein. Der selbstherrliche Mann, der
schon eine Zukunftsgesellschaft "attraktiver Arbeit" von lauter
Superkünstlern und Superwissenschaftlern heraufziehen sieht, möchte
die schmutzigen Windeln vielleicht bis ans Ende aller Tage der
"weiblichen Natur" überlassen. Oder hofft er auf die vollautomatische
Scheißeausputzmaschine?

Die Minimierung des Leidensmoments in der gesellschaftlichen
Reproduktion durch die Potenzen der Produktivkraftentwicklung (die in
kapitalistisch verkehrter Form erscheint) ist und bleibt zwar wichtig
für die Aufhebung der "Arbeit". Mikroelektronische Revolution,
Automatisierung usw. sind dabei unverzichtbare Voraussetzungen.
Dennoch wäre die Reduktion des Aufhebungsgedankens auf dieses Moment
unzulässig, und der Vorwurf ist berechtigt, dass eine solche Reduktion
einem technizistischen, wissenschaftsgläubigen
Produktivkraft-Fetischismus huldigt, der selber noch dem Universum der
"Arbeit" entspringt. Ein bloß abstrakter (und verantwortungsloser)
Hedonismus, der aus einer solchen Verkürzung folgen kann, ist heute
schon als kapitalistisch immanenter Konsumfetischismus vermasst und
stellt nur die Kehrseite des Produktivkraft-Fetischismus dar. Es
handelt sich dabei um eine bloß abstrakte, unvermittelte Negation der
"Arbeit", die sich auch um das Problem der Formaufhebung von Ware und
Geld nicht zufällig herumlügt und vorderhand sich nur durch die
monetären Wucherungen des "fiktiven Kapitals" in wenigen
Reichtumsinseln der Welt halten kann. Eine tatsächliche Aufhebung der
"Arbeit" kann sich nicht auf die technologischen Voraussetzungen
beschränken. Die Mikroelektronik hebt nicht unmittelbar und als solche
die "Arbeit" auf, sondern das entscheidende Problem ist die Aufhebung
der menschlichen Beziehungsformen, wie sie durch das System der
"Arbeit" historisch gesetzt worden sind.

Zu dieser vermittelten, in sich reflektierten, menschlichen (nicht
bloß technologischen) Aufhebung gehört vor allem auch die Einsicht,
dass es weder möglich noch wünschenswert ist, alle
Reproduktionsfähigkeiten technologisch zu automatisieren und womöglich
gar die menschlichen Beziehungen selber im technologischen Apparat
verschwinden zu lassen (also "Aufhebung" in eine Art Cyber-Welt; eine
Horrorvision, die selber nur die kapitalistische Vereinzelung der
abstrakten Individuen bis ins Groteske verlängert). Dazu gehört ferner
auch die Einsicht, dass es nicht allein um eine Aufhebung geht, die
den (westlichen) Aktivismus von seiner abstraktifizierten Form
befreit, sondern auch um die Befreiung von diesem unaufhörlichen und
zwanghaften Aktivismus selbst, der ebenfalls eine genuine Ausgeburt
des modernen "Arbeits"-Universums ist. Das krisenhafte,
transformatorische Moment der über die "Arbeit" hinausschießenden
Produktivkraftentwicklung führt erst dann zur Aufhebung der "Arbeit",
wenn diese als getrennte Sphäre aufgehoben und die Art und Weise der
menschlichen Beziehungsformen auch im Mikrobereich transformiert wird.

Es werden keine übergeschnappten Supermänner und Ehrgeizlinge mit
halbverrückten Selbstbildern sein, von denen die
Wertvergesellschaftung aufgehoben wird, sondern ganz gewöhnliche
Menschen, die ihr ganz gewöhnliches Leben zusammen mit anderen leben
und sich ihre Gedanken über die Welt machen wollen, ohne dauernd von
abstrakten Zumutungen, Anforderungen und Überansprüchen umzingelt zu
sein, ohne sich andauernd beweisen und selbstbestätigen zu müssen. Das
Reich der Notwendigkeit wird in erster Linie dadurch aufgehoben, dass
die soziale und geschlechtshierarchische Abspaltung mit ihren
sämtlichen zwanghaften Zuschreibungen aufgehoben wird. Dafür ist zwar
ein bestimmter Grad der Produktivkraftentwicklung nötig, der heute
längst erreicht und überschritten ist. Aber nicht unmittelbar
verschwindet das Reich der Notwendigkeit durch bloße Minimierung des
menschlichen "Arbeitsaufwands", sondern erst vermittelt durch die
aufgrund dieser Entwicklung der Produktivität mögliche Reintegration
der abgespaltenen Bereiche auf hohem Niveau der Vergesellschaftung und
der Bedürfnisse.

[...]


----------------------
http://www.oekonux.de/



[English translation]
Thread: oxdeT00718 Message: 1/2 L0 [In index]
Message 00718 [Homepage] [Navigation]