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Re: [ox] ICANN = Industrialists Controlling All Net Names ?



Hi Holger,

danke für Deine prompte Insider-Antwort.  Vermutlich war ich etwas zu kurz
bei der Formulierung der Frage.  Deshalb hier etwas ausführlicher:


- das "Internet" war nie demokratisch, allenfalls anarchisch
- ziemlich viele wichtige Standardorganisationen (W3C, OMG, OASIS) sind
Industriekonsortien
- die Entscheidungsfindung in anderen (ANSI, CEN, ISO) die ueber Regierunigen
und ihre Vertreter laufen sind auch nicht gerade transparent

Das war mir bekannt, aber die Werbung sagt ja, dass das jetzt anders werden
soll -- eben "demokratisch".


Da ist ein Feigenblatt doch ein Fortschritt. Andere Beispiele fuer Feigen-
blaetter in der Politik: Polen 1988 Wahlen zum Sejm, Hongkong 1997 Regional
Council. Meist weitaus besser als nichts.

Wenn die Sache aber bloss ein PR-Trick ist, dann ist es schlechter als
"nichts":  Hier soll anscheinend (im Rahmen der globalen Deregulierung)
die Privatisierung des Internet -- so ziemlich das schlimmste, was dem
Internet passieren kann -- als Demokratisierung (und Internationalisierung)
"verkauft" werden; vermutlich, um öffentlichen Widerstand dagegen zu
vermeiden.  (Dein Beispiel Polen ist da ganz passend: Auch dort wurde/wird
die Privatisierung als Demokratisierung verkauft !!)

Die $50'000-Gebühr für neue TLD-Vorschläge zeigt schon die Richtung,
in die die Reise geht...  Motto: "Wer zahlt, bestimmt. Andere müssen
draussen bleiben."

Die von Dir referenzierte Jeanette Hofmann schreibt selber:
(http://www.freitag.de/2000/09/00090112.htm)

# Das Misstrauen gegenüber ICANN ist groß. Die Entscheidung, die gesamte
# operative Macht über die Infrastruktur unter dem Dach einer zudem
# amerikanischen Organisation zu konzentrieren, könnte ein Einfallstor für
# politische und wirtschaftliche Begehrlichkeiten schaffen, die bislang an
# der technisch verbürgten Unkontrollierbarkeit des Netzes gescheitert sind.
# Mit ICANN erhält das Internet eine Instanz, auf die sich Druck ausüben
# lässt. Und es spricht vieles dafür, dass von dieser Möglichkeit auch
# Gebrauch gemacht wird.

Verdächtig ist schon, welch ein Etikettenschwindel die At-Large Membership
ist:  Was von Spiegel und Co. (aber eigentlich auch von ICANN selbst) als
"Internet-Demokratie" angepriesen wurde, sieht konkret so aus:

Im Herbst wählt das "Internet-Wahlvolk" (ICANN's At-Large Membership)
lediglich 5 der 19 ICANN-Direktoren -- 1 pro Weltregion.  Für ganz
Europa wird also gerade mal _1_ (EINER) der 19 "Internet-Parlamentarier"
gewählt -- eine Majorz-Wahl der schlimmsten Art...   Aber es kommt
noch schlimmer:  Die anderen 14 Direktoren sind nicht demokratisch
legitimiert, sondern wurden von Partikulär-Interessen (im wesentlichen
US-Firmen) bestimmt und vertreten nur diese.  (Wie wenig diese von
Demokratie halten, sah man ja in Yokohama, wo ganze 18 der 19 für
eine Verringerung der Anzahl demokratischer ICANN-Direktoren waren!)
Diese 14 können die 5 "demokratisch" Gewählten mühelos überstimmen !

Aber auch die Zusammensetzung des "Wahlvolkes" ist schon undemokratisch
(nicht zuletzt weil die ICANN die ganze Sache so unterm Teppich hielt).
In Europa meldeten sich gerade mal 35'942 "Wähler" an -- nicht gerade
repräsentativ für die Millionen von europäischen Internet-Benutzern.
Von diesen 35'942 sind 20'475 Deutsche.  Komische Demokratie, wenn
57% der europäischen Wähler im selben Land sind... (zum Vergleich:
Frankreich hat 3'040 = 8%, Grossbritannien 2'150 = 6%).  Da für
Europa nur 1 ICANN-Direktor wählbar ist, wird dieser also wohl ein
Deutscher sein.

Diese Entwicklung ist besonders bedauerlich, wenn man bedenkt, dass das
Internet technisch eigentlich ein grosses Potential für _direkte_
Demokratie hätte.


- eine Alternative waere allerdings die Internet Society isoc.org. Da
liegt fuer Individuen in Industrielaendern der Zensus bei $35.

Sollen wir nun entweder
- zur ISOC-Mitgliederschaft aufrufen ?
- oder fuer ICANN eigene Kandidaten vorschlagen (moeglich bis 14 Aug),
geeignet vielleicht Organisatoren von Linuxtag oder Fete du logiciel libre
oder halt IETF...

...oder den Betrug erkennen/entlarven und uns für eine grundlegende Änderung
der ICANN-Strukturen einsetzen, bevor die "deep pockets" alles an sich
gerissen haben.

Grüsse,
Christoph R



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http://www.oekonux.de/



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