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Re: [ox] Die Anwendbarkeit der Werttheorie in der Informa



Lieber Uli, liebe Leute,

In einer eMail vom 08.11.00 01:00:58 (MEZ) Mitteleuropäische Zeit schreibt 
UlrichLeicht t-online.de:

Irgenwann tauchte schon einmal der Verweis auf einen Artiklel von Christian 
 Fuchs auf. Ich glaube nicht, daß es der unten erwähnte war. 
 Unter anderem in Zusammenhang mit der Diskussion um den Komplex 
 "Werttheorie-new economy-Informationsgesellschaft-human capital" 
 finde ich ihn sehr spannend und weiterbringend. Neben dem Artikel 
 "Himmelfahrt des Geldes ..." von Robert Kurz ist dies das beste, das ich 
 bislang zum Thema "Wert-Dienstleitung-produktive Arbeit/unproduktive 
Arbeit" 

 gefunden habe.
 Der Text liegt als Anlage anbei, ist aber auch in der trend-online-Zeitung 
 bei partisan net - http://www.trend.partisan.net/trd0900/t050900.htm zu 
finden, 
 die ursrüngliche Quelle ist:
 http://stud4.tuwien.ac.at/~e9426503/soinfoges/infogeswert.html 

Ich hab den Text von Fuchs jetzt mal gelesen und kann mich Ulis Einschätzung 
leider nicht anschließen, sondern finde ihn in weiten Teilen begrifflich 
schief und theoretisch fehlerhaft. Ich will nur auf die wichtigsten 
theoretischen Punkte eingehen (heißt also nicht, dass ich alles andere 
richtig finde):

Fuchs schreibt u.a.: "Die immer bedeutender werdende wissenschaftliche Arbeit 
tritt zwar als eine Voraussetzung des Produktionsprozesses indirekt in ihn 
ein, es kann aber argumentiert werden, daß sie im Sinn der Produktion von 
Mehrwert keine produktive Arbeit ist. Sie vergegenständlicht sich nicht im 
Produkt wie die verausgabte menschliche Arbeit, die Mehrwert schafft. Sie ist 
also keine abstrakte Arbeit, aber auch keine konkrete, da sie keinen Wert der 
Produktionsmittel auf die Ware überträgt. Sie ist unproduktive Arbeit und 
fällt aus der Tauschwert-Vergesellschaftung auf dem Markt heraus. Die 
Wissenschaft ist die "unmittelbare Produktivkraft" (Grundrisse, [MEW] Band 
42, S. 602), schafft jedoch selbst keinen Wert."

Ich denke, dass immaterielle Produkte durchaus als Vergegenständlichung von 
sowohl abstrakter wie konkreter (z.B. wissenschaftlicher oder künstlerischer 
oder Programmier-)Arbeit zu betrachten sind. Das "da" oben ist zwar eh 
verfehlt, aber soweit dazu Produktionsmittel notwendig sind, wird auch deren 
Wert anteilig übertragen. Die WissenschaftlerInnen schaffen dann keinen auf 
dem Markt relvanten Wert, wenn sie wirklich "allgemeine Arbeit" leisten, das 
ist nach meinem Verständnis bei sinnvoller Interpretation von Marx aber (nur) 
dann der Fall, wenn sie nicht als Lohnarbeit für das Kapital verrichtet 
worden ist (wie etwa in kapitalistischen Forschungsabteilungen oder 
Software-Buden), sondern etwa in öffentlichen Hochschulen oder 
Wissenschaftseinrichtungen oder von sozusagen freischaffenden 
WissenschaftlerInnen und die Ergebnisse kostenlos der Allgemeinheit zur 
Verfügung gestellt werden. Das waren die Fälle, die Marx zugrundelegte, und 
wenn das nicht der Fall ist, die Ergebnisse also nicht frei zugänglich sind, 
gilt das meiste, was Marx darüber sagte, nicht.

Fuchs weiter: "Wissenschaftliche Arbeit ist i.A. jedoch nicht 
marktkompatibel, sie tauscht sich nicht gegen Geld und hat damit in den 
meisten Fällen keinen Tauschwert. Was wäre denn das Produkt der Wissenschaft, 
das teurer verkauft wird als es eingekauft wird?" 

Begrifflich schief/falsch, weil (jedenfalls nach Marx, auf den er sich ja 
ansonsten bezieht) Arbeit Wert schafft, aber keinen hat. Wert und Tauschwert 
hat die Arbeitskraft, selbstverständlich auch die von WissenschaftlerInnen. 
Diese sind produktive, mehrwertschaffende LohnarbeiterInnen, soweit sie für 
kapitalistische Unternehmen arbeiten. Ihr Produkte, die entweder exklusiv in 
dem Unternehmen genutzt oder auch in Form von Lizenzen verkauft werden, sind 
typischerweise Erfindungen, die durch Patente geschützt werden, so dass 
Lizenzen für ihre Nutzung verkauft werden können.

Weiter hinten zitiert Fuchs zustimmend: "Der Informatiker Peter Fleissner 
vertritt im Gegensatz dazu in [Fleissner1987] und [Fleissner1995] die 
Auffassung, daß Infomations- und Wissensarbeit keine mehrwerterzeugende 
Arbeit ist, da der Output nicht akkumulierbar sei: '[...] gilt die 
Arbeitswertlehre in der klassischen Form nicht für solche Arbeitsbereiche, 
deren Output nicht akkumuliert werden kann. Manche Dienstleistungen, jene, 
die im Augenblick ihrer Entstehung verbraucht werden, die weder gelagert noch 
weiterverkauft werden können, sondern sofort konsumiert werden müssen, 
stellen zwar Gebrauchswerte dar, da aber wegen der Nichtakkumulierbarkeit 
kein Mehrprodukt, und wegen der fehlenden stofflichen Basis auch kein 
Mehrwert erzeugt wird, sondern Tauschwerte verbraucht werden, nenne ich diese 
Bereiche zum Unterschied von den klassischen werterzeugenden Sektoren 
wertverbrauchend. Die Erzeugung von Wissen in kapitalistischen 
Dienstleistungsbetrieben, Forschung und Entwicklung, fallen genau unter diese 
Kategorie'."

Dies ist m.E. ziemlicher Unfug, erst recht mit der Begründung. Der 
kapitalistische Produktionsprozess mündet in der Realisierung des Werts (und 
Mehrwerts) der produzierten Waren (oder Dienstleistungen) durch ihren 
Verkauf, also im Geld. Dieses kann akkumuliert werden, und dies muss 
keineswegs wieder in der erweiterten Produktion der gleichen Waren geschehen. 
Dies gilt ganz unproblematisch  genauso, wenn das Geld z.B. Lizenzeinnahmen 
sind, oder wenn (bei unternehmensinternen Arbeiten) sie sich in höheren 
Profiten beim Verkauf der Produkte niederschlagen, für deren Produktion die 
Erfindungen oder die Software eingesetzt wurden.

Fuchs: "Betrachten wir also die Entwicklung einer Software: Das Wissen der 
ProgramiererInnen erscheint in abstrahierter Form in einem Programm. Software 
ist kodiertes Wissen. Der eigentliche Produktionsprozeß erfolgt mit einem 
materiellen Träger wie CD, Diskette usw. industriell im Preßwerk (oder die 
Software wird über das Internet vertrieben)." 

Dazu ist festzustellen: Der Produktionsprozess der Software ist das 
Programmieren. Der Produktionsprozess einer CD ist das Pressen einer CD. 
Uneigentlich ist keines von beiden.

Nochmal Fuchs: "Ist der Output von Informationsarbeit (z.B. Software) 
akkumulierbar? Eine Software wird nicht erzeugt und verkauft, damit dieselbe 
Software in höherer Anzahl neu programmiert wird. Es kann also nicht direkt 
von der Akkumulierbarkeit der Software oder von Informationsprodukten 
gesprochen werden. Dies kommt daher, daß Wissen die Eigenschaft hat, daß es 
nur einmal erzeugt werden muß und nicht permanent reproduziert werden muß, 
damit es verfügbar ist. Bei Rohstoffen ist dies z.B. nicht der Fall. Der Wert 
ist Selbstzweck in Mehrwertform, da er im Kapitalkreislauf auf sich selbst 
rückgekoppelt wird, der Endpunkt der Kapitalmetamorphose G' wird dabei zum 
Ausgangspunkt G eines neuen Kapitalkreislaufes. Die Softwareentwicklung ist 
kein rückgekoppelter Prozeß, es wird nicht ein mehr derselben Software durch 
Reinvestition von akkumuliertem Kapital erzeugt.
Damit tatsächlich Profit aus Wissen entspringt, muß es eine materielle Basis 
erhalten. Dies erfolgt durch seine Speicherung auf Datenträger, die seine 
Vermarktbarkeit erlauben. Erst in dieser materiellen Form entsteht der 
Tauschwert des Wissens. Die Software an sich, die sich auf einem lokalen 
Rechner befindet, ist noch nicht tauschbar. Erst wenn sie einen Träger wie 
Diskette, CD-ROM oder Internet bekommt, kann sie im großen Ausmaß gegen Geld 
getauscht werden." 

Das ist wie gesagt Unfug. Selbstverständlich kann das mit Software verdiente 
Geld akkumuliert werden (oder wie soll man das nennen, was Gates so getrieben 
hat?). Selbstverständlich kann Software verkauft werden, ohne auch nur eine 
CD davon zu pressen, und das wird übers Internet zunehmend üblich werden.

Fuchs weiter unten weider zustimmend zu Dienstleistungen allgemein: "Dazu sei 
nochmals die Sichtweise Peter Fleissners erwähnt: 'Während in den meisten 
Dienstleistungbranchen keine wertbildede Arbeit geleistet wird - etwa im 
Handel, in der Lagerung, im Transport, in Banken und Versicherungen, im 
Hotel- und Gaststättenwesen, in der Forschung, Bildung, im Gesundheitswesen 
und im Staatsdienst - gibt es unter den Dienstleistern warenproduzierende, 
wertbildende Ausnahmen, wie etwa Maler, Bildhauer oder Programmierer (sofern 
sie branchenspezifische oder regionalspezifische Standardsoftware, nicht 
jedoch, sofern sie Individualsoftware erzeugen), die für einen Markt 
produzieren, und deren Tätigkeit in einem Gegenstand, der auch nach Ende des 
Produktionsaktes fortexistiert, gelagert und akkumuliert werden kann, seinen 
Niederschlag findet. Diese Dienstleister zählen im obigen Sinn zu den 
wertbildend[en SIC!] Tätigkeiten' ([Fleissner1987], S. 48).'"
 
Man kann das genauer diskutieren, aber so global ist es sicherlich falsch. 
Soweit diese Dienstleistungen für private kapitalistische Unternehmen 
erbracht werden, ist die dort geleistetet Arbeit m.E. produktiv im Sinne der 
Wert- und Mehrwertproduktion. Definitiv hat das für Transport, Gaststätten, 
Bildung, Gesundheitswesen etc. (also insb. soweit es sich nicht um 
Zirkulationsdinstleistungen handelt, wobei m.E. diese Ansicht zu 
problematisieren wäre) auch Marx so gesehen.

Zum tendenziellen fall der Profitrate und zu Krisen ist die Darstellung auch 
zu undifferenziert und nimmt die kritische Diskussion seit Marx kaum zur 
Kenntnis. Es kommen dann solche Aussagen: 

"Ohne solche Gegentendenzen würde der Kapitalismus zusammenbrechen. Bisher 
zeig(t)en sich zwar zyklische Krisen des Kapitalismus, Gegentendenzen 
verhindern aber zumeist den Zusammenbruch."

Wo ist jemals eine kapitalistische Ökonomie wegen des tendenziellen Falls 
zusammengebrochen oder auch nur knapp dran vorbei?

Weiter: "Der TFPR ist genauso wie die von Marx unpassenderweise so genannte 
"Anarchie der Produktion", d.h. die unkoordinierte Produktion nach 
Profitentscheidungen fernab des tatsächlichen Bedarfes, und die 
Unterkonsumption, d.h. eine Störung im Warenkapitals W', das nicht mehr in G' 
verwandelt werden kann (z.B. auf Grund mangelnder Nachfrage oder 
Überproduktion), eine Ursache von zyklischen Krisen im Kapitalismus."

Ein Ergebnis der Diskussion ist m.E., dass der tendenzielle Fall der 
Profitrate als Erklärung der zyklischen Krisen nicht geeignet und auch nicht 
nötig ist, sondern eher langfristige Tendenzen anspricht, wobei die 
Notwendigkeit dieser Tendenz auch ziemlich umstritten ist.

So weit erst mal.

Ralf Krämer
Fresienstr. 26
44289 Dortmund
Tel. 0231-3953843
Fax 0231-3953844

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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