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[ox] Computeralgebra-Systeme (was: Kochrezepte)



Holger Blasum (17 Dec) schrieb 

   > Da wäre ich vorsichtig. Du brauchst auch im Computerzeitalter, wo es
   > ja solch tolle Computeralgebra-Systeme (CAS) wie Maple und Mathematica
   > gibt (interessanterweise bisher keins unter GPL), die 'die ganze

   nicht GPL, aber so aehnlich ...

    M. Schönert, GAP - Groups, Algorithms, and Programs, Lehrstuhl
	     D für Mathematik, Rheinisch Westfälische Technische Hochschule,
	     Aachen, Germany, Third edition, 1993.

   weiss nicht ob brauchbar 

Es gibt eine Reihe solcher mehr oder weniger freier Programme aus dem
akademischen Bereich, siehe
http://www.informatik.uni-leipzig.de/~compalg/ca/systems/overview.html
Allerdings sind das meist Pakete für speziellere mathematische Kalküle
bzw. Gebiete, wogegen die großen 'General Purpose Systems' viele
solche Kalküle unter einem Dach vereinigen. Das macht sie zum einen
komplex und erklärt zum anderen ihre mittlerweile weite Verbreitung.
Zur Lizenz heißt es nur lapidar 

   GAP is distributed _free of charge_. You can obtain it via ftp and
   give it away to your colleagues. GAP is _not_ in the public domain,
   however. In particular you are not allowed to incorporate GAP or
   parts thereof into a commercial product.

Also nicht unter der GPL, aber in der Tat so ähnlich.  Insbesondere
steht da nichts Explizites zur Veränderbarkeit des Codes, aber ich
nehme an, dass die Kollegen Mitstreiter gern sehen. 

Es erscheint mir interessant, dass solche deutlich komplexeren
Programme wie (general purpose) Computeralgebra-Systeme (CAS),
wenigstens bisher, nicht nach dem Basar-Prinzip entwickelt werden,
sondern immer ein mehr oder weniger wohldefiniertes Kernteam haben,
das über Modifikationen entscheidet.  Obwohl ich keinen prinzipiellen
Grund erkennen kann, warum das nur so gehen sollte. Maple und
Mathematica etwa haben ihr Core Team und gleichzeitig offene Server
(Maple Application Center und MathSource), auf denen _freie_
(quellenfrei, ohne Zusatzkosten herunterladbare, modifizierbare, in
der Modifikation weitergebbare) Implementierungen unterschiedlichen
Kalibers liegen, die natürlich auf dem jeweiligen CAS aufsetzen. Das
CAS tritt in dem Fall eindeutig als Infrastruktur auf und es ist für
mich die Frage, ob die Lizenzgebühren, die die Systeme verlangen, zur
angemessenen Deckung der Aufwendungen zur Reproduktion dieser
Infrastruktur dienen oder primär unter Profitgesichtspunkten zu sehen
sind. Das wird man wohl nur nach genauer Betrachtung der Umstände und
auch nicht für alle Zeiten auf die gleiche Weise beantworten
können. Hier greift nämlich die FSF-Prämisse nicht, dass stets genug
Geld im Topf ist, sondern (wie in der Wissenschaft auch sonst üblich)
ein Teil der Zeit damit zu verbringen ist, den Topf wieder zu füllen,
aus dem die Entwicklungen finanziert werden.  Ähnliches beschreibt ja
auch Volker Grassmuck in seinem Aufsatz "Freie Software" (den ich sehr
spannend finde, kurze inhaltliche Zusammenfassung unter
http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe/projekte/moderne/Texte/grassmuck.txt).
Ich habe das aktuell am System MuPAD (www.mupad.de) mit verfolgen
können, dem einzigen CAS mit 'Sitz' in Europa, die dezidiert frei
bleiben wollten, einige Jahre Fördergelder erhielten und dann (da die
Fördermittelgeber immer nachdrücklicher Eigenmittel sehen wollten)
eine Firma SciFace zur Vermarktung gründeten.  MuPAD ist noch immer
frei für den privaten und Hochschulbereich (samt Quellen, wenigstens
die Terminalversion), aber es gibt mittlerweile auch eine kommerzielle
Version.  Zur GPL konnten sie sich (noch) nicht durchringen - der
Vorteil der Firma (die bisher eher schlecht als recht zurecht kommt)
liegt aber darin, dass die bisherigen Entwickler und damit das
aufgesammelte Know How weiter zur Verfügung stehen, die sonst
entsprechend den Drittmittelregeln nach spätestens 6 Jahren gehen
müssten und dann in der Regel was vollkommen anderes machen (müssen).
Andererseits stürzen sie sich nun auch stärker in den Supportmarkt und
versuchen insbesondere in der Lehrerfortbildung Fuß zu fassen.  Also,
wenigstens bisher, der Versuch, die Spielregeln des Marktes für die
Sicherung der Perspektiven des MuPAD-Projekts auszunutzen.  Wird
natürlich von der Nutzergemeinde kritisch betrachtet (im Sinne von
kritisch begleitend), was auch gut so ist.  Es scheint einen (nicht
unbedingt statischen) break even zwischen Komplexität der Entwicklung
und Umfang der Nutzergemeinde zu geben, jenseits dessen die
FSF-Prinzipien in ihrer reinen Form in der heutigen Welt auch für
immaterielle Güter nicht mehr funktionieren.  Aber wir stehen ja erst
am Anfang einer Entwicklung.

Soviel zu den hehren Prinzipien von FSF und ihrer praktischen
Realisierung in Projekten _dieser_ Welt. Es ist nicht
entschieden, wer hier wen vereinnahmt. Die abwägende Beobachtung
der Entwicklungen um MPL, NPL etc. wie in Grassmucks Aufsatz
halte ich deshalb in der Sache für sehr hilfreich, um im rechten
Moment am richtigen Faden des Knäuels der Widersprüche zu ziehen
und das Prinzip der "Wissensallmende" (ebenda) maximal zu
befördern.

-- 
Mit freundlichen Grüßen und besten Wünschen 
für ein erfolgreiches Jahr 2001, 

					Hans-Gert Gräbe

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     |  PD Dr. Hans-Gert Graebe, Inst. Informatik, Univ. Leipzig |
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