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[ox] Nur noch 10000 Personenjahre - ein Klacks für die FS-Comunity?



DER SPIEGEL  Nr.5 / 291.2001
Seite 190

COMPUTER

Billigchips
aus Tinte
Ein US-Professor träumt davon, die Chip-Industrie umzukrempeln:

Jeder soll künftig daheim billige Prozessoren ausdrucken können.

Eines Tages wird der neue Computer aus der Telefonbuchse kommen: emfach im 
Internet stöbern, bis man die Baupläne für die geeigneten Chips gefunden hat, 
das Ganze herunterladen und mit einem gewöhnlichen Tintenstrahldrucker und 
Spezialtinte auf eine Folie aufbringen - und fertig ist das Elektronenhirn, 
das nur noch ins Rechnergehäuse eingesetzt werden muß. All das in ein paar 
Minuten und für eine Hand voll Dollar.
Die Vision von spottbilligen Computerchips Marke Eigenbau stammt nicht aus 
einer Science-Fiction-Newsgroup, sondern von Joseph Jacobson, dem Leiter der 
Forschungsgruppe "Molecular Machines" am MIT Media Lab bei Boston. Jacobson 
ist bekannt wie ein bunter Hund, seit seine Firma "E Ink" eine neue Art von 
papierdünnen, biegsamen Digitalanzeigen entwickelt. Der Professor preist 
diese Erfindung als "das letzte Buch": Dereinst werde es den Buchdruck 
ablösen, denn seine Seiten lassen sich nach Belieben mit immer neuen Texten 
bespielen.
Auch Jacobsons neues Projekt, der Chip-Drucker, macht Fortschritte: Eine 
kleine Zahl von Transistoren habe er bereits ausdrucken können, verkündete 
der Printer-Prof im Wissenschaftsmagazin "Science". Und das sei erst der 
Anfang:
Es ist unser Ziel, dieselbe Entwicklung einzuschlagen, die das Silizium schon 
einmal genommen hat: Wir beginnen mit ein paar hundert Transistoren, dann 
machen wir Tausende und schließlich noch viel mehr." Schon dieses oder 
nächstes Jahr will Jacobson der Welt einen einfachen, aber kompletten Chip 
präsentieren.
Die Idee, Mikrochips auszudrucken, ist nicht neu. Seit Jahren experimentieren 
Forscher weltweit - vor allem an den US-amerikanischen Bell Labs und im 
britischen Cambridge - damit herum. Doch sie alle setzen auf Plastikchips aus 
speziellen orga-nischen Polymeren. Diese sind besonders robust und billig - 
doch rechnen sie extrem langsam, weswegen sie allenfalls als halb-
intelligente Preisschildchen taugen dürften.
Jacobson jedoch verwendet für seine gednickten Minirechner kein Plastik, 
sondern den Stoff, aus dem auch Intel-Chips gemacht werden: Halbleiter wie 
Silizium oder auch Cadmiumselenid. Jacobson glaubt, damit die Taktraten 
herkömmlicher PC-Chips erreichen zu können: "Ich meine das ernst: nicht 
langsamer als ein Pentium." 

Sein Vorhaben würde die gesamte Praxis der Chip-Herstellung auf den Kopf 
stellen: Halbleiterfabriken kosten mehrere Milliarden Mark und sind 
Wunderwerke der Komplexität, Präzision und Geheimniskrämerei. Mehrere hundert 
komplizierte Arbeitsschritte durchläuft jeder Chip, viele davon in 
Reinräumen, die ausschließlich mit Schutzanzügen betreten werden dürfen. 
Jacobsons Heimwerker-Transistoren dagegen werden von herkömmlichen 
Tintenstrahldruckern der Firma Hitachi ausgespuckt.

Der Trick des Tüftlers ist einfach: Er verwendet winzige Halbleiterpartikel, 
die sich ungleich leichter verarbeiten lassen als die teils pizzagroßen 
"Wafer" der Industrie. Während herkömmliche Chips mit Säuren aus einer 
soliden Halbleiterscheibe herausgeätzt werden, geht Jacobson umgekehrt vor: 
In seiner "Halbleitertinte" sind "Nanokristalle" gelöst, bestehend aus 
weniger als hundert Atomen, die Schicht für Schicht vom Drucker auf ein 
Trägermaterial aufgetragen werden. Sogar winzige Roboterarme ("Aktuatoren") 
hat er auf diese Weise schon "ausgedruckt" -am Ende der Gutenberg-Ära werden 
aus den Zeichen Maschinen.
Viele Fachleute bleiben dennoch skeptisch. "Ich mag Jacobson, weil er ein 
guter Vermittler von Ideen ist", sagt Sigurd Wagner, ein Halbleiter-forscher 
an der Princeton University. "Trotzdem ist es unrealistisch, einen 
pentiumähnlichen Chip auszudrucken. Das Material ist dafür zu unrein und zu 
spröde." Zudem, fügt Wagner hinzu, sei der Weg vom Prototyp bis zur 
Serienherstellung gerade in der Halbleitertechnik extrem lang. Mit "bis zu 
zehntausend Personen-jahren" müsse Jacobson im schlimmsten Fall rechnen.
Die meisten Kollegen sehen die Zukunft ausgedruckter Billigchips deshalb eher 
bei Lebensmittelverpackungen, die Buch führen über Verfallsdatum und 
Temperatur. Intelligente Sixpacks könnten im Supermarkt die Kunden 
anquatschen, die Kasse könnte den Preis automatisch per Funk abbuchen.
Derlei kleinmütige Ideen sind nichts für Jacobson. Er tagträumt lieber von 
einer Art Linux-Chip: Bastler könnten dereinst ihre selbst entworfenen 
Chip-Kreationen über das Internet miteinander austauschen und so 
Gigahertz-Giganten wie Intel und AMD einen Strich durch die Rechnung drucken 
- alles mit seiner, Jacobsons,
Halbleitertinte.    HILMAR SCHMUNDT

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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