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[ox] Peer-to-peer, Fabber und Freenet



"Nach meiner Meinung ist der einzige Weg, mit Gesetzen im Cyberspace
umzugehen, sie zu ignorieren, wild und schamlos. Ich will, dass
jeder in diesem Raum sich als Revolutionär betrachtet, da rausgeht
und entwickelt, was immer er will." (John Perry Barlow)

Aus der aktuellen c't:
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Erik Möller 

Das Netz der Nutzer 

Peer-to-Peer-Netze auf dem Vormarsch 

In San Francisco trafen sich vom 14. bis zum 16. Februar Entwickler
und Investoren, um über die nächste Generation von
Internet-Applikationen zu diskutieren. Die Themen waren so
vielfältig wie die Möglichkeiten, übers Netz zusammenzuarbeiten. 

Seit dem Trubel um Napster gelten Peer-to-Peer-Netze als heißer
Trend für die Zukunft des Internet. In der vom O?Reilly-Verlag
organisierten P2P-Konferenz ging es nicht nur um dezentrale
Netztechnik oder File Sharing à la Napster, sondern auch um Themen
wie Instant Messaging, verteiltes Rechnen, Groupware,
P2P-Web-Dienstleistungen und kollaborativer Journalismus. Die
?Hysterie um das geistige Eigentum? verdecke die wahren Chancen von
Peer-to-Peer, so Verleger und Technologie-Aktivist Tim O?Reilly. 

In einer Diskussionsrunde erklärten verschiedene P2P-Entwickler ihre
unterschiedlichen Projektziele, darunter auch der Freenet-Schöpfer
Ian Clarke (siehe Artikel S. 150 in c't 6/2001). In seinem völlig
dezentralen Netz, das die anonyme und effiziente Speicherung von
Informationen ermöglichen soll, sei es essenziell gewesen, alle
zentralen Kontrollpunkte zu eliminieren, so Clarke. ?Das ist
schwierig; es gibt Probleme mit der Skalierbarkeit, Effizienz und
Netzlast-Verteilung.? 

Ray Ozzie, Entwickler von Lotus Notes, stellte seine Firma Groove
Networks vor. Mit seiner P2P-Groupware Groove, die bereits eine
Menge Vorschusslorbeeren erhalten hat, kann man so genannte ?Spaces?
gründen, Gruppen für verschiedene Anwendungen. Bereits vorhandene
Applikationen sind Chat, gemeinsames Zeichnen, File Sharing,
Meetings, Event-Planung und Projektkollaboration. Die Kommunikation
innerhalb einer Gruppe ist verschlüsselt und weitgehend dezentral.

Auch das Kapital hat P2P entdeckt: Larry Cheng von Battery Ventures
gab einen Überblick über verschiedene Firmen im P2P-Bereich.
Insgesamt seien bereits rund 350 Millionen Dollar im P2P-Sektor
investiert worden, davon jeweils etwa ein Drittel in die Bereiche
Distributed Computing und Groupware-Lösungen. Der Bereich File
Sharing ist mit zehn Prozent kaum repräsentiert, da Investitionen
dort wegen der rechtlichen Lage als unsicher gelten.

SETI-Entdeckungen 

SETI Home, die Suche nach extraterrestrischer Intelligenz, ist das
wohl erfolgreichste Projekt im Bereich Distributed Computing: Rund
drei Millionen Anwender holen sich bei SETI Home Datenpakete vom
Arecibo-Teleskop in Puerto Rico ab, verarbeiten sie auf ihren
Rechnern und senden die Ergebnisse zurück. Das Programm läuft als
Screensaver und damit weitgehend unbemerkt im Hintergrund.
SETI Home-Techniker David Anderson nannte Gründe für den Erfolg des
Projekts.

Man müsse die Nutzer emotional an die Software binden, daher habe
man bei SETI Home viel Zeit darauf verwandt, die Analysen optisch
ansprechend zu gestalten. Wenn jemand auf irgendeinem Rechner die
farbigen Balkengrafiken und Kurven sehe, die SETI Home produziert,
frage er, was das denn sei - und nach einer Erläuterung habe
SETI Home dann oft einen Fan mehr. Darüber hinaus benötigten die
Nutzer ?ständiges Schulterklopfen? für ihre Verdienste - am liebsten
wäre es Anderson, wenn sich jeder User in einer Top-10-Liste
wiederfinden könnte.

Suns Chefwissenschafter Bill Joy sprach über JXTA. Mit JXTA (von
?juxtapose?, nebeneinander stellen) will Sun eine offene
Peer-to-Peer-Infrastruktur für beliebige Applikationen schaffen. Man
entwickle JXTA vor allem, um es selbst einzusetzen. Die Software
soll wie auch Suns Projekt Open Office mit der Open-Source-Community
unter dem Dach des collab.net-Systems entwickelt werden. Ersten Code
will man im April veröffentlichen.

Eine Diskussionsrunde beschäftigte sich mit der Zukunft des
Journalismus. Im Mittelpunkt standen die Slashdot-Gründer Rob Malda
und Jeff Bates (siehe auch c't 1/01, S. 42). Slashdot ist ein
?Weblog?, das über Neuigkeiten berichtet, die vor allem für
Open-Source-Fans interessant sind. Dabei kommentieren die Leser die
Berichte, wobei ausgewählte Benutzer die Kommentare anderer User mit
Bewertungen versehen und so die Spreu vom Weizen trennen können. Der
Quellcode des Weblogs steht jedermann zur Verfügung
(www.slashcode.com) und kommt nun auch in Plastic zum Einsatz, einem
gemeinsamen Projekt verschiedener Online-Magazine.

Rob Malda fasste die Probleme mit einem total offenen Forum wie
Slashdot zusammen: ?Es gibt immer Leute, die in den Pool pinkeln.?
Postings, die absichtlich provozieren oder beleidigen, seien an der
Tagesordnung. Eine Bedrohung der traditionellen Medien durch solche
Systeme sieht Malda noch nicht, dazu sei die Zielgruppe von Slashdot
viel zu eingeschränkt. Die große Chance der neuen Medien sieht Dave
Winer von userland.com in der größeren Unabhängigkeit. In einem
Weblog, bei dem die Nachrichten teilweise sogar von den Benutzern
selbst stammen, sei eine zentrale Kontrolle der Inhalte kaum
möglich.

Freiheitskämpfer 

Am letzten Tag der Konferenz wurde es politischer: Lawrence Lessig,
Rechtsprofessor an der Stanford University, forderte die anwesenden
Entwickler auf, um die Datenfreiheit zu kämpfen. Prozesse wie der um
das DVD-Entschlüsselungs-Tool DeCSS könnten die Rechte der
Konsumenten massiv beschränken. Jack Valenti, Vorsitzender des
Filmindustrie-Verbands MPAA, habe noch den Videorecorder mit dem
Würger von Boston verglichen (einem brutalen Serienmörder), und die
gleiche Radikalität spiegele sich auch im Kampf der Filmindustrie
gegen das Internet wider.

?Wenn Sie jetzt nicht politisch aktiv werden, wird Ihr Recht
verschwinden, diese Netze zu bauen.? Lessig wies darauf hin, dass
Konflikte mit geistigen Eigentumsrechten wie bei Napster in jedem
P2P-Netz auftreten werden. ?Als Rechtsanwalt kann ich Ihnen
garantieren, dass es in Ihren Netzen Rechtsverletzungen gibt.? Ein
privates P2P-Netz wie Groove Networks ist ja auch in der Tat nicht
nur für Firmen geeignet, sondern zum Beispiel auch zum geheimen
Tausch von Kinderpornografie.

In einer anschließenden Diskussionsrunde wurde John Perry Barlow,
Mitgründer der Electronic Frontier Foundation, noch deutlicher:
?Nach meiner Meinung ist der einzige Weg, mit Gesetzen im Cyberspace
umzugehen, sie zu ignorieren, wild und schamlos. Ich will, dass
jeder in diesem Raum sich als Revolutionär betrachtet, da rausgeht
und entwickelt, was immer er will.?

Aber auch technische Aspekte kamen zur Sprache. So stellte das
Freenet-Team das eigene Netz vor und erklärte dessen Funktionsweise
und Skalierbarkeit. In Simulationen habe man zeigen können, dass das
Netz logarithmisch skaliere, der Weg zu den Daten also mit
steigender Zahl von teilnehmenden Nodes nur unwesentlich länger
werde. Bis zu 20 Prozent der Nodes könnten gezielt abgeschossen
werden, bis zu 30 Prozent zufällig ausfallen, ohne dass das Netz
kollabiere. Freenet garantiere auch die Echtheit der empfangenen
Daten, da der Inhalt einer Datei über eine Prüfsumme an ihren Namen
gebunden ist.

Das am MIT entstandene Freehaven-Projekt bemüht sich, ein noch
anonymeres Protokoll als Freenet zu entwickeln. Der
Kryptologie-Experte Roger Dingledine erklärte unterschiedliche
Ansätze, um die knappen Ressourcen im Netz gerecht zu verteilen.
Entweder könne man Nutzern mit hoher Reputation, die bereits in der
Vergangenheit Platz bereitgestellt haben, größere Prioritäten
einräumen, oder man lege für unterschiedliche Transaktionen Preise
fest, die mit Micropayments beglichen werden.

Reality-Napster 

Einer der letzten Vorträge war deutlich futuristischer. Marshall
Burns und Jamie Howison von der Ennex Corporation erklärten, wie
sich das Napster-Modell auch auf die materielle Welt anwenden lasse.
Sie stellten so genannte ?Fabber? vor, Maschinen, die bei der
Erstellung von Industrie-Prototypen eingesetzt werden. Diese Geräte
schneiden beispielsweise aus Plastik exakte Reproduktionen eines
3D-Modells. Fabber würden immer kostengünstiger und leistungsfähiger
und könnten in Zukunft - mit Fortschritten in der Mikro- und
Nanotechnologie - möglicherweise hochkomplexe Produkte erzeugen.

Fabber würden bereits in vielen Anwedungsbereichen eingesetzt:
Autoteile, Spielzeuge, Möbel, Verpackung, Medizin und sogar Kunst
würden im Eiltempo und in durchaus akzeptabler Qualität mit den
Maschinen hergestellt. Bereits heute gebe es Firmen, die aus von
Kunden gelieferten 3D-Mustern physische Produkte machen:
Toybuilders.com etwa produziert maßgeschneiderte Spielzeuge ab 25
Dollar, 3DQ und Bits2Parts stellen Prototypen für die Industrie her.

Die 3D-Modelle, die als Grundlage der Produkte dienen, stünden kurz
vor der ?Napsterisierung?. Bereits heute tausche die
Fabber-Community auf Mailing-Listen die begehrten Daten. In Zukunft
müsse man Wege finden, die Schöpfer der Modelle zu bezahlen - wobei
Jamie Howison hier vor allem an freiwillige Modelle und
Vorauszahlungen glaubt. (odi)

-- 
  Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen
  HA II, Abteilung Datenverarbeitung
  Kanzlerstr. 8, 40472 Duesseldorf
--
  stefan.meretz hbv.org
  maintaining: http://www.hbv.org
  private stuff: http://www.meretz.de
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Organisation: projekt oekonux.de


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