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[ox] ver.di - vielleicht doch ein wenig Neues !?



UlrichLeicht t-online.de

Eine neue Gewerkschaft - neue Ziele, neue Methoden
Frank Bsirske, der bisherige (kurzzeitige) Vorsitzende der Gewerkschaft ÖTV ist 
auch Vorsitzender der neuen ver.di - wenig überraschend. Überraschender auf 
jeden Fall jene Passagen seiner Grundsatzrede auf dem ver.di Gründungskongreß, 
in denen er zu new economy, neuen Entwicklungen, neuen Zielen und Formen der     
gewerkschaftlichen Arbeit sprach.   

Auszüge der Rede von Frank Bsirske

Es kann überhaupt nicht schaden, sich noch einmal deutlich klar zu machen: Ohne 
uns, ohne die Gewerkschaften, ohne die Klunckers und Mahleins, aber auch die 
Schulzes und Schmidts, Meiers und Kunzes und ihre Kämpfe für Lohn und 
Arbeitszeit, Pressefreiheit und Kündigungsschutz sähe diese Republik heute 
anders aus. 
ver.di stellt sich bewusst in diese Tradition ihrer Ursprungsorganisationen. 
Zugleich aber steht ver.di für etwas Neues, dafür, sich den Veränderungen in 
der Arbeitswelt zu stellen. Das ist zwingend notwendig, denn die 
Organisationsbereiche, aus denen wir unsere traditionelle Stärke schöpfen,
werden abnehmen ? zum Teil jedenfalls? während jene, in denen wir noch schwach 
sind, wachsen werden.
Während auf höchster Konzernebene durch Fusionen die Konzentration 
vorangetrieben wird, werden gleichzeitig Großbetriebe zerlegt. Zahlreiche 
Bereiche werden outgesourct, die Zahl der Klein- und Mittelbetriebe nimmt zu.
Auch die Zahl der Beschäftigten in diesen Bereichen steigt. Steigen wird die 
Zahl der Angestellten und zunehmen werden befristete, Teilzeit-, Leiharbeits- 
und andere neue Beschäftigungsverhältnisse. Wobei wir zur Kenntnis zu nehmen 
haben, dass dabei nicht nur prekäre Beschäftigungsverhältnisse geschaffen 
werden, sondern auch solche, die Chancen eröffnen? für den Einzelnen wie
für die Gesellschaft insgesamt.
Wer auf diese Entwicklung Antworten finden will, muss sich auf Veränderungen 
einstellen und Neues wagen. ver.di hat dazu die Kraft. Das haben wir bewiesen ? 
mit unserem Zusammenschluss und mit vielfältigen Aktivitäten, die wir
jetzt zusammenführen, systematisieren und verbreitern können.
Nehmen wir zum Beispiel die HBV. Sie hat in den letzten Jahren neue 
Aktionsformen entwickelt, die beispielhaft sind. In einem Fall ging es um die 
Drogeriekette Schlecker. Ein harter Brocken. Da wurden gesetzwidrige Löhne 
gezahlt, unter dem für allgemein verbindlich erklärten Tarif. Da wurden Frauen 
systematisch gedemütigt, niedergedrückt und entwürdigt, von Detektiven 
bespitzelt, und da wurde herausgekantet, wer als HBV-Mitglied auffiel und dabei 
war, einen Betriebsrat aufzubauen.
Da war an einen herkömmlichen Arbeitskampf nicht zu denken. Also hat sich die 
HBV Verbündete außerhalb der Belegschaft gesucht, ist in die Öffentlichkeit 
gegangen, hat Pfarrer und Künstler dafür gewonnen, das Anliegen der
beschäftigten Frauen in dieser Drogeriekette zu unterstützen. Politiker haben 
Patenschaften für einzelne Frauen im Betrieb übernommen. Selbst die 
Familienministerin in Stuttgart hat damals angekündigt, persönlich auf die 
Barrikaden zu gehen, wenn ihrer Patenkollegin irgendetwas passieren würde. Es 
gab Landtagsdebatten - sogar die Regenbogenpresse hat für die Frauen Partei 
ergriffen.
Diese Kampagne, Kolleginnen und Kollegen, hat Erfolg gehabt. Der Umsatz von 
Schlecker in der Region Mannheim ging um ein Drittel zurück. Es gingen Frauen 
in die Läden und sagten: Ich kaufe bei Ihnen so lange nicht mehr, wie
ich nicht weiß, dass mit den Frauen in dieser Drogeriekette anders umgegangen 
wird. Sie waren als Kunden nicht bereit hinzunehmen, dass die Menschen in 
diesen Läden entwürdigt und niedergedrückt werden.
Nach fünf Monaten konnten bundesweit Betriebsratswahlen bei Schlecker 
durchgeführt werden. Die vorenthaltenen Tariflöhne wurden nach etlichen 
Arbeitsgerichtsverfahren nachgezahlt, und am Ende wurde Schlecker noch wegen
Vortäuschung tariflicher Bezahlung, also wegen Betrugs, zu elf Monaten 
Gefängnis auf Bewährung und zu einer Geldstrafe von einer Million Mark 
verurteilt. Ich finde, das hat Beifall verdient. 
Im Wissen um solche Erfahrungen wird sich ver.di für ganz neue Bündnisse und 
Aktionsformen öffnen. Wenn sich, Kolleginnen und Kollegen, ver.di, die 
Gewerkschaft der Dienstleister, mit den Bürgerinnen und Kunden zusammentut, 
die auf die Dienstleistungen angewiesen sind, dann wird es ganz spannend: Da 
kann ver.di Verbündete von sozialen Bewegungen und kann ver.di selbst soziale 
Bewegung sein. Wir können von Greenpeace eine Menge lernen - ich denke, das 
sollte man klar sagen -; aber nicht nur von Greenpeace, sondern auch von 
unseren HBV-Kolleginnen und ?kollegen. 
Also, Kolleginnen und Kollegen: Trauen wir uns! Raus aus den 
Gewerkschaftsghettos, rein ins Leben. 
Dass ver.di entschlossen ist, neue Wege zu gehen, zeigt sich auch in den 
Vorzeigeunternehmen der so genannten neuen Ökonomie, der New Economy. Die 
Internet- und Multimediafirmen ? von AOL, Amazon über EM.TV bis Pixelpark ? 
werden ja seit längerem als Symbol dafür gehandelt, dass die Gewerkschaften im 
Grunde der Steinzeit zuzurechnen seien. Sie sind als Musterbeispiel schlechthin 
für die Unternehmerkampagne unter dem demagogischen Motto der neuen sozialen 
Marktwirtschaft herangezogen worden.
Noch vor wenigen Monaten schien es, als könne jeder halbwegs begabte 
Berufsanfänger mit etwas Geschick, Zähigkeit und reichlich Aktienoptionen im 
Handumdrehen Millionär werden. Wer damals auf die Euphoriebremse
trat, wurde als Miesepeter abgekanzelt. Wenn einen aber die Steinzeit einholt, 
wenn die Kurse tot sind, dann kann es schnell passieren, dass die schönen
Aktienoptionen sehr bald nur noch wenig wert sind. Und dann denkt manch einer 
schon mal über den Reiz gesicherter Löhne nach, weil von Versprechen, 
Kolleginnen und Kollegen, auf die Zukunft niemand die Miete zahlen
kann. 
Und wenn gleichzeitig noch Stellen gekappt werden, machen sich nicht wenige 
Beschäftigte der IT-Branche schon einmal Gedanken über die Zweckmäßigkeit von 
Betriebsräten. Das, Kolleginnen und Kollegen, ist auch gut so. Doch sollten wir 
uns nichts vormachen: Deswegen kommen sie noch nicht automatisch in die 
Gewerkschaft.
Ich bin in einem Interview neulich gefragt worden, welchen Organisationsgrad 
ich denn in diesem Bereich gerne erreichen wolle. Nun, ich habe geantwortet: 
"Wir wollen sie am liebsten zu 100 Prozent organisieren. Aber unser
Ziel ist es, überhaupt erst einmal mit ihnen ins Gespräch zu kommen."
Genau hier, Kolleginnen und Kollegen, hat ver.di mit dem gemeinsamen Projekt 
TIM und dem Projekt connex angesetzt. TIM steht für Telekommunikation, 
Informationstechnologien und Medien und connex für Zusammenhang und Netz.
Beide haben eine Hotline, die für Beschäftigte in dieser Branche Beratung 
bietet. Ob die Firma denn einfach anordnen kann, dass Samstag bis 20 Uhr zu 
arbeiten ist, wird typischerweise gefragt. Tja, wenn im Arbeitsvertrag
zur Arbeitszeit nichts steht und kein Betriebsrat da ist! Wir sagen dann auch: 
"Ein Betriebsrat hätte Mitbestimmung bei der Arbeitszeit."
Das trägt Früchte. Im Februar, Kolleginnen und Kollegen, hat das Projekt 
connex, von DAG und IG Medien betrieben, zusammen mit TIM an alle Mitarbeiter 
der grÖßten deutschen Internet-Agentur Pixelpark in Berlin eine
E-Mail mit der Frage versandt, ob es nicht Zeit für einen Betriebsrat sei. 
Diese Web-Site verzeichnete in kurzer Zeit 4 000 Zugriffe ? und nicht mal drei 
Wochen später wurde auf einer Pixelpark-Betriebsversammlung ein Wahlvorstand 
gewählt. Ich bin sicher: Auch wenn es in manch anderer Firma nicht immer direkt 
und einfach gehen wird, weitere Betriebsräte und weitere ver.di-Mitglieder 
werden folgen, und zwar umso eher und umso mehr, wie wir den Menschen in 
diesen Betrieben helfen, ihr Berufsleben im Hinblick auf Sozialversicherung 
und Vertragsgestaltung zu gestalten, und umso eher und umso mehr, wie wir 
helfen, maßgeschneiderte Lösungen zu entwickeln, die dem Einzelnen die 
gewünschte Balance von Autonomie und Absicherung ermöglichen. Wie das
angepackt wurde, das, Kolleginnen und Kollegen, ist Zukunft in der Gegenwart. 
Die Kraft, die das praktisch angeht, ist ver.di. Deswegen bin ich sicher: 
ver.di wird ein Erfolg werden, wenn wir sie als Chancengewerkschaft betreiben;
als Gewerkschaft, die eine Chance ist, die Chancen eröffnet und die Chancen 
für eine Gewerkschaftsarbeit bietet, wie es sie bisher nicht gab. Dafür, 
Kolleginnen und Kollegen, müssen wir eine neue Beweglichkeit entwickeln. 
Dafür brauchen wir intern eine neue Professionalität und, um nach außen 
durchsetzungsfähig zu werden, auch neue Aktionsformen wie im Falle der bereits 
erwähnten Drogeriekette, so wie mit TIM.
(...)
Warum können wir an diesem Punkt optimistisch sein? Ich sehe mehrere Gründe 
dafür: Zum Ersten haben die fünf Gründungsorganisationen bisher alles andere 
als flächendeckend gearbeitet. Neben der Computer- und Multimediabranche gibt 
es in unserer Mitgliederkartei viele weiße Flecken: Design- und Werbeagenturen, 
Call- Center, private Post, Kurierdienste und Transportunternehmen, privater 
Rundfunk, private Pflegedienste, Kirchen. Da liegt ein enormes Potenzial für 
uns. Zum Zweiten haben die ver.di-Organisationen auch in ihren 
Traditionsbereichen deutliche Defizite bei den jungen Leuten. Viele können ihr 
Lebensgefühl im Erscheinungsbild der Gewerkschaften einfach nicht wiederfinden. 
Wenn ver.di aber zu einer frischen, unkonventionellen Gewerkschaft in der 
heutigen Lebenswelt wird, dann wüsste ich keinen Grund, weshalb uns
dieses Potenzial verschlossen bleiben sollte. Gerade in den neuen Branchen 
gibt es zunehmend neue Beschäftigungsverhältnisse - ungesicherte auf der einen
Seite, auf der anderen Seite viele Selbstständige. Betrachten wir diese 
Selbstständigen, dann haben ganz viele gar nicht die Absicht, Unternehmer zu 
werden. Auch an diese Menschen wenden wir uns. Das geht, Kolleginnen und
Kollegen.
Die DPG hat es zum Beispiel bei den Postagenturen geschafft. Das sind kleine 
Einzelhändler, die in ihren Läden auch einen Postschalter haben. Für die 
handelt die DPG die Musterverträge mit der Post aus, mit dem Erfolg, dass sich
diese Selbstständigen in hohem Maße gewerkschaftlich organisiert haben, so wie 
der Durchschnitt im Handel insgesamt. Fangen wir also an!
Diese Gewerkschaft muss in die Forschungszentren hinein, in die EDV- und 
Internetbranche, in die neuen kreativen Berufe wie Design, Werbung, 
Videoproduktionen, privater Rundfunk. Auch das geht; die haben nichts gegen 
uns -jedenfalls nicht die Beschäftigten. 
Wir müssen in die neuen Beschäftigungsformen hinein. ver.di muss die 
Gewerkschaft der geringfügig und der befristet Beschäftigten sein, der 
Leiharbeiter und der Telearbeiterinnen. ver.di muss die Gewerkschaft der
Arbeitslosen sein - und auch die Gewerkschaft der Selbstständigen. Das 
irritiert auf den ersten Blick. Aber wie groß unsere Chancen dort sind, hat 
eindrucksvoll die IG Medien gezeigt.
Die kümmert sich im Kunst- und Medienbereich nicht nur um die, die man heute 
"Scheinselbstständige" nennt, sondern gezielt auch um die erfolgreichen 
Selbstständigen. Sie hat zum Beispiel einen Beratungsservice aufgebaut, da 
können freie Journalisten oder Web-Designer anrufen, wenn sie Fragen zur 
Steuer oder Probleme mit Verträgen haben. Da sitzen zwei Dutzend erfahrene 
Praktikerinnen und Praktiker, die in allen Fragen ? übrigens kostenlos? helfen.
Das ist ein Service, Kolleginnen und Kollegen, wie ihn keine Berufsorganisation 
und kein Arbeitgeberverband bieten, mit dem Erfolg, dass die IG Medien, also 
ver.di, heute 22 000 Selbstständige als Mitglieder hat und zumindest für 
Journalistinnen und Journalisten, Schriftsteller und Schriftstellerinnen sowie 
übersetzerinnen und übersetzer die anerkannt führende Berufsorganisation ist. 
Ich finde, das ist Klasse!
Warum sollte das nicht auch für selbstständige Programmierer und Grafikerinnen 
gehen, für Dolmetscher und Hebammen? 
Wir haben in unserem Organisationsbereich freie Versicherungsvertreter und 
Schreibbüros, Binnenschiffer, selbstständige Lkw-Fahrer und Kuriere. Wir haben 
freie Musiklehrerinnen, Steuerberater und Meinungsforscherinnen und noch jede 
Menge mehr. Sie alle könnten zu ver.di gehören. Ich möchte, dass wir deren
Berufsorganisation werden - jedenfalls so lange, wie sie nicht selber 
Arbeitgeber sind. Darüber, wo wir da die Grenze ziehen, müssen wir reden. Mein 
Vorschlag heißt: ver.di kümmert sich in deren Organisationsbereich um alle, die 
von ihrer eigenen Hände Arbeite leben und von dem, was sie mit ihrem Kopf 
bewegen. 
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Gewerkschaft, die neben Abfallwerkern? so 
heißen die früheren Müllwerker heute ? und Erzieherinnen auch Selbstständige 
und Professorinnen zu Mitgliedern hat, wird eine andere sein, als wir
sie bisher gekannt haben. Sie wird vor allem, wie bei jener Drogeriekette, neue 
Formen der Solidarität entwickeln.
Fast zwei Dutzend Berufsverbände, die mit der DAG gekommen sind, werden mit 
ver.di kooperieren, allen voran der Marburger Bund mit seinen rund 30 000 
ärztinnen und ärzten. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit. 
Die neue Solidarität wird berufsübergreifend und branchenübergreifend sein. 
Freilich, Kolleginnen und Kollegen, damit Solidarität zwischen dem Arzt und 
der Verkäuferin möglich wird, müssen wir uns noch besser kennen lernen.
Manchmal wissen wir noch zu wenig voneinander.
Dem Kongress der IG Medien? lasst mich das an dieser Stelle ruhig einmal sagen ? 
am Wochenende lag ein Antrag vor, nach dem ver.di keinen Tarifvertrag mehr 
unterschreiben soll, der Lohngruppen unter 3 000 Mark enthält.
(Vereinzelt Beifall) Ich bin sicher, liebe Kolleginnen und Kollegen aus Bremen, 
Ihr findet dafür begeisterte Zustimmung bei allen Kassiererinnen, 
Pflegehelferinnen und Friseurinnen. Aber wisst Ihr, dass die ÖTV Tarifverträge
für Friseurinnen unterschrieben hat, deren Lohn bei 1 400 Mark anfängt? Ja, 
mir geht das auch gegen den Strich; mir geht es gewaltig gegen den Strich, 
dass Menschen in diesem Land für 1 400 Mark brutto einen ganzen Monat
lang arbeiten müssen. 
Aber was machen wir mit einem solchen Beschluss, wenn er denn zu Stande 
gekommen wäre? Sollen wir dann für die Friseurinnen lieber gar keine 
Tarifverträge mehr abschließen?
Die Wahrheit, Kolleginnen und Kollegen, ist, dass wir die Niedriglohngruppen, 
die wir bekämpfen, längst haben. Der Anteil der Beschäftigten in solchen 
Niedriglohngruppen wird in ver.di sogar größer sein als in den anderen
DGB-Gewerkschaften.
Die Arbeitgeber? machen wir uns da doch nichts vor? versuchen, dieses Niveau 
noch weiter zu drücken durch Billiglohngruppen, die vom Staat subventioniert 
werden sollen, und durch direkte Lohnsenkungen.
Die Kirchen als zweitgrößter Arbeitgeber in Deutschland zum Beispiel, die sich 
weigern, Tarifverträge zu vereinbaren, haben in ihren wirtschaftlichen 
Einrichtungen die LÖhne von un- und angelernten Kräften im Reinigungs-, im 
Hauswirtschafts- und Küchendienst um bis zu 30 Prozent sowie in den ambulanten 
Diensten um bis zu 15 Prozent gesenkt. Diese Absenkung trifft in allererster 
Linie Frauen. Das ist die Realität, mit der wir uns auseinander setzen müssen. 
ver.di wird sich dieser Realität stellen, um sie zu verändern.
Vielleicht kann uns der Weg der Schweizer Gewerkschaften des Öffentlichen 
Dienstes? die Vorsitzende war gestern Abend bei uns und wir haben darüber 
miteinander sprechen können ? hier Impulse geben. Dort ist vor über einem
Jahr eine Kampagne gestartet worden unter dem Motto "Kein Lohn unter 3 000 
Franken!", die darauf abzielt, Arbeitgeber moralisch unter Druck zu bringen. 
Es gibt bereits erste Teilerfolge. Darüber sollten wir nachdenken. 
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe hier bewusst zwei Pole beschrieben: 
den Web-Designer in der New Economy und die Friseurin.Beide gehören zu ver.di. 
Mit beiden und für beide wollen wir arbeiten.
Spätestens damit aber ist die Zeit der gewerkschaftlichen Patentrezepte vorbei. 
Wir brauchen spezifische Antworten auch in der Tarifpolitik.
Wenn der Web-Designer - bleiben wir bei diesem Beispiel - projektbezogen auch 
einmal zwölf Stunden und nachts arbeitet, dann sollten wir unsere Aufgabe 
nicht darin sehen, ihm das zu verbieten, aber wir sollten uns mit ihm zusammen 
dafür einsetzen, dass er einen Ausgleich erhält - so wie wir uns um die allein 
erziehende Mutter kümmern, die ihre Arbeitszeit mit der Kindertagesstätte 
koordinieren muss. Tarifpolitik soll den Menschen schließlich nicht 
vorschreiben, wie sie zu leben haben, sondern ihnen helfen, so zu leben, wie 
sie das gerne möchten. 
Unterschiedlichkeit, Individualität sind für uns keine Schreckgespenster, die 
gewerkschaftliche Solidarität untergraben, sondern eine positive 
Herausforderung. Anders als noch vor vielleicht 40 Jahren können
Gewerkschaften heute Solidarität nicht mehr aus vergleichsweise ähnlichen 
Lebenslagen abrufen. 
Heute müssen wir in sehr, sehr vielen Fällen Solidarität aus Differenz und 
Vielfalt erst aufbauen. ver.di ist diese Aufgabe gewissermaßen schon in die 
Wiege gelegt. Und so werden wir uns für neue Gruppen öffnen. Wir werden
dies tun - dies sage ich mit drei Ausrufungszeichen -, ohne unsere angestammten 
Organisationskerne zu vernachlässigen - seien es die Krankenschwestern oder die 
Drucker, die Feuerwehrleute oder die Briefzusteller, die Busfahrer oder die 
Beschäftigten im Einzelhandel.
(...)

Auch zu finden auf der homepage von 
mek software - [PHONE NUMBER REMOVED] (Eilberatung Mo - Fr 14 - 16 Uhr)
meksoftware free.de, www.mek-software.de

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newsletter Nummer 2 / Ende Maerz 2001
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1.Xerox, Cebit und ver.di Aktions- Verbot
2.Betriebsraete und new economy: neue Mode ?
3.Besuch winkt: Die (leider nicht so reiche) Tante aus
Amerika....(Washtech in Dortmund)
4.Freie Software ist gut: Freie Gesellschaft waere besser. Der erste
Oekonuxkongress: mek ist Mitveranstalter
5.Der ver.di Vorsitzende und neue Formen und Ziele der
Gewerkschaftsarbeit, oder wenn mek schon mal was gut findet
6.Digital-Copyright / Immer noch: Which side are you on ?
7.www.mek-software.de im April: Vorankuendigung

1.Xerox, Cebit und ver.di Aktionsverbot
Die Protestaktion der Belegschaft und ver.dis (ehem. hbv in diesem
Falle) hat am Samstag (24.3) stattgefunden: Zwar nicht auf dem Cebit
Gelaende (dort wurden nur von Heinzelmaennchen gebrachte Flugblaetter
gefunden) - aber an Haupt- und Messebahnhof der Stadt Hannover: mit
ueberraschend gutem Echo. Letzteres wissen wir, weil mek - in Gestalt
seiner ueberseeischen Mitgliedschaft - dabei war.
Die Belegschaft hatte am Xerox Stand eine Protestaktion organisieren
wollen: u.a. wegen 800 Entlassungen in den letzten anderthalb Jahren
(mehr: www.xexit.de, ver.di newsletter). Dann konnten sie und die
ver.di Campaigner erst mal erleben, was ein gutes Unternehmen schlimm
findet: Dass sie entlassen muessen - so die Pressesprecherin. Noch
schlimmer fand das Unternehmen allerdings die Aktion - gerichtliche
Verfuegung. Zweite Lehrstunde: Es gibt sie noch, die gute alte
Klassenjustiz. Zumindest in Form des Duesseldorfer Arbeitsgerichts,
das die Aktion untersagte - ca eine halbe Million DM Strafandrohung
(ist fuer die Freunde des Richters nicht viel). Ja, dann halt in der
Stadt - fuer die Heinzelmaennchen kann mensch ja nichts. Und ausser
lehrreich zu sein, ist die Aktion ausgesprochen gut angekommen...

2.Betriebsraete und new economy : neue Mode ?
Eigentlich (Tag, Herr Adorno), eigentlich wollten wir ja nicht
unbedingt machen, was Gewerkschaftssekretaere so in ihrem Alltag tun:
Betriebsraete waehlen helfen. (Und natuerlich gibt es die
Funktionaere, deren hoechstes Anliegen es ist, bei SAP in den
Aufsichtsrat zu kommen). Aber BR- Aktien steigen fast in demselben
Maass, wie die Optionsscheine an Wert verlieren...
www.mek-software.de hat nach 5 Wochen kapituliert: Seit Mitte Februar
wuchs die Zahl der Anfragen - jetzt gibt es auf der homepage zur
ersten groben Orientierung einen Beitrag "Welchen Nutzen koennen
Betriebsraete fuer Betriebe bzw Belegschaften in der new economy
haben?" Vor fuenf Wochen war die erste Anfrage an uns (uns! wieso an
uns?) gekommen, seitdem fast regelmaessig. Dass wir jetzt nicht gerade
zu denen gehoeren, die denken und sagen, ein Betriebsrat waere das
Nonplusultra ist auch klar: Aber Vorteile kann es gar manche haben.
Und Echo auch: Kaum gepostet, gab es schon wieder neue Anfragen...
Nicht ganz zufaellig fuehlen sich wohl manche angesprochen von den mek
Rezepten zur Verhinderung der Mutation eines Betriebsrats zum
Geheimrat...

3.Besuch winkt : washtech kommt im August nach Dortmund
Die "Washington hightech temporary workers union" (Washtech) ist nicht
nur die Gewerkschaft der Zeitarbeiter bei Billy the Gates: Sie war
auch (in Kooperation mit der US Mediengewerkschaft CWA entstanden)
eine der ersten Neuerungen gewerkschaftlicher Arbeit fuer new economy
und Co KG. (Sie nimmt sich auch des rassistischen Alltags hinter den
windows an). Washtech spielte und spielt auch eine wesentliche Rolle
bei den Versuchen der gewerkschaftlichen Organisierung der
Beschaeftigten (Mitaktionaere) des Hizbollah-Freundes Jeff Bezos:
Amazon.com. Ueber die Solidaritaetsaktionen, die mek dazu gemacht hat,
ist der Kontakt enger geworden - und da sie ohnehin im August nach
Deutschland kommen, wollten sie denn auch - neben wichtigen Leuten -
auch mek besuchen. Haben wir denn sofort "real german beer" bestellt
und sie "verhaftet", eine oeffentliche Veranstaltung zu machen:
Vormerken - in der zweiten Augusthaelfte (nach den NRW Sommerferien)
kommen Gretchen Wilson und Co.

4.Der 1.Oekonux-Kongress (28. bis 30.April 2001 an der FH Dortmund)
Oekonomie und Linux - so heisst die Mailingliste, die sich beim Wizard
of OS Kongress gebildet hatte - und zusammen mit Oekonux veranstaltet
mek software den 1.Kongress dazu in Dortmund.
Die Prinzipien und die Praxis freier Softwareproduktion sind den
Kommerzjaegern im Netz mehr als ein Dorn im Auge - zum Leidwesen der
e-commerce Fanatiker (ihr neuester Feind sind uebrigens die Primzahlen
- wg Entschluesselung) -  (und - ist ja gut : Wir haben ja nix gegen
2.198x Quelle) praegen diese Prinzipien immer noch das Netz selbst.
Und eben nicht nur das: Es weitet sich immer mehr aus - p2p, gnutella
etc pp. Aber: Es gibt auch free hardware Projekte, freie Stadtplanung,
und ueberraschend weit entwickelte Methoden freier Produktion.
Inwiefern und wozu die wesentlichen Charakterzuege der Erarbeitung
freier Software auf andere Bereiche  und auf die Gesellschaft
ueberhaupt auszudehnen, anzuwenden sind oder sein koennten - das ist
die zentrale Fragestellung dieses Kongresses. Weshalb der Titel
hemmungslos konsequent auch lautet "Von der freien Software zur freien
Gesellschaft?" (Ueber unsere Page gibt es ca 17 Links zu oekonux...).
Rund 25 workshops und Diskussionsrunden befassen sich sowohl mit
praktischen Erfahrungen, als auch mit politischen Implikationen der
ganzen Sache. Die bisherigen Anmeldungen uebrigens zeigen sehr
deutlich, dass dies keine Gemeindeversammlung wird - neben vielen, die
in der deutschen free software Szene verdienten Rang und Namen haben,
sind auch die verschiedensten politischen Stroemungen vertreten (von
diversen Sozis ueber unendlich links zu ganz alternativ, mueslis,
geeks und nerds usw) auch jede Menge Leutchen, die inne new economy
dann wohl doch nicht ganz das finden, was sie erwartet hatten....

5.Der ver.di Vorsitzende und neue Gewerkschaftsarbeit
Also, um ehrlich zu sein: Aus unserem Dortmunder (und Umgebung)
Alltagsleben kennen wir leitende Gewerkschafter eher mit der empoerten
- oder herablassenden - Aussage "wir sind doch keine Buergerinitiative". 
Hatten wir beispielsweise bei Debatten um die Gruendung des mek laufend 
gehoert... Da kann es einen nicht wundern, wenn es weite Passagen in der
Grundsatzrede des ver.di Vorsitzenden Frank ("John F.") Bsirske gibt,
die wir ueberraschend gut finden.
Wir meinen jetzt bestimmt nicht seine Ausfuehrungen zum Buendnis fuer
Arbeit und Wettbewerbsfaehigkeit. (Auch nicht das Trauerspiel der
Gewerkschaften beim ersten Schritt zur Privatisierung des
Rentensystems - da helfen auch keine mathematischen Hochbegabungen,
die beweisen, dass 60 gleich 67 ist und so weiter).
Aber: Wenn er auf die hbv Kampagne gegen die Schlecker Maerkte
verweist, auf das Buendnis mit Kunden, auf die Organisation von
Streiks in Tanztheatern (unsere gute alte IG Medien - schnueff - bei
Cats in Hamburg, und das Streiklokal war im Buero einer
Obdachloseninitiative...) auf Greenpeace und die Tatsache, dass
Gewerkschaften eine soziale Bewegung werden muessten usw - dann finden
wir das gut, ungelogen. Nicht, dass da nicht noch eine ganze Reihe
Fragen waeren - zB soziale Bewegung und Atomkraftwerke, gelle - aber
vielleicht lohnt es dann wenigstens, sich zu streiten. Nicht, dass wir
jetzt Dieter Schulte auf Mauern klettern sehen (oder mit durchnässtem
Parka bei Demos gegen die Regierung auf CNN die Polizeigewalt
verurteilen, wie es sein amerikanischer Kollege in Seattle tat) - aber
der ist ja auch nicht in ver.di. (Wo allerdings genug sein duerften,
die immer noch lieber den kurzen Parteibuchdienstweg nehmen, wenns um
Politik gehen soll).
An uns soll es jedenfalls nicht scheitern, wenn Methoden und Ziele der
Gewerkschaftsarbeit veraendert werden sollen. Deswegen haben wir
getan, was wir noch nie zu tun wagten: Die Passagen der Grundsatzrede,
die wir wichtig finden auf unserer page gepostet - das ganze gibts
natuerlich bei verdi-net. Deswegen haben wir ihn auch schon
"angehauen" wg eines Interviews - passt doch gut: In einer Reihe mit
Joseph Weizenbaum, Noam Chomsky, Geert Lovink, Jon Katz dann auch eben
John F. Bsirske - hoffentlich ohne anbahnendes Vietnam...

6.Digital Copyright:Which side are you on ?
(fwd. from the politech list)
Kurz vorweg : eine ausfuehrlichere und uebersetzte Fassung demnaechst
auf www.mek-software de. Und wieder mal: Es gibt ja immer noch
Menschen, die meinen, nur mek sähe einen Widerspruch zwischen eKommerz
und freiem Netz. Das folgende ist auch der 17.000dste Beweis, dass dem
nicht so ist.......Und: Wer sich generell fuer das Problem
Technik/Politik interessiert, dem sei die eingangs zitierte Liste
empfohlen...Und: Frau Litman befasst sich natuerlich mit US Recht -
die Grundsatzfrage aber ist dieselbe....
Jessica Litman (Professor of Law, Wayne State University)
(www.digital-copyright.com):
The Internet has been hailed as the most revolutionary social
development since the printing press. In many ways its astonishing
growth has outstripped any historical analogy we can unearth.
What has fueled much of that growth has been the explosion of
new possibilities for connections -- among people, among different
formerly discrete packages of information, among ideas. Digital
media and network connections, it is said, are the most democratic of
media, promoting free expression and access to information wherever a
computer can be hooked up to a telephone line.
In this celebration of new possibilities, we tend to emphasize
the many things that become feasible when people have ready access
to information sources and to other people not practicably available
before. The scope and the speed of interconnected digital networks
make conversations easy that before were unimaginable. But the
technological marvel that makes this interconnection possible has
other potential as well. Digital technology makes it possible to
monitor, record and restrict what people look at, listen to, read and
hear. Why, in the United States, would one want to do such a thing?
To get paid. If someone, let's call him Fred, keeps track of what we
see and hear, that enables Fred to ensure that we pay for our sights
and sounds. Once information is valuable, an overwhelming temptation
arises to appropriate that value, to turn it in to cash.
Now that technology permits the dissemination of information
on a pay-per-view basis, we've seen the emergence of new way of
thinking about copyright: Copyright is now seen as a tool for
copyright owners to use to extract all the potential commercial value
from works of authorship, even if that means that uses that have
long been deemed legal are now brought within the copyright owner's
control. In 1998, copyright owners persuaded Congress to enhance
their rights with a sheaf of new legal and technological controls.
Armed with those copyright improvements, copyright lawyers began
a concerted campaign to remodel cyberspace into a digital multiplex
and shopping mall for copyright-protected material. The outcome of
that effort is still uncertain. If current trends continue unabated,
however, we are likely to experience a violent collision between our
expectations of freedom of expression and the enhanced copyright law.

7.Vorschau auf April/Mai : www.mek-software.de
- THE START: mek software homepage wird Portal, zope AS : jede/r kann
selber posten (nur bei Kinderschaendern und Patridioten wirkt die
unsichtbare Faust des Meinungsmarktes) / Einige Erfahrungen
betrieblicher Tarifkomissionen, oder: Ist das der neue Name fuer
gewerkschaftliche Betriebsgruppen ? / Chronik des laufenden
Schwachsinns 2 : Wenn Politiker ueber das Netz reden, oder was
Stilblueten verraten / Copyright gg Free Software - die Debatte geht
weiter/
Die Silicon Valley Toxic League : das Motorola Tribunal als Markstein
neuer Buendnisse ? / Ueber die Gemeinsamkeiten von informeller und
neuer Oekonomie: Kann hightech von lowtech was lernen ? ...


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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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