Message 02491 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT02491 Message: 1/1 L0 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

[ox] FR: TRIPS unter Druck



Im EU-Grünbuch, dem EPA-Basisvorschlag und zahlreichen weiteren Dokumenten der
Brüsseler und Münchener Patentbewegungs-Wortführer bis hin zum
Lutterbeck-Gutachten wird behauptet, der TRIPS-Vertrag erfordere die
Patentierbarkeit von Software.

Trotz tausendfacher Wiederholung konnte sich diese Falschaussage nicht
etablieren.  Wir haben diese Behauptungen u.a. unter

    http://swpat.ffii.org/stidi/trips/
    http://www.eurolinux.org/news/agenda/

widerlegt.  Am 15. Oktober 2000 erklärte auch Bernhard Müller
(Generaldirektion Binnenmarkt der EU-Kommission, Sachbearbeiter für die
Swpat-Richtlinie, inzwischen am Europäischen Markenamt in Alicante und
durch einen Swpat-Experten des britischen Patentamtes, Tony Howard, Tony
Howard, abgelöst) auf einer Konferenz in London öffentlich, die EU-Kommission
werde, sollte sie sich für eine generelle Nichtpatentierbarkeit von
Computerprogrammen entscheiden, die Spielräume des TRIPS-Abkommens für sich in
Anspruch zu nehmen wissen.

Nun mehren sich offenbar Stimmen seitens der Entwicklungsländer, die eine
explizite Klarstellung in dieser Richtung verlangen.  Es soll sichergestellt
werden, dass Spielräume erhalten bleiben und der TRIPS-Vertrag nicht als Hebel
für eine Reihe möglicher Forderungen verwendet werden kann, so auch der
Forderung nach der "Patentierbarkeit rechner-implementierter Erfindungen" (=
implementationsunabhängiger Rechenprobleme).

Der Autor des FR-Artikels erklärt eine Sicht, die sich offenbar zunehmend
unter Entwicklungspolitikern in unseren Breiten durchsetzt.  Allerdings zeigt
diese Sicht noch unnötig viel Respekt vor den volkswirtschaftlichen
Verdiensten der "hohen Patentierbarkeitsstandards" als bei einer nüchternen
Betrachtung angemessen erscheinen kann.  Sie durchschaut auch nicht, dass
hinter den "Interessen der USA und der EU" lediglich das Glaubensbekenntnis
der

	  Patentbewegung
	  http://swpat.ffii.org/stidi/lijda/ 

steckt, das gegen volkswirtschaftlichen Überlegungen recht immun ist und
gerade in unterentwickelten Ländern oft mit besonders glühendem Eifer
vertreten wird.  So verspürten im Vorfeld der Diplomatischen Konferenz 2000
angeblich "Griechenland", "Zypern", "Österreich" u.a. viel dringenderen Bedarf
nach Softwarepatenten als "Deutschland" und "Frankreich", und die Initiative
für einen weltweiten "Tag des Geistigen Eigentums" am 26. April (dieses Jahr
erstmalig gefeiert) ging von "der Volksrepublik China" und "Algerien" aus,
wobei das Zentralorgan der KP China dieser Feier einen besonders euphorischen
Leitartikel widmete, der dem Patentwesen mehrere Jahrzehnte weiterer Expansion
prophezeite.   Klar, der Präsident des neulich in "Staatsamt für Geistiges
Eigentum" umbenannten Patentamtes muss es ja wissen.  Wer denn sonst?

------------

http://www.fr-aktuell.de/fr/160/t160001.htm
Der gierige Griff nach dem geistigen Eigentum 
Der ungleiche Wissenstransfer im Welthandel erzeugt Druck zu Reformen
Von Klaus Liebig 
   
   Der Streit zwischen Pharma-Konzernen und dem südafrikanischen Staat um
   Patente und den Zugang zu preiswerten Medikamenten für ärmere Länder
   ist vorerst beigelegt. Offen ist die Diskussion um den künftigen
   rechtlichen Rahmen zum Schutz geistigen Eigentums im Welthandel. Was
   müsste aus Sicht der Entwicklungs- länder in einem reformierten
   multilateralen Abkommen hinsichtlich Biotechnologie, Landwirtschaft
   und Weitergabe von Software stehen? Zu pragmatischen Reformen rät in
   dem folgenden Hintergrundpapier Klaus Liebig, wissenschaftlicher
   Mitarbeiter des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik in Bonn.

...   
   Während Industrieländer das TRIPS-Abkommen als
   Durchbruch beim weltweiten Schutz geistigen Eigentums feiern,
   befürchten viele Entwicklungsländer eine Verlangsamung ihrer
   wirtschaftlichen Entwicklung durch steigende Preise für
   wissensintensive Produkte und erschwerten Zugang zu Know-how. Die
   Diskussionen um das TRIPS-Abkommen haben sich gegenüber den Konflikten
   während der Uruguay-Runde versachlicht, und es liegen einige ernst zu
   nehmende Reformvorschläge auf dem Tisch.
...
   Besonders umstritten zwischen Industrie- und Entwicklungsländern ist
   die Regelung des Patentrechts. Das Abkommen sieht einen sehr
   weitgehenden Patentschutz für Produkte und Produktionsprozesse auf
   allen Gebieten der Technik für mindestens zwanzig Jahre vor.
...   
   Insgesamt führt das TRIPS-Abkommen - anders als gelegentlich
   angenommen - zwar zu einer Rechtsangleichung, aber nicht zu einer
   völligen internationalen Harmonisierung des Schutzrechtes. Der Schutz
   geistiger Eigentumsrechte bleibt territorial gebunden, und die Staaten
   behalten ein gewisses Maß an Flexibilität bei der Umsetzung des
   Abkommens in nationales Recht. Die Spielräume ergeben sich aus drei
   Gründen: Erstens sieht das Abkommen für Entwicklungsländer
   Übergangsfristen vor, die für die am wenigsten entwickelten Länder
   (Least Developed Countries - LDCs) noch bis 2006 andauern. Zweitens
   enthält das Abkommen an verschiedenen Stellen explizite
   Gestaltungsspielräume. Drittens existieren implizite
   Gestaltungsspielräume, weil der Abkommenstext an einigen Stellen
   auslegungsbedürftig und -fähig ist.
...
   
   Ungeachtet dieser Spielräume haben die Entwicklungsländer das
   TRIPS-Abkommen von Beginn an als unzulässige Einschränkung ihrer
   nationalen Wirtschaftspolitik kritisiert. Sie lehnten es ab, den
   Schutz geistiger Eigentumsrechte in der WTO zu verhandeln, da es nicht
   um Marktzugang und internationalen Handel gehe. 
...
   Heute spricht sich kein Entwicklungsland öffentlich gegen den Schutz
   geistiger Eigentumsrechte aus. Zwar teilen die meisten
   Entwicklungsländer weiterhin den Eindruck, beim TRIPS-Abkommen "über
   den Tisch gezogen" worden zu sein, aber die Kritik hat sich
   ausdifferenziert. Sie richtet sich vor allem auf Regelungen im
   Patentrecht, und hier besonders auf sensible Sektoren wie
   Biotechnologie und Pharma.
...
   Schließlich befürchten die Entwicklungsländer, dass die im
   TRIPS-Abkommen verbliebenen Spielräume mit der Zeit von den
   Industrieländern eingeschränkt werden.  Dies könnte durch
   Neuverhandlungen, restriktive Urteile in Streitschlichtungsverfahren
   oder durch bilateralen Druck geschehen. Erste Anzeichen für letzteren
   Punkt sind bereits erkennbar, da sich die USA und die EU in
   bilateralen Handelsverträgen mit vielen Entwicklungsländern bemühen,
   ein "TRIPS-Plus"- Regime zu vereinbaren. Die Industrieländer drängen
   unter anderem auf einen sehr strengen Sortenschutz, auf die Übernahme
   neuerer internationaler Schutzkonventionen zum Urheberschutz und auf
   restriktive Vorgaben bei der Vergabe von Zwangslizenzen.
   
   Der Schutz von Software stellt ein Beispiel dafür dar, wie das
   Abkommen mit der Zeit verschärft werden könnte. Software ist ein
   wissensintensives Produkt, das leicht zu kopieren und zu
   vervielfältigen ist. Daher benötigen Software-Entwickler einen Schutz
   für ihr geistiges Eigentum. Das TRIPS-Abkommen sieht
   urheberrechtlichen Schutz für Software vor (Art. 10), was der
   traditionellen Praxis in den Industriestaaten entspricht. Gleichzeitig
   schreibt das Abkommen aber auch Patentschutz für Erfindungen auf allen
   Gebieten der Technik vor (Art. 27). Hieraus entsteht eine
   Rechtsunsicherheit mit bedeutenden Konsequenzen. Denn ausgehend von
   den USA besteht in den Industrieländern die Tendenz, Patentschutz für
   Software zu gewähren. Entwicklungsländer könnten in Zukunft unter
   Druck geraten, diesem Weg zu folgen. Da sich Patente auch auf die
   hinter dem Produkt liegende Idee erstrecken, ist der Schutz wesentlich
   stärker als im Urheberrecht, und Anschlussinnovationen könnten
   behindert werden. Auch die Wettbewerbsposition junger
   Softwareunternehmen würde geschwächt, da neu entwickelte Produkte in
   der Regel (dann patentgeschützte) Elemente älterer Produkte enthalten.
...
   Im Folgenden wird argumentiert, dass das TRIPS-Abkommen teilweise
   kritisch zu sehen ist, weil es bei einzelnen Schutzstandards zu einer
   Rechtsangleichung auf hohem Niveau führt, die ökonomisch nicht
   gerechtfertigt ist. Die Gestaltungsspielräume der Nationalstaaten
   werden insbesondere im Patentrecht an einigen Stellen zu stark
   begrenzt. Diese Kritik gilt umso mehr, wenn das Abkommen in der
   Folgezeit restriktiver ausgelegt wird, als es zunächst abzusehen war.
...
   Seit 1999 wurden von den Entwicklungsländern zahlreiche Vorschläge für
   eine Reform des TRIPS-Abkommens in der WTO vorgelegt. Die Eingaben
   entstanden im Vorfeld der WTO-Ministerkonferenz in Seattle und im
   Rahmen der "Review-Verfahren", die bereits im Abkommen vorgesehen
   sind. Danach sollte der Artikel 27,3 b ab 1999 und der Gesamttext ab
   2000 überprüft werden. Der Tenor der Vorschläge lautet, dass das
   TRIPS-Abkommen als Fait accompli akzeptiert wird, aber
   "entwicklungsfreundlicher" gestaltet werden solle.
   
   Die Industrieländer weigerten sich zunächst, über die Vorschläge
   überhaupt zu diskutieren, da sie sich auf den Standpunkt stellten, der
   Review-Prozess würde nur den Stand der Umsetzung, nicht aber den
   Inhalt des Abkommens umfassen. Mittlerweile hat sich die EU jedoch auf
   die erbosten Entwicklungsländer zubewegt und zeigt in einigen Punkten
   zunehmende Flexibilität. Auch die USA nehmen inhaltlich Stellung,
   wobei bislang keine Kompromissbereitschaft in den strittigen Punkten
   zu erkennen ist. Folgende Vorschläge der Entwicklungsländer sind auch
   vor dem Hintergrund ökonomischer Theorie gut begründet:
...   
   Industrieländer sollten davon Abstand nehmen, den Abkommenstext
   restriktiver als nötig auszulegen. Es sollte keine
   Patentierungspflicht für Software geben.

--
Hartmut Pilch
Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur
Schutz der Informatischen Innovation vor dem Missbrauch des Patentwesens
http://swpat.ffii.org/

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT02491 Message: 1/1 L0 [In index]
Message 02491 [Homepage] [Navigation]