[ox] FR: TRIPS unter Druck
- From: PILCH Hartmut <phm a2e.de>
- Date: Fri, 11 May 2001 11:10:03 +0200 (CEST)
Im EU-Grünbuch, dem EPA-Basisvorschlag und zahlreichen weiteren Dokumenten der
Brüsseler und Münchener Patentbewegungs-Wortführer bis hin zum
Lutterbeck-Gutachten wird behauptet, der TRIPS-Vertrag erfordere die
Patentierbarkeit von Software.
Trotz tausendfacher Wiederholung konnte sich diese Falschaussage nicht
etablieren. Wir haben diese Behauptungen u.a. unter
http://swpat.ffii.org/stidi/trips/
http://www.eurolinux.org/news/agenda/
widerlegt. Am 15. Oktober 2000 erklärte auch Bernhard Müller
(Generaldirektion Binnenmarkt der EU-Kommission, Sachbearbeiter für die
Swpat-Richtlinie, inzwischen am Europäischen Markenamt in Alicante und
durch einen Swpat-Experten des britischen Patentamtes, Tony Howard, Tony
Howard, abgelöst) auf einer Konferenz in London öffentlich, die EU-Kommission
werde, sollte sie sich für eine generelle Nichtpatentierbarkeit von
Computerprogrammen entscheiden, die Spielräume des TRIPS-Abkommens für sich in
Anspruch zu nehmen wissen.
Nun mehren sich offenbar Stimmen seitens der Entwicklungsländer, die eine
explizite Klarstellung in dieser Richtung verlangen. Es soll sichergestellt
werden, dass Spielräume erhalten bleiben und der TRIPS-Vertrag nicht als Hebel
für eine Reihe möglicher Forderungen verwendet werden kann, so auch der
Forderung nach der "Patentierbarkeit rechner-implementierter Erfindungen" (=
implementationsunabhängiger Rechenprobleme).
Der Autor des FR-Artikels erklärt eine Sicht, die sich offenbar zunehmend
unter Entwicklungspolitikern in unseren Breiten durchsetzt. Allerdings zeigt
diese Sicht noch unnötig viel Respekt vor den volkswirtschaftlichen
Verdiensten der "hohen Patentierbarkeitsstandards" als bei einer nüchternen
Betrachtung angemessen erscheinen kann. Sie durchschaut auch nicht, dass
hinter den "Interessen der USA und der EU" lediglich das Glaubensbekenntnis
der
Patentbewegung
http://swpat.ffii.org/stidi/lijda/
steckt, das gegen volkswirtschaftlichen Überlegungen recht immun ist und
gerade in unterentwickelten Ländern oft mit besonders glühendem Eifer
vertreten wird. So verspürten im Vorfeld der Diplomatischen Konferenz 2000
angeblich "Griechenland", "Zypern", "Österreich" u.a. viel dringenderen Bedarf
nach Softwarepatenten als "Deutschland" und "Frankreich", und die Initiative
für einen weltweiten "Tag des Geistigen Eigentums" am 26. April (dieses Jahr
erstmalig gefeiert) ging von "der Volksrepublik China" und "Algerien" aus,
wobei das Zentralorgan der KP China dieser Feier einen besonders euphorischen
Leitartikel widmete, der dem Patentwesen mehrere Jahrzehnte weiterer Expansion
prophezeite. Klar, der Präsident des neulich in "Staatsamt für Geistiges
Eigentum" umbenannten Patentamtes muss es ja wissen. Wer denn sonst?
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http://www.fr-aktuell.de/fr/160/t160001.htm
Der gierige Griff nach dem geistigen Eigentum
Der ungleiche Wissenstransfer im Welthandel erzeugt Druck zu Reformen
Von Klaus Liebig
Der Streit zwischen Pharma-Konzernen und dem südafrikanischen Staat um
Patente und den Zugang zu preiswerten Medikamenten für ärmere Länder
ist vorerst beigelegt. Offen ist die Diskussion um den künftigen
rechtlichen Rahmen zum Schutz geistigen Eigentums im Welthandel. Was
müsste aus Sicht der Entwicklungs- länder in einem reformierten
multilateralen Abkommen hinsichtlich Biotechnologie, Landwirtschaft
und Weitergabe von Software stehen? Zu pragmatischen Reformen rät in
dem folgenden Hintergrundpapier Klaus Liebig, wissenschaftlicher
Mitarbeiter des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik in Bonn.
...
Während Industrieländer das TRIPS-Abkommen als
Durchbruch beim weltweiten Schutz geistigen Eigentums feiern,
befürchten viele Entwicklungsländer eine Verlangsamung ihrer
wirtschaftlichen Entwicklung durch steigende Preise für
wissensintensive Produkte und erschwerten Zugang zu Know-how. Die
Diskussionen um das TRIPS-Abkommen haben sich gegenüber den Konflikten
während der Uruguay-Runde versachlicht, und es liegen einige ernst zu
nehmende Reformvorschläge auf dem Tisch.
...
Besonders umstritten zwischen Industrie- und Entwicklungsländern ist
die Regelung des Patentrechts. Das Abkommen sieht einen sehr
weitgehenden Patentschutz für Produkte und Produktionsprozesse auf
allen Gebieten der Technik für mindestens zwanzig Jahre vor.
...
Insgesamt führt das TRIPS-Abkommen - anders als gelegentlich
angenommen - zwar zu einer Rechtsangleichung, aber nicht zu einer
völligen internationalen Harmonisierung des Schutzrechtes. Der Schutz
geistiger Eigentumsrechte bleibt territorial gebunden, und die Staaten
behalten ein gewisses Maß an Flexibilität bei der Umsetzung des
Abkommens in nationales Recht. Die Spielräume ergeben sich aus drei
Gründen: Erstens sieht das Abkommen für Entwicklungsländer
Übergangsfristen vor, die für die am wenigsten entwickelten Länder
(Least Developed Countries - LDCs) noch bis 2006 andauern. Zweitens
enthält das Abkommen an verschiedenen Stellen explizite
Gestaltungsspielräume. Drittens existieren implizite
Gestaltungsspielräume, weil der Abkommenstext an einigen Stellen
auslegungsbedürftig und -fähig ist.
...
Ungeachtet dieser Spielräume haben die Entwicklungsländer das
TRIPS-Abkommen von Beginn an als unzulässige Einschränkung ihrer
nationalen Wirtschaftspolitik kritisiert. Sie lehnten es ab, den
Schutz geistiger Eigentumsrechte in der WTO zu verhandeln, da es nicht
um Marktzugang und internationalen Handel gehe.
...
Heute spricht sich kein Entwicklungsland öffentlich gegen den Schutz
geistiger Eigentumsrechte aus. Zwar teilen die meisten
Entwicklungsländer weiterhin den Eindruck, beim TRIPS-Abkommen "über
den Tisch gezogen" worden zu sein, aber die Kritik hat sich
ausdifferenziert. Sie richtet sich vor allem auf Regelungen im
Patentrecht, und hier besonders auf sensible Sektoren wie
Biotechnologie und Pharma.
...
Schließlich befürchten die Entwicklungsländer, dass die im
TRIPS-Abkommen verbliebenen Spielräume mit der Zeit von den
Industrieländern eingeschränkt werden. Dies könnte durch
Neuverhandlungen, restriktive Urteile in Streitschlichtungsverfahren
oder durch bilateralen Druck geschehen. Erste Anzeichen für letzteren
Punkt sind bereits erkennbar, da sich die USA und die EU in
bilateralen Handelsverträgen mit vielen Entwicklungsländern bemühen,
ein "TRIPS-Plus"- Regime zu vereinbaren. Die Industrieländer drängen
unter anderem auf einen sehr strengen Sortenschutz, auf die Übernahme
neuerer internationaler Schutzkonventionen zum Urheberschutz und auf
restriktive Vorgaben bei der Vergabe von Zwangslizenzen.
Der Schutz von Software stellt ein Beispiel dafür dar, wie das
Abkommen mit der Zeit verschärft werden könnte. Software ist ein
wissensintensives Produkt, das leicht zu kopieren und zu
vervielfältigen ist. Daher benötigen Software-Entwickler einen Schutz
für ihr geistiges Eigentum. Das TRIPS-Abkommen sieht
urheberrechtlichen Schutz für Software vor (Art. 10), was der
traditionellen Praxis in den Industriestaaten entspricht. Gleichzeitig
schreibt das Abkommen aber auch Patentschutz für Erfindungen auf allen
Gebieten der Technik vor (Art. 27). Hieraus entsteht eine
Rechtsunsicherheit mit bedeutenden Konsequenzen. Denn ausgehend von
den USA besteht in den Industrieländern die Tendenz, Patentschutz für
Software zu gewähren. Entwicklungsländer könnten in Zukunft unter
Druck geraten, diesem Weg zu folgen. Da sich Patente auch auf die
hinter dem Produkt liegende Idee erstrecken, ist der Schutz wesentlich
stärker als im Urheberrecht, und Anschlussinnovationen könnten
behindert werden. Auch die Wettbewerbsposition junger
Softwareunternehmen würde geschwächt, da neu entwickelte Produkte in
der Regel (dann patentgeschützte) Elemente älterer Produkte enthalten.
...
Im Folgenden wird argumentiert, dass das TRIPS-Abkommen teilweise
kritisch zu sehen ist, weil es bei einzelnen Schutzstandards zu einer
Rechtsangleichung auf hohem Niveau führt, die ökonomisch nicht
gerechtfertigt ist. Die Gestaltungsspielräume der Nationalstaaten
werden insbesondere im Patentrecht an einigen Stellen zu stark
begrenzt. Diese Kritik gilt umso mehr, wenn das Abkommen in der
Folgezeit restriktiver ausgelegt wird, als es zunächst abzusehen war.
...
Seit 1999 wurden von den Entwicklungsländern zahlreiche Vorschläge für
eine Reform des TRIPS-Abkommens in der WTO vorgelegt. Die Eingaben
entstanden im Vorfeld der WTO-Ministerkonferenz in Seattle und im
Rahmen der "Review-Verfahren", die bereits im Abkommen vorgesehen
sind. Danach sollte der Artikel 27,3 b ab 1999 und der Gesamttext ab
2000 überprüft werden. Der Tenor der Vorschläge lautet, dass das
TRIPS-Abkommen als Fait accompli akzeptiert wird, aber
"entwicklungsfreundlicher" gestaltet werden solle.
Die Industrieländer weigerten sich zunächst, über die Vorschläge
überhaupt zu diskutieren, da sie sich auf den Standpunkt stellten, der
Review-Prozess würde nur den Stand der Umsetzung, nicht aber den
Inhalt des Abkommens umfassen. Mittlerweile hat sich die EU jedoch auf
die erbosten Entwicklungsländer zubewegt und zeigt in einigen Punkten
zunehmende Flexibilität. Auch die USA nehmen inhaltlich Stellung,
wobei bislang keine Kompromissbereitschaft in den strittigen Punkten
zu erkennen ist. Folgende Vorschläge der Entwicklungsländer sind auch
vor dem Hintergrund ökonomischer Theorie gut begründet:
...
Industrieländer sollten davon Abstand nehmen, den Abkommenstext
restriktiver als nötig auszulegen. Es sollte keine
Patentierungspflicht für Software geben.
--
Hartmut Pilch
Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur
Schutz der Informatischen Innovation vor dem Missbrauch des Patentwesens
http://swpat.ffii.org/
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