Re: [ox] Re: Kooperation
- From: RalfKrae aol.com
- Date: Fri, 18 May 2001 14:58:10 EDT
Hallo Stefan und alle
> Weiterer wichtiger Punkt ist mir, dass auch über die Ökonomie hinaus der
> "dynamische Kern", konkret: Wert und Kapital, zwar dominiert, aber es
weiter
> andere Vermittlungsformen gibt mit Eigendynamiken und -gesetzmßigkeiten
gibt
> und konkrete historische Analyse gesellschaftlicher Entwicklungen nötig
ist.
>
> Neben der vom Kapital dynamisierten Wertvergesellschaftung, also ökon.
Tausch
> als 1., gibt es als Modi der Vergesellschaftung weiterhin (zufällige
> Reihenfolge):
> 2. unmittelbare Kommunikation und Kooperation (das ist ja nicht nur
Utopie,
> sondern findet in vielen Bereichen des Zusammenlebens durchaus statt, hat
> aber seine Grenzen, allgemeine und im Kapitalismus noch besondere)
> 3. kulturell internalisierte Normen
> 4. Zwang, letztlich mit Gewalt sanktioniert (wobei wenn das von einem
> demokratisch noch etwas kontrollierbaren Staat ausgeht, es allemal
besser ist
> als von einem diktatorischen Staat oder von irgendwelchen Banden oder
> Einzelpersonen).
Völlige Zustimmung, und mir fallen noch mehr ein.
Welche denn? Mir fallen nämlich keine ein, die ich nicht unter eine der
genannten subsumieren könnte. Würde mich interessieren.
Ich behaupte nur, dass
die Wertvergesellschaftung bestimmend ist. "Bestimmend" meine ich im
Sinne eines allgemeinen "Mediums", in dem sich alle Vermittlungsformen
bewegen (müssen). Das heisst nicht, dass sie durch den Wert
"determiniert" sind, sondern sich andauernd zur Tatsache des Werts und
seiner Dynamik etc. verhalten müssen. Das ist entscheidend - auch für
das Verstehen meiner danach folgenden Überlegungen.
So formuliert könnte ich vielleicht folgen, aber weiter unten schreibst du
über die gen. 4 Vergesellschaftungsmodi etwas anderes, nämlich:
Sie sind für mich nicht voneinander unterschieden - wie dargestellt. Es
sind unterschiedliche Aspekte ein-und-desselben "Modus". Aber das ist
nur Sprachspiel.
Ich meine schon, bei aller Prägung durch und Dominanz der kapitalistischen
Wertvergesellschaftung, dass die anderen eben andere sind und nicht nur
unterschiedliche Aspekte des selben und hatte oben verstanden, du würdest das
teilen. Was denn nun?
> Tausch ist zunächst
> symmetrisch und entspricht - Fetischismus hin oder her, das ist
demgegenüber
> zweitrangig, aus der Perspektive der Beteiligten selbst - Bedürfnissen
beider
> Beteiligter, die so Eigentum und damit Zugang zu etwas bekommen, das sie
> brauchen und vorher nicht hatten und dafür etwas weggeben, was sie nicht
oder
> nicht so nötig brauchten. Das bedeutet noch keineswegs ein sich
Durchsetzen
> auf Kosten anderer. Dazu wird es erst unter den og. sozial polarisierten,
> kapitalistischen Bedingungen.
Dein Tauschbeispiel liegt auf der unmittelbar kooperativen Ebene. So
kannst du Tausch auf der gesellschaftlichen Ebene nicht denken (wie die
bürgerliche VWL). Um die gehts mir aber. Und auf dieser Ebene geht es
andauernd um das Durchsetzen auf Kosten anderer, das geht einfach nicht
anders.
Aber diese gesellschaftliche Ebene ist eben nicht angemessen zu begreifen nur
oder primär als geprägt durch Tausch, sondern spezifischer als
kapitalistische Gesellschaft. Und auch dann gilt noch der genannte Aspekt,
dass der Tausch auch ein Verfahren ist, sich Mittel zur Befriedigung von
Bedürfnissen zu verschaffen und eben nicht durch Raub, sondern auf einer
gewissen Basis von Äquivalenz und Freiwilligkeit. Sicher gibt es soziale
Zwänge, muss man kaufen, um Leben zu können und (die meisten ihre
Arbeitskraft) verkaufen, um kaufen zu können und hängt in der ganzen
Konkurrenz drin etc. Dennoch: ich kaufe eine Ware, weil sie mir ein Bedürfnis
befriedigt und niemand zwingt mich dazu. Ich verkaufe meine Ware (ggf. meine
Arbeitskraft), damit ich etwas kaufen kann, was mir ein Bedürfnis befriedigt.
Als Lohnabhängiger schade ich damit nicht unmittelbar anderen, sondern nütze
dummerweise zusätzlich und ungewollt denen, deren Kapitalverwertung ich damit
voranbringe. Und dieser Prozess führt dann wiederum zu allen möglichen
Schäden etc. Aber beides bedingt sich doch gegenseitig und man kann nicht so
tun, als wäre die Gebrauchswertseite irrelevant, sonst gäbe es in der Tat
keine Erklärung dafür, warum die Leute das mitmachen. Sie machen das mit,
weil sie (nur) so ihre Bedürfnisse wenigstens halbwegs befriedigen können,
jedenfalls besser als ohne Tausch. Und gesellschaftlich hat es sich
durchgesetzt, weil es nicht nur irgendwie, sondern trotz aller damit
verbundenen Schäden und Deformationen und Fetischismen etc. effizierter
funktionierte und ein höheres Niveau an Reichtum und Bedürfnisbefriedigung
ermöglichte als die vorher gewesenen Gesellschaften und die bisher
durchgesetzten Alternativen es konnten - jedenfalls aus der Sicht der
Mehrheit der Menschen in diesen Gesellschaften. Wir sind uns dabei wohl
einig, dass die damit verbundenen destruktiven Tendenzen nicht und immer
weniger akzeptabel sind und eine bessere, sozialere, humanere, ökologischere
Gesellschaft entwickelt werden muss. Aber wie die funktionieren könnte, das
sehen wir unterschiedlich und ist mir bei dir nicht nachvollziehbar.
> Materielle Güter sind nicht nur (wie ggf. Informationsprodukte) künstlich
> knapp gehalten, sondern tatsächlich knapp. Ich kann sie nicht einfach
ohne
> Aufwand kopieren bzw. runterladen. Und auch nicht weggeben, denn wenn ich
> mein Brot weggebe, kann ich es nicht selber essen. Gesellschaftliche
> Arbeitsteilung und Austausch (muss nicht zwingend ökonomischer Tausch
sein,
> sondern allgemein Geben und Nehmen) von Tätigkeiten und Produkten sind
> ständig notwendig und eben nicht jederzeit und von allen frei
verhandelbar
> und aufkündbar.
Andere haben dazu schon Nützliches geschrieben. Nichts ist "an sich
knapp". Menschen stellen ihre Lebensbedingungen gesellschaftlich her, wo
liegt darin die Knappheit? Darin liegt unbeschränkter Reichtum. Wenn du
jetzt entgegnest: aber die arme Erde..., dann sage ich dir, dass dieses
Denken aus dem "Partial-Interessen-Denken" kommt. Nur, wenn man annimmt,
dass sich Produktion stets auf Kosten von Menschen oder Naturgrundlage
abspielt, sieht man die Zerstörung als Folge.
Wie ich schon auf Franz schrieb: Mit "knapp" geht es mir darum, dass sie
nicht einfach vorliegen und nur genommen werden können, sondern immer wieder
Arbeit nötig ist, und zwar nicht nur zur Selbstentfaltung, sondern um
bestimmte Produkte herzustellen, die dann konsumiert und damit vernichtet
werden sollen (was bei Informationsprodukten eben nicht so ist), auch wenn
man das nicht als Selbstentfaltung empfindet.
> gesellschaftlichen Arbeitsprozesses hinreichend aufbauen könnte. Aber
"Das
> Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das
durch Not
> und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört" (Marx, MEW 25, 828).
Diese
> Notwendigkeit gibt es noch, wird es m.E. immer geben und einen
erheblichen
> Teil der Lebenszeit in Anspruch nehmen. Aber auch wenn man glaubt, das
wäre
> irgendwann nicht mehr so, kann die Menschheit darauf nicht warten.
Die Möglichkeiten sind als Potenz vorhanden. Diese kann man nicht
umstandslos "übernehmen" (Trenkle-Kritik!), aber sie sind Grundlage, um
sie in eine Form zu bringen, die den Teil der (Zwangs-)Arbeit minimiert.
Du hast Recht: die Menschheit kann eigentlich nicht warten, die Wertform
endlich zu verlassen. Es ist das Einfache, das schwer zu machen ist.
Ich sehe weiterhin jetzt und in absehbarer Zukunft die Notwendigkeit von
Arbeit, auch ohne Wertvergesellschaftung. Mir geht es um die alternative
Gesellschaftsform, die die notwnedige Arbeit so weit möglich reduziert, bei
gleichzeitiger Entfaltung der Bedürfnisse und Fähigkeiten der Menschen. In
Letzterem sind wir uns wohl einig. Aber ich sehe nicht, dass völlige
Beseitigung von Warenproduktion und Tausch dafür eine hilfreiche Perspektive
wäre und dass dazu unter dem Label "herrschaftsfreie personal-konkrete
Vergesellschaftung" eine überzeugende und realisierbare Vorstellung vorliegt.
> und soweit dazu ein
> gesellschaftlicher Plan nötig, muss der - das ist die Natur eines Plans -
> jedenfalls im Groben vor der Produktion stehen. Und es stellt sich dann
die
> Frage, 1. wie die Gesellschaft (nicht jeder seinen/ihren eigenen) ihren
Plan
> erstellt, dazu wird es nach der Kommunikation auch Entscheidungen geben
> müssen, und 2. wie er umgesetzt wird. Auch dabei können nicht alle
solange
> miteinander reden, bis allen alles klar ist und alle sich einig sind,
wenn
> man nicht vorher verhungern will.
Ja, sehe ich genauso. Passiert aber - nur zur Erinnerung - in der FS
nicht. Ist im "Allgemein-Interessen-Modus" nicht nötig, über alles
Bescheid zu wissen.
In der FS braucht es keinen Plan, in der Gesellschaft insgesamt schon. In der
FS ist ok., wenn jede/r einfach das beiträgt, was er/sie möchte. Für
gesellschaftliche Reproduktion insgesamt reicht das nicht. Mein Probem ist
doch, dass ich nicht sehe, wie ein"Allgemein-Interessen-Modus" in
gesellschaftlichem Maßstab funktionieren soll außer über demokratische
gesellschaftliche Planung und Steuerung unter Einsatz der verschiedenen
genannten Vergesellschaftungsmodi.
> Stellt sich also die Frage der
> Vergesellschaftsformen, und außer den og. 4 Modi fallen mir keine ein,
denn
> Selbstentfaltung ist eben keine Vergesellschaftungsform.
Auch Zustimmung. Wenn du Inhalt-Form-Dialektik kennst, dann ist die
"Selbstentfaltung" als bestimmendes Moment der Produktivkraftentwicklung
einer freien Gesellschaft _Inhalt_, während ich - hilfsweise, besser
kann ich es nicht - die _Formseite_ als "herrschaftsfreie
personal-konkrete Vergesellschaftung" bezeichne (ausführlicher siehe
z.B. Gegenbilderbuch: http://www.opentheory.org/proj/gegenbilder).
Ich hab mir das da noch mal angeguckt, hilft mir aber nicht weiter. Da werden
fein Wörter hingesetzt wie "freie Gesellschaft", "freie Vereinbarung",
"allgemeine Interessen", "freie Kooperation" etc. und durch gegenseitigen
Verweis aufeinander erläutert, aber m.E. auch nicht ansatzweise plausibel
gemacht, wie dabei eine hoch ausdifferenzierte gesellschaftliche und globale
Arbeitsteilung und Austausch ihrer Produkte funktionsfähig und effizient
organisiert werden kann.
Wenn ich die der bürgerlichen Form geschuldeten Verhaltensweisen
(Achtung: nicht als Determinationsresultat, sondern als ein "Bewegen im
Medium der Wertform") mal "abziehe", weiss ich nicht, "wie die Menschen
so sind". Den der Gesellschaftlichkeit entkleideten Menschen gibt's
nicht, und die heutige Form ist nun mal die bürgerliche. Wie also
Menschen unter freien Bedingungen sind, kann doch keiner wissen. Wieso
also ich?
Einverstanden. Ich habe aber den Eindruck, z.B. in og. Gegenbilder-Text, dass
implizit das eben doch zugrundeliegt. Z.B. in der Vorstellung, dass dann
nicht mehr instrumentelle, sondern (nur noch?) "Subjektbeziehungen"
existieren würden, die dann m.E. normativ und mit Bezug auf Leerformeln (oder
sagen wir freundlicher: inhaltlich unbestimmte Begriffe wie etwa "allgemeine
Interessen") bestimmt werden.
Das Problem scheint mir zu sein, dass du Gesellschaft als Summe der
Individuen denkst - trotz aller Zustimmung zu meinen Behauptungen des
verselbständigten Systemcharakters. Auf so eine für mich komische Sicht
kannst Du nur kommen, wenn du annimmst, die Gesellschaft sei so-und-so,
weil die Menschen so seien. Ich brauche keine Annahme irgendwelcher
Voraussetzungen wie Menschen zu sein haben, um eine freie
Vergesellschaftung zu denken. Gerade das nicht. In einem anderen
"Medium" bewegen sich die Menschen auch anders. Wie, das weiss ich
nicht.
Du missverstehst mich. Ich sehe nicht Gesellschaft als Summe der Individuen,
sondern als System, das allerdings aus der Wechselwirkung der Tätigkeiten
menschlicher Subjekte sich entwickelt und Eigengesetzlichkeiten hervorbringt,
die wiederum die Entwicklung der Individuen prägen. Es besteht aber die Frage
der Vermittlung, die Frage, wie sich die Systemlogiken aus den Tätigkeiten
der Individuen ergeben und andersrum in konkrete Anforderungen an und Motive
der Individuen transformieren, also wie die Tätigkeiten die Strukturen
hervorbringen und die Strukturen die Tätigkeiten determinieren. Das kann ich
für die bisherigen Gesellschaftn und mit og. 4 Vergesellschaftungsmodi
erklären. Aber ich sehe wie gesagt nicht, wie das mit der "herrschaftsfreien
personal-konkreten Vergesellschaftung" funktionieren soll.
Und wenn du Näheres über Motivation wissen willst, kannst ich dir nur
wärmstens die Kritische Psychologie ans Herz legen.
Damit ist es keineswegs getan, das löst mein Problem nicht.
Viele Grüße
Ralf Krämer
Fresienstr. 26
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