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[ox] Erkenntnis und Interesse (was:Re : Friede den Huetten)



Hallo Benni, (und andere)

du schreibst:


Beduerfnisse sind nicht unantastbare Konstanten (das hab ich jetzt wieder
nirgends geschrieben) aber doch ein wichtiger Ausgangspunkt.

Da hast du recht, das hast du nirgends geschrieben. Es war nur mein Eindruck
von verschiedenen Beitraegen hier in der Liste, nicht speziell von dir.
Auch die gerade laufende Debatte ueber Einzel- und Gesamtinteresse ist mir
sehr suspekt. Wenn unter Verzicht auf die Fragestellung, wie Interessen
entstehen und sogar produziert werden, das politische Handeln nur noch 
im Erfassen der Interessen und im Streben nach ihrer Erfuellung gesehen wird,
sind wir schon voll drin im Alienismus.


Umgekehrt sind uebrigens auch Erfahrungen und Erkenntnisse von Beduerfnissen
abhaengig und sei es auch nur vom Beduerfnis nach Erkenntnis selbst.
"Erkenntnisleitendes Interesse" ist da ein wichtiges Stichwort.

Beduerfnisse und Interesse haben Einfluss auf Erfahrungen und
Erkenntnisse, insofern hast du recht. Allerdings seh ich eher einen
negativen Einfluss, dh dass das willentliche Interesse eher
Erfahrungen und Erkenntnisse abwehrt, als sie sucht. Meine
wertvollsten Erfahrungen und Erkenntnisse verdanke ich dem
"Schicksal", das sich ganz und garnicht nach meinen Beduerfnissen
gerichtet hat. Das einzige, was ich mir dabei gutschreiben kann,
ist dass ich sie schliesslich zugelassen habe, dass ich sie nicht so
weitraeumig umfahren habe, wie es allgemein ueblich ist.

Erkenntnisse sind fuer mich etwas anderes als Kenntnisse. Unter
Kenntnissen versteh ich akkumulierbares Wissen, das die
Wahrnehmungs-, Denk- und Lebensgewohnheiten aber nicht in Frage
stellt. Hierauf hat das Interesse zweifellos positiven Einfluss.

Erkenntnisse sind dagegen Wahrnehmungen, die die Gewohnheiten
veraendern, die sozusagen dazu fuehren, die Welt mit anderen Augen zu
sehen. Oft ist Erkenntnis mit einem Aha-Effekt verbunden. Fruehere
Wahrnehmungen, die wir unverarbeitet mit uns rumschleppen, weil wir
sie nicht so recht erklaeren konnten, erscheinen in der neuen
Sichtweise voellig klar. Es ist wie beim Puzzlespiel, wenn durch ein 
passendes Teil aus mehreren vereinzelten problembehafteten
Teilbildern ploetzlich ein ganzes Bild wird und viele
Teilprobleme damit geloest sind.

Allerdings steht dieser positive Effekt der Problemreduktion erst
am Ende eines oft langen und harten Weges der Erkenntnis. Dass eine
neue Sichtweise sich problemlos in die bisherigen Gewohnheiten
einfuegt, kommt zwar manchmal vor, ist aber doch eher die Ausnahme.
Oft ist es ein langwieriger Umbau, der erstmal mehr Probleme und
Zweifel schafft als loest. Eine Baustelle ist weder ein guter Platz
zum Erholen noch zum Produzieren.

Vielleicht aus der Ahnung dieser Schwaechung heraus werden oft
Wahrnehmungen und Zweifel abgewehrt, die die bisherige Sichtweise
oder Lebensweise in Frage stellen, und damit auch die Erkenntnisse,
die daraus folgen koennten. Und je mehr ich Interessen verfolge und
je konkreter meine Ziele sind, umso weniger kann ich mir Schwaeche
und Zweifel leisten, umso mehr verbau ich mir den Weg zur
Erkenntnis.
 
Ich glaube nicht, dass Erkenntnis von Interesse geleitet werden kann, 
wohl aber verhindert. Erkenntnis kann auch nicht erstrebt werden und 
das braucht sie auch nicht. Es reicht, sie zuzulassen. 

Gruss, Jobst

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