Message 02829 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT02829 Message: 1/1 L0 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

[ox] Konferenz-Beitrag: Von Daemmebauern und Schiffebauern



Von Dämmebauern und Schiffebauern
=================================

Heinz Weinhausen

Um Gesellschaft tatsächlich ändern oder transformieren zu können, sind
drei Dimensionen zu besetzen. Erstens braucht es eine grundsätzliche
Kritik der jeweiligen Gesellschaft, um sich von ihr abstoßen zu können
(Negation). Aus der Analyse erschließen sich Prinzipien einer neuen
Vergesellschaftung (prinzipielle Ziele, Umrisse einer Vision). Um die
Ziele umzusetzen, muß ein entsprechender Weg, ein konkreter
Umwandlungsprozeß gefunden und experimentell realisiert werden
(langfristig, mittelfristig, kurzfristig). Die Fragen und Antworten
des "Warum", des "Wohin" und des "Wie" stellen sich als Aufgabe von
Theorie und Praxis einer Transformationsbewegung. Anstatt diese drei
Dimensionen auseinanderzureißen, gilt es vielmehr sie miteinander zu
verknüpfen und deren Bedingtheit untereinander zu erkennen. Wer sich
in der Marktwirtschaft gütlich eingerichtet hat, fragt sich, warum er
Kraft in deren Aufhebung investieren soll. Wer kein Ziel zu sehen
vermag, verzweifelt an der Kritik, wer keinen Weg zu gehen bereit ist,
ebenfalls. Ohne prinzipielle Orientierung ist ein Voranschreiten von
Ansätzen unwahrscheinlich. Projekte, die die Mechanismen von
Marktwirtschaft nicht durchschaut haben, landen in der Sachzwangfalle
und werfen ihre Prinzipien über Bord. Auf der individuellen Ebene
meint Verknüpfung nicht, die heilige Dreifaltigkeit leben zu müssen,
meint vielmehr, daß der/die Einzelne, aber auch Gruppen und
Initiativen wohl stets nur eine der Dimensionen schwerpunktmäßig zu
besetzen vermögen.

Für eine Aneignungsbewegung (Selbstentfaltung und Aneigung von
Produktionsmittel, Boden, Fähigkeiten und bewußter
Gesellschaftlichkeit) stellt sich dies allgemeinst formuliert wie
folgt dar. Kapitalismuskritik bedeutet konkret-fundamentale Kritik von
entfremdeter Arbeit, Wert, Ware, Geld, Markt und Staat, bedeutet
Überwindung der abstrakt-indirekten Vergesellschaftungsform hin zu
einer umfassenden konkret-direkten Vergesellschaftung. Alternative
Ansätze sind zu entdecken (Linux/GPL) oder zu entwickeln (Oekonux,
Alltagsnetzwerke, Kooperativen, Projekte). Anders formuliert: Unter
anderem gilt es in diesem Kontext Schiffe (qualitativ neue Projekte)
zu bauen, um mittels diesen zu neuen gesellschaftlichen Ufern
(günstiges Terrain für allgemein entfaltete direkte
Vergesellschaftung) zu gelangen. Das Bild des Schiffebauens ist eng
verknüpft mir der Kritikdimension. Durch die enorme
branchenübergreifende Produktivitätsentwicklung (Computerisierung)
wird mehr Arbeitszeit betriebswirtschaftlich überflüssig als neue
wieder eingesaugt werden kann. Die Verwertung des Wert kommt in die
Krise und zeigt sich in Phänomen wie Massenarbeitslosigkeit und
Sozialstaatsabbau. Hier versuchen die linken oppositionellen Kräfte
Dämme zu errichten, weil ansonsten den Menschen das Wasser bis zum
Halse zu stehen droht. Aber das Hochwasser reisst einen Damm nach dem
nächsten ein, so daß Terrain abgegeben werden muß und wieder neue
Dämme zu bauen sind. Die Schiffebauer gehen anders mit der
Krisenepoche um. Sie lernen Schiffe zu bauen, um mittels ihnen neue
gesellschaftliche Gefilde zu erreichen. Welche von ihnen fahrtüchtig
sind, läßt sich nur durch Erprobung feststellen. Durch das Handeln
wächst aber die Erfahrung.

Die Dämmebauer schütteln allerdings die Köpfe über die provisorischen
Projekt- und Initiativen-Schiffchen. Solch ein Handeln verstehen sie
als Ablenkung von dem für sie Wesentlichen: über das Dämmebauen, über
den Widerstand soviele Menschen zu mobilisieren, daß sie dem
Hochwasser "Herr" werden könnten. Die Schiffebauer wiederum denken,
warum helfen nur so wenig beim Aufbau des Neuen, wo das Hochwasser eh
nicht auf Dauer aufzuhalten ist.

Eine Zusammenarbeit täte aber beiden Gruppen gut. Eine
Aneignungsbewegung braucht Zeit, um den Schiffebau zu erlernen und
genügend Erfahrungen zu sammeln, um wirklich auf die Reise zu gehen.
Da ist es wichtig, daß die Dämme noch eine Zeitlang halten. Die
Dämmebauer haben es wiederum mit schwindenden Kräften zu tun, weil
stets eine neue Rückzugslinie aufgebaut werden muß, weil mit den
Niederlagen auch die Moral sinkt. Wenn sie es auch als ihre Aufgabe
ansehen würden, den Schiffebauern den Rücken frei zu halten, könnten
sie neue Energien tanken. (Heutiger Widerstand kann sich aber auch
anders definieren, Kritik kann auch mit Vision verbinden. Ich verweise
auf die Ausführungen von Jörg Bergstedt; siehe auch "Freie Menschen in
freien Vereinbarungen"; Gegenbilder zur Expo - Gruppe Gegenbilder.)

In den Vorträgen und Diskussionen im Workshop "Reibung erzeugt
Widerstand" der 1. Oekonux-Konferenz ging es nun um dieses Verhältnis
von Kritik, Vision und Weg. In meinem Beitrag habe ich am Beispiel der
Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim - SSM aufgezeigt, daß
selbstorganisierte Alltagszusammenschlüsse als Schiffebauen verstanden
und realisiert werden können und auf weitergehende Chancen von
Emanzipation verweisen. Es folgt hier eine erweiterte Version der
dortigen Darlegungen.

"Neue Arbeit" und Lebensqualität
================================

Nachhaltigkeit fordert weltweit Wirtschafts- und Lebensweisen, die
sicherstellen, daß auch spätere Generationen ihre Bedürfnisse nach
dauerhafter Lebensqualität in angemessener Weise befriedigen können.
Konsequenterweise schließt dies mit ein, daß das globale Ökosystem zu
bewahren ist, daß es dringliche Grenzen des Wachstums gibt. Die
Verantwortung für eine solche Entwicklung haben nicht in erster Linie
die Länder des Südens, sondern vielmehr diejenigen des Nordens, die
sogenannten Wohlstandsnationen, welche ihren Wachstums- und
Energievergeudungskurs radikal umsteuern müßten.

Ein solcher Prozeß kann nicht gelingen, wenn dort nur äußerlich
Umweltschutz eingefordert wird - etwa in dem wir Müll trennen - ,
vielmehr steht zur Erreichung des Ziels der Nachhaltigkeit ein
grundlegender Wandel an, der neben der ökologischen Umsteuerung vor
allem sozialer, ökonomischer und kulturellen Innovationen bedarf. Ein
solch umfassendes Verständnis von Nachhaltigkeit setzt sich allmählich
gegen das Schmalspurdenken der gewöhnlichen Lokale-Agenda-Aktivitäten
durch.

"Neue Arbeit" steht als jüngst entwickeltes Konzept zur Verfügung, die
geforderte verknüpfte Nachhaltigkeit in verschiedensten Projekt-Formen
ansatzweise zu realisieren. Das "Institut für Theorie und Praxis der
Neuen Arbeit e.V." ist nun keineswegs eine reine Denkwerkstatt,
sondern fußt insbesondere auf den Erfahrungen des autonomen Projektes
der "Sozialistischen Selbsthilfe Köln-Mülheim" (SSM). Anhand dieses
Beispiels will ich Dimensionen ganzheitlicher Nachhaltigkeit und ihre
gesellschaftliche Bedeutung aufzeigen.

Die SSM besetzte 1979 das Gelände einer ehemaligen Schnapsfabrik in
Köln-Mülheim. Ziel war nun nicht in selbstverwalteter Weise, eine
Alkoholproduktions-Firma zu betreiben, sondern überhaupt aus den
gängigen Strukturen von Erwerbsarbeit und Betriebswirtschaft
auszubrechen. Seitdem leben dort in wechselnder Zusammensetzung zehn
bis zwanzig Menschen; Alte und Junge, Kinder und Erwachsene,
Behinderte und Nichtbehinderte, ehemals Obdachlose, Arbeitslose,
Psychiatriepatienten und ehemals Studenten und Beschäftigte zusammen.
Sie wohnen in selbst-renovierten und ausgebauten Häusern. Sie
verdienen Geld durch Umzugsaufträge, durch Wohnungsauflösungen und
Entrümpelungen. Sie verkaufen Gebrauchtmöbel, Hausrat und
Secondhand-Kleidung in ihrem Laden. Sie vermieten einen jüngst
fertiggestellten Veranstaltungsraum.

Gemeinsame Eigenarbeit hat ebenfalls große Bedeutung. Die Mitglieder
organisieren untereinander das gemeinsame Mittagessen, die
Kinderbetreuung, den Wohnungsausbau, das Renovieren, die
Geländegestaltung und viele andere Gruppenbelange.

Die SSM hat sich aber auch von Anfang an in das Stadtteilgeschehen
eingebracht, indem sie sich in Bürgerinitiativen gegen haarsträubende
Auswirkungen der Sanierung in Mülheim gewehrt hat. Stets ist sie für
mehr Lebensqualität im Stadtviertel eingetreten und hat mehrere
Projekte - selbstbestimmtes Wohnen und Arbeiten, Kultur, Bürgertreff -
initiiert und über Jahre hinweg aktiv begleitet. Seid 1998 stellt sie
ihre Erfahrungen und ihre Konzeption mittels dem "Institut für Neue
Arbeit" in Köln und auch bundesweit zur zur Diskussion, um Impulse für
gesellschaftliche Veränderungen zu geben.

Die ökologische Nachhaltigkeit
------------------------------

Die vier Gebäude wurden nicht der Abrißbirne zugeführt, sondern für
Wohn- und Betriebszwecke renoviert und ausgebaut. Es wurden viele
gebrauchte Materialien verwendet - vom Waschbecken bis zum Bauholz,
vom Fenster bis zum Eichenparkett aus den dreißiger Jahren. Auch der
Hausrat - vom Kugelschreiber bis zum Kühlschrank, vom antiken Schrank
bis zum Klavier - stammt aus Wohnungsauflösungen und Spenden. Ebenso
versorgen sich die Mitglieder auf diesem Weg überwiegend mit Kleidung.
Was nicht selbst gebraucht wird, wird zum einen über den Secondhand-
und Hausratladen wieder in den gesellschaftlichen Kreislauf gebracht
oder für die Wiederverwertung gesammelt. Die Restmenge landet
schließlich in der Müllpresse der Stadt. (Es ist überhaupt
erstaunlich, wie wenig gebrauchte Dinge in unserer Gesellschaft
geschätzt sind, sprich wie unökologisch sie sich diesbezüglich
verhält.) Geheizt wird überwiegend mit Abfallholz, was zum Teil bei
Firmen abgeholt wird.

Das Gelände selbst ist mit Bäumen und Hecken durchwachsen. Ein
geschütztes Wildwuchsbiotop wurde angelegt und jüngst vor der
geplanten Zerstörung seitens der Stadt gerettet. Aus ökologischer
Sicht ist noch besonders die Verkehrsreduzierung hervorzuheben.
Dadurch, daß die Mitglieder der SSM am Arbeitsort wohnen, fällt die
Teilnahme am Berufsverkehr weg. Als motorisiertes Verkehrsmittel wird
nur der LKW und ein PKW benutzt.

Die ökonomische Nachhaltigkeit
------------------------------

Die Existenz wird nur zum Teil über die Teilnahme am ersten
Arbeitsmarkt gesichert, wo sich die SSM in dem beständigen lokalen
Marktsegment von Umzügen und Wohnungsauflösungen etabliert hat. Weiter
sichert der Laden und die Vermietung des selbsterstellten
Veranstaltungsraumes Geldeinkünfte. Das zweite ebenso wichtige
Existenz-Standbein ist die gemeinsame Eigenarbeit und die
Selbstversorgung. "Alles, was der Gruppe wichtig ist, ist bei uns
Arbeit.", dieser Leitspruch drückt die Gleichberechtigung beider
Sektoren aus. Durch die Eigenversorgung mit günstigem Wohnraum und
vielerlei alltäglichen Dingen werden die üblichen Marktzwänge
aufgebrochen. weil es weniger Umsatz braucht, um über die Runden zu
kommen. Es gibt auch keinen Wachstumszwang wie etwa einen zweiten LKW
anschaffen zu müssen. Schlußendlich bleibt noch ein Zeitfonds übrig,
der für gesellschaftliches Engagement genutzt wird. So kann insgesamt
der Alltag vielfältig gestaltet werden.

Darüber hinaus hat die SSM einen weites Netz von Gegenseitigkeit
geknüpft. Beispielsweise half ein arbeitsloser Ingenieur ehrenamtlich
bei der Renovierung des neuen Veranstaltungsraumes. Als er selber
Möbel brauchte, konnte er sich gratis aus dem Bestand welche
aussuchen. Über die vielen "politischen" Kontakte ist ein Kreis von
Stammkunden entstanden, welche die Selbsthilfegruppe auch weiter
empfehlen. So bekommt sie Aufträge, gerade weil sie ein soziales
Projekt ist. Die SSM nimmt keine Sozialhilfe und keine
Arbeitsbeschaffungsmittel für sich in Anspruch, die Teilnahme am
sogenannten "Staatstropf" lehnt sie ab, u.a. weil sie die Behörden als
unbeständige Partner erlebt hat, die bei Konflikten dann den Geldhahn
zuzudrehen drohen. In der Aushandlung des langfristigen Mietvertrages
mit der Stadt Köln hat sie aber als Ausgleich für ihre sozialen
Leistungen eine deutlich reduzierte Miete ausgehandelt. Schließlich
bekommt die SSM auch durch den Förderverein "Mach mit!" eine
finanzielle Unterstützung.

Die soziale Nachhaltigkeit
--------------------------

Zur Lebensqualität in einem sozialen Gefüge zählt eine vielfältige
Persönlichkeitsentfaltung in einem toleranten, solidarischen Klima.
Dies wird bei der SSM groß geschrieben. So soll jedes Mitglied seine
individuellen Schwerpunkte ausbilden. Möglichkeiten gibt es im
handwerklichen Bereich, bei der Gestaltung des Ladens und des
Geländes, es sind aber auch intellektuelle Herausforderungen möglich
wie die Durchführung von Veranstaltungen oder das Schreiben einer
Doktorarbeit. Bei der SSM gilt es aber auch als Arbeit, an einem
Nachmittag der Woche mit Jugendlichen in einem Stadtteilprojekt
Segelflugzeuge zu bauen. Keiner muß jeden Tag Umzüge fahren. Keiner
muß jeden Tag dasselbe machen. Vieles wird gesellig erledigt. Jeder
kann nach seinem Rhythmus arbeiten. Das Korsett eines festen Berufes
ist hier abgelegt, an dessen Stelle ist mehr Freiraum für
Selbstentfaltung getreten.

Bei der SSM sind seit jeher auch körperlich oder geistig Behinderte,
Obdachlose, Arbeitslose und andere sozial benachteiligte Menschen
integriert. Dies wird als sichtbare Kritik gegen die übliche
Aussonderung verstanden. Von allen wird aber auch gefordert, sich nach
ihren Möglichkeiten einzubringen, und sei es auch nur, die Kartoffeln
zu schälen. So kann jeder mitmachen, jeder spürt, daß er gebraucht
wird, ohne sich an Leistungsnormen messen zu müssen.

Die Diskussion der Gruppenbelange, die Arbeitseinteilung und die
Entscheidungsprozesse finden auf der täglichen morgendlichen
zweistündlichen Sitzung statt, wo möglichst alle teilnehmen. An einem
Tag der Woche nimmt sich die Gruppe fünf Stunden Zeit dafür. Bei
Bedarf nimmt sich die Gruppe auch einen Klausurtag. Jeder weiß so
Bescheid, jeder kann mitentscheiden, jeder kann die Entscheidungen
nachvollziehen. Eine große Transparenz und Idendifikation ist so
möglich.

Durch das Engagement im Stadtteil und anderswo wird der Horizont der
Gruppe stets erweitert und es sind viele Kontakte und Beziehungen
entstanden. Die SSM ist auch stets offen, Interessierte in ihren
Alltag miteinzubeziehen.

Die gesellschafliche Dimension des Projektes zeigt sich in dem
geistigen Fundament des Humanismus. Die SSM sieht sich als konsequent
gelebtes, sichtbares humanistisches Beispiel, womit der Anspruch auf
ein menschenwürdiges Leben nicht nur für die eigenen Mitglieder,
sondern letzlich für alle Menschen vertreten wird.

Schlußfolgerungen und Perspektiven
----------------------------------

Die SSM erreicht ein hohes Maß an Lebensqualität, in dem sie die drei
Dimensionen von Nachhaltigkeit - ökologisch, ökonomisch, sozial -
nicht isoliert voneinander zu realisieren sucht, sondern diese von
vornherein miteinander verknüpft hat. Insbesondere zeigt ihr Beispiel,
daß auf diesem Wege die betriebswirtschaftlichen Sachzwänge deutlich
reduziert werden können. Gerade deswegen ist eine ganz andere
nachhaltige "Effektivität" möglich. So gelingt ihr das scheinbare
Paradoxon, mit weniger Geld besser leben zu können.

Vor allem die sozialen Möglichkeiten bringen mehr Lebensqualität. Die
SSM steht für die Verknüpfung von Freiheit und Solidarität, für
Selbstentfaltung und Verantwortung, für Toleranz und Gemeinschaft.
Anstatt der im Geldsinne abstrakt-indirekten Vergesellschaftung setzt
sie ansatzweise eine konkret-direkte Vergesellschaftung um.

Die Marktwirtschaft hat mindestens zwei grundlegende Fehler im
Betriebssystem. Das erste ist der permanente Wachstumszwang, der
zweite die gesetzte destruktive Konkurrenz der abhängig Beschäftigten
untereinander. In der heutigen Krise der Arbeitsgesellschaft
verschärft sich die letztere drastisch. Verlierer sind die
Noch-Beschäftigten selbst durch mehr Arbeitshetze und fremdbestimmte
Flexibilität. Verlierer sind die Arbeitslos-Gewordenen durch
Einkommensverluste und durch gesellschaftliche Ausgrenzung und
Isolierung. Verlierer ist auch die Umwelt, weil die Regierungen und
Kommunen sich zu viel größeren Zugeständnissen an die Unternehmen
gezwungen sehen.

Wie ist der Widerspruch von Marktwirtschaft und Nachhaltigkeit zu
entschärfen? Prinzipiell sind Kapitalismus und nachhaltige
Lebensqualität unvereinbar, die Realisierung des Zweitgenannten
bedingt die Überwindung der jetzigen Vergesellschaftungsform. Wie aber
kann ein solcher Transformationsprozeß vorangetrieben werden? Ein
Lösungsansatz (neben anderen) heißt hier "Neue Arbeit" als
eingebettete Ökonomie. Ein Wirtschaften, was wieder in die sozialen
Zusammenhänge eingebettet ist und von dort aus betrieben wird. "Neue
Arbeit", nämlich die Verknüpfung von Erwerbsarbeit mit
Selbstversorgung/gemeinsamer Eigenarbeit und mit individueller
Selbstentfaltung schafft soziale, ökologische und ökonomische
Nachhaltigkeit.

Als die Idee aufkam, man könne Sonnenlicht in Strom umwandeln, wurde
dies von vielen belächelt. Aber die Pioniere auf diesem Gebiet zeigten
durch Experimente, daß es wirklich funktioniert. Heute gibt es
Sonnenkraftwerke.

Daß es möglich ist, gemeinsam zu wirtschaften und den eigenen
Lebenszusammenhang zu gestalten, zeigt u.a. das Experiment der SSM
seit 20 Jahren. Insofern stellt die SSM bereits eine reale Blume der
Nachhaltigkeit dar.

Von hier läßt sich eine Perspektive denken: eine wilde, bunte Wiese
vielfältigster Alltags-Projekte und Entkoppelungs-Initiativen,
rückgekoppelt mit einer gesellschaftlichen Debatte zur Aufhebung von
Wert, Ware, Markt und Geld insgesamt. Dies wäre ein wichtiger Schritt
(neben anderen) auf dem langem Weg zur globalen Nachhaltigkeit.

Ergänzende Bemerkungen
----------------------

o    Der Autor ist Mitglied der SSM, des INA und macht mit beim
     Krisis-Kreis-Rheinland. Weitere Infos siehe
     http://www.thur.de/philo/ina/ina.htm und http://www.krisis.org

o    Der Begriff Arbeit wird bei der SSM wird nicht im
     ausschließlichen Sinne wie im "Manifest gegen die Arbeit" der
     Gruppe KRISIS verwendet, wo Arbeit nur als abstrakt-knechtende
     Verwertungsverwurstungs-Tätigkeit definiert ist. Die SSM
     kritisiert die entfremdete Arbeit durch einen
     konkret-freiheitlichen Arbeitsbegriff samt entsprechender Praxis.
     In erster Linie interessiert natürlich die Umsetzung eines
     Projektes, weniger die Begrifflichkeiten. Andererseits bleibt
     entfremdete Arbeit dieselbe, wenn sie auch mit wer weiß wie
     schönen Worten geschmückt werden sollte.

o    Der Ausdruck "Mit weniger Geld besser leben" in diesem Text
     schließt eine Kritik des abstrakten Konsums samt seiner
     "Wohlstandsideologie" mit ein. Er soll nicht einer
     Verzichtsideologie das Wort reden.

o    Die SSM bietet an, eine Woche Projektluft zu schnuppern. (SSM,
     Düsseldorfer Str. 74, 51063 Köln, Tel. [PHONE NUMBER REMOVED], Fax 6403198,
     h-weinhausen foni.net)

Diskussion auf der Oekonux-Liste

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT02829 Message: 1/1 L0 [In index]
Message 02829 [Homepage] [Navigation]