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[ox] Konferenz-Beitrag: Kommunismus = Sowjetmacht + Internet



Kommunismus = Sowjetmacht + Internet
====================================

Helmut Dunkhase

Wenn das Neue eben erst entstanden ist, bleibt das Alte stets eine
gewisse Zeit lang stärker; das ist immer so, sowohl in der Natur als
auch im Leben der Gesellschaft. Wir müssen die Keime des Neuen
sorgfältig untersuchen, ihnen die größte Aufmerksamkeit
entgegenbringen, mit allen Mitteln ihr Wachstum fördern und diese
schwachen Keime `hegen und pflegen'. Es ist unvermeidlich, dass einige
von ihnen zugrunde gehen werden. Nicht darauf kommt es an. Worauf es
ankommt, das ist die Unterstützung aller und jeder Keime des Neuen,
von denen das Leben die lebensfähigsten auslesen wird.

Lenin, Die große Initiative

1. Vorbemerkungen
=================



Der Titel ist schon etwas mehr als ein bloßes Wortspiel. Als Lenin
Ende 1920 die Referenzformel[1] gebrauchte, ging es um die Sicherung
der Macht und den ökonomischen Aufbau bzw. Wiederaufbau Russlands. Um
was es ihm auch dabei ging: Ohne andere, höhere Technik kann keine
Rede sein vom Kommunismus. Und: der Kommunismus setzt die Sowjetmacht
als politisches Organ voraus, das der Masse der Unterdrückten die
Möglichkeit gibt, alle Dinge selbst zu entscheiden.

Unter Kommunismus verstehe ich die rationelle Regelung des
Stoffwechsels der assoziierten Produzenten mit der Natur auf der
Grundlage des Gemeineigentums an Produktionsmitteln.

Diese einleitenden Worte lassen vielleicht schon ahnen, dass meine
Überlegungen nicht so zu verstehen sind, dass die neue Technik, das
Internet als solches schon so etwas wie die Vorstufe des Kommunismus
darstellt oder seine konsequente Verbreitung uns ihm schon näher
bringt. Das wird nicht ohne Klassenkämpfe abgehen und steht noch immer
die Alternative Sozialismus oder Barbarei. Mir geht es vielmehr darum
zu ergründen, inwieweit das Internet bzw. der Computer das dem
Kommunismus gemäße Werk-/Denkzeug ist.



In der wissenschaftlich geplanten Ökonomie des Sozialismus wird sich
die Kybernetik - davon sind wir fest überzeugt - als wichtiges
Hilfsmittel der Planung und Lenkung der Wirtschaft - und zwar gestützt
auf die künftigen kybernetischen Maschinen - immer mehr Einfluß
verschaffen. Gibt es, wie wir gezeigt haben, Isomorphien zwischen
bestimmten abstrakten kybernetischen Systemen Sk und
polit-ökonomischen Bereichen Sp, so übertragen sich die in Sk
gefundenen Gesetze automatisch auf Sp, mitsamt den zugehörigen
methodologischen Prinzipien. Mehr noch! Da Sk auch konkrete technische
Modelle St besitzt (z. B. bestimmte Typen elektronischer
Rechenmaschinen), [...] so folgt daraus, daß man an St
politökonomische Modellexperimente ausführen kann. Diese Hinweise
mögen genügen. Das hier skizzenhaft charakterisierte Forschungsfeld
ist zukunftsträchtig. Seine Bedeutung für den Aufbau des Sozialismus
und Kommunismus kann kaum überschätzt werden.[2]}}

Dieses Zitat stammt aus dem Jahr 1962, einer Zeit also, in der die
damalige `Keimform des Neuen', die Phase des Aufbaus der Grundlagen
des Sozialismus in der DDR, in seine `heroische Phase' trat. Es
verweist auf eine Entwicklungslinie, die - nicht erst durch das Ende
der DDR - mehr oder weniger aufgegeben wurde, nichtsdestotrotz  aber
Anknüpfungspunkte für heutige, ungleich schwächer entwickelte
Keimformen des Neuen liefert.

2. Der Computer im Produktivkraftsystem
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In Paraphrase des Marxschen Diktums, wonach die Umwälzung der
Produktionsweise in der Industrie das Arbeitsmittel zum Ausgangspunkt
nimmt, läßt sich die These formulieren:

Der Computer ist der Ausgangspunkt für eine neue Produktionsweise.

Während in der Manufaktur die Arbeitskraft (in der nun manufakturmäßig
geteilten Arbeit) der Ausgangspunkt für die Umwälzung war (die
Arbeitsmittel blieben gleich: das Handwerk blieb die Basis), so für
die kapitalistische Industrie das Arbeitsmittel: die Maschinerie.



Marx unterscheidet drei wesentliche Teile der Maschinerie: die
Bewegungsmaschine, die die Energie liefert
(Dampfmaschine/Elektromotor); der Transmissionsmechanismus (aus der
Sicht von heute treffender als Algorithmusmaschine[3] zu bezeichnen),
die die Triebkraft der Bewegungsmaschine umsetzt in die Bewegungen der
Werkzeugmaschine, die für die gewünschte Bearbeitung des
Arbeitsgegenstandes erforderlich sind. `Dieser Teil der Maschinerie,
die Werkzeugmaschine, ist es, wovon die industrielle Revolution im 18.
Jahrhundert ausgeht.'[4]

Es spricht für Marx' Scharfsinn, dass er die Eigenständigkeit des
Transformationsmechanismus zu einer Zeit erkannte, als er dem
Augenschein nach noch Bestandteil der Werkzeugmaschine war. Denn von
hier aus wird die Bahn in den Kommunismus freigelegt. (Man sollte hier
vor allem das Bild von den assoziierten Produzenten im Auge behalten.)

Was sind die spezifischen Eigenschaften des Computers?

1.   seine Fähigkeit geistige Funktionen zu automatisieren (regeln,
     vergleichen, zählen, berechnen: Funktionen, die sich
     algorithmisieren lassen).

2.   seine Universalität: Er ist nicht nur zu einem einzigen Zweck
     einsetzbar. Dadurch, dass unterschiedlichste Prozesse auf
     Algorithmen abgebildet werden können, die der Prozessor
     verarbeiten kann, wird dieser zum jeweils speziellen Problemlöser
     für z.B. Datenbankverwaltung, Textverarbeitung, Steuerung von
     Werkzeugmaschinen, Telekommunikation.

3.   seine (mit der Miniaturisierung einhergehende) Ubiquität und die
     Kommunikations-fähigkeit zwischen unterschiedlichen Rechnern.

Für die Produktivkraftentwicklung folgt

aus 1.: Nach dem Ersetzen der Menschenkraft durch maschinelle
Energieumwandler tritt der Mensch tendenziell aus dem
Informationsverarbeitungs-, Steuerungs- und Regelungsprozessen der
Produktion heraus. Nach einer Vervielfachung der physischen Kräfte nun
also die Potenzierung seiner geistigen Kräfte.

Dazu gehört insbesondere die Simulationsfähigkeit komplexer
Dispositionen und Prozesse. Der schlechteste Baumeister hat der Biene
nun noch mehr voraus: er kann sich ein noch nicht erstelltes Gebäude
unter unterschiedlichen Blickrichtungen, Lichtverhältnissen vorstellen
lassen.

aus 2.: Die integrative Tendenz in der Arbeitsteilung, vorher
getrennte Arbeitsschritte wieder zusammenzuführen. Die Entwicklung
eines Fertigungsteils von der Erfassung vorgegebener Daten über die
Simulation seines Gebrauchs bis zur Programmierung seiner realen
Fertigung liegt in einer Person bzw. in einem Team. Entsprechend
verläuft auf der materiellen Fertigungsebene die Entwicklung von der
Taylorschen größtmöglichen Zergliederung der Trend zu integrativen
Konzepten, für die zunächst der Name CIM (Computer Integrated
Manufacturing) steht, aber auch darüber hinaus weist.

aus 3.: Die Koordinationsleistungen innerhalb eines Prozesses sind
nicht an die Entfernungen gebunden. (Das Rechenzentrum der Lufthansa
steht in Indien.) Die Ersetzung zentralistischer Konzepte durch
Netzkonzepte, deren Struktur sich durch Realisierung/Reproduktion in
Selbstorganisation auszeichnet. Dafür steht - sozusagen als
synenergetischer Effekt von 2. und 3. - auf der Ebene der materiellen
Fertigung das Schlagwort `fraktale Fabrik'.

Liegen damit Voraussetzungen dafür vor, dass `die Zusammensetzung des
kombinierten Arbeitspersonals aus Individuen beiderlei Geschlechts und
der verschiedensten Altersstufen, obgleich in ihrer naturwüchsig
brutalen, kapitalistischen Form, wo der Arbeiter für den
Produktionsprozess, nicht der Produktionsprozess für den Arbeitzer da
ist, Pestquelle des Verderbs und der Sklaverei, unter entsprechenden
Verhältnissen umgekehrt zur Quelle humaner Entwicklung umschlagen
muss.'[5]?

3. Geschichte
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Ungefähr ab den 70er Jahren wurde gesehen, dass sich etwas Wichtiges
und Neues abspielt. Man fühlte, dass die informationelle Revolution
mehr als eine normale Modernisierung ist. Sie geht in der Tat einher
mit einem Epochenumbruch, den zu begreifen es nützlich ist sich
folgendes in Erinnerung zu rufen.

In jeder Epoche korrespondieren oder operieren synergetisch
miteinander

o    allgemeine Weltentwürfe und die Beziehungen des Menschen zum
     Universum

o    Sozialstruktur, insbesondere Eigentumsverhältnisse

o    kohärente wissenschaftliche und Wissenssysteme

o    Technik und Produktionssystem

In der jetzt auslaufenden Epoche Kapitalismus/Moderne illustrieren
dies

o    das auf Newton zurückgehende mechanistische Weltbild, dessen
     Zusammenhang mit dem Gesellschaftsentwurf des Liberalismus
     (social engineering!) ins Auge springt

o    das überhöhte autonome Subjekt, das mit "Gottesaugensicht" auf
     die Welt blickt

o    die strikte Trennung von Geist und Materie (Descartes res
     cogitans versus res extensa)

o    hierarchische Strukturen in der Produktion, in Ausbildung und
     Familie, aber auch in der Anordnung des Wissens (man denke an die
     Enzyklopädisten oder die großen Taxonomien wie die von Linné).
     Die zugehörigen Produktivkraftsysteme fanden ihre zugespitzteste
     Ausprägung in der Taylorisierung der Arbeit.

Die informationelle Revolution entwickelt sich im Widerstreit zu
diesen die Formation prägenden Verhältnissen.

Der Widerstreit beginnt schon mit der Entwicklung des Computers
selbst, denn er erklärt die langen Geburtswehen bis zu seiner heutigen
Form. Charles Babbage konstruierte 1833 einen  Rechenautomaten, der in
seiner Struktur dem heutigen Computer entspricht: Rechenwerk,
Programmsteuerung (durch Lochkarten) und einen Speicher. Dass er keine
seiner Maschinen so richtig fertig kriegte, lag sicher zu einem
beträchtlichen Teil an den nicht adäquaten technischen
Voraussetzungen, obwohl Nachbauten von anderen kurze Zeit später
funktioniert haben sollen. Aber dass die entscheidende Idee Johann von
Neumanns, der programmierbare Speicher, über hundert Jahre auf sich
warten ließ, lässt sich mit guten Gründen auf die strikte Trennung von
Geist und Materie zurückführen.

Menschen haben sich seit geraumer Zeit mit Automaten beschäftigt, die
mechanische Prozesse abarbeiten (schon um 1500 waren Taschenuhren in
Gebrauch) und solche, die mathematische Algorithmen, Nachbildungen
geistiger Prozesse also, abarbeiten. Beides waren völlig getrennte
Bereiche. Leibniz hat sich mit beiden beschäftigt, aber eben als
getrennte Probleme. Babbage vereinte nun sogar die Programmsteuerung
des damals fortgeschrittensten mechanischen Automaten, den
lochkartengesteuerten Webstuhl von Jacquard, mit Recheneinheit und
Speicher in einer Maschine, und dennoch blieb das Programm vollständig
getrennt von den Daten und Resultaten der Rechnung. Die entscheidende
Idee von Neumanns war der programmierbare Speicher, der es erlaubt
Ergebnisse von Rechnungen auf den weiteren Rechengang zurückwirken zu
lassen; eine Idee, die im mechanischen Bereich zum ersten Mal der
französische Ingenieur Farcot 1859 durch den Einsatz eines Servomotors
für die Steuermanöver eines schwerfälligen Kriegsschiffes
verwirklichte: die Idee der Rückkopplung. Das Zusammenführen der
Rückkopplung geistiger und mechanischer Prozesse ergibt den Roboter
der 3. Generation: eine universelle Maschine, die, jenachdem welche
Werkzeuge jeweils gegeben sind und welches Programm der Prozessor
ausführen soll, dies oder das produzieren kann. Der Computer als
abstrakte universale Maschine wird somit zum integralen Bestandteil
eines universellen Produzenten.

Rückkopplung ist fundamental für Nichtlinearität und Chaos, für
Konzepte der Selbstorganisation (Prigogine) oder komplexer adaptiver
Systeme (Gell-Mann). Ist es übertrieben, vom Zeitalter der
Rückkopplungsmaschinen und -konzepte zu sprechen?

Wo Automatisierungen durchgeführt werden, ergeben sich Umwälzungen in
der traditionellen Arbeitsteilung, der Verantwortlichkeiten, der
Qualifikationsaufteilungen, der Aus- und Weiterbildung der Arbeiter.
Studien aus ganz unterschiedlichen Bereichen (öffentliche Verwaltung,
private Versicherungsgesellschaft und Produktionsbetrieb) gaben eine
erstaunliche Übereinstimmung in z.B. folgenden Punkten: Ausbildung
aller Mitarbeiter über Möglichkeiten und Grenzen der Automatisierung.
Die Reorganisation fand in Zusammenarbeit von Informatikern und allen
Gruppen statt, wobei gerade die unteren Kategorien wichtig waren, da
sie die wahren Probleme kennen. (Versuche, informatorische Lösungen
von oben, am grünen Tisch, ausgehend von formalen Modellen zu finden,
endeten mit grandiosen Reinfällen.) Der Chef wurde zum Koordinator von
verantwortlich handelnden Menschen, die für eine gemeinsame Aufgabe
kooperierten. Die Hierarchien verschwanden, was vor allem das mittlere
Management nicht so gut fand. An die Stelle einer Hierarchie tritt
eine Netzorganisation.

Die augenfälligste Vorstellung von der Neuanordnung und -aneignung von
Wissen bekommt, wer im Internet etwas sucht. Man hangelt sich von Link
(Verweis) zu Link, bis man das Gewünschte - und meistens noch viel
mehr - findet. Aber auch Wissensdarstellungen auf Papier (z.B. Lexika)
sind heute mit vielfältigen Querverweisen versehen. Man vergleiche
dazu etwa die Große Enzyklopädie, die nur vereinzelt auf andere
Artikel verweist.

4. Probleme, die der Kapitalismus mit dem Computer hat
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Der Imperialismus, das gegenwärtige Stadium des Kapitalismus, ist im
marxistischen Verständnis ein geschichtstheoretischer Begriff.



Das geschichtlich notwendig Gewordene setzt sich praktisch-theoretisch
als Sozialismus in Wirklichkeit. Der Sozialismus spiegelt die
gesetzmäßige Bewegung des bestimmten historischen Orts, den Übergang
von der "Vorgeschichte" zur "eigentlichen Geschichte", adäquat wider
und bildet sie aus. Der Imperialismus hingegen ist deren inadäquater
Ausdruck; er spiegelt die Gesetzmäßigkeit der Entwicklung verkehrt und
verzerrt - wie analog der philosophisch-weltanschauliche Idealismus
(als Gegensatz des Materialismus) nicht außerhalb der Realität
operiert, sondern die materielle Wirklichkeit verkehrt und verzerrt
widerspiegelt. Imperialistische Vergesellschaftung ist wesentlich
deformierte Vergesellschaftung und deformierte Globalisierung -- darin
zeigt und bestimmt sich ihr historischer Charakter, ihre gebrochene
"Modernität" und ihre historische Unangemessenheit. Der Imperialismus
trägt der historischen Notwendigkeit beschränkt Rechnung - und ist ihr
genauer Gegensatz. Das imperialistische Stadium des Kapitalismus
gewinnt seine relative Geschichtsfähigkeit wie seine
geschichtlich-qualitative Möglichkeitsgrenze aus seiner Bestimmung,
"unmittelbare Vorstufe des Sozialismus" (Lenin) zu sein. Insofern kann
der Imperialismus als die Perversion dessen, was Sozialismus sein
soll, beschrieben werden.[6]





Das gilt insbesondere für die vielbeschworene Globalisierung.
Globalisierung ist dem Kapitalismus inhärent; denn das Kapital kann
nur als selbstverwertender Wert (exp. Wachstum!) existieren, was die
Bourgeoisie zwingt die Produktionsverhältnisse fortlaufend neu zu
revolutionieren und `nach einem stets ausgedehnteren Absatz für die
Produkte zu suchen'[7]. Aber er setzt sie nicht als das geschichtlich
notwendig Gewordene (= Sozialismus) durch. Es scheint eben nur so, als
hätte - wie es Haug so schön formuliert hat - `der general intellect',
(der allgemeine gesellschaftliche Verstand also) von dem Marx in den
Grundrissen gesprochen hat, in Gestalt des Internet sein Nervenkostüm
erhalten.'[8] Schon seine soziale und geographische Fragmentierung
schließt den überwältigen Teil der Menschheit von vornherein aus.
Ghana hat einen einzigen Internet-Host, dessen Nutzungsgebühr für ein
Jahr dem Jahreseinkommen eines ghanaischen Journalisten entspricht.[9]
Und wir sind mitten drin im Bestreben des Kapitals dem Internet seine
Geschäftsgrundlage aufzudrücken.



Uns geht es ja hier um die Produktivkraftentwicklung. Dem Zwang zur
Erschließung neuer Potenziale folgend, hat der Kapitalismus gute
Vorarbeit geleistet: Seine fortgeschrittensten Produktionskonzepte
zeigen eine Tendenz zur Dezentralisierung und Modularisierung. Das
Modul ist als sich selbstorganisierendes Element mit nur wenigen
Schnittstellen mit dem gesamten Fertigungsprozeß verbunden. Diese
Tendenz vollzieht sich sowohl innerhalb der Betriebe, indem kleine -
meist homogene - Gruppen Gleichgesinnter in einer hierarchiefreien
Atmosphäre zusammengestellt oder relativ autonome Abteilungen gebildet
werden, als auch dadurch, daß Teilprozesse gänzlich ausgelagert werden
und die Beziehungen durch Lieferverträge und -kommunikation geregelt
werden. `Maximale Reaktionsfähigkeit ist nur möglich durch intensive
Kooperation, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Unternehmens.'
(Hervorh. von mir, H.D) berichtet ein Kronzeuge.FN Ed Miller,
Präsident des National Center for Manufacturing Sciences der USA,
entwickelt die Vision eines weltumspannenden Kommunikationsnetzes, mit
dem die Möglichkeit eröffnet ist, ein Produkt ohne Zeitverzug an
beliebigem Ort in beliebiger Ausfertigung herzustellen.

Manche Ansätze gehen so weit, auf eine zentrale Planung (des
Unternehmens) und Administration gänzlich zu verzichten. Das
verbindende Element zwischen den autonomen Einheiten bildet dann
ausschließlich ein umfassendes Informationssystem, mit dem alle
Informationen flächendeckend verfügbar gemacht werden. Der Dialog
verläuft in Form einer Anfrage, auf welche jedes andere Element
spontan reagieren kann. Eine solche Struktur kann zwei Zustände
annehmen: Simulation oder realer Betrieb. Damit eröffnet sich die
Möglichkeit, die (schwer voraussehbaren) Folgen einzelner
Entscheidungen auszutesten.

In einer Fallstudie heißt es:



Auf Wunsch der Geschäftsleitung soll die Effektivität der
Fraktalmitglieder' (Fraktal bezeichnet hier ein autonomes Modul
innerhalb eines Fertigungsprozesses, H.D) `prämiert werden. Wichtig
dabei ist, daß das Fraktal als Ganzes bewertet wird; einzelne
Gruppenmitglieder werden nicht unterschiedlich prämiert. Deshalb ist
das Prämiensystem so angelegt, daß die permanente Erreichung der
Zielvorgaben, ständiges Vorgehen sowie eine einfache und eindeutige
Prämienberechnung sichergestellt sind.

Die Ausnutzung der Effektivitätspotentiale der fortgeschrittendsten
Produktivkraftentwicklung führe - wäre diese ihrer kapitalistischen
Hülle beraubt - auf der Ebene der Produktionsverhältnisse offenbar zur
Konsequenz der guten alten sozialistischen Brigade!



Die Transformation von hierarchischen in Kooperationsbeziehungen kann
sich im Kapitalismus jedoch nur in widersprüchlicher Form vollziehen,
weil dieser sich seinem Wesen nach nur als Gewaltverhältnis, das
intern als von oben nach unten durchgereichtes Diktat erlebt wird,
reproduzieren kann. Unter kapitalistischer Hülle wird die Gruppe eines
Fraktals eben noch keine sozialistische Brigade, sondern eine
Überlebenszweckgemeinschaft, die sich sowohl der - nun wenigen,
nichtsdestotrotz knallharten - Vorgaben von oben als auch des
Missbrauchs und der Ausbeutung von Solidarität zu erwehren hat.
Dennoch: unter dem Aspekt der Organisation des Arbeitsprozesses, der
"Verwaltung von Sachen", ist die Transformation in eine
Kooperationsbeziehung genauso unbestreitbar wie die des aus dem
Unternehmen ausgelagerten, nun in eigener Regie arbeitenden
Zuliefererbetriebes. Der Kapitalismus pervertiert auch hier, was
Sozialismus sein soll.

Der Aufstieg der Wissenschaft zur Hauptproduktivkraft treibt Marx
zufolge eine Ökonomie, die sich durch Arbeitswert reguliert, an ihre
historische Grenze.[10]

Was die politische Ökonomie des Informationskapitalismus betrifft, so
gibt es zwar nichts grundlegend Neues, aber doch Veränderungen, die
durchdacht zu werden verlangen. Wie bei einem papiernen Buch oder
einer Audiokassette ist auch bei Informationsprodukten zunächst zu
unterscheiden zwischen dem ideellen Produkt, den Kopien dieses
ideellen Produkts und dem Nutzungsrecht, das ein Nutzungsrecht an den
Einzelexemplaren (private Nutzer) oder an dem ideellen Produkt
(meistens durch Firmen) sein kann. Die wertbildende Arbeit findet hier
vor allem in der Entwicklungsarbeit statt, während der Aufwand für
Vervielfältigung und Distribution gegen Null tendiert. Der produzierte
Wert ist (dies wiederum wie beim papiernen Buch) anteilig auf die in
den Umlauf gebrachten Kopien verteilt. Es ist bei digitalen Produkten
nur schwieriger den Wert zu realisieren, denn bei die der praktisch
Kostenlosigkeit der Kopien wächst gleichzeitig die Attraktivität von
`Raubkopien' durch die Möglichkeit der 1:1 Kopie (der Unterschied
zwischer einem Originalbuch und seiner papiernen Kopie ist von
beträchtlich unterschiedlicher Qualität). Sie sind kein knappes Gut
mehr und kollidieren damit mit ihrer im Kapitalismus erforderlichen
Wertform. Die Durchsetzung ihrer Warenform - Bedingung für die
Wertabschöpfung - kann letztlich nur durch Gesetzgebung und Polizei
gesichert werden: Urheberrecht, Kostenerhebung für Zugang oder
Abonnement, Verschlüsselung, usw.. Ohne äußeren Eingriff stünde ihre
Nutzung so frei wie das allgemeine Wissen.



Im Kapitalismus finden nun gerade die gegenläufigen Tendenzen statt.
Solange - bis in die 80-er Jahre hinein - Software keine eigenständige
Rolle gegenüber der Hardware spielte, gehörte sie zum frei verfügbaren
Wissen wie der Satz des Pythagoras. Das Betriebssystem UNIX war das
erste Betriebssystem, das kommerziell vertrieben und so zum
propietären, exklusiven Wissen wurde. Die als Reaktion darauf
einsetzende Open-Source- bzw. Free-Source-Bewegung demonstrierte auf
ihre Weise die Möglichkeiten einer neuen Produktionsweise durch die
Entwicklung des Betriebssystems Linux. Linux ist Anfang der 90er Jahre
unter bemerkenswerten Umständen entstanden.: in sich selbst
organisierender kollektiver Entwicklungsarbeit rund um den Globus
verorteter Menschen, das Internet als verbindendes Medium nutzend. Es
wurde der Beweis erbracht, dass ein hochkomplexes Produkt, von dem man
bisher annahm, dass es zu seiner Erzeugung eines zentralistisch
ausgerichteten Plans (wie beim Bau einer Kathedrale) bedarf, in
interaktiver Projektarbeit, ohne einen obersten Kontroller, erstellt
werden kann. (E.S. Raymond fand in seinem klassisch gewordenen Essay
[11] dafür die Metapher von Kathedrale und Basar.) Damit wurde
gleichzeitig die Fesselung der Poduktivkräfte in einer
Produktionsweise, die mit Gütern nur in ihrer Form als Ware etwas
anfangen kann, denunziert.

Die Frage, ob die Wertrationalität erschöpft ist oder auch die Frage,
inwieweit der Kapitalismus dem Computer systemisch gewachsen ist,
stellt sich auch in anderer Weise. Denn Entgegen allen Erwartungen
flachten sich trotz des Computereinsatzes in den imperialistischen
Metropolen die Zuwachsraten in der Arbeitsproduktivität ab. Das
Paradoxon von Solow (Nobelpreisträger für Ökonomie) besagt: `Überall
sieht man die Effekte der Informatik, nur nicht in den Statistiken
über die Produktivität.'

In den USA ist eine Debatte darüber entbrannt, ob die Verdoppelung des
Produktivitätszuwachses von 0,6 % in der Zeit 91-95 auf 1,25 % in der
Zeit 96-99 eine Auflösung des Solowschen Paradoxons bedeutet. Robert
J. Gordon hat herausgefunden, dass außerhalb des Informatiksektors
selbst die Computer die Produktivität nicht verbessert haben und hat
dies als ein neues Paradoxon gefasst: `Die Informatik erhöht die
Produktivität nur in den Unternehmen, die informatorisches Material
herstellen.' [12]

Halten wir uns noch, bevor wir zu den Problemen im Sozialismus kommen,
kurz vor Augen, wie im Kapitalismus Komplexität bewältigt wird.

Mit der Entwicklung der Marktbeziehungen und ihrer räumlichen
Ausbreitung wurden die Beziehungsgeflechte zwischen den Menschen
komplexer. Man konnte und kann ihrer nur Herr werden durch
Abstraktion. Marx und Engels erwiesen sich als frühe `Kritiker der
Moderne', wenn sie im Manifest analysieren: An die Stelle feudaler
persönlicher Beziehungen treten sachliche Beziehungen, die letztlich
kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriglassen als die
gefühllose `bare Zahlung'.

Auch sind wir heute meilenweit entfernt von der Welt Adam Smiths mit
ihrem unternehmerischen, erfinderischen und weitsichtigen
Kapitalisten, dessen persönliche Bindung an sein Eigentum sich aus
Wissen und Können speist. Schon Rosa Luxemburg konstatierte, dass sich
mit der Entwicklung von Kredit und Aktiengesellschaften das Eigentum
an Kapital als Anspruchstitel bei der Verteilung gänzlich von
persönlichen Beziehungen in der Produktion sondert und in seiner
reinsten, geschlossenen Form erscheint. Heute lässt sich treffender
der Kapitalismus als kybernetische Maschine mit der Verwertung als
Regler beschreiben.  Wenn aber das Kapital völlig getrennt von seinen
Funktionen in der Produktion fungiert, bedeutet dies auch, dass alles
Wissen und Können in Kopf und Hand der Arbeiterklasse liegt.

Wenn man die Begrifflichkeit akzeptiert, wonach sich Gesellschaft
durch Warenaustausch konstituiert, Gemeinschaft aber durch sinnliche
Kooperation, dann läßt sich die Bewältigung von Komplexität in der
bürgerlichen Gesellschaft als Vergesellschaftungsprozeß beschreiben:
die Reduzierung des öffentlichen Lebens auf Verfahrensregeln, die
Transformation  von Gemeinschafts- in Warenbeziehungen, die bis in die
intimsten Beziehungen zwischen Menschen eindringen. Mit dem
Kapitalismus erwuchs die Herrschaft der abstrakten Arbeit: das Kapital
interessiert die lebendige Arbeit nur insoweit, wie sie sich in
abstrakte umwandeln und als Tauschwert realisieren läßt. Neben den
allseits bekannten desaströsen sozialen Folgen dieser Herrschaft hat
die Beschleunigung des Stoffwechsels mit der Natur mit der
einhergehenden Unkontrolliertheit ein Ausmaß erfahren, daß die
Menschheit sich selbst auszurotten in der Lage ist und allen schönen
Etiketten wie dem der `weightless economy' zum Trotz steigt der
stoffliche Ressourcenverbrauch weiterhin gigantisch an.

Die Primitivität dieses Prinzips wird handgreiflich, wenn wir uns denn
vor Augen führen, daß eingedenk der - in dieser Allgemeinheit unter
Marxisten wohl unbestrittenen - Voraussetzung, daß Rechtsnormen,
politische Entscheidungen, usw. strukturell vom Kapital dominiert
sind, die Besiedelung einer Landschaft, die Entscheidung über die
Vernutzung einer Naturressource letztlich und entscheidend von einer
Regelgröße, dem Wert (im politökonomischen Sinne) abhängt. Wert ist
aber eine rein gesellschaftliche Kategorie; die Natur produziert keine
Werte. Ein kapitalistisches Gesellschaftssystem ist also prinzipiell
selbstreferentiell, d.h. auf sich selbst rückbezogen, gegenüber der
Natur.

5. Probleme, die der Sozialismus ohne Computer hatte und die jetzt mit dem Computer gelöst werden könnten
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Bisher war alle Ökonomie eine Ökonomie der Zeit. Sie war es, wenn in
der Urgesellschaft die zur Reproduktion erforderlichen
gemeinschaftlichen Tätigkeiten effektiver zu bewältigen waren. Sie
findet ihren Ausdruck im hinter dem Rücken der Agierenden wirkenden
Wertgesetz, das in der kapitalistischen Warengesellschaft den
Langsameren zur Strecke bringt und es galt/gilt für die Länder, die
(nach der Pariser Commune) den zweiten Vorstoß in eine neue
Menschheitsepoche unternahmen.

Es ist heute müßig darüber zu spekulieren, was aus dem NÖS und dem
Sozialismus geworden wäre, wenn damals eine adäquate rechentechnische
Basis zur Verfügung gestanden hätte. Aus meiner Sicht hat die
theoretische Reflexion von Sozialismus- und insbesondere auch
ökonomischer Konzepte in der Ulbricht-Zeit ein Niveau erreicht, das
später nicht mehr erreicht wurde. Was die kybernetisch-mathematische
Schiene betrifft, ist sie mit den Namen Georg Klaus und Rainer Thiel
verbunden.

Zunächst ging es darum den Blick für die Existenz kybernetischer
Systeme in der Gesellschaft zu öffnen. Klaus (der leider schon 1974
starb) ging nach wie vor vom zentralen Plan aus. Allerdings begreift
er `Plan' nicht im Sinne von Planziele, sondern die
Mittel-/Strategiebestimmung um die Planziele zu erreichen. So ist er
in der Lage, den Plan selbst als kybernetische Kategorie zu begreifen.



Wesentliches Mittel der Planbewältigung waren Verflechtungsbilanzen.
Problem: diese bilden nur Zustände ab. Ändern sich irgendwo
Bedingungen, müssen die Matrizen (das mathematische Abbild einer
Verflechtungsbilanz) sozusagen per Hand geändert werden. Die Zeit für
dynamische Bilanzierungen, mathematisch abgebildet durch
Differentialgleichungen, hielt er noch nicht für gekommen. Klaus sieht
aber durchaus am Horizont die mit Computertechnik rückgekoppelten
vollautomatischen Produktionseinheiten[13]. Also: mehr als lineare
Algebra war als Mittel zur Bewältigung von Komplexitätr nicht drin und
Rückkopplung musste per Hand eingestellt werden.



Eine 1978 angestellte Untersuchung ergab, das im Zeitraum ab 1970
Matrizenrechnung, Statistik, Numerische Mathematik und Optimierung zu
ungefähr gleichen Teilen diejenigen mathematischen Modell- und
Methodenklassen waren, die das Nutzungspotenzial bestimme[14]. Bis zum
Ende der DDR hat sich daran kaum etwas geändert.



Rainer Thiel öffnete - auch schon in der Ulbricht-Zeit - den Blick für
den heuristischen Gebrauch mathematischer Begriffe in Analyse und
Prognose gesellschaftlicher Prozesse. Dabei geht es ihm weniger um
`Anwendungen' der Mathematik auf quantitative Verhältnisse, auch nicht
um ihren metaphorischen Sprachgebrauch, sondern darum, dass
mathematische Begriffe Widerspiegelungsleistungen auch
gesellschaftlicher Prozesse erbringen können, wie sie in der
Umgangssprache nicht oder nicht mit der gleichen Präzision erreicht
werden können. Die Kybernetik ordnet er zwischen Mathematik
(niedrigste Interpretationsstufe - höchste Abstraktionsstufe) und
solchen Theorien wie Mechanik, Ökonomie, usw. (höchste
Interpretationsstufe - niedrigste Abstraktionsstufe) als Theorie
reinen Zeitverhaltens ein[15]. In fachwissenschaftlichen Kreisen wurde
die Diskussion über die Tragweite neuerer mathematischer oder
physikalischer Konzepte für die Analyse und Prognose
gesellschaftlicher Prozesse durchaus fortgesetzt, sie spielte aber auf
politischer Ebene zunehmend keine Rolle mehr.

Das Dilemma, in dem sich die am höchsten entwickelten sozialistischen
Länder befanden, bestand darin, dass sie einerseits mit dem Bruch in
den Eigentumsverhältnisen die notwendigen Bedingungen für den Aufbruch
in eine neue Epoche schufen, andererseits die mit dem Kapitalismus
gewachsenen Strukturen und insbesondere die pervertierte Form, in der
sich Produktivitätsfortschritt durchsetzt (durch das Wertgesetz im
Rücken der Agierenden) nicht sofort in ein System überführen konnten,
in dem `die individuellen Arbeiten nicht mehr auf einem Umweg, sondern
unmittelbar als Bestandteile der Gesamtarbeit existieren.' [16] Nicht
aus subjektivem Unvermögen, es ging einfach nicht. Denn: es war nicht
nur der Aufbau eines neuen differenzierten Systems von
Produktionsbeziehungen erforderlich (dies geschah in der DDR mit dem
Übergang von der Planung in Tonnenideologie zum NÖS 1963), sondern
darüber hinaus zu einer Organisationsweise, die es ermöglicht, die
Tätigkeit des Gesamtarbeiters lokal erfahrbar und überprüfbar zu
machen. Dies durch eine zentrale Planung zu erreichen, war (und ist!)
nicht möglich. ) Es würde anmuten wie der Versuch, einen komplexen
thermodynamischen Vorgang, z.B. die Ausbreitung eines Tintentropfens
in Wasser, mikroskopisch durch die Beschreibung einzelner Trajektorien
in den Griff zu bekommen, was ja tatsächlich auch versucht wurde. Da
hilft auch kein Computer mehr. Die konkrete Verteilung der Güter
musste auch über den Austausch geregelt werden. So entstand ein
Anschein von Warencharakter der Güter (durch die Notwendigkeit des
Austauschs) bei gleichzeitiger Negation ihrer Wertform durch den Plan.
(hier Anmerkung zum Wertgesetz im Sozialismus) So wie man sich im
Kapitalismus durch lokale Rationalität (Plan des Unternehmens) globale
Irrationalität (Anarchie) einfing, war es im Sozialismus in gewissem
Sinne umgekehrt.



Erst der Kommunismus fügt wieder zusammen, was seit der
gemeinschaftlichen Arbeit in der Urgesellschaft zunehmend getrennt
wurde: kooperative Bewältigung der produktiven Tätigkeit mit
Regulierung der Aneignung durch Zuteilung. Der Computer durchbricht
die bisher gesetzte Beschränkung der Kooperation auf sinnlich
Anwesende durch ihre virtuelle Fortsetzung im Cyberspace auf Grund
seiner Fähigkeit unabhängig vom Ort Daten in Echtzeit austauschen zu
können. Das was produziert wird, wird a priori auch gebraucht.
Gegenüber dem Markt ist ein höherer Grad von
Kommunikationsrationalität erreicht. Ein kommunistischer Neigungen
unverdächtiger Informatiker stellte vor einiger Zeit ein Modell vor,
das auf diese Weise eine Grundversorgung realisiert.[17]

Der Kommunismus muss bei Strafe des Untergangs den Weg einer Ökonomie
der Zeit zu einer Ökonomie der Ressourcen (der stofflichen Flüsse in
Raum und Zeit) schaffen In ihr erst wird der rationelle Stoffwechsel
mit der Natur in seiner Konkretheit (in marxistischen Sinn) beherrscht
werden können.

Da zentralistische Lösungen entfallen, rücken Konzepte der
Selbstorganisation ins Blickfeld. Phänomene der Selbstorganisation
lassen sich in den unterschiedlichsten Bereichen beobachten. Ohne
spezielle Einwirkungen von außen entwickeln sich komplizierte
Strukturen (Strukturen höherer Ordnung), wie die Gestaltbildung
lebender Wesen, das kohärente Licht des Lasers oder der Kongress hier.

Prigogine bezeichnete stationäre Zustände, die jenseits der
Instabilität eines thermodynamischen Zweiges auftreten, als
dissipative Strukturen. Offenbar sind folgende Existenzbedingungen
notwendig:

1.   Offenheit des Systems (ständiger Stoff- und Energieaustausch mit
     der Umgebung),

2.   Nichtlinearität der inneren Dynamik,

3.   Überschreiten kritischer Parameterwerte, insbesondere eines
     Mindestabstandes vom Gleichgewicht,

4.   Kooperativität der Mikroprozesse,

5.   Auftreten geeigneter Fluktuationen (d.h. zufälliger kleiner
     Störungen).



4. ist der kybernetisch-systemtheoretische Aspekt, der Hermann Haken
zur Begründung der Synergetik veranlasste. In Systemen, die aus vielen
Untersystemen bestehen und die unter geeigneten Bedingungen kooperativ
zusammenwirken, können makroskopische Strukturen auftreten, die durch
wenige Parameter beschrieben werden können.[18] Die Theorie der
Selbstorganisation erfordert neben dem deterministischen, den
funktionalen Aspekt beschreibenden Anteil (in der Regel
Differentialgleichungen) einen stochastischen Anteil, weil die
Fluktuationen Voraussetzung für das Entstehen dissipativer Strukturen
sind und sie die weitere Entwicklung des Systems entscheidend
beeinflussen. Sie erfassen nach Prigogine das `Milieu', das auf die
Prozesse einwirkt. Die Theorie dissipativer Strukturen stellt somit
einen Zusammenhang zwischen der funktionalen und der
Raum-Zeit-Struktur-mäßigen Ordnung her. (Charakteristisch für
Selbstorganisationsprozesse ist das Zusammenspiel von
kurzreichweitigen Wechselwirkungen, die stochastischer Natur sind, mit
einer Fernordnung, durch die das System als ein Ganzes wirkt.)



Dieses Verhältnis von lokalen Aktivitäten unter globalen
Wirkungsbedingungen läßt sich als Paraphrase der berühmten Passage aus
Marx' `Einleitung zur Kritik der politischen Ökonomie' lesen [19],
wonach die Menschen in unabhängig von ihrem Willen existierende
Verhältnisse gestellt sind, in sie verändernd eingreifen, wenn die
Zeit reif ist; und Prigogine selbst stellt die Beziehung zu Althussers
Begriff der strukturellen Kausalität her[20] . Daß Natur- und
Sozialwissenschaften hier tatsächlich näher aneinanderrücken, zeigen
die erfolgreichen mathematischen Beschreibungen nicht nur von
Zellvorgängen oder der Bildung von Termitenhügeln, sondern auch von
sozialen Prozessen wie der Urbanisierung.

Wir fassen zusammen: Der Kommunismus steht vor der Aufgabe den
Stoffwechsel assoziierter Produzenten mit der Natur rationell zu
regeln. (Das ist das Einfache, das schwer zu machen ist.) Die Menschen
machen ihre Geschichte selbst, aber nicht aus freien Stücken. D.h. die
Hemmnisse, die die jetzige Produktionsweise ihm in den Weg legt,
lassen sich nicht durch Dekret beseitigen, sondern durch Klassenkampf
und einen Entwicklungsstand der Produktivkräfte, die ihrerseits die
Bedingung für die volle Entfaltung der Produktivkraft des Menschen
liefern. Zu diesem Entwicklungsstand gehört unumgänglich der Computer.
Unumgänglich für die Befreiung der Ergebnisse menschlicher Produktion
von ihrer Warenform, unumgänglich für die Beherrschung einer
Raum-Zeit-Ökonomie und unumgänglich für die jederzeitliche Präsenz des
`general intellect' durch das Internet für die Lösung der Probleme in
der Organisation der lokalen Materialflüsse. So erst kommt
Globalisierung zu sich selbst; wird das geschichtlich notwendig
Gewordene in Wirklichkeit gesetzt. Und damit lüftet sich das
Geheimnis, was es denn mit der Sowjetmacht im künftigen Kommunismus
auf sich habe. Es ist die Macht der vernetzten betrieblichen und
kommunalen Räte, die erforderlich ist um diese Aufgabe mit nüchternem
Verstand und heißem Herzen zu erfüllen.

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[1] Lenin: Unsere außen- und innenpolitische Lage und die Aufgaben der
Partei, LW 31, S.414

[2] Georg Klaus/Rainer Thiel, Über die Existenz kybernetischer Systeme
in der Gesellschaft, Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 1962/1

[3] Stefan Meretz: Linux & Co, Ideen für eine andere Gesellschaft,
S.44, Neu-Ulm 2000

[4] MEW 23, 393

[5] MEW 23, S. 514

[6] Wolf-Dieter Gudopp, Der Imperialismus und die `Periode der
Weltkriege', Marxistische Blätter 3/97, S.67

[7] MEW 4, 465

[8] Wolfgang Fritz Haug, Prolegomena zu einer Kritik der Neuen
Ökonomie, Das Argument 238, S.619

[9] Ursula Huws, Der Mythos der weightless economy, Das Argument 238,
S.657

[10] MEW 42, S. 602

[11] Hans-Jürgen Warnecke, Die fraktale Fabrik, Hamburg 1996, S. 95

[12] LeMonde 12/8/00

[13] Hans-Jürgen Warnecke, Ebenda, S.234

[14] Der IBM-Betriebsrat Glißmann schildert in beeindruckender Weise
die `Hölle der neuen Selbstständigkeit', die als sich selbst
organisierender Prozess sozialer Anpassung erlebt wird, in: Sebastian
Herkommer (Hrsg.), Soziale Ausgrenzungen. Gesichter des neuen
Kapitalismus, Hamburg 1999, S.150ff.

[15] Eric S. Raymond, The Cathedral & the Bazaar, O'Reilly,
Beijing-Cambridge-Farnham-..., 1999

[16] MEW 19, S.20

[17] Georg Klaus, Kybernetik und Gesellschaft, S. 278, Berlin 1964

[18] Hans Fischer, Die Anwendungen mathematischer Methoden in der
Volkswirtschaft der DDR (Dissertation), S. 87, Berlin 1979

[19] MEW 13, S. 8f.

[20] Rainer Thiel, Quantität oder Begriff?, S. 394, Berlin 1967


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