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[ox] Eindruecke vom LinuxTag 2001



Liebe Liste,

so jetzt liegt auch das zweite Groß-Event in vier Tagen hinter mir.
Puh.

Ich will euch ein bißchen von meinen Eindrücken erzählen und würde
mich freuen, wenn andere auf der Liste, die vielleicht auch in
Stuttgart waren, Ähnliches täten.

Zur Messe
---------

Gegenüber dem letzten LinuxTag hatte ich den Eindruck (ich habe es
nicht nachgezählt/-gemessen) war, daß der kommerzielle Teil der Messe
dieses Jahr weniger groß ausgefallen ist. Letztes Jahr fand ich die
kommerziellen Stände sehr dominant und die mitunter winzigen Stände
der Freien-Software-Initiativen kamen fast gar nicht zur Geltung. Das
war dieses Jahr deutlich anders. Die Freien-Software-Stände waren in
der gleichen Größe wie die Firmenstände und unter den Firmenständen
gab es keine so großen wie letztes Jahr. Die größten dürften von
Siemens/Fujitsu und dem Job-Vermittler `monster.de' gewesen sein. Die
Messe war in einer großen Halle zusammengefaßt und auch das
Vortragsprogramm war in drei benachbarten Sälen und zwei Foren auf der
Messe konzentriert. Das hat die Überschaubarkeit deutlich erhöht.
Letztes Jahr hatte ich auch das Gefühl, viel mehr Anzüge gesehen zu
haben. Das war dieses Jahr fast gar nicht. Nun ist der
(kostenpflichtige) Business-Kongreß dieses Jahr auch zweitägig gewesen
(Do und Fr), aber irgendwie empfand ich es schon so, daß die
AnzugträgerInnen deutlich weniger geworden sind und der
Bewegungsanteil an der Messe sehr viel besser repräsentiert war.

Mein Vortrag war mit ca. 100 ZuhörerInnen (letztes Jahr: 70)
angesichts der harten Konkurrenz von Eric S. Raymond im Nachbarsaal
sehr gut besucht. Schade, ich hätte ESR auch gerne live gesehen :-( .

Die Nachfragen und Diskussionen nach dem Vortrag haben nichts
substantiell Neues gebracht, aber an einigen Antworten aus dem
Publikum war zu spüren, daß Vieles ganz gut angekommen ist. Auch
während des Vortrags konnte ich einige zustimmende Minen entdecken.
Ich bin danach auch einige Male angesprochen worden und z.B. jemand
von einer LUG meinte, daß mein Vortrag ihm eine ganz neue,
faszinierende Perspektive auf Freie Software eröffnen konnte. Dann hat
sich die Reise ja schon gelohnt :-) .

Interessante Fußnote vielleicht auch: Allen, denen ich mich aus dem
einen oder anderen Grund vorgestellt hatte, war Oekonux ein Begriff
:-) .

Leider habe ich es selbst nicht zu vielen Vorträgen geschafft, aber
ein paar besonders interessante konnte ich besuchen.


CmdrTaco / Slashdot
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Witzig war die Keynote von CmdrTaco, dem Gründer von Slashdot
(`http://www.slashdot.org/'). Wie so viele andere bekannte Namen der
Freien-Software-Szene hat auch er seine Überraschung darüber geäußert,
daß *er* zu einer Keynote eingeladen wird. Das macht mir jedenfalls
die Leute immer gleich sympathisch - von wegen accidental
revolutionary :-) . Mit viel Humor hat er über Slashdot erzählt - und
er hat auch nicht damit gespart, welchen
Editor/Programmiersprache/Datenbank er für den richtigen hält ;-) .

Er hat viel über Slashdot erzählt und wie es entstanden ist. Sehr
chaotisch auf ausrangierter Hardware - und mit einem unerwarteten
Erfolg. Wichtig in unserem Zusammenhang vielleicht: Er hat das damals
begonnen, weil er eine nette Web-Seite für sich und ein paar Freunde
machen und weil er Perl lernen wollte - pure Selbstentfaltung also.
Weiter wichtig vielleicht, daß sie dann eine Firma (Blockstackers)
gegründet haben, die sich und damit auch seine Arbeit über
Banner-Werbung finanziert hat. Mittlerweile ist er via Andover bei VA
Linux gelandet, hat aber einen Vertrag, der ihm völlige Redefreiheit
zusichert - weil Andover eingesehen hat, daß dies die Erfolgsbasis von
Slashdot ist. Öfters kamen übrigens auch Bemerkungen der Art: "Wenn
andere es besser können als ich, warum sollen sie das dann nicht
übernehmen?"

Im zweiten Teil hat er sich der Frage "Open Source Journalism"
zugewendet. Er hob hervor, daß er ganz bewußt tendenziell ist und
diese (Pseudo-)neutrale Berichterstattung für gelogen hält - alle
seien schließlich tendenziell. Er will eine Web-Site machen, die er
gerne liest.

Slashdot ist moderiert und - nach seiner Meinung - deswegen nicht
wirklich Open Source. [Würde ich aber anders sehen.] Die Moderation
kann den leiseren Leuten auch eine Stimme gegenüber den lauten: Ein
Jerk unter 100 Normalen kann alles kaputt machen. [Meine Rede, meine
Rede - allerdings mit JerkIn ;-) ]. Wenn ich es recht verstanden habe
- leider hatte ich noch keine Gelegenheit mir Slashdot näher anzusehen
:-( -, dann moderieren die Leute die Site praktisch selbst. Dazu läuft
eine recht ausgeklügelte Software, die den Leuten nach sehr
ausgefeilten Regeln erlaubt, Artikel zu bewerten. Das funktioniert
manchmal auch nicht, i.d.R. aber sehr gut - wie der Erfolg beweist.
Der Code hinter Slashdot ist Freie Software, Slashdot selbst läuft
aber auf einer älteren als der offiziellen Version.

In den letzten Jahren habe er "Social Engineering" gelernt - wichtiger
Hinweis wie ich meine. Auf Slashdot herrscht keine Demokratie bei der
Artikelbewertung, sondern es gibt eine Art Vertrauenssystem.


Ist der Open-Source-Gedanke auf die Musik übertragbar
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Diese Podiumsdiskussion war für unser Thema natürlich sehr spannend.
Eingeladen waren (alle Namensschreibweisen nach dem Hören)

* Herr Mühlbauer, der wohl in der Telepolis und anderen Magazinen
  (kritische) Artikel zur GEMA untergebracht hat.

  In seinem Einleitungs-Statement gab er u.a. an, daß die GEMA
  jährlich 1 Mrd. DM verteilt und sich davon 14.8% selbst genehmigt.
  Die Ausschüttung berechnet sich zu 75% aus dem Airplay der Stücke
  und benachteiligt damit unbekanntere KünstlerInnen. ErheblicheTeile
  der Ausschüttung gehen gar nicht an KünstlerInnen, sondern an
  Verlage, Erben usw.

* Herr Bücking, der als Rechtsanwalt zu den Gastgebern zählte.

  In seinem Einleitungs-Statement hob er hervor, daß das
  kontinentaleuropäische Copyright den Ausdruck einer geistigen
  Leistung schützen soll - also nicht die Idee selbst. Die
  Verwertungsrechte seien im Gegensatz zum US-Recht hierzulande
  sekundär gegenüber dem Persönlichkeitsrecht.

* Herr James von einem Verband, der ca. 600 kleine Musikverlage
  vertritt.

  In seinem Einleitungs-Statement sagte er, daß der Löwenanteil des
  Kaufpreises einer Musik-CD in das Marketing ginge. Die Majors (d.h.
  die großen Platten-Label) gäben 1 Mio. DM aus, um einen Titel in die
  Hitparaden zu bringen - in Großbritannien wären es sogar 1 Mio. £.
  Er verteidigte mehrere Male die GEMA als bessere Alternative als
  z.B. eine Aktiengesellschaft als Verwertungsgesellschaft.

* Andreas Gebhard von der OpenMusic-Initiative, die aus dem LinuxTag
  e.V. erwachsen ist, und von der es auf dem LinuxTag eine CD zu
  kaufen gab.

  Er führte aus, daß das OpenMusic aus der Freien Software käme und
  einen Versuch darstelle, die Idee der Freien Software auf andere
  gesellschaftliche Bereiche auszudehnen(!). Die OpenMusic-Initiative
  hat eine Lizenz geschaffen, die vor allem die Internet-Realität
  anerkennt, in der Copyright ohnehin nicht durchsetzbar sei und Geld
  sei dort auch nicht zu verdienen.

  In Abgrenzung zu anderen Angeboten Freier Musik hat sei OpenMusic
  kein Karrieresprungbrett für MusikerInnen. Es sei aber dennoch
  möglich, daß MusikerInnen im Internet als Teil der OpenMusic-Szene
  auftreten, während sie sich gleichzeitig via Musikverlagen
  vermarkten können. Die Stücke auf der CD sind jedenfalls GEMA-frei.

  Er war für unsere Diskussion sicher der Spannendste von allen und
  ich habe ihn gleich angefunkt für eine nächste Konferenz, zu der er
  gerne kommen würde.

Leider ging die anschließende Diskussion fast ausschließlich um die
Geldfrage: Wie können trotz, mit oder auch ausschließlich ohne Freie
Musik die MusikerInnen Geld verdienen. Wenn so Richard Stallman und
Linus Torvalds diskutiert hätten, hätten wir heute keine Freie
Software...

Das Thema war sehr hartnäckig und konnte erst gegen Ende ein wenig
durch spannendere Fragen wie z.B. der strukturellen Übertragbarkeit
ausgedehnt werden. Z.B. die Frage, was eigentlich die Quellen von
Musik seien und wie diese analog Freier Software zwecks
Weiterentwicklung in beFreite Musik eingebracht werden könnten. Noten,
Midi-Files, einzelne Spuren? All das wäre mit einem erhöhten Aufwand
für die MusikerInnen verbunden. Hier seien die Diskussionen in der
OpenMusic-Initiative noch sehr am Anfang - das Ganze existiert auch
erst seit wenigen Monaten.

Spannende Fragen, die dort diskutiert werden: Kann Musik durch
gemeinsames Weiterentwickeln verbessert werden? Ist die famose
Distribution und Promotion, die die Freie Software hervorgebracht hat,
auf Musik übertragen werden? Ein wichtiger Hinweis: Ohne eine
Weiterentwicklung der Kultur ist auch die technische Weiterentwicklung
einer Gesellschaft gefährdet, so daß der Kultur die gleichen
Möglichkeiten wie der Freien Software eingeräumt werden müßten. Als
Analogie zum Vor-Ort-Service in der Freien Software wurde das Konzert
benannt, das ja ebenfalls bezahlt werden müsse. Auch auf Parallelen
zwischen Musik- und Software-KünstlerInnen wurde hingewiesen.

Es wurde hervorgehoben, daß Musik von vielen aus Spaß und jenseits vom
Geld gemacht würde und solche Musik vielleicht wirksam gegen die
"Spektakel-Ökonomie" sein könne, die von den Majors inszeniert wird.


Wie Unternehmenskultur von Freier Software profitiert
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Bernhard Reiter hat ist in einem Vortrag der obigen Frage
nachgegangen. Er ist Mitgründer einer auf Freie-Software-Beratung
spezialisierten Firma, bei der FSFE zuständig für Deutschland und auch
im Vorstand des FFII - viel engagiert also.

Er versuchte deutlich zu machen, daß Freie Software für Firmen auch
jenseits dessen, was die Open-Source-Initiative hypet, nützlich sein
kann. Für seine näheren Ausführungen möchte ich auf die Dokumentation
des LinuxTages verweisen. Sein Hauptargument war, daß Firmen
heutzutage ohnehin immer mehr Lösungen und nicht Software verkauften.
Und bei den Lösungen müßten sie wegen ihrer angesammelten Kompetenz
und ihrem Wissensvorsprung keine Konkurrenz fürchten.

Auch wenn ich ihn nicht völlig überzeugend fand, würde ich ihn auch
gerne auf eine nächste Konferenz einladen wollen, was er sich auch
durchaus vorstellen konnte.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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