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[ox] Gremliza zum WTC Terror



Zwanghaftigkeit der Eskalation, die verschiedene Natur der Berechnung
auf allen Seiten und die Prekärität der Lage schön zusammengefaßt.
Aber natürlich bleibt auch hier wieder einiges außen vor. Der
"Ultraimperialismus" ist nicht historisch reversibel. Was aus der
"One World" wird, entscheidet sich nicht mehr auf den Schlachtfeldern.
Nicht nur die Logik der Gewalt, auch die Logik der Nation ist am Ende.
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Bedeutende Ernte
Von  : konkret - Zeitschrift für Politik & Kultur
Ort  : Datum: 09.10.2001

12.09.01
Hermann L. Gremliza
Bedeutende Ernte


Redaktionsschluß dieser Ausgabe war Montag, der 10. September. Am Tag drauf
flogen zwei entführte Passagierflugzeuge in die Türme des World Trade
Center, ein drittes stürzte auf das Pentagon. Die Druckerei gab der
Redaktion ein paar Stunden Zeit für eine erste Stellungnahme.

»Terror ist die Waffe der Schwachen und Bösen.«
Ronald Reagan

George W. Bush, gestern früh, vertrat die Zustände, die er zu vertreten
hat,
angemessen. Verdattert, verängstigt, verschwitzt, stotternd aus immer noch
großer Klappe: Wir werden das nicht hinnehmen, wir werden die Schuldigen
jagen, wir werden alles tun, was ... Ja, was denn? Eine Atombombe über
Afghanistan abwerfen oder auf Bagdad? Und dann? Oder, weil die Täter
vielleicht doch amerikanische Arischlöcher waren, auf Detroit, Michigan?
Ach, hätte man des Präsidenten weltraumgestützte Raketenabwehr schon
gehabt!
Nur um zu erleben, daß sie zum Schutz des Landes so nütze ist wie ein Loch
im Kopf oder zwei im World Trade Center.

Auch Essential Harvest, die lyrische Kommißkopfgeburt zur Bezeichnung des
Deals mit ihren Jungs von der UCK, ist kein schlechter Titel für das, was
den USA geschah. Sie haben geerntet, was sie gesät haben, mehr als ein
halbes Jahrhundert lang. Wer wäre verantwortlich für den Zustand der Welt
und was auf ihr möglich ist, wenn nicht die Macht, die sie zugerichtet hat?
Die seit 1945 die mächtigste war und seit zehn Jahren sich für allmächtig
halten durfte?

Daß die Allmacht eine Phantasie war und ihre Macht nur so lange sicher, wie
die Sowjetunion sie als ihr einziger, zuverlässig schwächerer Widerpart
verbürgte, bekommen die Vereinigten Staaten von Amerika seit Breshnews Ende
mit immer fürchterlicheren Schlägen eingebleut. Ami allein zu Haus: Die USA
sind der am meisten gefürchtete, noch mehr gehaßte Staat der Erde - seine
wenigen sogenannten Freunde sind seine innigsten Feinde. Heute morgen waren
im Radio die Kondolenzen des Kanzlers, des Außenministers, der
Fraktionsvorsitzenden zu hören. Krokodile, sagt die Legende, weinen, um
ihre
Mahlzeiten anzulocken, wie kleine Kinder.

Schmeichler sind schlechter Umgang, sie führen zu Selbstzufriedenheit und
Verblödung, im persönlichen Leben wie im Leben von Staaten. In Washington
werden viele wichtige deutsche Zeitungen ausgewertet, gewiß auch die
»Zeit«,
von deren gräflicher Herausgeberin man die Welt kennenlernen kann: »Kein
Grund zum Schwarzsehen/ Seit 1989 dominieren friedliche Entwicklungen die
Weltpolitik«. Das war 1996. Ob sich der Schnipsel in den Ruinen des
Pentagon
wiederfindet? Diesen hier, aus KONKRET vom Mai 1986, findet man dort nicht:

**

Dies zu den Ursachen des Terrorismus, nach denen so umständlich an den
falschen Orten gesucht wird: Völker, die nur eines satt haben, nämlich ihr
Leben und ihre Würde an den Märkten der Aktien und Aktionen abbröckeln,
glattstellen oder mitnehmen zu lassen. Die sich wehren, ohne den
anerkannten
Regeln zivilisierten Totschießens, Verstümmelns und Verbrennens zu folgen,
welche den libyschen Botschafter zwängen, im State Department eine
Kriegserklärung zu überreichen und zehn Minuten später Tripolis als
Sandwolke auf Kairo zutreiben zu sehen.

Wie Hochverrat eine Frage des Datums, ist Terror eine der Geographie. Weder
Heimtücke noch die Unschuld der Opfer unterscheiden die »Hydra des
Terrorismus« (Kohl) von den ordentlichen Kriegen, deren Orden noch getragen
werden: vom sechshunderttausendfachen Hungertod in Leningrad, von Hiroshima
und Nagasaki, von My Lai.

Nein, es geht ihnen (den USA) gar nicht gut. Die Völker, die einst den
amerikanischen Traum zu finanzieren hatten, wollen oder können nicht mehr,
die eigene Ökonomie bietet selbst im Aufschwung Millionen nur noch die
Chance, Tellerwäscher zu werden, Mittel für Investitionen in neue Technik
müssen bei den Verbündeten gepumpt werden, die aber immer mürrischer
reagieren, weil es nach Enteignung zu riechen beginnt.

Und so findet sich die Weltmacht Nr. 1 plötzlich umgeben von einer Welt
hassender Feinde und zögerlicher Freunde, nur Gott ist noch mit ihr, weil
er
so schnell aus seinem Vertrag mit Warner Bros. nicht rauskommt.

Der Krieg der Schwachen, den die Hersteller von Atomraketen und binären
Giftgasen ... »Terrorismus« nennen, hat erst begonnen. Er ist so
schrecklich
wie jeder Krieg. Warum aber die Geschäftsleute und Touristen in einer
TWA-Maschine den Status des Kombattanten weniger verdienen sollen als ein
Bauer in Nicaragua oder ein Kind in Haiphong, brennend im Napalm-Regen,
will
ich nicht einsehen.

**

Und nicht diesen Schnipsel, vom Februar 1991, anläßlich des Golfkriegs:

Den Völkern der Dritten Welt und ihren Führern ist die Fähigkeit, Politik
zu
machen, enteignet worden: zu optieren zwischen zwei Weltmächten, zu wählen
zwischen zwei Übeln, einem großen und einem größeren vielleicht nur, einen
Preis für die eigene schwache Stimme auszuhandeln. Größer waren ihre
Chancen
nie, und wenn sie größere suchten, ausbrachen aus der politischen
Kleinhandelszone, endeten sie als Idi Amins und Pol Pots. Erst Gorbatschows
Politik hat sie alle miteinander dem Diktat des einen kapitalistischen
Imperiums ausgeliefert, das sie nur noch anbetteln können oder mit
selbstmörderischem Terror herausfordern.

**

Erst recht nicht diesen, vom Juni 1995, als die Terroristen weiße
Amerikaner
waren:

Die Nachricht aus Oklahoma City fand alle Hörer überzeugt, daß ein Kommando
aus einem Staat der Dritten Welt den Anschlag verübt habe. Der Reflex war
Resultat nicht nur langjähriger Propaganda betr. »internationaler
Terrorismus«, sondern des unbestimmten und doch nicht unberechtigten
Gefühls, daß der Einrichtung der One World viele Anschläge auf World Trade
Center folgen werden.

Es waren Amerikaner ... Auch die Erste Welt, die Siegerin aller bisherigen
Geschichte, ist ihre Verliererin. Mit der globalen Konkurrenz kam ihr
zugleich die Nötigung abhanden, die eigene Gesellschaft sozial einigermaßen
erträglich zu gestalten, und so ging mit der realsozialistischen Epoche
auch
die sozialdemokratische dahin.

Täglich nun erzählt zu kriegen, daß man Sieger der Weltgeschichte sei, und
täglich zu erleben, daß der Sieger ein armer Arsch ist, dem die Regierung
wieder eine Hilfe streicht und wieder eine Vorschrift macht, kann einen
kleinen Mann aus dem großen weißen Herrenvolk schon sehr verletzen. So
sehr,
daß er zu den Milizionären von Michigan geht, die - laß dich
überraschen! - »gegen die neue Weltordnung« kämpfen.

**

Im März 1998 schließlich hätten die Amerikaner dies lernen können:

Der Erste Kalte Krieg hat vierzig Jahre gedauert. Er endete mit der
Kapitulation der Sowjetunion. Der Zweite Kalte Krieg dauert erst sieben
Jahre, und bevor die Welt so recht weiß, daß er geführt wird und von wem,
ist er schon entschieden: gegen die USA.

Wie konnte den USA dieser tiefe Fall geschehen? Sie waren zu lange
unbestrittene Vormacht der einen, guten Hälfte der Welt im Kampf gegen das
Reich des Bösen gewesen, als daß sie sich hätten bewußt bleiben können, wie
sehr ihre Rolle an die Existenz dieses Feindes geknüpft war, und daß die
Macht, die aus den atomaren Abschußrampen kam, mit dem Feind dahinschwinden
würde. In der »neuen Weltordnung« zählen Beziehungen, Waren und Währungen.
Als Führungsmacht hatten die Amerikaner sich weltweit unbeliebt gemacht,
aus
respektablen Gründen mitunter: durch ihren Einsatz für Israel bei den
Arabern, aus weniger ansehnlichen Gründen zumeist: in Nicaragua, Chile,
Kuba, Vietnam usw.

**

Als in New York und in Washington die Trümmer des World Trade Centers und
des Pentagon Tausende erschlugen, ließ in London Tony Blair den Luftraum
sperren und in Berlin sein Genosse Schröder die Panzerglasscheiben des
Kanzleramts hochfahren. Aus Feigheit? Aus Dummheit? Beides möglich.
Wahrscheinlicher aber die Absicht, die armen Amis glauben zu machen, daß
die
vermuteten islamischen Terroristen auch die Deutschen bedrohen, daß der
Amerikaner Feinde auch die Feinde ihrer Freunde sind. Und nicht ihre
klammheimlichen Helfer.


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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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