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Re: [ox] Was kann man hier tun? (Gegenbilder-Buch)



Stefan Merten wrote:

> Hi Stefan und Liste!

Dito;-)

> Ist schon etwas länger her, deswegen zitiere ich es in Gänze. Ich habe
> aber auch an vielen Stellen Anmerkungen.

Die vielen Übereinstimmungen:-)) kürze ich dann mal.

>>(66) 1. Rausgehen aus Verwertungsstrukturen: Wenn wir erkennen, daß
>>die subjektlose Verwertungsmaschine des Kapitalismus unsere
>>Lebensbedingungen zerstört, können wir nicht die politische Arbeit
>>gegen den Kapitalismus auf seinen Verwertungsstrukturen aufbauen.
>
> Zumindest nicht so, wie es bisher versucht worden ist: Mit dem
> handwerklichen Schnee des Vergesellschaftungsmodells von Gestern.
>
> Wenn aber Freie Produktion á la Freier Software als Produktivkraft
> überlegen ist, könnte es hier prinzipiell vielleicht Möglichkeiten
> geben. Ich sehe allerdings momentan keine und kann es mir eigentlich
> auch nicht recht vorstellen. Wahrscheinlich ist der Verknappungszwang
> des Kapitalismus genauso unhintergehbar wie der Allgemeingutzwang
> (oder was ist das Gegenteil von Verknappungszwang?) für Freie
> Produktion.

Wie bewertest Du denn die Produktion von Freier Software in Verwertungszusammenhängen, in Firmen z.B.? Gut oder schlecht? Der Allgemeingutzwang gilt ja auch für die, aber das ist ja nicht alles.

>>Ein Beispiel aus dem realen Leben: Zunächst sollte der Verkauf
>>politischer Bücher die
>>politische Arbeit finanzieren, dann sollte der Verkauf politischer
>>Bücher den Verlag finanzieren und schließlich wurden die Krimis
>>entdeckt, die viel mehr Geld brachten als die politischen Bücher. Nun
>>muß jedes Buch selbst seine Kosten "erwirtschaften", denn auch die
>>(Selbst-) Angestellten wollten "bezahlt" sein, und die politischen
>>Bücher starben aus.
>
> Ja, das ist ein Beispiel. Was hier vorliegt ist quasi eine
> innerbetriebliche Quersubventionierung. Die kann grundsätzlich auch
> gut gehen - wie uns Dumping-Preise immer wieder beweisen.

Was heisst "gut gehen"? Normalerweise meint das "gut über den Ladentisch gehen".

>>Natürlich kostet politische Arbeit auch Geld, und Geld zu nehmen ist
>>nichts Verwerfliches. Doch der Rubikon wird überschritten, wenn die
>>eigene, individuelle Existenz von der Existenz der Gruppe abhängig
>>wird, was bedeutet, den Erhalt der Gruppe im eigenen partialen
>>Überlebensinteresse als Selbstzweck zu betreiben. Politische Gruppen
>>müssen ohne existenziellen Schaden ihrer Mitglieder untergehen können,
>>und Mitglieder müssen Gruppen verlassen können, ohne daß ihre Existenz
>>infrage steht. Das geht nur in autonomen Strukturen, die nicht nach
>>Verwertungsprinzipien funktionieren.
>
> Hier liegen einige Knackpunkte. Ich versuche es mal ein bißchen
> aufzudröseln.
>
> "Wenn die eigene, individuelle Existenz von der Existenz der Gruppe
> abhängig wird" kann verschieden ausgelegt werden. Da der Mensch
> bekanntlich nicht vom Brot alleine lebt, könnte es hier mehrere
> Dimensionen existenzieller Abhängigkeit geben. Die finanzielle
> Abhängigkeit, über die du da wohl sprichst,

Ja, aber das lässt sich nicht als DM-Betrag ausdrücken.

> ist da nicht die einzige, denn ich kann z.B. auch emotional von einem
> bestimmten Zusammenhang abhängig sein.

In dem Sinne, dass mein Wohlbefinden von dem Zusammenhang abhängt, ok. Wenn die Gruppe futsch ist, geht's mir mies - so etwa. Dass das existenzielle Dimensionen annehmen kann, ist aber eher ein extremer Grenzfall.

> Existentiell abhängig im engen Sinne - d.h. meine biologische
> Fortextistenz ist gefährdet - dürfte grundsätzlich bei einem
> Sozialstaat ein wenig schwierig sein.

In diesem ganz engen Sinn ja, obwohl auch hierzulande z.B. Leute erfrieren. Aber das meinte ich nicht. Was je ich für meinen Existenzerhalt an Mitteln brauche, ist unterschiedlich - deswegen: nicht in DM ausdrückbar. Daher ist der Sozialstaat auch nur die letzte Auffanglinie.

> Hier müssen wir also
> zweckmäßigerweise von Graden von Abhängigkeit sprechen.

Jetzt ist "existenziell" bei dir schon weg. Das hat Folgen...;-)

> Wir haben es also hier mit einem durch zwei Dimensionen aufgespannten
> Raum zu tun. Die eine Dimension gibt den Grad der Abhängigkeit an und
> die andere Dimension die Art der Abhängigkeit (finanziell, emotional,
> sozial, etc.).
>
> Wenn ich dein Postulat jetzt richtig deute, dann heißt das, daß du den
> Nullpunkt forderst: KeineR darf irgendwie von einem Projekt abhängig
> sein, denn sonst könnten deren Partialinteressen im Projekt dominant
> werden.

Das deutest du in dem Fall nicht richtig. Es ging mir um den existenziellen Erhalt. Das ist dann der Fall, wenn die Gruppe eine wichtige Rolle in meiner Reproduktion spielt - gerade auch dann, wenn alles andere in der Gruppe mies is t.

> Irgendwie stört mich an diesem Bild, daß mir dahinter der Wunsch der
> allgemein unabhängigen Person zu stehen scheint, des unbeschränkt
> autonomen Individuums. Das halte ich für eine Illusion, die uns die
> Aufklärung, zumindest aber der Kapitalismus in den Kopf gedrückt hat.

Darum geht es mir nicht. Das unbeschränkt autonome, freischwebende Individuum gibt es nicht. Ich stimme dir zu: das ist eine bürgerliche Illusion.

> Aber es ist jedenfalls klar, daß ein solches unbeschränkt autonomes
> Individuum nur noch Partialinteressen haben kann. Ein bißchen handelt
> mensch sich mit diesem Bild also das Problem erst ein, das mensch
> eigentlich lösen will: Den (potentiellen) Widerspruch zwischen
> Partialinteressen und Allgemeininteresse.

Verwechsle bitte Individualinteresse (das du hier vermutlich meinst) nicht mit Partialinteresse. Ein Individualinteresse kann im Allgemeininteresse aufgehoben sein oder auch nicht. Ein Partialinteresse kann niemals im Allgemeininteresse aufgehoben sein, schon per Def nicht: Ein Partialinteresse ist stets ein solches, dass ich (oder wir, es gibt auch gemeinsame Partialinteressen) auf Kosten anderer durchsetze(n). Allgemeininteressen sind solche, die nur allgemein für alle, also nicht auf Kosten von Einzelnen oder Gruppen durchgesetzt werden. Oder anders formuliert: Ein individuelles Interesse kann partialen oder allgemeinen Charakter haben.

> Ich denke mir, daß Menschen nie unbeschränkt autonom sein können.
> Schon ihre Gesellschaftlichkeit verbietet das.

Jep!

> Menschen sind immer
> abhängig und das sehe ich auch zunächst mal gar nicht als Problem.
> Abhängigkeit ist dann ein Problem, wenn sie von den Betroffenen - also
> abhängigen Personen oder ggf. Personen, von denen andere abhängig sind
> - - als Problem wahrgenommen werden. Ein Baby ist z.B. von Erwachsenen
> abhängig - ja, sogar existentiell im engeren Sinne. Das kann als
> Problem erlebt werden, muß aber nicht.

Ack. Die Abhängigkeit tritt immer erst dann als solche zu Tage, wenn die Stabilität verloren geht: Wenn Erwachsene Versorgung und Unterstützung entziehen oder meintwegen wenn Produkt x, das ich brauche, nicht mehr verfügbar ist. Vorher gibt es Abhängigkeit sozusagen nur theoretisch. Was wir also brauchen, sind Verhältnisse von Stabilität, Vertrauen und Nichtknappheit, so dass Abhängigkeit eine ferne Erscheinung einer alten Gesellschaft wird.

> Wenn Abhängigkeit also etwas dem Menschen eigenes ist, dann wäre für
> mich nicht die Abhängigkeit an sich das Problem, sondern die Folgen,
> die sich evt. ergeben. In diesem Zusammenhang: Daß die
> Partialinteressen einer Abhängigen in Widerspruch zu den
> Allgemeininteressen geraten könnten und *wegen* der Abhängigkeit die
> Abhängigen mit erheblicherer Energie gegen die Allgemeininteressen
> verstoßen, als wenn sie diese Partialinteressen nicht hätten.

Wenn ich hier Partial mit Individual tausche: ack.

> Hmm... So hinformuliert ergeben sich mindestens zwei Parameter, die zu
> betrachten wären.
>
> Partialinteressen, die im Widerspruch zu den Allgemeininteressen
> stehen, können auch ohne Abhängigkeitsverhältnisse entstehen. Da sind
> Abhängigkeiten also schon mal nicht die Voraussetzung für und von
> daher für die Betrachtung der Frage nicht so sonderlich von Belang.

Ack - weil du das Existenzielle rausgekürzt hast. Aber wir können es auch allgemeiner angucken.

> Nun ist zu vermuten, daß die Partialinteressen sich unter
> Abhängigkeitsverhältnissen mit größerer Vehemenz durchsetzen, als wenn
> keine Abhängigkeiten bestehen. Andererseits scheint es mir aber doch
> sehr von der betreffenden Person abzuhängen, mit wieviel Energie sie
> je ihre Partialinteressen durchsetzt. Abhängigkeiten an sich sind also
> wohl auch für den Energiegehalt einer Durchsetzung von
> Partialinteressen nicht sonderlich von Belang.

Das ist bei existenziellen Fragen nicht mehr so beliebig.

> Andererseits führen Abhängigkeiten aber m.E. auch zu erwünschten
> Phänomenen. Wenn ich von etwas abhängig bin, wenn ich mich von etwas
> abhängig mache, dann werde ich mich auch mehr als ganze Person in
> etwas einbringen. Diese Präsenz finde ich oft wohltuend. Verantwortung
> für das Allgemeine aufzubringen ist in einem solchen Verhältnis
> wesentlich naheliegender, als wenn mir alles am A... vorbei geht. So
> gesehen würde ich sogar eher die positiven Aspekte von
> Abhängigkeitsverhältnissen hervorheben.

Ich verstehe, worum es dir geht - um die Energie, die ich für eine Beziehung (zwei oder mehr Leute) positiv aufbringe. In meiner Sicht kommt solche positive Energie aber nicht aus Mangel, Instabilität, Knappheit und Befürchtungen, sondern genau aus dem Gegenteil. Also aus Konstellationen, in denen Abhängigkeit nicht oder nur als theoretische Möglichkeit existiert.

Wenn das Kind sich wirklich 100%ig auf den Erwachsenen verlassen kann, dass Versorgung und Unterstützung nicht eingeschränkt werden, dann existiert für das Kind keine Abhängigkeit. Du kannst zwar von aussen sagen, das Kind sei "objektiv" abhängig, aber das ist für das Kind irrelevant.

Oder, was ich auch schon als Beispiel angeführt habe: Wenn ich weiss, ich kann ohne Schaden aus einer Beziehung (Gruppe, was auch immer) rausgehen, dann habe ich eine super hohe Energie, mir genau diese Bedingung auch zu erhalten. Wenn ich nicht abhängig bin, ist das die allerbeste Motivation, mir die Nichtabhängigkeit zu erhalten.

Für mich ist also das Ziel, Abhängigkeiten auf eine theoretische Größe zu schrumpfen, sie also als sinnliche Tatsache zunehmend auszuschliessen.

> Also irgendwie sehe ich immer weniger, daß ausgerechnet die Vermeidung
> von Abhängigkeitsverhältnissen eine so wichtige Formel für das
> Gelingen emanzipatorischer Organisationen - auch politischer - sein
> soll. Abhängigkeitsverhältnisse können Prozesse vielleicht verstärken
> oder beschleunigen, vielleicht sogar nur potentiell vorhandene
> Prozesse realisieren. Aber da gibt es ja auch noch andere Faktoren,
> die das beeinflußen.

Abhängigkeit halte ich, wie dargestellt, wie einen Schlüsselfaktor (neben anderen, das ist klar). Besonders brisant, und davon handelt der Gegenbildertext, wird es bei existenziellen Abhängigkeiten, also solchen, von denen die mit der eigenen Reproduktion verknüpft sind.

> Die Lösung scheint mir immer mehr, Verhältnisse zu schaffen, in denen
> die Partialinteressen mit den Allgemeininteressen tendenziell
> übereinstimmen - wie in der Freien Software prototypisch exerziert.

...in denen individuelle und Allgemeininteressen tendenziell übereinstimmen - ja, da sind wir uns völlig einig!

> Soweit erstmal. Vielleicht habe ich mich jetzt zu sehr auf meinen
> Gedankengang eingerichtet?

Das war sehr gut, ich konnte deine Gedanken gut nachvollziehen. Ich hoffe, es geht dir mit meiner Darstellung auch so?

Ich habe den Eindruck, wir wollen so ziemlich das Gleiche, gucken aber auf die aktuelle Problematik in unterschiedlicher Weise. Und von diesem unterschiedlichen Blick hängt unter anderem die Bewertung der Freien Kooperation ab.

>>(67) 2. Individuelle Selbstentfaltung als Grundlage der Bewegung: Das
>>Dominant-werden von partiellen Individualinteressen auf Kosten anderer
>>und das Entstehen "informeller Eliten" können weder durch
>>bürokratische Verfahren ("Wahlen") noch moralische Appelle ("Du sollst
>>nicht instrumentalisieren") verhindert werden. Die einzige
>>funktionierende Grundlage ist die Selbstentfaltung der beteiligten
>>Individuen, die Durchsetzung ihrer allgemeinen Interessen.
>
> Ja genau, das Übereinstimmen von Partialinteressen und
> Allgemeininteresse.

...von Individualinteressen und Allgemeininteresse.

>>Das schließt ein, allen auch die Chance, den Raum, die Möglichkeit zur
>>Selbstentfaltung zu lassen, denn wer weiß schon von vornherein, wie
>>das geht! Das "Möglichkeiten ... lassen" ist jedoch nicht die
>>"Verantwortung" bestimmter Personen - etwa, der "Schlaueren". Gerade
>>eine solche "Verantwortungshaltung" Weniger festigt die
>>personalisierten Strukturen, die sie zu bekämpfen meint: Es
>>gibt niemanden, der das "Recht" hat, anderen "Möglichkeiten zu lassen"
>>- genauso wie niemand das Recht hat "Möglichkeiten zu nehmen". Das
>>eine schließt das andere logisch mit ein!
>
> Das ist ein bißchen kurz finde ich. Es geht nicht um das (moralische)
> Recht auf irgendwas, sondern um konkrete Möglichkeiten. Wenn ich
> tausend Sachen gut kann und die einfach tue weil ich es für richtig
> halte, dann enge ich damit den Raum für andere, die ähnliches
> vielleicht lernen könnten, automatisch ein. Die Förderung der
> Selbstentfaltung von anderen kann dann folgerichtig auch darin
> bestehen, sich selbst zurückzunehmen und damit anderen "Möglichkeiten
> zu lassen". Kinder bieten sich natürlich als Beispiel an, aber ich
> denke, daß das eingeschränkter auch für Erwachsene gilt - oder?

Da bin ich wirklich unsicher. Ich sehe es derzeit so: "Möglichkeiten lassen" im Sinne von "Chancen verteilen" ist Schrott, denn das impliziert, ich könne wissen, was für andere gut sei. Ein Zurücknehmen, um anderen Entfaltungsräume zu lassen, kann ich mir vorstellen als Resultat der Einsicht, dass ich mich selbst behindere, wenn ich das nicht tue.

Selbstentfaltung darf eben nicht verwechselt werden mit "blind tun und lassen, was ich gerade jetzt will". Selbstentfaltung schliesst die Abschaffung von blindem Tun ein, das unter unseren Bedingungen stets das blinde Wirken der Wertmaschinerie ist. Eine radikal verstandene Selbstentfaltung denkt räumlich und zeitlich über das Hier und Jetzt hinaus, weil sie anders gar nicht möglich ist. Neben der Entfaltung der Anderen als meine Entfaltungsvoraussetzung, ist das über das Hier und Jetzt Hinausdenken eine weitere Bedingung. So gesehen bedeutet Selbstentfaltung die komplette Aufhebung des isolierten, bürgerlichen Individuums.

Ich stelle mir das so vor, dass Selbstentfaltung in einer freien Gesellschaft in etwa den Status von Tausch- und Kaufhandlungen heute hat. Tauschen und Kaufen können wir quasi bewusstlos, es ist eine verselbstständigte "Kulturtechnik" (in einem nichtnormativen Sinne). Von hier aus betrachtet kommt uns "Selbstentfaltung" wie eine megamäßige Anstrengung vor: trete ich keinem auf die Füsse, frage mich, ob morgen auch noch schlau ist, was ich heute tue usw. In einer freien Gesellschaft werde ich aber aus eigenem Interesse das allgemeine Interesse (auch zeitlich) derart "unbewusst" permanent in meinem Handlungen drin haben, das es das Leichteste von der Welt ist. Diese Art von Verselbstständigung lasse ich mir gerne gefallen, sie wird den verselbstständigten Wert ersetzen. So in etwa. Doch da sind wir nicht, und deswegen kommt uns das so schwer vor.

>>Es ist die "Verantwortung" aller
>>und jedes Einzelnen, Strukturen zu schaffen, in denen das Lassen und
>>Nehmen von Möglichkeiten keine Frage mehr ist!
>
> Ja :-) .
>
>>Dort, so sich Menschen
>>unbeschränkt entfalten, ist für "Eliten" kein Platz mehr.
>
> Den Zusammenhang mit den Eliten verstehe ich nicht.

Der Bezug kommt aus einem früheren Teil im Gegenbilderbuch.

> Mein Taschenbuch-Brockhäuschen dazu:
>
>   *Elite*
>
>   1) Auswahl, ausgewählte Minderheit, Führungsschicht; *elitär*, einer
>      Elite angehörend; (abwertend) überheblich
>
>   2) aus ausgesuchten Soldaten aufgestellte Truppenteile
>
>   3) Soziologie: die Inhaber von Spitzenpositionen innerhalb einer
>      Gruppe, Organisation oder Institution, die je nach
>      Gesellschaftsordnung nach unterschiedlichen Auslesekriterien
>      aufsteigen und über ihre "Basisgruppe" hinaus Macht und Einfluß
>      ausüben und/oder eine Vorbildfunktion für andere soziale Gruppen
>      haben. Hauptformen sind die /Geburts-Elite/, die /Wert-Elite/
>      (persönliche allgemein anerkannte Qualitäten) und die
>      /Macht-Elite/ (besonders politisch, ökonomisch, militärische
>      Herrschaft) sowie die /Funktions-Elite/ (beruflich-fachliche
>      Fähigkeiten und Leistungen).
>
> Wir können uns sicher schnell darauf einigen, daß Macht- oder gar
> Geburts-Eliten in einer GPL-Gesellschaft nichts verloren haben.

Ja.

> Aber Wert- und Funktions-Eliten?

Was sind Wert-Eliten??

> Haben diese beiden Elitetypen nicht in der
> Freien Software auch eine strukturierende Funktion? Ich glaube nicht,
> daß du solche Elitetypen abschaffen kannst und denke nicht mal, daß
> das vernünftig ist, es zu wollen.

Ack. Bei Christoph meint "Gleicher sein wollen als Andere" IMHO genau das.

> (...)
>>Es gibt kein unbegründetes
>>Verhalten, seies auch noch so daneben.
>
> Ja, jedes Verhalten ist in irgendeiner Hinsicht nützlich für die
> handelnde Person - sonst täte sie es nicht. Und der Nutzen für die
> Person ist letztlich der Grund.
>
> Diesen Nutzen zu erkennen, sichtbar und damit bearbeitbar zu machen,
> das ist im Kontext individuellen Leidens das Gebiet der Psychologie.
> Im Kontext überindividuellen Leidens ist es das Gebiet der Politik -
> wobei die Trennung von Psychologie und (emanzipatorischer) Politik
> vielleicht historisch eine der fatalsten Fehlentwicklungen überhaupt
> war :-( .

Ack! Und irgendwie ist Oekonux auch ein Projekt, das wieder zusammen zu denken. Deswegen musste es an diesem Punkt auch knallen, weil das genau sehr schwer ist. Das ist IMHO der eigentliche Background für die so unterschiedliche Bewertung der Freien Kooperation, wo wir doch bis dahin soviel übereinstimmend gedacht haben. Wir sind am richtigen Punkt dran.

>>Es gibt immer nur das
>>Noch-nicht-Kennen der Gründe für das Handeln des anderen. Über das
>>Kennenlernen der Gründe können wir die individuellen Prämissen für das
>>Handeln verstehen, die auf die Bedingungen verweisen.
>
> Ja. Allerdings kann das Kennenlernen der Gründe / des Nutzens
> schwierig bis unmöglich sein.

Das stimmt, weil es einen intersubjektiven Prozess voraussetzt. Und der kann bekanntlich verweigert oder partialinteressengeleitet verzerrt werden. Doch zum intersubjektiven Prozess gibt es keine Alternative.

>>Um diese Bedingungen geht es, ihre Rolle als strukturelle
>>Handlungsvoraussetzung ist aufzudecken.
>
> Ja. Das bedeutet dann Selbsterfahrungsgruppe und Marx-Seminar für
> alle. Keine schlechte Idee ;-) .

Vielleicht besser Selbstentfaltungsseminar und Wertkritik;-)

>>Gerade die Offenheit und Kritikfähigkeit entlastet mich
>>von der Notwendigkeit, die anderen auch zu "mögen". Dort, wo Gruppen
>>nur noch über Sympathien funktionieren, wo sich verschiedene
>>sympathiegetragene Klüngel bilden, ist etwas faul.
>
> Ja. Die Mischung macht's :-) .

Wieder dieser umgekehrte Effekt: Da, wo ich die Leute für das Funktionieren der Gruppe nicht mögen muss, fällt es mir viel leichter, sie zu mögen: ich kann freier auf sie zugehn.

>>Spehr schlägt ein "collective leadership" vor: "Es
>>reicht nicht, daß alle ihre Interessen formulieren und in ihrer
>>Unterschiedlichkeit einbringen; irgend jemand muß den jeweils nächsten
>>Schritt formulieren, der daraus folgt, und in einer freien Kooperation
>>sollte diese Fähigkeit soweit wie möglich kollektiviert sein" (Spehr
>>1999, 302).
>
> Hmm... Das ist eine Variante: Alle fühlen sich mitverantwortlich. Ist
> eine Kulturtechnik, die leider nicht sehr verbreitet ist :-( . Aber
> fühlt sich unheimlich gut an :-) .

Hat eben auch was mit Selbstentfaltung zu tun. IMHO ist das, was dir mit der Verantwortung so wichtig ist, genuines Feature von Selbstentfaltung.

>>Kollektivierte Entscheidungsformen kann es viele geben,
>>wichtig ist, daß sie der Lage angemessen und leicht veränderbar sind:
>>Delegationen mit Mandat, Rotationen in Entscheidungspositionen,
>>zeitliche Befristungen für bestimmte Aufgaben etc.
>
> Sehr formal... Braucht's das immer? Ist das immer sinnvoll? Können
> solche Formalitäten nicht den Blick auf's Wesentliche verstellen, das
> in lebenden Organisationen eben jenseits der Formalitäten abläuft?

Ja, kommt mir auch formal vor. Sind halt Optionen.

>>Wichtiges Merkmal ist
>>hierbei, daß nicht immer "alle alles" entscheiden, das wäre viel zu
>>uneffektiv, sondern das es ein transparentes Verfahren für gemeinsame
>>Entscheidungen gibt.
>
> Transparenz scheint mir *mega*-wichtig. In so stark virtuellen
> Projekten wie unserem ist das ja relativ einfach - einfach alles ins
> Web hängen. Aber sobald es weniger virtuell wird, wird es schwieriger.

Das Web hat da wirklich einen Schub gebracht. Nur genutzt wird es in der Politszene noch immer viel zu wenig und viel zu inkonsequent. Bei Transparenz ist die Freie Software schon wesentlich weiter.

Ciao,
Stefan

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