RE: [ox] Spiegel Artikel: Copyleft und Open Source, Teil 2
- From: Robert Gehring <zoroaster snafu.de>
- Date: Thu, 24 Jan 2002 11:49:23 +0000
Am Mittwoch, 23. Januar 2002 schrieb Kermit Snelson:
Hi Robert und alle!
Als Oekonux-Newbie würde mich mal interessieren, was Euere Meinung zu
diesem Satz ist:
"Doch die wirtschaftliche Störkraft dieser Cyberkultur ist umstritten.
Stallman, der ewige Messias der Bewegung, erklärt, Free Software stehe für
Freiheit, nicht für Freibier und muss also nicht kostenlos sein. Damit
versucht er sich ungelenk von Hardlinern in den eigenen Reihen zu
distanzieren, die in der Copyleft-Idee ein Paralleluniversum zur
Installation eines digitalen Marxismus sehen wollen."
Jedenfalls hat der Autor eine Menge Buzzwords in wenigen Bytes untergebracht.
Daß er weiß, wovon er schreibt, scheint mir damit nicht unbedingt belegt zu
sein. [Boshaft gefragt: Vielleicht war er zu lange in irgendeinem
"Paralleluniversum"?]
Aber im ernst:
Eine kurze Suche mit Google zeigt etwa, daß sich Richard (nicht Robert, wie
er in dem Artikel genannt wird) Stallman zu etwaigen marxistischen Ideen
nicht prominent geäußert hat. Das wird allenfalls an ihn herangetragen und es
ist fraglich, was er davon hält. Anscheinend ignoriert er es weitestgehend.
Daraus läßt sich aber keine Story schmieden, also müssen "Hardliner" her. Wer
diese sein sollen, darüber läßt uns der Schreiber der zitierten Sätze im
Dunkeln. Betrachtet man etwa den prominentesten -selbsternannten- Open
Source-Hardliner (und Stallman-Kritiker), Eric S. Raymonds, so fällt dieser
mitnichten durch marxistische Interpretationsversuche auf, im Gegenteil. Er
setzt am ehesten Freiheit mit Freiheit des Marktes gleich (deswegen auch die
Namenswahl "Open Source" statt des `ideologischen' "Free Software") und wirft
es Stallman vor, daß dieser es nicht darauf reduziert sehen möchte. Die
Debatte um "code as speech", wie sie etwa im Zusammenhang mit den
DeCSS-Prozessen geführt wird, gibt Stallman aber m.E. Recht.
Daß Kosten nicht notwendig mit Freiheit kollidieren, eine Definition von
Freiheit über Kostenlosigkeit also wenig hilfreich wäre, läßt sich an vielen
Beispielen zeigen. So spielt die relative Höhe der Kosten eine
viel größere Rolle als die Kostenfreiheit, wie ökonomische Untersuchen
gezeigt haben.
Besonders wichtig erscheint mir aber der Umstand, daß Stallman von Anfang an
einen pragmatischen Ansatz zur Realisierung von Freiheit gewählt hat. Statt
den Leuten eine Ideologie "verkaufen" zu wollen, hat er Code entwickelt und
den Leuten die Wahl (auch eine Form der Freiheitsausübung) gelassen, damit
etwas anzufangen. Und das war für eine hinreichend große Anzahl von Leute aus
je individuellen Gründen attraktiv, wie sich gezeigt hat. Es ist ein
bottom-up-Ansatz und folgt *nicht* einem deduktiven top-down-Modell, das
einer umfangreichen Theorie (wie etwa der von Marx/Engels) bedürfte. Auch das
wird viel zu oft übersehen.
Daß Copyleft (besser: die GPL, die ja nur auf der Basis eines
funktionierenden Copyright-Systems überlebensfähig ist) primär mit Freiheit
zu tun habe, scheint vielen (Journalisten eingeschlossen) nicht unbedingt
einzuleuchten.
Die Ambiguität des Wortes "free" (=frei & =kostenlos/umsonst) in der
englischen Sprache hat dazu von jeher beigetragen, die Wahl war -im
Nachhinein gesehen- eher unglücklich. Aus diesem Grund sieht sich rms auch
immer wieder vor die Notwendigkeit gestellt, Aufklärungsarbeit zu leisten
(was er mit viel Geduld erträgt).
Zur Vereinfachung der Arbeit von Journalisten (u.a.) gibt es etwa auf der
Homepage der Free Software Foundation etliches Material zu dem Thema, das
sich mühelos online recherchieren läßt (etwa über:
http://www.fsf.org/home.de.html). Der Wille dazu muß natürlich vorhanden sein.
Um das Wortproblem zu überwinden wurde verschiedentlich der Terminus "libre
software" vorgeschlagen, was ich keine schlechte Wahl finde. Aber ob er sich
durchsetzt?
Zuletzt noch ein Hinweise für alle mitlesenden Journalisten, die sich
ernsthaft mit dem Thema beschäftigen wollen (und solche gibt es) -und nicht
nur für Journalisten-:
Es exisitiert mittlerweile eine kaum überschaubare Vielzahl von Publikation
aus dem wissenschaftlichen Bereich, die sich dem Problem der Freiheit im
Internet widmen. Ad hoc mit Google herausgesucht (nur als Beispiel): Richard
Barbrook: The Regulation of Liberty: free speech, free trade and free gifts
on the Net, online: http://www.cl.cam.ac.uk/CODE/texts/barbrook.html.
Kostenlos.
Gruß, Robert
--
Von/From: Dipl.-Inform. Robert Gehring
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