[ox] TELEPOLIS: Wie frei ist freie Software wirklich?
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- Date: Tue, 5 Mar 2002 09:59:14 +0100
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Wie frei ist freie Software wirklich?
Oliver Frommel 05.03.2002
Copyright vs Copyleft
Wer kennt nicht das kleine C im Kreis? Das Copyright-Symbol gehört
schon zum allgemeinen Kulturgut. Aber was steckt hinter diesem Zeichen?
Und wie verhält es sich mit dem Copyright in Bezug auf Software? In
diesem Beitrag, der sich vor allem an Nichtexperten richtet, erklärt
Oliver Frommel einige der Grundbegriffe der Urheberrechtsthematik.
In Deutschland heißt das Copyright eigentlich Urheberrecht, auch wenn
das außer Juristen kaum jemand sagt. Der Begriff "Urheberrecht"
bezeichnet zwei Dinge: einmal die Sammlung von Gesetzen, die Rechte
rund um geistige Schöpfungen regeln, zum anderen ist es das Recht
selbst, das dem Schöpfer oder der Schöpferin zusteht, über das Werk
nach eigenen Vorstellungen zu verfügen. In den Gesetzen geht es um
sogenanntes "geistiges Eigentum" im Unterschied zu konkreten
Gegenständen. Wenn jemand seine Idee auf ein Blatt Papier schreibt, ist
das Papier zwar ein konkreter Gegenstand, aber nicht die Idee.
Über das Blatt Papier kann die Eigentümerin oder der Eigentümer frei
verfügen, er/sie kann es einsperren, verbrennen usw. Die Kontrolle über
die Idee an sich geht allerdings verloren, wenn sie erst einmal
veröffentlicht wurde. Dafür wurde das Urheberrecht geschaffen. Es ist
"eigentumsähnliches Recht" für geistige Schöpfungen, das die belohnen
soll, die etwas Wertvolles geschaffen haben. Dadurch sollen in Zukunft
weitere Schöpfungen angeregt werden, die letztlich der Allgemeinheit
zugute kommen.
Die andere Motivation für das Urheberrecht ist wirtschaftlicher Natur.
Während früher der Persönlichkeitsschutz der künstlerisch-geistig
Schaffenden im Vordergrund stand, dient das Urheberrecht heute mehr der
Wahrung von Kapitalinteressen. Das Urheberrecht ist ein [1]Fundament
ganzer Wirtschaftszweige wie Verlage, Plattenfirmen, Radio und
Fernsehen geworden. Das Urheberrecht hat sich vom Kulturrecht zum
Wirtschaftsrecht gewandelt.
Was jetzt, nach einem Jahrhundert, übrig bleibt, sind von der
Industrie vorgegebene Gesetze, die festlegen wie man mit Urheberrecht
Geld macht.
Mike Godwin in einer Rezension des Buches Copywrong1
Mit der weiten Verbreitung von Computern entstand der Bedarf, auch in
diesem Bereich das Urheberrecht gesetzlich zu regeln - vor allem, als
Computersoftware mit der Einführung des "Personal Computers" anfing, zu
einem Massenmarkt zu werden.
Kopierbar ohne Ende
Ohne, dass nun eindeutig geklärt ist, was Software eigentlich ist,
wird sie analog zu Literatur zum Gegenstand des Urheberrechts gemacht,
weil sie sich der "Sprache als Ausdrucksmittel" bedient. Software wird
in einer von Menschen lesbaren Programmiersprache geschrieben und dann
mit einem "Compiler" (im Informatikerdeutsch: Übersetzer) in eine lange
Folgen von Zahlen (Binärform) übersetzt, die wiederum für den Computer
eine Art Sprache darstellt, die festlegt, was er genau machen soll. Den
menschenlesbaren Teil davon bezeichnet man als Source-Code (Quellcode),
weil er dem letztlich vom Computer abgearbeiten Programm zugrunde
liegt.
Software ist im Gegensatz zu anderen geistigen Werken leicht
kopierbar, weil sie immer digital vorliegt. Das bedeutet, dass jede
Kopie nicht mehr vom Original unterscheidbar und genauso nutzbar ist.
Bei analogen Medien, wie Schallplatten oder Büchern, ist das Kopieren
immer mit einem Verlust an Qualität verbunden. Die Digitalisierung auch
dieser Bereiche durch CDs, ebooks usw. führt dazu, dass das
(unerlaubte) Kopieren auch hier immer einfacher wird. Als
Kopierwerkzeug dient einfach das Allround-Werkzeug, der PC. Deshalb
geht auch bei "Multimedia" der Trend in Richtung eines die Nutzung
stark einschränkenden Urheberrechts (siehe z.B. [2]"Napster und die
Folgen")
Nutzungsrechte statt Besitz
Software ist also als geistiges Gut geschützt, unabhängig davon, ob
sie als Source-Code, in Papierform, auf einer Diskette usw. existiert.
Damit wird Software eigentlich auch nicht verkauft, sondern "zur
Nutzung überlassen". Wie diese Nutzung aussieht, ist von Programm zu
Programm verschieden und in den jeweiligen Nutzungsbedingungen, den
Lizenzen, festgelegt. Gekaufter Software liegt normalerweise immer eine
solche Lizenz bei, ob in gedruckter oder elektronischer Form. Häufig
wird sie beim Installieren von Programmen in einem Fenster angezeigt,
bis man mit einem Mausklick bestätigt, sie anzuerkennen. Oft legen die
Lizenzen auch inhaltliche Bedingungen für die Nutzung fest, wie die
Beschränkung auf private Nutzung und auf nur einen Computer.
Das Kopieren und die Weitergabe von solcher "kommerzieller" Software
ist selbstverständlich verboten. Hier sind die Vorschriften
mittlerweile strenger als beispielsweise bei Audio-CDs. Hier ist immer
noch eine sogenannte private Kopie erlaubt, genauso wie das Kopieren
von Büchern in einem gewissen Umfang. Ein gewisser Anteil der Einnahmen
für Papierkopien in Copyshops (ca. 0.01 Euro pro Kopie) und den Verkauf
von Leercassetten fließt an die Industrie zurück, um den möglicherweise
dabei erlittenen finanziellen Nachteil wieder auszugleichen. Bei
Software gibt es so etwas nicht, weil sich die zum Teil erheblich
voneinander abweichenden Preise und damit mutmaßlichen Verluste nicht
über eine solche Pauschalabgabe abdecken ließen. Dass diese Verluste
schwer zu beziffern sind, zeigt die Abweichung von Schätzungen über den
Verlust durch Raubkopien, die sich zwischen Softwareherstellern und
unabhängigen Experten um einiges unterscheiden.
Shareware und Public Domain
Dem gegenüber steht eine für Computerverhältnisse lange Tradition der
freien Software. In den Anfangszeiten des PC, als es noch
"Homecomputer" wie den C-64 gab, waren "Shareware" und "Public Domain"
die gängigen Schlagworte, wenn es um Lizenzfragen ging. Shareware ist
auch heute noch Software, die zunächst einmal für eine Testzeit benutzt
werden darf, ohne dafür zu bezahlen. Erst wenn man sich dazu
entschließt, das Programm dauernd zu benutzen, muss man einen kleinen
Betrag an den Autor oder die Autorin schicken. Teilweise sind
Shareware-Programme in ihrer Funktionalität beschränkt (z.B. kein
Abspeichern von Dateien möglich) oder so programmiert, dass sie nach
der festgeschriebenen Testdauer nicht mehr funktionieren.
Hinter "Public Domain" steckt dagegen der Gedanke, die Software ganz
der Gemeinschaft zu übergeben, das heißt als AutorIn alle Urheberrechte
daran aufzugeben. Dieses aus den USA stammende Modell ist nicht ohne
weiteres auf deutsche Verhältnisse übertragbar, da die Aufgabe aller
Urheberrechte nach deutschen Gesetzen gar nicht möglich ist, was aber
praktisch kaum beachtet wird ( [3]Freie Software ? Rechtlich sicher?).
Freibier oder Redefreiheit?
Große Verwirrung herrscht bei der Verwendung des Wortes "frei" im
Zusammenhang mit Software und so gibt es auch eine entsprechende
Vielfalt an [4]Formen freier Software. Grundkonsens scheint zunächst zu
sein, dass "frei" nicht in erster Linie bedeutet "umsonst", sondern
sich auf Freiheit bezieht. Dazu gibt es ein geflügeltes Wort des
Aktivisten Richard Stallman, es gehe um frei im Sinne von "free speech,
not free beer".
Trotzdem wird oft [5]behauptet, ein Merkmal freier Software sei, dass
sie eben kostenfrei genutzt werden darf, auch wenn möglicherweise Geld
für den Datenträger gezahlt werden muss. Für Stallman selbst kann freie
Software durchaus auch im direkten Sinn [6]verkauft werden. Wichtig ist
nur die Freiheit der Software selbst. Sie muss in jedem Fall für
weitere Nutzung offen bleiben, genauso wie ihr Source-Code zugänglich
bleiben muss. Das ist alles in der wohl bekanntesten aller freien
Softwarelizenzen, der [7]GNU Public License festgelegt.
Diese Lizenz wurde von der Free Software Foundation (FSF) unter der
Führung von Richard Stallman in den achtziger Jahren geschaffen. Im
Kern steht die Idee des "Copyleft", das bewusst die Copyright-Idee
umkehrt, und die Benutzungs- und Kopierrecht der Gemeinschaft überlässt
und nicht den AutorInnen, allerdings mit einer Auflage versieht:
sogenannte abgeleitete Werke (derivative works) müssen genauso frei
verfügbar und zugänglich sein, wie das originale Werk. Wird also ein
freies Computerprogramm umgeschrieben, muss, auch wenn dadurch etwas
völlig Neues entsteht, das Endprodukt wieder frei sein.
Kommerziell genutzt könnte diese Software im Prinzip werden, aber sie
müsste gleichzeitg frei und offen (das bedeutet insbesondere auch,
wieder als Source-Code) zugänglich sein. Das ist das Prinzip des
"Copyleft" und der wesentliche Unterschied zwischen freier Software im
engeren Sinn und freier Software, die mit [8]"Open Source"-Lizenzen
versehen ist oder Public Domain Software.
Offener Sourcecode
"Open Source" ist tatsächlich, wie viele ihrer Vertreter auch immer
wieder betont haben, eine Art "business-kompatibles Modell freier
Software". Sie ist frei in dem Sinn, dass sie jeder und jedem frei
verfügbar gemacht wird, zu jedem Zweck, wie auch ihr Source-Code. Was
ihre Anhänger ablehnen ist der Zwang zur Freiheit, den nach ihrer
Ansicht das Copyleft der GNU Public License darstellt. Mit "Open
Source" begann dann auch der Siegeszug freier Software in allen
ereichen, bis in die kommerzielle Welt selbst. Als der Begriff [9]"Open
Source" erfunden wurde, gab es schon jahrelang freie Software. Aber
erst mit diesem Schlagwort begann die Idee populär zu werden. Konzerne
wie Hewlett Packard oder IBM leisten sich heute ganze Abteilungen
hochbezahlter Programmierer, die nur an freier Software arbeiten. Auch
Linux hat seine Popularität vor allem dem Open-Source-Mythos zu
verdanken - obwohl es selbst und die Programme, mit denen es entwickelt
wurde, unter der GNU Public License stehen und älter sind, als die
Open-Source-Idee.
Viele Autoren freier Software lehnen die Sicht Stallmans und anderer
Anhänger des Copyleft-Gedankens ab, weil er ihnen zu dogmatisch
erscheint. (siehe : [10]Diskussion zu Lizenzen und dem Verhältnis von
freien Entwicklern und Open Source-Firmen)
Auch Konzerne wie Microsoft sprechen sich klarerweise entschieden
gegen ein solches Lizenzmodell aus. In einer gezielten Kampagne wurde
der GNU Public License unterstellt, ein "Krebsgeschwür" oder einen
"Virus" darzustellen, um die Verwendung von GPL-Software in
US-staatlichen Behörden zu verhindern. Auch im Bundestag wird zur Zeit
beraten, ob es wünschenswert ist, im öffentlichen Bereich verstärkt
freie Software einzusetzen.
Viele der direkten rechtlichen Auswirkungen einzelner Lizenzmodelle
betreffen zunächst nur die Softwareentwickler selbst, ob privat oder
geschäftlich. So ist auch der Streit um den angeblich "virenhaften"
Charakter der GPL noch nicht einmal ein Problem für Entwickler, die mit
ihrer Software Geld verdienen möchten. Schwierigkeiten damit haben nur
Konzerne, die prinzipiell ein Problem mit Offenheit und Freiheit haben.
Ihr Mittel dagegen ist die Einführung von Patenten auf Software, wie
sie eben in Europa im Gang ist. Werden [11]Patente auf Software
vergeben, wird genau der gegenteilige Effekt erzielt, den
Copyleft-Software verfolgt: sie behindern eher die Förderung von Ideen
und Weiterentwicklung des technologischen Fortschritts zum
gemeinschaftlichen Wohl und sichern die kommerziellen Interessen
einzelner Konzerne (siehe z.B. die Website des US-Rechtsexperten
[12]James Boyle).
Auch wenn man als Anwender damit nicht direkt konfrontiert ist, weil
man normalerweise aus seiner Software kein "abgeleitetes Werk"
herstellt, kann man die Grundidee des Copyleft unterstützen, indem man
wirklich freie Software verwendet. Dahinter steckt ein Ideal, das
tatsächlich auf das Gesamtinteresse der Gesellschaft abzielt. Freie
Software ist kein Kommunismus und wahrscheinlich auch kein Modell, das
sich auf die gesamte Gesellschaft anwenden ließe. Hinter freier
Software steckt aber eine Vorstellung von Freiheit, die die
Weiterentwicklung von Ideen fördern und in der Verantwortung der
Gemeinschaft belassen soll und nicht in der Hand einiger weniger
Konzerne. Das zu fördern steht eher in der Macht der Anwender, als in
der der Programmierer.
Für eine detaillierte Auseinandersetzung mit Open-Source-Themen
siehe die Artikelserie [13]Die Reformation zum Anfassen: GNU/Linux und
Open Source von Erik Möller.
Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit dem Online-Magazin
[14]Fluter.
Literaturangaben
1) COPYWRONG, Why the Digital Millennium Copyright Act hurts the
public interest, Digital Copyright: Protecting Intellectual Property on
the Internet, by Jessica Litman, Buffalo: Prometheus Books, 225 pages,
Review by [15]Mike Godwin
Links
[1] http://www.jungle-world.com/_2001/38/27b.htm
[2] http://www.hgb-leipzig.de/~vgrass/semi-napster/ref.html
[3] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/7947/1.html
[4] http://www.gnu.org/philosophy/categories.html
[5] http://userpage.fu-berlin.de/~nussini/oekonux.htm
[6] http://www.gnu.org/philosophy/categories.html#FreeSoftware
[7] http://www.gnu.org/copyleft/gpl.html
[8] http://www.opensource.org
[9]
http://www.tuxedo.org/~esr/writings/cathedral-bazaar/cathedral-bazaar/
[10] http://mikro.org/Events/OS/ref-texte/disk_lizenzen.html
[11] http://swpat.ffii.org/vreji/pikta/index.de.html
[12] http://www.law.duke.edu/boylesite/intprop.htm
[13] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/9786/1.html
[14] http://www.fluter.de
[15] http://www.britannica.com/magazine/print?content_id=295092
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