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[ox] TELEPOLIS: Wie frei ist freie Software wirklich?



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 Wie frei ist freie Software wirklich?
 
 Oliver Frommel   05.03.2002 
 
 Copyright vs Copyleft 
 
  Wer kennt nicht das kleine C im Kreis? Das Copyright-Symbol gehört 
schon zum allgemeinen Kulturgut. Aber was steckt hinter diesem Zeichen? 
Und wie verhält es sich mit dem Copyright in Bezug auf Software? In 
diesem Beitrag, der sich vor allem an Nichtexperten richtet, erklärt 
Oliver Frommel einige der Grundbegriffe der Urheberrechtsthematik.  
 
 In Deutschland heißt das Copyright eigentlich Urheberrecht, auch wenn 
das außer Juristen kaum jemand sagt. Der Begriff "Urheberrecht" 
bezeichnet zwei Dinge: einmal die Sammlung von Gesetzen, die Rechte 
rund um geistige Schöpfungen regeln, zum anderen ist es das Recht 
selbst, das dem Schöpfer oder der Schöpferin zusteht, über das Werk 
nach eigenen Vorstellungen zu verfügen. In den Gesetzen geht es um 
sogenanntes "geistiges Eigentum" im Unterschied zu konkreten 
Gegenständen. Wenn jemand seine Idee auf ein Blatt Papier schreibt, ist 
das Papier zwar ein konkreter Gegenstand, aber nicht die Idee. 
 
 Über das Blatt Papier kann die Eigentümerin oder der Eigentümer frei 
verfügen, er/sie kann es einsperren, verbrennen usw. Die Kontrolle über 
die Idee an sich geht allerdings verloren, wenn sie erst einmal 
veröffentlicht wurde. Dafür wurde das Urheberrecht geschaffen. Es ist 
"eigentumsähnliches Recht" für geistige Schöpfungen, das die belohnen 
soll, die etwas Wertvolles geschaffen haben. Dadurch sollen in Zukunft 
weitere Schöpfungen angeregt werden, die letztlich der Allgemeinheit 
zugute kommen. 
 
 Die andere Motivation für das Urheberrecht ist wirtschaftlicher Natur. 
Während früher der Persönlichkeitsschutz der künstlerisch-geistig 
Schaffenden im Vordergrund stand, dient das Urheberrecht heute mehr der 
Wahrung von Kapitalinteressen. Das Urheberrecht ist ein [1]Fundament 
ganzer Wirtschaftszweige wie Verlage, Plattenfirmen, Radio und 
Fernsehen geworden. Das Urheberrecht hat sich vom Kulturrecht zum 
Wirtschaftsrecht gewandelt. 
 
      Was jetzt, nach einem Jahrhundert, übrig bleibt, sind von der 
Industrie vorgegebene Gesetze, die festlegen wie man mit Urheberrecht 
Geld macht.   
 Mike Godwin in einer Rezension des Buches Copywrong1    
 
 Mit der weiten Verbreitung von Computern entstand der Bedarf, auch in 
diesem Bereich das Urheberrecht gesetzlich zu regeln - vor allem, als 
Computersoftware mit der Einführung des "Personal Computers" anfing, zu 
einem Massenmarkt zu werden. 
 
 Kopierbar ohne Ende 
 
 Ohne, dass nun eindeutig geklärt ist, was Software eigentlich ist, 
wird sie analog zu Literatur zum Gegenstand des Urheberrechts gemacht, 
weil sie sich der "Sprache als Ausdrucksmittel" bedient. Software wird 
in einer von Menschen lesbaren Programmiersprache geschrieben und dann 
mit einem "Compiler" (im Informatikerdeutsch: Übersetzer) in eine lange 
Folgen von Zahlen (Binärform) übersetzt, die wiederum für den Computer 
eine Art Sprache darstellt, die festlegt, was er genau machen soll. Den 
menschenlesbaren Teil davon bezeichnet man als Source-Code (Quellcode), 
weil er dem letztlich vom Computer abgearbeiten Programm zugrunde 
liegt. 
 
 Software ist im Gegensatz zu anderen geistigen Werken leicht 
kopierbar, weil sie immer digital vorliegt. Das bedeutet, dass jede 
Kopie nicht mehr vom Original unterscheidbar und genauso nutzbar ist. 
Bei analogen Medien, wie Schallplatten oder Büchern, ist das Kopieren 
immer mit einem Verlust an Qualität verbunden. Die Digitalisierung auch 
dieser Bereiche durch CDs, ebooks usw. führt dazu, dass das 
(unerlaubte) Kopieren auch hier immer einfacher wird. Als 
Kopierwerkzeug dient einfach das Allround-Werkzeug, der PC. Deshalb 
geht auch bei "Multimedia" der Trend in Richtung eines die Nutzung 
stark einschränkenden Urheberrechts (siehe z.B. [2]"Napster und die 
Folgen") 
 
 Nutzungsrechte statt Besitz 
 
 Software ist also als geistiges Gut geschützt, unabhängig davon, ob 
sie als Source-Code, in Papierform, auf einer Diskette usw. existiert. 
Damit wird Software eigentlich auch nicht verkauft, sondern "zur 
Nutzung überlassen". Wie diese Nutzung aussieht, ist von Programm zu 
Programm verschieden und in den jeweiligen Nutzungsbedingungen, den 
Lizenzen, festgelegt. Gekaufter Software liegt normalerweise immer eine 
solche Lizenz bei, ob in gedruckter oder elektronischer Form. Häufig 
wird sie beim Installieren von Programmen in einem Fenster angezeigt, 
bis man mit einem Mausklick bestätigt, sie anzuerkennen. Oft legen die 
Lizenzen auch inhaltliche Bedingungen für die Nutzung fest, wie die 
Beschränkung auf private Nutzung und auf nur einen Computer. 
 
 Das Kopieren und die Weitergabe von solcher "kommerzieller" Software 
ist selbstverständlich verboten. Hier sind die Vorschriften 
mittlerweile strenger als beispielsweise bei Audio-CDs. Hier ist immer 
noch eine sogenannte private Kopie erlaubt, genauso wie das Kopieren 
von Büchern in einem gewissen Umfang. Ein gewisser Anteil der Einnahmen 
für Papierkopien in Copyshops (ca. 0.01 Euro pro Kopie) und den Verkauf 
von Leercassetten fließt an die Industrie zurück, um den möglicherweise 
dabei erlittenen finanziellen Nachteil wieder auszugleichen. Bei 
Software gibt es so etwas nicht, weil sich die zum Teil erheblich 
voneinander abweichenden Preise und damit mutmaßlichen Verluste nicht 
über eine solche Pauschalabgabe abdecken ließen. Dass diese Verluste 
schwer zu beziffern sind, zeigt die Abweichung von Schätzungen über den 
Verlust durch Raubkopien, die sich zwischen Softwareherstellern und 
unabhängigen Experten um einiges unterscheiden. 
 
 Shareware und Public Domain 
 
 Dem gegenüber steht eine für Computerverhältnisse lange Tradition der 
freien Software. In den Anfangszeiten des PC, als es noch 
"Homecomputer" wie den C-64 gab, waren "Shareware" und "Public Domain" 
die gängigen Schlagworte, wenn es um Lizenzfragen ging. Shareware ist 
auch heute noch Software, die zunächst einmal für eine Testzeit benutzt 
werden darf, ohne dafür zu bezahlen. Erst wenn man sich dazu 
entschließt, das Programm dauernd zu benutzen, muss man einen kleinen 
Betrag an den Autor oder die Autorin schicken. Teilweise sind 
Shareware-Programme in ihrer Funktionalität beschränkt (z.B. kein 
Abspeichern von Dateien möglich) oder so programmiert, dass sie nach 
der festgeschriebenen Testdauer nicht mehr funktionieren. 
 
 Hinter "Public Domain" steckt dagegen der Gedanke, die Software ganz 
der Gemeinschaft zu übergeben, das heißt als AutorIn alle Urheberrechte 
daran aufzugeben. Dieses aus den USA stammende Modell ist nicht ohne 
weiteres auf deutsche Verhältnisse übertragbar, da die Aufgabe aller 
Urheberrechte nach deutschen Gesetzen gar nicht möglich ist, was aber 
praktisch kaum beachtet wird ( [3]Freie Software ? Rechtlich sicher?). 
 
 Freibier oder Redefreiheit? 
 
 Große Verwirrung herrscht bei der Verwendung des Wortes "frei" im 
Zusammenhang mit Software und so gibt es auch eine entsprechende 
Vielfalt an [4]Formen freier Software. Grundkonsens scheint zunächst zu 
sein, dass "frei" nicht in erster Linie bedeutet "umsonst", sondern 
sich auf Freiheit bezieht. Dazu gibt es ein geflügeltes Wort des 
Aktivisten Richard Stallman, es gehe um frei im Sinne von "free speech, 
not free beer". 
 
 Trotzdem wird oft [5]behauptet, ein Merkmal freier Software sei, dass 
sie eben kostenfrei genutzt werden darf, auch wenn möglicherweise Geld 
für den Datenträger gezahlt werden muss. Für Stallman selbst kann freie 
Software durchaus auch im direkten Sinn [6]verkauft werden. Wichtig ist 
nur die Freiheit der Software selbst. Sie muss in jedem Fall für 
weitere Nutzung offen bleiben, genauso wie ihr Source-Code zugänglich 
bleiben muss. Das ist alles in der wohl bekanntesten aller freien 
Softwarelizenzen, der [7]GNU Public License festgelegt. 
 
 Diese Lizenz wurde von der Free Software Foundation (FSF) unter der 
Führung von Richard Stallman in den achtziger Jahren geschaffen. Im 
Kern steht die Idee des "Copyleft", das bewusst die Copyright-Idee 
umkehrt, und die Benutzungs- und Kopierrecht der Gemeinschaft überlässt 
und nicht den AutorInnen, allerdings mit einer Auflage versieht: 
sogenannte abgeleitete Werke (derivative works) müssen genauso frei 
verfügbar und zugänglich sein, wie das originale Werk. Wird also ein 
freies Computerprogramm umgeschrieben, muss, auch wenn dadurch etwas 
völlig Neues entsteht, das Endprodukt wieder frei sein. 
 
 Kommerziell genutzt könnte diese Software im Prinzip werden, aber sie 
müsste gleichzeitg frei und offen (das bedeutet insbesondere auch, 
wieder als Source-Code) zugänglich sein. Das ist das Prinzip des 
"Copyleft" und der wesentliche Unterschied zwischen freier Software im 
engeren Sinn und freier Software, die mit [8]"Open Source"-Lizenzen 
versehen ist oder Public Domain Software. 
 
 Offener Sourcecode 
 
 "Open Source" ist tatsächlich, wie viele ihrer Vertreter auch immer 
wieder betont haben, eine Art "business-kompatibles Modell freier 
Software". Sie ist frei in dem Sinn, dass sie jeder und jedem frei 
verfügbar gemacht wird, zu jedem Zweck, wie auch ihr Source-Code. Was 
ihre Anhänger ablehnen ist der Zwang zur Freiheit, den nach ihrer 
Ansicht das Copyleft der GNU Public License darstellt. Mit "Open 
Source" begann dann auch der Siegeszug freier Software in allen 
ereichen, bis in die kommerzielle Welt selbst. Als der Begriff [9]"Open 
Source" erfunden wurde, gab es schon jahrelang freie Software. Aber 
erst mit diesem Schlagwort begann die Idee populär zu werden. Konzerne 
wie Hewlett Packard oder IBM leisten sich heute ganze Abteilungen 
hochbezahlter Programmierer, die nur an freier Software arbeiten. Auch 
Linux hat seine Popularität vor allem dem Open-Source-Mythos zu 
verdanken - obwohl es selbst und die Programme, mit denen es entwickelt 
wurde, unter der GNU Public License stehen und älter sind, als die 
Open-Source-Idee. 
 
 Viele Autoren freier Software lehnen die Sicht Stallmans und anderer 
Anhänger des Copyleft-Gedankens ab, weil er ihnen zu dogmatisch 
erscheint. (siehe : [10]Diskussion zu Lizenzen und dem Verhältnis von 
freien Entwicklern und Open Source-Firmen) 
 
 Auch Konzerne wie Microsoft sprechen sich klarerweise entschieden 
gegen ein solches Lizenzmodell aus. In einer gezielten Kampagne wurde 
der GNU Public License unterstellt, ein "Krebsgeschwür" oder einen 
"Virus" darzustellen, um die Verwendung von GPL-Software in 
US-staatlichen Behörden zu verhindern. Auch im Bundestag wird zur Zeit 
beraten, ob es wünschenswert ist, im öffentlichen Bereich verstärkt 
freie Software einzusetzen. 
 
 Viele der direkten rechtlichen Auswirkungen einzelner Lizenzmodelle 
betreffen zunächst nur die Softwareentwickler selbst, ob privat oder 
geschäftlich. So ist auch der Streit um den angeblich "virenhaften" 
Charakter der GPL noch nicht einmal ein Problem für Entwickler, die mit 
ihrer Software Geld verdienen möchten. Schwierigkeiten damit haben nur 
Konzerne, die prinzipiell ein Problem mit Offenheit und Freiheit haben. 
Ihr Mittel dagegen ist die Einführung von Patenten auf Software, wie 
sie eben in Europa im Gang ist. Werden [11]Patente auf Software 
vergeben, wird genau der gegenteilige Effekt erzielt, den 
Copyleft-Software verfolgt: sie behindern eher die Förderung von Ideen 
und Weiterentwicklung des technologischen Fortschritts zum 
gemeinschaftlichen Wohl und sichern die kommerziellen Interessen 
einzelner Konzerne (siehe z.B. die Website des US-Rechtsexperten 
[12]James Boyle). 
 
 Auch wenn man als Anwender damit nicht direkt konfrontiert ist, weil 
man normalerweise aus seiner Software kein "abgeleitetes Werk" 
herstellt, kann man die Grundidee des Copyleft unterstützen, indem man 
wirklich freie Software verwendet. Dahinter steckt ein Ideal, das 
tatsächlich auf das Gesamtinteresse der Gesellschaft abzielt. Freie 
Software ist kein Kommunismus und wahrscheinlich auch kein Modell, das 
sich auf die gesamte Gesellschaft anwenden ließe. Hinter freier 
Software steckt aber eine Vorstellung von Freiheit, die die 
Weiterentwicklung von Ideen fördern und in der Verantwortung der 
Gemeinschaft belassen soll und nicht in der Hand einiger weniger 
Konzerne. Das zu fördern steht eher in der Macht der Anwender, als in 
der der Programmierer. 
 
    Für eine detaillierte Auseinandersetzung mit Open-Source-Themen 
siehe die Artikelserie [13]Die Reformation zum Anfassen: GNU/Linux und 
Open Source von Erik Möller. 
 
 Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit dem Online-Magazin 
[14]Fluter.       
 
  Literaturangaben
 
 1) COPYWRONG, Why the Digital Millennium Copyright Act hurts the 
public interest, Digital Copyright: Protecting Intellectual Property on 
the Internet, by Jessica Litman, Buffalo: Prometheus Books, 225 pages, 
Review by [15]Mike Godwin 
 
 Links 
 
 [1] http://www.jungle-world.com/_2001/38/27b.htm
 [2] http://www.hgb-leipzig.de/~vgrass/semi-napster/ref.html
 [3] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/7947/1.html
 [4] http://www.gnu.org/philosophy/categories.html
 [5] http://userpage.fu-berlin.de/~nussini/oekonux.htm
 [6] http://www.gnu.org/philosophy/categories.html#FreeSoftware
 [7] http://www.gnu.org/copyleft/gpl.html
 [8] http://www.opensource.org
 [9] 
http://www.tuxedo.org/~esr/writings/cathedral-bazaar/cathedral-bazaar/
 [10] http://mikro.org/Events/OS/ref-texte/disk_lizenzen.html
 [11] http://swpat.ffii.org/vreji/pikta/index.de.html
 [12] http://www.law.duke.edu/boylesite/intprop.htm
 [13] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/9786/1.html
 [14] http://www.fluter.de
 [15] http://www.britannica.com/magazine/print?content_id=295092
 
 Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/special/copy/11995/1.html 
 
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