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[ox] Warum genau Oekonux ueber die Antithese zum Arbeiterbewegungsmarxismus hinausgeht



Liebe Liste,

so nun also zu Bennis Nachfrage, die ich ins Subject geschrieben habe.
Na, eine endgültige Antwort werde ich hier sicher nicht geben können -
so gesehen ist jetzt schon klar: Thema verfehlt -, aber ein paar aus
meiner Sicht relevante Hinweise kann ich doch mal aufschreiben.

Ausgangspunkt war meine andernthreads hingeworfene Behauptung, daß wir
mit unseren Diskussionen an einigen Stellen über die Kurz'sche /
Krisis'sche Antithese zum Arbeiterbewegungsmarxismus hinaus sind.
Damit will ich keinesfalls schlechtmachen, was die Krisis geleistet
hat. Im Gegenteil will ich (mal wieder) betonen, für wie bahnbrechend
ich die Leistung der Krisis halte - halt auf dem Sektor den sie
beackern. Ohne die Krisis hätte es Oekonux wahrscheinlich nie,
definitiv aber nicht so gegeben, wie es heute ist.

Es ist also nur billig, wenn ich die Krisis und ihr Denken als eine
Grundlage von Oekonux bezeichne. Dennoch denke ich, daß wir an einigen
Stellen über die Krisis hinaus sind. Diese Stellen halte ich im
Hinblick auf eine emanzipiertere Gesellschaft / bessere Welt für
erheblich. Aber genug der Vorrede.

* Selbstentfaltung

  Die folgenden Punkte befassen sich mit der Entdeckung der
  Selbstentfaltung als Produktivkraftmodell. Damit heben wir uns m.E.
  deutlich von allem ab, was ich bisher kennengelernt habe. Sie
  begründen vor allem nochmal, warum ich das für so wichtig und auch
  für ziemlich schlüssig halte.

- Selbstentfaltung als neues Produktivkraftmodell

  Für wirklich bahnbrechend an der Oekonux-Debatte halte ich die
  Entdeckung der Selbstentfaltung als neues Produktivkraftmodell. So
  ausgeformt wie wir das hier betreiben ist mir so etwas bisher nicht
  untergekommen. Letztlich bereiten wir hier gedanklich das
  Produktivkraftmodell einer neuen Vergesellschaftungsform vor - und
  das m.E. mit einigem Erfolg. Einen Epochenbruch zurückgedacht denken
  wir hier im ausgehenden Feudalismus den Kapitalismus. Das finde ich
  vielleicht das Bahnbrechendste von allem.

  Es ist mir wichtig, daß schon *im Kapitalismus* dieses Modell
  erkennbar ist, das in der Freien Software bereits relativ weit
  entfaltet ist (Stichwort: Reality-Check).

- Selbstentfaltung als überlegenes Produktivkraftmodell

  Noch wichtiger ist aber, daß dieses Produktivkraftmodell auch *im
  Kapitalismus* sich nicht nur als erfolgreich, sondern sogar als
  überlegen herausstellt. Wahrscheinlich kann überhaupt nur das
  Produktivkraftmodell der jeweils nächsten Gesellschaft den stärksten
  Mächten der jeweils vorigen Gesellschaft Paroli bieten (Stichwort:
  Reality-Check, hier: Freie Software vs. Microsoft).

- Spitze der Produktivkraftentwicklung

  Es ist mir natürlich wichtig, daß die Freie Software als unser
  Hauptbezugspunkt an der Spitze der Produktivkraftentwicklung liegt.
  Das halte ich deswegen für sehr wichtig, weil auch aus Marx'schen
  Grundsatzüberlegungen heraus hier am ehesten der Bereich zu vermuten
  wäre, in dem die Produktivkraftentwicklung beginnt, die Fesseln der
  Produktionsverhältnisse zu sprengen. Ausgehend von diesen
  Überlegungen *muß* die Analyse eigentlich dort besonders intensiv
  sein - etwas, was ich in der Linken seit Jahren praktisch nirgendwo
  beobachte.

  Aber auch insgesamt werden bei der Oekonux-Debatte neuere
  Entwicklungen (Stichwort: Reality-Check) wahrgenommen, überdacht und
  versucht in die Theoriebildung zu integrieren - zuvorderst natürlich
  im Bereich Freie Software, aber auch ansonsten Internet, Computer,
  Automation in der Produktion.

- Unpolitischer Ansatz

  Überaus wichtig ist mir an dem Bezug auf Freie Software auch, daß es
  sich gerade *nicht* um ein politisches Projekt handelt, also von
  ganz vielen Beteiligten aus inhaltlichen Selbstentfaltungsgründen
  gemacht wird und nicht aus einem abstrakten "Mensch müßte doch...".
  Wenn das Ganze vor allem eine politische Bewegung wäre, dann würde
  ich darauf soviele Pfifferlinge geben, wie auf Attac: Wenn's hoch
  kommt einen halben.

* Füllen wichtiger Begriffe

  Die folgenden Punkte beziehen sich auf einige, m.E. in einer
  emanzipatorisch orientierten Debatte wichtigen Begriffe, die wir -
  zumindest ansatzweise - mit Inhalt füllen können.

- Entkopplung von Geben und Nehmen

  Auch wenn abstrakt die Abschaffung von Tausch klar ist, so bringt
  die Oekonux-Debatte m.E. an vielen Stellen das erstmal auf den Punkt
  und verdeutlicht, nicht nur wie das gehen könnte, sondern zeigt
  auch, daß tatsächlich die Abschaffung von Tauschbeziehungen geradezu
  die Grundlage des neuen Produktivkraftmodells ist - und nicht
  irgendein Hirngespinst unverbesserlicher WeltverbessererInnen.

- Abschaffung von Entfremdung

  Ähnliches gilt für die Entfremdung. Auch wenn abstrakt klar ist, daß
  Entfremdung Teufelszeug ist, so ist noch lange nicht klar, wie die
  konkrete Alternative aussehen kann. Wiederum zeigt die
  Oekonux-Debatte m.E. hier nicht nur Wichtiges auf, sondern zeigt
  auch hier, daß tatsächlich die Abschaffung von Entfremdung geradezu
  die Grundlage des neuen Produktivkraftmodells ist.

- Synthesen rücken in den Blick

  Überhaupt meine ich an vielen Stellen Ansätze zu Synthesen aus
  (kapitalistischer) These und (emanzipatorischer) Antithese erkennen
  zu können. Macht als in letzter Zeit häufig strapaziertes Thema
  würde ich als Beispiel anführen. Kennzeichnend für die Synthese
  scheint mir übrigens zu sein, daß sie im alten Denken jeder Sorte
  zumindest mal sperrig ist.

* Meta-Aspekte

  Abschließend noch ein paar Meta-Aspekte, die ich an der
  Oekonux-Debatte wichtig finde, und die ich bei wenigen anderen
  emanzipatorischen Projekten sehen kann.

- Kombination verschiedener Denkrichtungen

  Schon oft habe ich hervorgehoben, daß ich es für eine große Stärke
  halte, daß unsere Debatte die verschiedensten Denkrichtungen
  kombiniert und fruchtbar füreinander macht. Das gilt für die
  klassische linke Bandbreite von MarxistInnen bis zu AnarchistInnen
  aber auch und gerade für das Jenseits dieser Bandbreite: Auch Leute,
  die sich eher als unpolitisch sehen, können was mit unserer Debatte
  anfangen und klinken sich zuweilen ein.

  Ein wichtiger Punkt ist mir auch, daß auch Überlegungen aus dem
  psychologischen Raum hier eine Rolle spielen.

- Breite Ansprache und Ausstrahlung

  Wie wenige linke Projekte hat Oekonux - wohl auch wegen des letzten
  Punkts - eine relativ breite Ausstrahlung und ist auch in der Lage
  sich als eher unpolitisch verstehende Leute anzusprechen. Dies würde
  zumindest ich auch nach wie vor für höchst wünschenswert halten -
  also alles nur kein Elfenbeinturm mit der säuberlich in Büchsen
  abgepackten Wahrheit im Keller.

- Nicht Mitspielen sondern Neues machen

  Wichtig scheint mir auch, daß es zumindest mir nicht so sehr um das
  Mitspielen in irgendeinem Prozeß geht, sondern darum Neues zu bauen.

Na ja, soviel mal mein Cent zu dieser Frage.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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