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[ox] [krisis] Strike the EMPIRE back (fwd)





Liebe Leute,
bevor jetzt alle auf den nächsten Trend hüppen,
nur weil er was zur optimistischen Identifikation bietet,
in diesem Fall die "Multitude", die ganz ohne kritische
Selbstreflexion auszukommen scheint und der sozusagen 
'eingebaute Untergang' des Empire sein soll,
hier etwas weitergeleitetes:


jonnycool gmx.de schrieb:
Hier ein sehr guter Text über/gegen EMPIRE, nachzulesen auch auf
der guten website www.materialien.org , Materialien für einen neuen
Antiimperialismus. Und wer noch mehr zu EMPIRE lesen will, hier
gibt's eine sehr umfangreiche linkliste:
http://www.rosalux.de/Einzel/empire/index.htm
Gruß,
Jonny
---------------
http://www.materialien.org/texte/empirekrit.html


Detlef Hartmann
Empire: Einladung der Linken in eine neue konservative Revolution.(1)
Wird sie folgen? Als uns vor fast zwei Jahren der Text von Hardt/Negri (im
folgenden H/N) "Empire"(2) zur Begutachtung für eine Publikation vorlag,
machten wir aus unserer entschiedenen Ablehnung keinen Hehl. Wir hatten
Negriës Entwicklung nach rechts über die Jahre verfolgt. "Empire" lag im
Trend. Wir meinten, dies sei eine Zumutung für die Linke, sie würde den Text
rechts liegen lassen. Tut sie das? Es gibt eine Diskurshype, die jetzt auch
Deutschland erreicht hat. Viele sind unsicher, sie fühlen sich von H/Ns
akademischen Inszenierungen erschlagen. Aus vielen Reaktionen wird deutlich,
dass die Geschichte radikaler linker Theoriebildung der 70er und 80er Jahre
nicht mehr ausreichend präsent ist, um die Veränderung bei H/N einordnen zu
können. Viele mögen ó von der Phase postmoderner Individualisierung
ausgelaugt ó einfach dem prophetischen propagandistischen Rausch von H/Nís
Visionen über das kollektive Aufgehen in produktiven Gemeinschaftskörpern
berauscht sein. Endzeitvisionen dieser Art:
"Produktion lässt sich nicht mehr von Reproduktion unterscheiden, die
Produktivkräfte verschmelzen mit den Produktionsverhältnissen; fixes Kapital
findet sich zunehmend innerhalb des zirkulierenden Kapitals, in den Köpfen,
Körpern und in der Kooperation der Produktionsmaschine. Die
gesellschaftlichen Subjekte sind zugleich Produzenten und Produkte dieser
Einheitsmaschine.In dieser neuen historischen Formation lassen sich keine
Zeichen, kein Subjekt, kein Wert, keine Praxis mehr ausmachen, die
"außerhalb" liegen." (S.392)
"Die Menge benutzt nicht nur Maschinen zur Produktion, sie wird auch selbst
zunehmend zu einer Art Maschine, da die Produktionsmittel immer stärker in
die Köpfe und Körper der Menge integriert sind." (S.413)
In der Tat: in dieser Beschwörung des Aufgehens aller und ihrer produktiven
Kräfte im Gemeinschaftskörper der produktiven Gesamtmaschine liegt die
Grundbotschaft des Buchs, es beginnt mit ihr und steigert sie zu
poetisch-propagandistischem Rausch. Das riecht totalitär, doch dazu unten.
Zunächst: wie kommen H/N zu dieser Verkündigung?
Der Weg in den Gemeinschaftskörper
Die Frage, welchen Weg H/N beschreiten müssen, um den Leser zu solchen
Botschaften zu führen, ist eine Frage der Methode und Rhetorik. Wir wissen:
der Blick macht den Gegenstand, die Methode das Ergebnis. Fängst du mit den
kämpfenden Subjekten in ihrer Auseinandersetzung mit den Gewaltformen der
Verwertung an, dann bleiben sie die Subjekte und du gelangst zu ihren
Befreiungsperspektiven und óchancen. Fängst du mit dem Blick aus der
Perspektive der Macht und Herrschaft an, dann verschwindet das Eigene der
kämpfenden Subjekte unter dem Mantel von Souveränität, Kontrolle,
Technologien und Gesamtvision. Negri ist ein geschulter Linker, mit allen
dialektischen und rhetorischen Wassern gewaschen, Hardt vielleicht eine
Schattierung plumper. Sie wählen den Blick von oben, ohne sich mit Fragen
der Methode erst aufzuhalten, und dies mit einer geradezu unverschämten
Penetranz. Schon die Überschriften prägen die Stempel auf die lesenden
Gehirne: Weltordnung, Modell imperialer Autorität, Hoheitsrechte, Passagen
der Souveränität, imperiale Souveränität. Wenn nach dem Einschleifen dieser
Perspektive dann auch Menschen als "die Menge" (im Original: multitude) in
den Blick genommen werden, dann wähnt man die LeserIn didaktisch aufbereitet
für die Propaganda des das Aufgehens aller im Körper der produktiven
Gesamtmaschine.
H/N lassen Geistesgrößen aus drei Jahrtausenden als bildungsbürgerliche
Reservearmee für sich aufmarschieren. Trotzdem ist die rote Linie der
Gedankenführung eher simpel. Die Weltordnung des "Empire" nährt sich aus der
Entfaltung der postmodernen Produktivkräfte óinformatischer und aus
immateriell-affektiver Arbeit gewonnener Vernetzung- zur vollen globalen
Souveränität. Im höchsten Stadium der Machtreife wird es von der totalen
Macht befreiter Arbeit als parasitär abgestreift und gibt der Entfaltung und
dem Aufgehen aller in der produktiven Gesamtmaschine Raum. Der grundlegende
Widerspruch und Widerstand geht im Strom der gemeinschaftlichen
Selbstverwertung auf und gibt die Form der Verneinung, der Negation auf.
Diese wird begrifflich der "Ontologie" einverleibt, in Kategorien des Seins
gefasst und daher getilgt: "Es gibt kein Außen mehr"(passim, insbes. 73-79).
H/N vertrauen zur Aufprägung dieser plumpen Linie nicht allein auf das
Einschleifen der Herrenperspektive, der Perspektive der Souveränität und der
Macht. Bei allem Zuspruch aus der Rechten wendet sich das Buch auch an
Linke, die ja immerhin andere Perspektiven pflegen. Sie müssen daher auch
deren Vertreter und deren Begrifflichkeit Rechnung tragen, sie zumindest
berühren. Und hier setzen sie atemberaubende Fälschungen und Manipulationen
an. Zentral ist die Umfälschung der Arbeiten von Michel Foucaults. Von ihm
entlehnen sie den Begriff "Biopolitik" und "Biomacht" und werten ihn gegen
seine Intentionen um 180 Grad um.


Das Empire als "apriorisches" Diktat.
Schon das erste Kapitel prägt unmissverständlich den Blick von oben auf und
damit den Charakter ihrer Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit.
Gleich der allererste Satz bläst die Leitmusik: "Empire (die wörtliche
Übersetzung mit "Reichsidee" scheint in Deutschland zu brisant) ist als
Untersuchungsfeld durch die simple Tatsache bestimmt, dass es die
Weltordnung gibt." Nicht, dass das Kapital versucht, den neuen Bewegungen
und krisenhaften Prozessen eine Herrrschaftsstruktur aufzuprägen, die sich
ideologisch am Weltordnungsgedanken orientiert o.ä., nein: "dass es eine
Weltordnung gibt", dass sie ist, ontologisch. Diese Vorprägung wird im
ersten Kapital Schlag auf Schlag vertieft: die Verfasstheit des Empire wird
als "Rechtsordnung" gesetzt. H/N nehmen Bezug auf den Rechtspositivisten
Hans Kelsen, mit dem sie das Recht in seiner reinen Positivität und durch
keine Rechtfertigungsnotwendigkeit relativiert sehen wollen. Nichts gegen
Kelsen. Ich erinnere mich mit Vergnügen an die Diskussionen, die wir im
Seminar von Albert Ehrenzweig im aufrührerischen Berkeley der 68er Jahre mit
ihm haben führen können. Da war allerdings keine Rede von der
Machtperspektive, zu der Negri ihn vernutzt. Zur Debatte standen
Widersprüche der "reinen Rechtslehre". Gewappnet mit soviel hoheitlicher
Setzung von Recht und Ordnung setzen H/N positiv auch das "Empire" als
Machtraum für das Anwachsen der produktiven Gesamtmaschine. Sie beziehen
sich auf das imperiale Selbstverständnis des römischen Reichs und sagen, das
Empire ist da, es setzt sich selbst oder, was dasselbe ist, H/N setzen es,
im "Modell imperialer Autorität". Das "Empire" wird damit nicht nur als
vorgefunden behandelt, das "imperiale Paradigma" wird als "Apriori des
Systems" gesetzt, so, "als ob die neue Ordnung bereits konstituiert
wäre".(S. 30). Die Verwendung des Begriffs "Apriori" spiegelt das
Machtdiktat wider. Er hat seinen Platz in der bürgerlich-philosophischen
Grundlegung einer Metaphysik der Erkenntnis. Er bedeutet hier: logisch der
Erfahrung vorangehend, von ihr unabhängig, von vorneherein gesetzt und
gültig. Was uns die philosophieerfahrenen H/N hiermit sagen, ist: Sie
willküren die Idee des Empire, des Reichs und seiner expansiven Natur (dazu
unten) zum unbedingten Ausgangspunkt ihrer Darstellungen, unbedingt von
Analysen, Erfahrungen, vom politischen Diskurs, unbedingt von Kämpfen, ihrer
gesellschaftlichen Wirklichkeit, absolut eben. "Apriori" wird hier zum
philosophisch-metaphysischen Ausdruck für den Ausgangspunkt der von jeder
Rechtfertigung und Rechtfertigungsdiskussion entfesselten Macht: "Der
Formationsprozess, inklusive der in ihm handelnden Subjekte, wird von
vorneherein in den positiv bestimmten Strudel des Zentrums gezogen, und der
Sog ist schließlich unwiderstehlich. Der Sog geht nicht allein auf die
Mittel des Zentrums zurück, Gewalt auszuüben, sondern auch auf die formale
Macht, die ihm innewohnt, die Macht, totalisierend, systematisierend zu
wirken." (S.30) Schon hier wird der Charakter einer Selbstentfesselung im
Anspruch auf Gewalt deutlich. Und dann der erste Eklat, der jedem
Antifaschisten die Haare zu Berge stehen lässt. H/N greifen bei der Frage
der Praktiken zur Durchsetzung der Reichsidee und supranationaler Ordnung
ohne Zögern und falsche Scham auf Carl Schmitt zurück. Carl Schmitt war der
führende Verfassungsrechtler der Nazis gleich zu Beginn des 3. Reichs, eine
besondere Rolle spielte seine Theorie des Ausnahmezustands. Hier knüpfen H/N
an. "Inneres und supranationales Recht sind durch den Ausnahmezustand
definiert. Die Funktion der Ausnahme ist hier zentral." (S. 32) Wer die
Definitionsmacht über den permanenten Ausnahmezustand ergreife, setze
Polizeió und Interventionsrecht. Die Rolle Sdchmitts im NS ist für H/N kein
Thema. Vertrauen sie darauf, dass auch die Linke schon soweit ist?
Die Vergewaltigung des linken Foucault.
Jetzt erst, nachdem das Paradigma des Empire durch "apriorischen"
autoritativen Akt gesetzt ist und wir "einen flüchtigen Blick auf Momente
einer idealen Entstehungsgeschichte des Empire" (S. 37) geworfen haben,
wenden sich H/N seiner Begründung in "materiellen Bedingungen" zu. Das ist
so, wie wenn Marx die Bedingungen kapitalistischer Ausbeutung aus der
Staatsidee hergeleitet hätte (wir wissen, wie heftig er seit seinen frühen
Schriften ununterbrochen dagegen polemisiert hat). Es leuchtet ein, dass der
Ausgangspunkt vom Unbedingten, vom Apriori imperialer Gewalt auch hier
keinen grundsätzlichen Widerspruch dulden kann. Ausgehend von Michel
Foucaults Arbeiten der 70er Jahre, machen sie dessen Begriff der "Biomacht"
zum Kern des Empires als produktive Gesamtmaschine aus Milliarden Körpern
und Hirnen. H/N`s Zurichtung Foucaults für diese Zwecke hat mir den Atem
geraubt. In ihrer Verfälschung und Manipulation liegt ein Knotenpunkt für
den Fortgang der Darstellung bis in ihren faschistoiden Ausdruck hinein.
Darum müssen wir uns etwas genauer damit beschäftigen.
Foucault hat den Begriff der "Biomacht" und "Biopolitik" entwickelt, um der
Intensivierung der Machtbeziehungen im Wege der Durchdringung und Zurichtung
der Gesellschaft seit Beginn der Aufklärung Rechnung zu tragen: in den
Knästen der Machtdurchdringung der Subjekte und Körper im Wege der
Disziplinierung ("Überwachen und Strafen"), ähnlich in den Schulen, in der
Fabrik, in Familie und sexuellen Verhältnissen ("Sexualität und Wahrheit").
Durchdringung mit dem Ziel der Unterwerfung und ökonomischen Inwertsetzung
zugleich. Ihm ging es vor allem darum, zu einfache Vorstellungen von
Repression und Befreiung eines gegebenen Subjekts zu überwinden. H/N knüpfen
an Foucaults Vorstellungen vom "biopolitischen Charakter des neuen
Machtparadigmas an"(S. 38). Sie tun dies in einer Weise, dass sie diesen
Charakter völlig verfälschen und den von Foucault beabsichtigten
praktisch-emanzipatorischen Sinn ausmerzen: "...wenn Macht vollkommen
biopolitisch ist (wird) die Gesellschaft selbst zur Machtmaschine,
entwickelt sich in ihrer Virtualität. Das Verhältnis ist offen, qualitativ
und affektiv. Die Gesellschaft ist wie ein einziger sozialer Körper einer
Macht subsumiert, die hinunter reicht in die Ganglien der Sozialstruktur und
deren Entwicklungsdynamiken."(S. 39)
H/N beziehen sich auf zwei zentrale Werke Foucaults, in denen er den Begriff
der "Biomacht" entwickelt hat: "Der Wille zum Wissen"(3) und "Les mailles du
pouvoir".(4) Hier aber weht ein ganz anderer Wind. In beiden Werken, liest
man nichts vom Aufgehen aller produktiven Kräfte des Menschen in die globale
Totalität des biomächtigen Sozialkörpers. Hier ist die Rede von:
Angriffsfront durch biopolitische Technologie, Techniken zur Unterwerfung
der Körper, Besetzung des Raums der Existenz, Angriffsfront auch unter
Einschluss nicht nur des Tötens, sondern des Massakers. Foucault begreift
"Biomacht" als strategisches Dispositiv gewalttätiger Unterwerfungs- und
Zurichtungsstrategien, die in neue Tiefen des Lebens eindringen und dabei
eine neue Gewaltsamkeit entwickeln, nicht jedoch als umfassenden, alles
einsaugenden Prozess der Produktion des Lebens, wie H/N es uns unterschieben
wollen.(5)
Foucault ging davon aus, dass Erkenntnisse nur im Widerstand, aus der
subversiven Kraft des Wissen im Kampf gegen die Macht möglich seien. Als
Mitbegründer des G.I.P. (Groupe dëInformation sur les Prisons) hat er diese
Einstellung praktisch-subversiv im gemeinsamen Kampf mit den aufrührerischen
Gefangenen der französischen Gefängnisse umzusetzen versucht, zeitweise in
Zusammenarbeit mit der "Gauche Proletarienne". Ausdrücklich im Bezug auf
analoge Kämpfe in der Schule, im Reproduktionsbereich, in der Fabrik,
begriff er seine eigenen Strategie eines handelnden Erkennens als Beitrag zu
einem gemeinsamen übergreifenden Kampf. Erst die subversive Position, die
man wählt, sagte er, gebe uns die Möglichkeit, die Techníken der Macht in
den Blick zu nehmen. Er organisiert dies aus der Gegnerschaft gegen die
biopolitischen Technologien óaus einem "Außen", das sich natürlich nicht in
den simplen Vorstellungen der Territorialität definiert, sondern aus dem
Kampf.
"Und wenn es wahr ist, dass im Herzen der Machtverhältnisse und als
permanente Bedingung ihrer Existenz der Widerstand ("insoumission") und die
wesentlich widerspenstigen Freiheiten wirken, dann gibt es keine
Machtverhältnisse ohne Widerstandskraft (résistance)...Jede bedeutet für die
andere eine Art permanente Grenze...ebenso wie es keine Machtverhältnisse
ohne Widerstandspunkte gäbe, die ihnen grundsätzlich entgehen, ebenso müssen
jede Intensivierung, jede Ausdehnung der Machtbeziehungen zu den Grenzen der
Machtausübung führen (Hervorhebungen von mir).(6) Foucault sucht den
grundlegenden Antagonismus zwischen Machttechnologien der Unterwerfung und
Zurichtung und dem Widerstand in allen Bereichen auf, in die der
Kapitalismus der intensiven Bevölkerungsbewirtschaftung seine Strategien im
Laufe der Geschichte erstreckt hat: Fabrik, Gefängnisse, Psychiatrien,
Familie, sexuelles Verhältnis der Geschlechter, Militär. Die Zentralität des
Widerstands im Denken Foucaults hebt sein Freund Gilles Deleuze hervor:
"...mehr noch, das letzte Wort der Macht lautet, dass der Widerstand primär
ist...sodass sein soziales Feld Widerstand leistet, bevor es sich nach
Strategien organisiert, und das Denken des Außen somit das Denken des
Widerstands ist."(7) Das ist der Grund, warum Foucault Widerspruch nicht im
Sein aufgehen lässt und einen ontologischen Begriff der Wirklichkeit
ausdrücklich und vehement zurückgewiesen hat(8). Dies ist eine entschiedene
Absage an eine ontologische Darstellung des Machtwachstums der produktiven
Gesamtmaschine, in deren Seinsverständnis H/N die negatorische Kraft des
Widerspruchs aufsaugen und ersticken.
Ich kann die didaktischen Linien, auf denen H/N uns in die prophetische
Schlußapotheose des produktiven Gemeinschaftskörpers führen, hier nicht im
Einzelnen aufschlüsseln. Sie alle mobilisieren ihre rhetorische
Überredungskunst aus einer meist platten und pauschalisierenden Inszenierung
akademischen Wissens, deren Verzerrungen und Verfälschungen die normale
LeserIn nur mit Mühe auf den Grund steigt. Sie sind wirklich ärgerlich und
ich werde an anderer Stelle genauer auf sie eingehen. So ist es nicht etwa
die Analyse der Herrschaft, sondern die ideologiegetränkte Ideengeschichte
des Souveränitätsgedankens, über die uns H/N an den postmodernen
Souveränitätstypus des Empire heranführen(107 ff.). Aus der Philosophie der
Renaissance (ausgerechnet Machiavelli) wird die "revolutionäre Vorstellung
von der Gleichheit aller Menschen" gekeltert, Spinoza habe sie angeblich zu
neuem Glanz erweckt (S. 84 ff., 91,92). Nun, wie in jedem historischen
Umbruch, so haben auch in der Renaissance machthungrige neue Eliten ihre
eigenen Perspektiven mit Versprechen für alle garniert. Marx hat sich in
seinen Frühschriften (und was Spinoza angeht, schon in seinen
Schelling-Studien) unübertroffen dazu geäußert. Bei aller Verehrung für den
radikalen Freigeist und Propheten der Schöpferkraft Spinoza: H/N
unterschlagen, dass auch bei ihm die Teilhabeversprechen an die Bürger
gerichtet waren und dass er Fremde, Sklaven und Frauen vom demokratischen
Versprechen ausschloss, Frauen mit der überzeugenden Begründung, für die
hätte man dergleichen noch nicht gesehen und das hätte schließlich seinen
Grund.(9) Die Gründerväter der USA sehen H/N vom revolutionären Geist des
Renaissance-Humanismus inspiriert. Sie statten die USA mit der
geschichtlichen Mission der Herstellung der Machtnetzwerke von Weltreich und
óordnung aus. Und das in einer Form hudelnder Geschichtsklitterung, wie sie
jedem US-patriotischen Leitfaden für die linken gebildeten Stände zur Ehre
gereichen würde (passim, besonders S.173 ff.). Das Buch ist halt für die
US-Leserschaft geschrieben. Das Proletariat schließlich stellen H/N durch
eine Überdehnung eines operaistischen Grundgedankens in den Dienst ihres
Konzepts: es wird mit der historischen Aufgabe betraut, durch seine Kämpfe
das Empire zur Vervollkommnung seiner Macht hochzukitzeln, um dann glücklich
im produktiven Gesamtkörper aufzugehen (68 ff.,72,279 ff.)
Die totale Arbeitsmaschine, protofaschistisch getönt
Zurück zum materiellen Kern. Wir erleben täglich, wie im gegenwärtigen
Umbruch innovative Technologien der Unterwerfung und Zuríchtung in neue
Tiefen der Gesellschaft eindringen und neue Formen des prozessierenden
Widerspruchs gegen sich aufrufen. Mit Foucault würde man sie "biopolitisch"
nennen, weil sie den Zugriff auf Leben intensivieren und in bisher
unerschlossene Dimensionen der Verwertung von Lebendigem treiben: In der
Biologie, in der Unterwerfung unter neue Konstruktionen von
Mensch-Maschine-Systemen (vorrangig zunächst auf militärischem
Experimentierfeld), in der Zurichtung der Kommunikation und Unterwerfung
unter das Diktat der Softwareproduzenten, in der informatischen Erschließung
der personalen Existenz bis in die Tiefe biologischer und alltäglicher
Lebensprozesse, im Zugriff informatisch-optischer Kontrollsysteme auf die
Bewegungsabläufe des öffentlichen Raums mit Hilfe biometrischer Erfassung,
in der von den technologischen Kommandohöhen der globalen "Cluster"
ausgehenden Unterwerfung der produktiven und reproduktiven Prozesse in einem
globalisierten Angriff von Netzwerkstrukturen. Das alles im blutigen
globalen Ausgreifen einer Politik der "schöpferischen Zerstörung" tradierter
gesellschaftlicher Strukturen und ihrer Aufbereitung zur Weltarbeitskraft.
Foucault hat nicht gezögert, all das als technologischen Angriff zu
charakterisieren und ihm das "Außen" des Widerspruchs, des Widerstands und
der Befreiung auf neuer Stufenleiter entgegenzusetzen. Einem "Außen", das
óselbstredend nicht mehr territorial begriffen- sich in allen Dimensionen
der Gesellschaft als lebendige Schranke dem Zugriff entgegenstellt und zu
neuer vielleicht (Foucault war da vorsichtig) revolutionärer Subjektivität
formiert.
H/N blenden den Angriffscharakter aus. Sie verdinglichen und fetischisieren
ihn zu "die Kommunikation", "die immaterielle Arbeit", "die Produktion", zur
ontologisch begriffenen neuen Welt, die kein Außen, kein Anderes, keine
Negation mehr kennt und aus dem der Widerspruch als bestimmende Größe
ausgemerzt wird. Wenn H/N in "Empire" den Widerstand noch auf die ärmliche
Funktion eines Stachels für die Machtaufrüstung des Empire reduzieren, im
Taz-Interview vom 18.3.02 wird Tacheles geredet. "Statt eines Außerhalb, das
widersteht, haben wir heute ein produktives Innerhalb. Widerstand ist heute
kein tauglicher Begriff mehr für die Schaffung einer Alternative."
"Interaktive und kybernetische Maschinen werden zu neuen künstlichen
Gliedern, die in unsere Körper wie in unser Denken und Fühlen integriert
sind, und sie werden zu einer Linse, durch die wir die Umgrenzungen unseres
Körpers wie unseres Denkens und Fühlens selbst neu wahrnehmen. Die
Anthropologie des Cyberspace ist in Wirklichkeit das Erkennen der neuen
Menschlichkeit."(S. 303) Die komplementären Funktionen dieser neuen
Menschlichkeit werden von der "affektiven Arbeit", der "Gefühlsarbeit"
geleistet (mit den darin neu begründeten sexistischen Zurichtungen setzen
sich H/N erst gar nicht auseinander), von persönlichen Dienstleistungen,
fürsorglicher Arbeit etc. "Affektive Arbeit produziert soziale Netzwerke,
Formen der Gemeinschaft, der Biomacht...In jedem dieser Typen der
immateriellen Arbeit steckt die Kooperation bereits vollständig in der Form
der Arbeit selbst. Immaterielle Arbeit beinhaltet unmittelbare soziale
Interaktion und Kooperation. Der kooperative Aspekt der immateriellen Arbeit
wird mit anderen Worten nicht von Außen aufgezwungen oder organisiert, wie
es in früheren Formen der Arbeit der Fall war, sondern die Kooperation ist
der Arbeitstätigkeit vollkommen immanent....Das kooperative Vermögen der
Arbeitskraft (und insbesondere der immateriellen Arbeit) hingegen bietet der
Arbeit die Möglichkeit der ÇSelbstvwerwertungë. Die Hirne und Körper
brauchen auch weiterhin die anderen, um Werte zu produzieren, doch die
anderen, die sie brauchen, stellen nicht mehr notwendigerweise das Kapital
und seine Fähigkeit, die Produktion zu orchestrieren."(S:. 303, 305) Die
selbstverwertende Verschmelzung der Hirne und Körper der Multitude feiern
H/N als "Befreiung der Arbeit" und in der Arbeit. "Diese Gemeinsamkeit
ist...ein Projekt, in das die Multidtude, die Menge völlig eingeht. Das
Gemeinsame ist die Fleischwerdung, die Produktion und die Befreiung der
Menge." (S.314) Im Gefolge der ständig wiederholten Verschmelzungsgesänge
wird dann zu guter Letzt auch die Endfunktion des Proletariats
festgeschrieben: "Die Entstehungsprozesse eines neuen Proletariats, die wir
nachgezeichnet haben, überschreiten hier eine entscheidende Schwelle, wenn
die Menge sich selbst als maschinisch erkennt..."(S.411). Würg.
Der maschinenpoetische Rausch der Verschmelzung der Körper und Hirne zu
einer einheitlichen produktiven Subjektivität durchwabert das ganze Buch zu
seinem Klimax im rauschhaften Schlussakkord. Was wird aus dem Widerstand geg
en diese Einvernahme? Wenn H/N schon am Anfang den Nazi Carl Schmitt für die
Souveränität des Empire in Anspruch genommen haben, hier wirdís brisant.
"...Arbeit erscheint schlicht und einfach als die Macht zu handeln ...Alles
was diese Macht zu handeln blockiert, ist nichts als ein Hindernis, das man
zu überwinden hat óein Hindernis, das durch die kritischen Kräfte der Arbeit
und die leidenschaftliche Alltagsweisheit der Affekte umgangen, geschwächt
und zerschmettert wird (S. 366, 367, Hervorhebungen von mir). In dieser
Definition der Handlungsmacht berufen sich H/N ausdrücklich auf Nietzsche
und seine "Genealogie der Moral" mit ihrer Propaganda von "Vergewaltigen und
Vernichten...als Mittel, größere Machteinheiten zu schaffen."(10) Es liegt
genau in dieser Logik, wenn auf derselben Seite die nunmehr abzuschüttelnden
Mächte des Geld- und Finanzkapitals unter der Überschrift "Parasit" geoutet
werden, "ein Parasit jedoch, der seinem Wirt die Kraft aussaugt, gefährdet
seine eigene Existenz. (S. 367, 369) Das Bild des Geldkapitals als
blutsaugender Parasit des produktiven Gemeinschaftskörpers, wir kennen es
vor allem aus der faschistischen Frühphase des NS. Franz Neumann, dessen
"Behemoth" noch immer zum Besten gehört, was über den NS geschrieben wurde,
hat derartige Theorieversatzstücke als pseudomarxistische Elemente der
nationalsozialistischen Ideologie einer genauen Analyse unterzogen und
Rechtspressechef Dr. Dietrichs Rede zu den "Geistigen Grundlagen des neuen
Europas" wie folgt zitiert: "...durch den Schleier des Geldes hindurch" hat
der Nationalsozialismus "den ökonomischen Kraftkern gefunden...die
menschliche Arbeit als die alles belebende Grundlage", eine "Herrschaft der
Arbeit über das Geld, ohne ihn (den Arbeiter, D.H.) zum Kampf gegen seine
herrschende Klasse zu zwingen, ganz im Gegenteil ist er eingeladen, an ihren
materiellen Vorteilen als Teil einer riesigen Maschine teilzuhaben."(11)
Sicher: im postmodernen Zyklus ist ein historischer Moment noch nicht
erreicht, in dem sich die Frage nach seiner neofaschistischen Wendung
stellt. Aber auch im Take-off zum fordistischen Zyklus kündigte diese sich
durch futuristische und technokratisch orientierte Ideologien (durchaus
durchtrieft vom Jargon der Revolte) neuer Eliteformationen schon vor dem
ersten Weltkrieg an, die von der technischen bis hin zur philosophischen
Intelligenz reichten. Zeev Sternhell, Jeffrey Herf, Geoff Eley, Charles
Maier haben uns genug darüber berichtet, um uns auch jetzt hellhörig zu
machen. In geschichtliche Analogien wachrufender Weise entwirft "Empire"
einen historisch-philosophischen Pfad der komplexen Machtentwicklung
einschließlich der restlosen Einvernahme des sozialen und
Klassenwiderstands. N/H formulieren es als ideologisches Angebot an Teile
des linken Spektrums, ihre hegemonialen Energien als neue Experten eines
globalisierten sozialen Erschließungsraums in den Formierungsprozess
einzubringen. "Teilhabe" lautet der Lockruf und spekuliert neben der
Machtteilhabe auch auf die Müdigkeiten in der Linken, minoritär zu bleiben.
Linke, die sich angesprochen fühlen, sollten sich daher kritisch überprüfen,
in welchen Funktionen (vor allem der neuen technologischen Zugriffe und
globalisierten Sozialarbeit) sie sich in die innovativen Vernetzungsprozesse
des postmodernen Zyklus einbringen wollen, und vor allem wo: in der
Unterstützung oder im Widerstand. Es ist ihr praktisches "Begehren" (in H/Ns
Terminologie), das den Kopf ausrichtet, nicht etwa die Theorie. Auch der
Umbruch vor 1914 ist von gewaltigen Schüben von links nach rechts geprägt
gewesen. Der "Empire"-Diskurs ist nur ein Symptom, ein spekulatives
Exerzierfeld für Einstellungsverschiebungen, an dem wir solche
Richtungsänderungen ablesen können. Was meinst DU? Die "Frankfurter
Allgemeine" haben H/N jedenfalls ówie das Buchcover stolz ausweist- schon
auf ihrer Seite.
____________________________
Endnoten: Zum Textanfang
(1) Dies ist die konzentrierte Kurzfassung eines umfassenderen Textes:
Detlef Hartmann u.a., Rechtsruck in der Linken (Arbeitstitel). Er erscheint
in diesen Tagen als Sonderband der "Materialien für einen neuen
Antiimperialismus" im Verlag Schwarze Risse/Rote Straße.
(2) Jetzt auch in Deutschland: M. Hardt, A. Negri, Empire, Frankfurt/New
York 2002
(3) M. Foucault, Der Wille zum Wissen, Frankfurt/M., 1983
(5) Vorlesung 1981, abgedruckt in Dits et écrits, II, Paris 2001, S.
1001-1019.
(5) "Wissen", Teil IV und V, "Mailles" passim
(6) M. Foucault, Le Sujet et le pouvoir, Dits et écrits, II, S. 1041, hier:
S. 1061
(7) Gilles Deleuze, Foucault, Frankfurt/M. 1992, S. 125
(8) M. Foucault, Précisions sur le pouvoir. Réponses à certains critiques,
Dits et écrits, II, S. 626, hier: 630,631
(9) B. Spinoza, Der politische Traktat, in der Übersetzung von J. Stern,
Stuttgart 1906, Elftes Kapitel §§ 3,4; auch im Teil Vier der Ethik ist von
Bürgern die Rede.
(10) Ich habe die Bedeutung Nietzsches für den NS und den gegenwärtigen
Umbruch in einer Reihe von Arbeiten analysiert, nachzulesen unter
www.materialien.org.
(11) Franz Neumann, Behemoth, Frankfurt/M., 1984, S. 237,240.
Der Text erscheint im Mai 2002 in der Zeitschrift "alaska" des Buko


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