[ox] NZZ zu empire von Negri/Hardt
- From: "Karl Dietz" <karl.dietz gmx.de>
- Date: Mon, 19 Aug 2002 23:54:08 +0200
hi,
danke für feedback zu empire!
hier noch die nzz zu empire.
karl
------- Weitergeleitete Nachricht / Forwarded message -------
Datum: Mon, 03 Dec 2001 00:11:21 [PHONE NUMBER REMOVED]
Von: "Robert Bösch" <rob.boesch bluewin.ch>
An: list krisis.free.de
Betreff: [krisis] NZZ zu Negri/Hardt
Aus dem NZZ-Feuilleton vom 10. November:
Jan-Werner Müller
«Empire» - Meer ohne Ufer
Ein Buch mit globaler Resonanz
Slavoj Zizek pries «Empire» als Kommunistisches Manifest
für unsere Zeit, und die «New York Times» gab dem Buch
nicht nur das Gütesiegel «the next big theory», sondern
räumte seinen Autoren, Antonio Negri und Michael Hardt,
auch Platz auf ihrer Meinungsseite ein. - Was fasziniert
wen an diesem Pamphlet?
«Empire» war ein Schläfer. So heisst im amerikanischen
Verlagsjargon ein Buch, das lange in den Regalen liegt -
und plötzlich die Bestsellerlisten stürmt. Nun, so zitiert
Harvard University Press einen begeisterten Rezensenten,
sei das Buch so populär, dass man in ganz New York kein
Exemplar mehr auftreiben könne. Knapp ein Jahr nach
seinem Erscheinen ist das umfangreiche Pamphlet von
Michael Hardt, einem Literaturprofessor an der Duke
University, und Antonio Negri, einem politischen Philosophen
aus Italien, zur Pflichtlektüre nicht nur der amerikanischen
Linken geworden.
Die Lebensgeschichte von Antonio Negri mag dem Erscheinen
von «Empire» zusätzlichen frisson verliehen haben - war der
Autor doch nicht nur Theoretiker der italienischen Autonomen,
sondern auch, in den Augen der Polizei, führender Kopf hinter
dem Terrorismus der siebziger Jahre. Negri floh Anfang der
achtziger Jahre nach Frankreich und lehrte an der Sorbonne,
bevor er 1997 nach Italien zurückkehrte und erst einmal im
Gefängnis weiterphilosophieren musste.
Das vollständige Scheitern von Negris Politik der «grossen
Weigerung» in Italien hat Hardt und Negri aber nicht dazu
verführt, über den Triumph des Kapitalismus oder das Ende
der Geschichte zu lamentieren. Im Gegenteil, wie Marx
bewundern sie die scheinbar unerschöpfliche Kraft des
Kapitalismus zur Entgrenzung und Verflüssigung von Staat
und Gesellschaft. Dem Nationalstaat, den die defensiv
eingestellten Kommunitaristen als letzten, zunehmend
undicht werdenden Container der Solidarität ausgemacht
haben, weinen die beiden keine Träne nach. Stattdessen
beschrieben sie mit unverhohlener Bewunderung das Regime
des «Empire» - wobei es sich nicht um die Vereinigten
Staaten handelt, auch wenn diese offensichtlich eine zentrale
Rolle in der neuen Weltordnung spielen, sondern um ein
weltumspannendes Netz von Institutionen wie den Vereinten
Nationen und dem IMF, aber auch internationalen
Medienkonzernen, Nichtregierungsorganisationen und, nicht
zuletzt, den Arbeitern und Unterdrückten dieser Welt,
Kein Aussen
Anders als für den klassischen, auf Nationalstaaten zentrierten
Imperialismus gibt es für das grenzenlose «Empire» mit seiner
globalen Befehlsgewalt, so eine der politischen Pointen der
Theorie, kein politisches oder wirtschaftliches «Aussen» mehr.
Ebenso fehlt dem Reich ein Rom, ein lokalisierbares Zentrum -
wie das Internet ist es sowohl dezentral als auch universal.
Laut Hardt und Negri sind Niklas Luhmann und John Rawls so
etwas wie die Chefideologen des «Empire»: Das neue Reich
basiere auf von selbst laufenden Gesellschaftssystemen, deren
Eliten sich universellen, ewigen Frieden auf die normativen
Fahnen geschrieben haben und überall dort intervenieren, wo sie
die Werte des liberalen Kapitalismus gefährdet sehen.
Wie jedes Reich kennt «Empire» seine Barbaren - nur dass diese
nicht vor den Toren stehen. Die globale politische Konfliktlinie
verläuft innerhalb des Reichs zwischen den neuen Imperatoren
aus Politik und Wirtschaft auf der einen Seite und der «Vielzahl»
oder «Menge» auf der anderen. Mit diesem von Spinoza, Henry
Kissingers Lieblingsphilosophen, entlehnten Begriff versuchen
Hardt und Negri die Masse der Arbeiter und Unterdrückten zu
fassen - oder gerade nicht zu fassen, denn die mobile «Menge»
sei - anders als «Volk» oder «Nation» - gerade nicht eingrenzbar
oder fassbar. So ist «Empire» wie ein Ozean ohne Ufer - in dem
die wenigsten obenauf schwimmen, die anderen verzweifelt
Wasser treten und die meisten zu versinken drohen.
Viele Rettungsringe auszuwerfen, gelingt den beiden
Theoretikern nicht, auch wenn sie weit in der europäischen
Geschichte ausholen und en passant eine manichäische Theorie
der Moderne präsentieren, in der permanent Gut und Böse
miteinander ringen. Alle Verdammten und Vogelfreien dieser
Erde ziehen als Gespenster um den Globus. Wie aber die «Vielheit»
politische Handlungsfähigkeit gewinnen kann ohne ein Minimum von
Selbstkonstitution - und damit eben auch Selbstbegrenzung -,
verraten die Autoren nicht. Ihre einzige konkrete Forderung lautet,
alle nationalen Grenzen zu öffnen.
«Empire» kommt ohne jegliche Empirie aus. Trotzdem - oder
deswegen - strotzt das Buch vor Selbstbewusstsein und Optimismus.
«Empire», so Hardt und Negri, ist allumfassend, aber deswegen auch
überall verwundbar. Da alle Organisationen sich von Hierarchien zu
dezentralisierten Netzwerken wandeln, welche auf kein bestimmtes
Territorium mehr fixiert sind, kann man das Netz auch an jeder
Stelle kappen. Ob die «Vielzahl» diese Signale hören kann, bleibt
offen - dafür ist es Musik in den Ohren der Globalisierungsgegner,
die sich Hardt und Negri als Vorzeigeintellektuelle erkoren haben.
Ihnen empfehlen die beiden vor allem wieder die «grosse Weigerung»,
um das neue Reich des Bösen im letzten Gefecht zum Einsturz zu
bringen.
In diesem neuen Kommunistischen Manifest manifestiert sich vor
allem eines: Das Jahrzehnt linker Melancholie ist vorüber, und
statt in sozialdemokratischem Defaitismus zu verharren, geht man
in die theoretische Offensive. Dass die Speerspitzen der Theorie
alle geborgt sind, hat Michael Hardt in einem Interview freimütig
zugegeben. Von der Rehabilitierung des humanistischen
Republikanismus, die angelsächsische Historiker schon seit fast
drei Jahrzehnten betreiben, bis zu der Interpretation der
postindustriellen Gesellschaft als Netzwerk haben Hardt und
Negri vor allem Theoriefragmente zusammengeklaubt und mit
ihrer optimistischen Rhetorik zusammengekittet.
Messianische Rhetorik
Ob dieser Kitt auch nach dem 11. September hält, muss sich
zeigen. Manche Amerikaner, die sich fragen, warum so viele
Mitglieder der «Vielzahl» ihr Land hassen, werden zu «Empire»
greifen - und darin nur den alten marxistischen Ratschlag finden,
dass alles schlimmer werden muss, bevor es besser werden kann.
Amerikanische Konservative wie Roger Kimball haben Hardt und
Negri schon als Wegbereiter des globalen Terrorismus
gebrandmarkt - obwohl das Buch klar macht, dass die Linke jegliche
Art von «Verflüssigung», auch die Aufweichung ideologisch
verhärteter Fundamentalismen, begrüssen sollte. Der prominente
Sozialwissenschafter Alan Wolfe entrüstete sich, «Empire» verhalte
sich zu seriöser Soziologie wie Pornographie zu Literatur.
Doch kann man das Buch nicht einfach als antiamerikanisch abtun,
wie dies nicht zuletzt Kimball reflexartig tut. Hardt und Negri
preisen den offenen Charakter der amerikanischen Verfassung und
Thomas Jeffersons «Reich der Freiheit» als Vorbild für eine
demokratische, postnationale Weltgemeinschaft. Auch halten Hardt
und Negri den linken Theoretikern von Postkolonialismus und
Multikulturalismus, den Lieblingsgegnern der amerikanischen
Konservativen, vor, sie sollten sich nicht einbilden, einen
kritischen Standpunkt ausserhalb des «Empire» einnehmen zu können.
Die multikulturelle Inklusion ist danach nicht weniger ein
Instrument des Reichs als Amnesty International und Médecins sans
frontières.
Mit «Empire» ist Bewegung in die (linke) Theorie gekommen - und
die Bewegung (der Globalisierungsgegner) hat eine Theorie
bekommen. Die messianische Rhetorik, welche den Konflikt
zwischen «Imperium» und «Vielzahl» religiös verschärft, mag der
Urgemeinde der Kapitalismusfeinde das Gefühl geben, wie die frühen
Christen das Imperium von innen zerstören zu können.
Vielleicht gibt es aber auch eine ganz andere Erklärung für den
Erfolg von «Empire», die mehr mit dem Zustand der
amerikanischen Geisteswissenschaften zu tun hat. Amerikanische
Literaturwissenschafter, welche ihre Arbeit als eminent politisch
verstehen und doch weitestgehend in den Universitäten isoliert
sind, erhalten durch die Assoziation mit Negri das Gütesiegel
echter Radikalität. «Empire», ein Buch von alteuropäischer
Gelehrsamkeit und gleichzeitig grosser begrifflicher Innovations-
und Suggestivkraft, vermittelt nicht zuletzt ein Gefühl von
Sicherheit, auf Seiten der Menge der Verdammten und des
Guten zu stehen. Gerade jetzt spendet das zumindest den
Trost, in der endlos wogenden See von «Empire» eine Leuchtboje
ausgemacht zu haben - und mit dem Strom der Geschichte zu
schwimmen.
Michael Hardt, Antonio Negri: Empire. Harvard University Press,
Cambridge (Mass.) 2001. Paperback, 478 S., $ 18.95.
P.S.
Dank gnutenberg.net habe ich noch eine besonders originelle
Anmerkung zum Anschlag auf das WTC gefunden:
Herr Theweleit, was wurde eigentlich genau getroffen,
als die beiden Flugzeuge ins World Trade Center stürzten?
Viele Zeitungen sprachen von einem Stich ins Herz Amerikas,
einige davon, dass den USA der Kopf abgeschlagen worden sei.
Es war nicht nur der Kopf, es waren die Twins. "Twin Peaks"
von David Lynch, eine der erfolgreichsten Fernsehserien des
letzten Jahrzehnts, bezog sich auf zwei Berge, um die die
amerikanische Phantasie kreist. Die Twin Peaks, das waren
die Brüste der vergewaltigten Tochter, die negative Phantasie
von der Bedrohung und des Missbrauchs. Das positive Gegenstück
dazu sind die Twin Towers, der doppelte Schwanz, der sich als
mächtiges Symbol erhebt über die ganzen Widerlichkeiten und
Gewalttätigkeiten der anderen, der negativ besetzten
Twin- Peaks-Ebene.
<<
Da kann ich nur sagen: Lieber Mädchen Amick als Männerphantasien.
------- Ende der weitergeleiteten Nachricht / End of forwarded message -------
und noch:
fwd geht nachher auch an list48, da crosspostings hier in oekonux
ja nicht erwünscht sind. ich "hasse" diese "listenaufpasser" wie sie
auch hier am werk sind.
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