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[ox] Interessen und Amok



Vielleicht interessiert das auch Informatiker.
Heinz Blaha

INTERESSEN UND AMOK

(Robert Kurz)

Der bevorstehende Angriff auf den Irak markiert einen Umschlagspunkt der
demokratischen Weltordnungskriege

Die ultima ratio des Kapitalismus ist schon immer der Krieg als Fortsetzung
der Konkurrenz mit anderen Mitteln. Und nicht nur der Krieg im Sinne eines
äußeren Konflikts, sondern auch der Massenmord und überhaupt die universelle
Vernichtung als letzte Konsequenz des Kapitalverhältnisses. Darin zeigt sich
schon, daß es keineswegs bloß darum geht, sogenannte "rationale Interessen"
(um Öl, Ressourcen, Absatzgebiete usw.) notfalls auch gewaltsam zu
verfolgen. Diese Motive des Interessenmaterialismus sind mächtig; aber sie
stehen nicht für sich, sondern sind eingebunden in die fetischistische
Selbstbewegung des Kapitals als eines "automatischen Subjekts" (Marx).
Letzter Zweck dieses Prozesses ist nicht das materielle Wohlergehen von
irgendjemand, auch nicht der Kapitalisten, sondern die Verwertung des Werts
als irrationaler Selbstzweck. Die bürgerliche Zweckrationalität des
materiellen Interesses ist ihrer Form nach bloß die Binnenrationalität eines
Wahnsystems.

Deshalb geht die Konkurrenz auch nicht im Kampf um materielle Gegenstände
des Interesses auf, etwa wie sich Kinder um ein Stück Kuchen balgen, sondern
sie ist gleichzeitig die Exekution der übergeordneten Irrationalität (auch
seitens der ebenfalls durch die Form ihres Interesses darin eingebundenen
Lohnarbeiter). Und das gilt erst recht für ihre gewaltsame Fortsetzung mit
anderen Mitteln, in den heutigen demokratischen Weltordnungskriegen ebenso
wie in den Kriegen und Massakern der vergangenen kapitalistischen
Durchsetzungsgeschichte. Es ist also nicht so, wie es eine gewisse Lesart
der Kritischen Theorie nahelegen könnte, daß der Kapitalismus früher einmal
rational gewesen und erst später irgendwie verrückt geworden wäre.

Schon die beiden Weltkriege (und überhaupt alle Kriege der
Modernisierungsgeschichte) gingen nicht in einem linearen Zusammenhang von
"rationalen" Territorial- und Rohstoffinteressen einerseits und
politisch-militärischem Kalkül andererseits auf, sondern bestanden eher in
einer über jedes Kalkül hinausschießenden Explosion der gesellschaftlichen
Widersprüche und ihrer phantasmatischen ideologischen Verarbeitung, die
letztlich auch die bürgerliche Zweckrationalität in die Luft sprengte. Es
geht nicht darum, die Binnenrationalität der Interessen zu leugnen, sondern
sie in Beziehung zu setzen zur Irrationalität der kapitalistischen
Produktionsweise als solcher, in die sie eingehüllt sind.

Diese Beziehung von handfestem Interesse und irrationalem Selbstzweck ist
systemisch bedingt; sie kann sich nicht beliebig äußern, sondern nur im
Rahmen der jeweiligen Entwicklungsstufe von Kapital und Weltgesellschaft.
Deshalb vollzieht sich die gewaltsame Fortsetzung der Konkurrenz auch nicht
in einer immergleichen Weise, sondern sie verändert ihre Erscheinungsform im
Kontext der industriellen Revolutionen und der strukturellen Umwälzungen des
Weltmarkts.

In der langen Epoche der ersten industriellen Revolution war die Konkurrenz
mit den Kriegen der polyzentrischen nationalimperialen Ausdehnungsmächte
vermittelt. Aus der zweiten industriellen Revolution ging dagegen der
bipolare Kalte Krieg (mit seinen zahlreichen "heißen" Stellvertreterkriegen)
zwischen den beiden Supermächten USA und Sowjetunion hervor, in dem sich die
Konkurrenz des alten westlich-atlantischen Zentrums des Kapitalismus mit den
historischen Nachzüglern der "nachholenden Modernisierung" an der östlichen
und südlichen Peripherie des Weltmarkts niederschlug. Die dritte
industrielle Revolution schließlich setzte einen globalen Krisenprozeß neuen
Typs frei, in den der Untergang des sowjetischen Staatskapitalismus und das
Scheitern der gesamten Peripherie an den Kriterien des Weltmarkts
eingeschlossen ist. Zurück blieb die monozentrische Machtstruktur eines
"ideellen Gesamtimperialismus" unter unanfechtbarer Führung der letzten
Weltmacht USA, der die Weltpolizeikriege gegen die Produkte der vom Kapital
selbst produzierten Weltkrise (Zusammenbruchspotentaten, Warlords, Fürsten
des Terrors) entsprechen.

Wie es scheint, ist die übergreifende Irrationalität der Produktionsweise
als solcher global reif geworden. Der wahnhafte Selbstzweckcharakter und der
binnenrationale Interessenmaterialismus können nicht mehr zur Deckung
gebracht werden, wie es in den früheren Akkumulationsschüben nach Krise und
Krieg immer wieder möglich war. Die neuen Produktivkräfte haben, wie von
Marx logisch deduziert, nun auch empirisch die Akkumulationsfähigkeit
ausgehöhlt. Die Fähigkeit des Kapitals zur Reabsorption von Arbeit auf neuer
Stufenleiter erlischt, es werden schubweise ungeahnte Massen von
"Überflüssigen" im planetarischen Maßstab hervorgebracht. Dem entspricht auf
der politisch-militärischen Ebene, daß es keine Gegenmacht mehr gibt. Auch
die demokratischen Weltpolizeikriege setzen die Konkurrenz fort, aber das
monozentrisch gewordene und globalisierte Kapital trifft dabei unmittelbar
auf sich selbst, auf seine eigenen Krisengespenster. Damit zeigt sich auch
in politisch-militärischer Hinsicht, was Marx im ökonomischen Sinne
formulierte, nämlich daß die Schranke des Kapitals das Kapital selbst ist.

Es gibt kein Zurück zum alten innerimperialistischen Kampf nationaler
Ausdehnungsmächte, ebensowenig wie es ein Zurück zur Dampfmaschine oder zu
den Schlachtschiffen gibt. Was sich als Logik einer neuen gewaltsamen
Fortsetzung der Konkurrenz abzeichnet, ist der Kampf um die absolute (nicht
mehr wie in der Vergangenheit bloß relative) "Überflüssigkeit" von
Ressourcen (Überkapazitäten) und gegen die "Überflüssigen". Dabei scheint
eine absolute Vernichtungslogik auf, wie sie schon immer im Kern des
Kapitals lauerte. Hegel hatte das in seiner Rechtsphilosophie angedeutet:
Die Reproduktionsbewegung des "freien Willens" (alias "automatisches
Subjekt") sei dessen "Entäußerung" in die Gegenstände der Welt, an die er
sich aber nicht verlieren dürfe, sondern in denen er vielmehr sich selbst
darstellen müsse, um wieder zu sich zurückzukehren. Wenn diese Bewegung
nicht mehr gelinge, werde eine ungeheure Zerstörungskraft freigesetzt. Um
nichts anderes geht es, wenn Adorno in der Negativen Dialektik von einer
"absoluten Negativität" spricht, in der das "Prinzip der bestehenden
Gesellschaft bis zu ihrer Selbstzerstörung" liege.

Wenn die Welt nicht mehr zur Verwertung taugt, dann soll sie vernichtet und
ganz in die metaphysische Leere der Wertform aufgelöst werden. Diesem
geheimen absoluten Krisenprogramm folgen die Warlords und religiösen
Wahnsinnigen ebenso wie die demokratischen Weltordnungskrieger, Bush nicht
weniger als Bin Laden. Auch Milosevic und Saddam Hussein sind in diese Logik
hineingeraten, aber als Dinosaurier der vergangenen Epoche "nachholender
Modernisierung". Ob sich Selbstmordattentäter mit gekaperten
Passagierflugzeugen auf die Twin Towers stürzen, die US-Militärmaschine
afghanische Hochzeitsgesellschaften vom Erdboden wegbombt, die
Pentagon-Strategen an Miniatur-Atombomben basteln oder Saddam über seinen
Giftgasvorräten brütet: Überall schimmert ein diffuser, die
Selbstvernichtung einschließender Vernichtungswille durch, der sich vom
Interessenmaterialismus losreißt, gerade weil dessen Form zur Naturform
gemacht worden ist.

Natürlich erinnert all das an die Nazis, bei denen sich das
nationalimperiale "rationale Interesse" mit dem irrationalen
Vernichtungsprogramm des eliminatorischen Antisemitismus und der
schließlichen Selbstvernichtung verband. Damals, an der Schwelle der noch
nicht ausgeschöpften zweiten industriellen Revolution, konnte sich diese
Konsequenz als Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise nur in Deutschland
aufgrund seiner spezifischen Geschichte durchsetzen. In der neuen Weltkrise
wiederholt sich die Geschichte nicht. Das nie überwundene, weil dem
Kapitalverhältnis inhärente antisemitische Syndrom kehrt in großem Maßstab
wieder, aber eingeschlossen in einen allgemeineren, global diffundierenden
Zerstörungsprozeß. Dieselbe Vernichtungslogik nimmt universelle, nicht mehr
national isolierbare Verlaufsformen an.

Es ist kein Zufall, daß sich gerade in den westlichen Ländern gleichzeitig
eine "Kultur des Amoklaufs" herausgebildet hat (real und virtuell).
Amokläufer und Selbstmordattentäter sind verwandte Figuren, in beiden
verschmelzen die Motive von Mord und Selbstmord. Und in beiden Fällen
handelt es sich nicht um eine individuelle, sondern um eine
gesellschaftliche Psychopathologie. Sowohl die jugendlichen Täter der
Schulmassaker in den USA und in der EU als auch die islamistischen
Selbstmordterroristen sind durchwegs gut angepaßte Subjekte der
"instrumentellen Vernunft". Sie bringen in der verwildernden Konkurrenz
unmittelbar deren irrationale Konsequenz zum Vorschein: die gleichzeitig
symbolische und reale Inszenierung eines finalen Abgangs mit maximaler
Vernichtungswut.

Auf ein solches Finale droht auch die globale kapitalistische
Repräsentanzmacht USA zuzusteuern. Wenn die Lage ausweglos erscheint, könnte
der losgelassene Militärapparat den Amoklauf als letzte Konsequenz des
zerfallenden Konkurrenz-Systems im großen Maßstab veranstalten. Der
kapitalistischen Subjektivität überhaupt brennt die Sicherung durch, und
warum dann nicht gerade an der Spitze der konkurrenzlosen letzten Weltmacht?
Die Triebkraft ist ganz offensichtlich der bis jetzt nicht aufgefangene
Crash des Finanzblasen-Kapitalismus, der in den 90er Jahren mit fiktivem
Kapital die Weltkonjunktur gefüttert hatte. Die größte Baisse der
Nachkriegsgeschichte hat nun die USA erreicht und droht mit Mega-Pleiten auf
die Realkonjunktur überzuspringen. Mit unabsehbaren Folgen ist sowohl die
weitere Finanzierung des astronomischen US-Handels- und
Leistungsbilanzdefizits als auch des High-Tech-Militärapparats akut in Frage
gestellt.

Unter diesen Bedingungen bröckelt die ideologische Legitimation von "freedom
and democracy". Der fieberhaft vorbereitete Angriff auf den Irak markiert
einen Umschlagspunkt in den Weltordnungskriegen. Erstmals wird nicht nur
ganz offen die großflächige Zerstörung und weit über den zynischen Terminus
der "Kollateralschäden" hinaus der massenhafte Tod der Zivilbevölkerung ins
Auge gefaßt, sondern auch das Risiko einer völligen Destabilisierung
ausgerechnet der zentralen Ölregion in Kauf genommen. Die in der
US-"Expertendebatte" vorgebrachten Begründungen sind abenteuerlich und
durchsichtige Rationalisierungen; etwa wenn erwogen wird, die Saudis, Kuwait
usw. fallen zu lassen und mittels eines im Irak installierten
Marionetten-Regimes den Ölpreis dauerhaft zu drücken. Das Resultat wäre der
ökonomische Ruin des gesamten arabischen Raums, das blutige Ende aller
prowestlichen Regimes und der Notstand einer kaum durchzuhaltenden
US-Militärdiktatur über den Nahen Osten.

Die Ölmaterie bildet zwar den Treibstoff der kapitalistischen
Verbrennungskultur, aber sie konstituiert nicht per se
Akkumulationsfähigkeit, sondern setzt diese vielmehr voraus. In demselben
Maße, wie die Weltkrise das Zentrum erfaßt, schlägt der Ölmaterialismus
unmittelbar in Irrationalität um. Die Flucht nach vorn in den militärischen
Amoklauf vollzieht sich umso sicherer, je unbewältigbarer der Finanzcrash
wird. Nicht aufgrund ihrer größeren Zurechnungsfähigkeit geben sich die
EU-Staaten als zögerliche Bedenkenträger, sondern bloß weil sie nicht selber
den Finger am Abzug der Pumpgun haben.

Ohnehin ist es bloß peinlich, wenn ausgerechnet Kanzler Schröder als
Repräsentant des gelernten Amokläufers unter den Nationalstaaten zur
Mäßigung mahnt. Das ist ungefähr so glaubwürdig wie die Wahlkampftöne gegen
die Niedriglohn-Sklaverei in den USA, während Schröders Hartz-Kommission
eben diese hierzulande vorbereitet. Angesichts weiterer globaler
Kriseneinbrüche werden die BRD-Eliten den Amoklauf der US-Kriegsmaschine
letztlich billigen und gleichzeitig mangels eigener militärischer Potenz den
Amoklauf der militärisch Armen nach innen inszenieren, wie er heute schon in
vielen Krisenregionen stattfindet: als Freigabe des Pogroms gegen die 7
Millionen "Ausländer", die sich hoffentlich zu wehren wissen.



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