[ox] TELEPOLIS: Die Kontroversen mehren sich
- From: smerten oekonux.de (Stefan Merten)
- Date: Tue, 22 Jul 2003 22:20:13 +0200
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Je konkreter es wird, desto schwammiger wird es...
Georg Greve hat auf dem Pariser Treffen und mit seinen Berichten
übrigens einen Klasse Job gemacht :-) . Leider ist das
Mailing-Listen-Archiv so schlecht gewartet, dass seine Mails da nicht
drin sind...
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Die Kontroversen mehren sich
Wolfgang Kleinwächter 22.07.2003
Der Marathonlauf zum Weltgipfel der Informationsgesellschaft hat das
kritische Stadium erreicht
Der Marathonlauf zum Weltgipfel der Informationsgesellschaft [1]
(WSIS) hat den kritischen Kilometer 30, an dem sich üblicherweise Spreu
vom Weizen trennt, erreicht. Ging es bei den bisherigen zwei
Vorbereitungskonferenzen (PrepComs) noch vorrangig ums Prozedere, d.h.
darum, wie weit nichtstaatliche Beobachter aus der Zivilgesellschaft
und der Privatwirtschaft an den Verhandlungen zu einer "WSIS
Deklaration" und einem "WSIS Aktionsplan" beteiligt werden, so rücken
nun die kontroversen inhaltlichen Fragen in den Mittelpunkt. In einer
viertägigen Konferenztortur sind letzte Woche bei einer sogenannten
"WSIS InterSessional"-Konferenz rund 750 Delegierte von Regierungen,
Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft erstmals "zur Sache" gekommen.
Und schon wurden die weltweit tiefgreifenden Kontroversen über die
Zukunft der globalen Informationsgesellschaft sichtbar.
Auf knapp 400 Seiten hatte das WSIS Sekretariat alle bei ihm
eingetroffenen Ideen aufgelistet [2]. Es war nun Aufgabe des Pariser
Treffens, aus dem Papierberg ebenso lesbare wie substantielle
Schlussdokumente für die im Dezember in Genf zusammenkommenden
Staatsoberhäupter herauszudestillieren. Das Ergebnis ist eher
kümmerlich. Der jetzt 12seitige Deklarationsentwurf ist an
nichtssagenden Allgemeinplätzen kaum zu übertreffen. Die Verhandlungen
zum Aktionsplan blieben auf halbem Weg stecken. Nun sollen der Plan vom
WSIS-Sekretariat für die nächste Vorbereitungskonferenz (PrepCom3) Ende
September in Genf fertig gestellt werden.
Das Schneckentempo, mit dem sich die Verhandler durch den Pariser
Papierberg quälten, erklärt sich nicht zuletzt daraus, dass momentan
jeder jeden auszubremsen versucht, wenn es um substantielle
Festlegungen oder gar Verpflichtungen geht. Die diesbezügliche
Stichwortliste wird immer länger, je tiefer man in die Materie
eindringt.
Von der Finanzierung über Cybersicherheit bis zur Internetverwaltung:
Die Kontroversen wachsen
Finanzierung:
Die Staatsoberhäupter der Entwicklungsländer, wie Senegals Präsident
Wade bei der PrepCom2, erwarten, dass sie am Ende des WSIS Gipfel eine
erhebliche Finanzspritze erhalten, einen sogenannten "Digital
Solidarity Fund", mit der sie ihre Informationsinfrastruktur aufbauen
können. Die Finanzminister der mehr oder minder reichen Länder des
Nordens halten jedoch nicht viel von einer großen Geldbüchse, die, wie
Erfahrungen mit anderen Fonds zeigen, zur "Versandung" neigen, sondern
bevorzugen bilaterale Projekte und richten ihre Finger primär auf die
private Wirtschaft. Die wiederum hält sich bedeckt, solange sie nicht
einen entwickelbaren Markt sieht, der ihnen Rechtssicherheit und
Bewegungsfreiheit garantiert. Das Verbot von Raubkopieren gehört dazu
ebenso wie die Abschaffung von Staatsmonopolen bei der
Telekommunikation.
Menschenrechte:
Vor allem Vertreter der Zivilgesellschaft fordern stärkere Garantien
für die Menschenrechte auf Information und Kommunikation. Man müsse von
der Deklaration der Rechte zu deren Praktizierung kommen und dafür auch
die materiellen Voraussetzungen schaffen. Die Vorschläge aber, die vor
einem halben Jahrhundert formulierten Rechte an die Gegebenheiten des
interaktiven Informationszeitalters anzupassen und um Aspekte wie
Zugangs- und Partizipationsrechte zu erweitern, schmettern jedoch die
Regierungen - von China bis zu den USA - mit dem Hinweis ab, WSIS sei
keine Kodifikationskonferenz und könne folglich keine neuen Rechte
begründen. Auch Forderungen nach einer internationalen Verankerung
eines Rechts auf Kommunikation oder auf informationelle
Selbstbestimmung sowie konkrete Maßnahmen gegen flächendeckende
Überwachung individueller Internet-Kommunikation stoßen auf schroffe
Ablehnung.
Cybersicherheit:
Die von der Europäischen Union vorgeschlagene Formulierung, eine
"Kultur der Cybersicherheit" zu schaffen, bei der die
Sicherheitsinteressen des Staates mit den Datenschutzansprüchen der
Bürger ausbalanciert werden sollten, ohne dass es dabei unnötige
Hindernisse für den elektronischen Geschäftsverkehr gibt, versucht zwar
rein verbal, allen Seiten gerecht zu werden. Der entsprechende
Deklarationsparagraph aber schwiegt sich darüber aus, wie denn diese
"Balance" aber konkret aussehen soll. Zusätzlichen Konfliktstoff haben
die Russen geliefert, indem sie auch auf die militärische Dimension von
Cybersicherheit verweisen und staatliche Privilegien für den Kampf
gegen den "Cyberterrorismus" fordern. Der sogenannte
"Tschetschenien-Paragraph" aber geht nicht nur der EU zu weit. Auch die
USA halten nichts davon, das Thema WSIS zu "militarisieren". Das US
Department for Homeland Security wird sich wohl kaum von der UNO in
ihre Cybersicherheitsstrategie hineinreden lassen wollen.
Internetverwaltung:
Entwicklungsländer, und allen voran China, fordern die Verwaltung der
Kernressourcen des Internet - Domain-Namen, IP-Adressen,
Internetprotokolle und Root Server - einer zwischenstaatlichen
Organisation zu unterstellen. USA und EU wollen hingegen der
reformierten ICANN, die die Mitwirkungsrechte von Regierungen erweitert
hat, den Rücken stärken. Die Privatwirtschaft fordert, dass dieses
Thema auch weiterhin primär der industriellen Selbstregulierung
unterliegen soll, während die Zivilgesellschaft eine größere
Beteiligung von individuellen Internet Nutzern am globalen Internet
Politikmanagement fordert.
Geistige Eigentumsrechte und Open Source:
Die USA, im Verbund mit der Mehrheit der privaten Wirtschaft, fordern
dieses Thema weitgehend aus WSIS herauszulassen, sich damit zu
begnügen, die bestehenden Instrumente wie GATS und TRIPS zu bekräftigen
und es den laufenden Verhandlungen in der WIPO und der WTO zu
überlassen, wie die zukünftigen globalen Rahmenbedingungen für den
"freien Informationsfluss" aussehen sollen. Entwicklungsländer im
Verbund mit der Zivilgesellschaft plädieren hingegen für eine Stärkung
der Rechte der Schöpfer und nicht nur der der Verwertungsgesellschaften
Auch die Interessen der Nutzer müssten berücksichtigt werden und das
Recht auf bezahlbare Teilhabe an den Informationsprodukten oder das
"right to share information", z.B. via P2P-Modelle, sollte durch die
WSIS verankert werden. Im Bereich von Open Source und freier Software
wiederum ist die Europäische Union durchaus an der Seite der
Zivilgesellschaft und nicht uninteressiert daran, das Quasi-Monopol von
Microsoft zu brechen.
Neue Partnerschaften in Sicht: Stop-and-Go Verhandlungen bei PrepCom3?
Bei den spezifischen Sachauseinandersetzungen, die in "Ad hoc Working
Groups" verlegt wurden, zeigte sich auch deutlich, dass viele
Regierungsvertreter zwar über die Kunst des taktischen
Formulierungsgeplänkels verfügen, häufig aber überfordert sind, wenn es
um konkrete, mitunter technisch komplizierte Sachfragen geht. Bei einer
Nachtsitzung zum Thema Internetverwaltung wurden z.B. Forderungen laut,
wonach jedes Land ein Recht auf einen eigenen Root Server haben müsse.
Einige Diplomaten wollten Regeln verankern, die das souveräne Recht von
Regierung bekräftigen sollten, das "nationale Internet" ähnlich regeln
zu können wie das nationale Rundfunksystem.
Der kenianische Vorsitzende der "Ad hoc Internet Governance Working
Group" war daher durchaus dankbar, als sich zu später Stunde anwesende
nicht-staatliche Beobachter, wie z.B. Paul Wilson, Direktor der
regionalen Internet Adressenverwaltung für die asiatisch-pazifische
Region (APNIC), in die Debatte einmischten und ein wenig zur Aufklärung
beitrugen, wie das Internet im allgemeinen und die Zuordnung von
IP-Adressen und Domain-Namen im konkreten funktionieren. Die
Intervention "von außen" trug nicht unwesentlich zu einer
Versachlichung der Debatte bei. Der Vorgang war insofern bemerkenswert,
da rein formell nach den auf PrepCom1 angenommenen Prozedurregeln
Beobachter eigentlich weder Zugangs- noch Rederecht in Arbeitsgruppen
haben sollten.
An diesem Beispiel wurde sichtbar, dass sich die auf den ersten beiden
Vorbereitungskonferenzen fast religiös geführten Auseinandersetzungen
um die Öffnung des Staatengipfels für Beobachter als reine ideologische
Schlachten entpuppen, denen die Luft ausgeht, wenn es um fachliche
Substanz geht. Die Interaktion zwischen allen Gruppen - Industrie,
Zivilgesellschaft und Regierungen (in der WSIS-Sprache wird das jetzt
"multistakeholder approach" genannt) - wird immer mehr als die einzige
Chance erkannt, halbwegs vernünftige Gipfelergebnisse zu erzielen.
Dabei geht es nicht darum, die Souveränitätsrechte von Regierungen zu
unterhöhlen, sondern innovative neue Partnerschaften aufzubauen, bei
denen je nach sachlicher Gemengelage einmal die Regierungen, ein
andermal der private Sektor oder die Zivilgesellschaft die "führende
Rolle" übernehmen. Dass die dabei zitierten Prinzipien wie Offenheit,
Transparenz und "Politikentwicklung von unten" bei einigen Regierungen
grausiges Rückengrimmen auslösen, lässt erwarten, dass die Diskussion
zwar begonnen hat, aber bei weitem noch nicht klar ist, wie weit WSIS
diese politische Innovation einer dreiseitigen Partnerschaft in der
Praxis treiben wird.
Der vom zivilgesellschaftlichen WSIS-Büro unterbreitete Vorschlag für
PrepCom 3 [3], das Verhandlungsprozedere zu verändern und vor den
Formulierungen von strittigen Paragraphen zunächst eine informelle
Expertenrunde abzuhalten, um den Sachverstand von Beobachtern aus der
Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft einzuholen, wurde denn auch
vom zwischenstaatlichen WSIS-Büro zunächst als eine interessante
Anregung entgegengenommen. Dieser Vorschlag stellt nicht in Frage, dass
das letztendliche Formulierungsrecht der WSIS-Schlussdokumente Sache
der Regierungen ist, könnte aber sowohl Qualität als auch
Glaubwürdigkeit und Legitimität von WSIS-Deklaration und
WSIS-Aktionsplan erhöhen.
WSIS-Präsident Samassekou sprach sich dafür aus, die Interaktion
zwischen Regierungen und Beobachtern stärker auf die sachliche Substanz
zu fokussieren. Der Schweizer Botschafter Stauffacher konnte sich gar
ein "Stop-and-Go-Verhandlungsprozedere" bei PrepCom3 vorstellen, bei
dem für die Zeit der Intervention von Beobachtern die
Regierungsverhandlungen formell unterbrochen werden Und selbst der
bislang gegen jedwede Öffnung hin zur Zivilgesellschaft opponierende
pakistanische Botschafter wollte nicht mehr ausschließen, dass man in
der letzten Phase bei der Abfassung der Dokumente mehr Hand in Hand
arbeiten könne. Er zitierte einen alten chinesischen General der einmal
gesagt haben soll, dass sich "Möglichkeiten vervielfältigen mit ihrer
Praktizierung".
Ob den Regierungsworten Taten folgen, bleibt indes abzuwarten. Der
Frust der Zivilgesellschaft wurde am letzten Tag der
WSIS-InterSessional noch einmal deutlich artikuliert. Der jetzt
vorliegende Deklarationsentwurf sei völlig unausgewogen und ignoriere
wesentliche Ideen der Zivilgesellschaft, sagte Meryem Mazouki, die die
Arbeitsgruppe Menschenrechte der Zivilgesellschaft leitet. Der
WSIS-Berg habe gekreißt, aber ein Mäuslein geboren. Die
Zivilgesellschaft hätte im WSIS-Prozess bislang Konstruktives geleistet
und sei bislang nicht der vermutete "Troublemacher". Die im
Deklarationsentwurf in eckige Klammern gesetzte Absicht der
Regierungen, die Zivilgesellschaft stärker an Entscheidungen über die
Zukunft der globalen Informationsgesellschaft zu beteiligen, sei
bislang jedoch lediglich ein substanzloses Lippenbekenntnis und nehme
die geleistete Arbeit nicht zur Kenntnis.
Die Zivilgesellschaft hat in diesem WSIS-Prozess eine bemerkenswerte
Reifung und Professionalisierung durchlebt. Sie hat eine Struktur
entwickelt. Es gibt eine "Civil Society Plenary", eine "Civil Society
Content and Themes Group", mehr als 25 "Civil Society Families",
Caucuses und inhaltliche Arbeitsgruppen, in denen teilweise die besten
Experten dieser Welt mitarbeiten, und ein "Civil Society WSIS Bureau".
Zu nahezu allen Punkten wurden substantielle Arbeitspapiere vorgelegt.
Das Zivilgesellschaftliche Prioritätspapier [4] ist de facto bereits
so etwas wie einen "Schatten-Deklaration", die, sollten die Regierungen
den Input der Zivilgesellschaft dramatisch ignorieren, auf dem Gipfel
auch als eine Art "Alternativ-Deklaration" präsentiert werden könnte.
John Gagain aus der Dominikanischen Republik, der als Mitglied der
"Civil Society Think Tanks Family" dem zivilgesellschaftlichen WSIS
Büro vorsteht, meinte, dass man seit der PrepCom1 auf dem Weg von
"Turmoil to Trust" einen gehörigen Schritt vorangekommen ist. Es sei
jetzt an den Regierungen, der Zivilgesellschaft mehr Vertrauen entgegen
zu bringen. Wenn dies nicht geschieht, könnte es aber auch durchaus
sein, dass aus "Trust" wieder "Turmoil" und bis zum Gipfel der Berg
immer größer, das Mäuslein jedoch immer kleiner wird.
Wolfgang Kleinwächter ist Professor für internationale
Kommunikationspolitik und Mitglied des zivilgesellschaftlichen WSIS
Büros.
Links
[1] http://www.itu.int/wsis/
[2]
http://www.itu.int/wsis/preparatory/prepcom/intersessional/index.html
[3] http://prepcom.net/wsis/1058537670660
[4]
http://www.worldsummit2003.de/download_en/WSIS-CS-CT-Paris-071203.rtf
Telepolis Artikel-URL:
http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/te/15273/1.html
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