Message 07189 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT07189 Message: 1/1 L0 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

[ox] Interview zu Empire



Hi!

In der ak 473 (16.5.2003) ist das anhängende Interview mit Thomas
Atzert erschienen. Ganz am Ende kommt auch ein kurzer Verweis auf
Freie Software. Ich reproduziere das hier mit Zustimmung des
Interviewten.

Mein Eindruck ist, dass die Lernmöglichkeiten zwischen Oekonux und
Empire noch nicht ausgeschöpft sind. Ich habe Thomas Atzert bereits
auf die Konferenz hingewiesen und Benni hatte ihm wohl auch schon ein
paar Hinweise gegeben.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

--- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< ---
"Ich bin eigentlich kein Optimist"

Ein Gespräch über "immaterielle Arbeit" und die "Potenziale des
Kommunismus"

Die "immaterielle Arbeit" ist eine der zentralen Kategorien in Toni
Negris und Michael Hardts "Empire". Und wie viele andere Begriffe aus
diesem Buch wird auch dieser heftig diskutiert. So z.B. bei einer
Veranstaltung in Essen am 2. April diesen Jahres. Am Rande dieser
Veranstaltung sprach Tom Binger mit Thomas Atzert, Übersetzer von
"Empire" und Redakteur der Subtropen.

/In "Empire" behaupten Antonio Negri und Michael Hardt, wir befänden
uns gegenwärtig in einer grundlegenden Umbruchphase. Durch die
mikroelektronische technologische Revolution würden die klassischen
Formen der standardisierten industriellen Massenproduktion abgelöst
durch neue flexibilisierte Produktionsverfahren. Damit verbunden sei
auch ein weit reichender Wandel in den Formen gesellschaftlicher
Arbeit. Statt der Produktion materieller Güter stünden Formen der
immateriellen und affektiven Arbeit im Zentrum des
Produktionsprozesses. Warum rücken Hardt/Negri diese neuen Konzepte in
den Mittelpunkt ihrer Analyse?/

Hardt/Negri geht es um die Kritik einer bestimmten handgreiflichen
Vorstellung von Materie oder Materialismus. Also darum, Formen von
Wissen, affektive Arbeit und Formen von Kooperation zu fassen, die
nicht unbedingt in dem Sinn materiell sind, dass man sie mit Händen
greifen kann. Diese Formen kennzeichnen aber nach der These von
Hardt/Negri vor allem die Produktionsverhältnisse der Gegenwart. Dazu
gehören neue Formen der Kooperation, die teilweise außerhalb des
unmittelbaren Produktionsprozesses entstehen. Dazu gehört eine ganz
neue Bedeutung, die Wissen und Information in diesem
Produktionsprozess zukommt. Und es gehört vor allem der ganze Bereich
der Produktion und des Einsatzes von Affekten dazu.

/Wird dadurch nicht ein relativ kleines,
privilegiertes Segment der gesellschaftlichen Arbeit stark
überbewertet?/

Wenn man sich den gesamten Produktionsprozess einer Ware oder einer
Dienstleistung anschaut, dann erkennt man, dass dort unterschiedliche
Formen von Arbeit kombiniert sind. Es gibt natürlich nach wie vor die
körperliche Arbeit, nicht nur in den Sweat-Shops. Es gibt
Produktionsabläufe, die über den gesamten Globus verteilt sind.
ProgrammiererInnen in Indien, Manufakturen in Bangladesch,
Chip-ForscherInnen in Taiwan arbeiten für Siemens, und koordiniert
wird das im Konzern in München und Berlin. Der Produktionsprozess ist
nicht mehr an einem Ort konzentriert. Jetzt kann ich nicht sagen,
irgend etwas ist ausschließlich High Tech. Trotzdem spielt die
Koordination dieses Produktionsprozesses eine zentrale Rolle. Ich
würde auch stärker als Hardt/Negri auf die Ausbeutungsverhältnisse
hinweisen. Es geht gerade darum, wie diese Kooperation, wie diese
Fähigkeiten, wie dieses Wissen im Produktionsprozess vom Kapital
angeeignet werden.

/Laut Hardt/Negri verschwindet die Trennung zwischen Kopf- und
Handarbeit, zwischen intellektueller und körperlicher Arbeit, genauso,
wie die strikte Unterscheidung zwischen Produktion und Reproduktion
oder diejenige zwischen Arbeit und Freizeit. In den neuen Formen
kooperativer Interaktion und ihrem Fundament in sprachlichen,
kommunikativen und affektiven Netzwerken würden alle Lebensäußerungen
der Individuen unmittelbar produktiv. Erschwert diese weit reichende
Ausdehnung des Arbeitsbegriffs nicht eine konkrete Kritik der Arbeit?/

Hardt/Negri stellen diesen Prozess ja nicht als Selbstläufer dar,
sondern es geht ihnen darum, auf die Kämpfe der letzten 50 Jahre
hinzuweisen, in denen die Veränderungen quasi vorgezeichnet sind.
Dabei geht es um ein weites Feld von gesellschaftlichen
Auseinandersetzungen. Das reicht von den antikolonialen Kämpfen im
Trikont bis hin zu den Kämpfen gegen die Fabrikarbeit hier in den
Metropolen. Das reicht von den Kämpfen der Frauen gegen die
patriarchalen Verhältnisse bis hin zu den Kämpfen der Schüler- und
Studentenbewegung. Und es kommen die ganzen Fragen der Migration in
einem umfassenden Sinn mit hinein. Wir haben hier also ein breites
Feld von gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, die die
vorhergehende dominante Form von Arbeitsteilung obsolet gemacht haben.

Hardt/Negri bewegen sich damit quasi in einer ganz traditionell
marxistischen Bahn, indem sie sagen, die Klassenkämpfe sind der Motor
der Geschichte. Neu ist der Begriff der "Biomacht", den sie aus der
Machtanalytik Foucaults gewinnen. Hier geht es darum genauer zu
bestimmen, wie diese Neuzusammensetzung der Arbeit funktioniert. Dabei
wird die traditionelle Trennungslinie zwischen Produktion und
Reproduktion zerstört. Die Kooperation, das Gemeinsame findet sich im
gesamten Leben, im Alltag und im Zusammenleben der Subjekte. Für das
Kapital kommt es deshalb darauf an, das gesamte Leben in all' seinen
Äußerungen zu kontrollieren und in den Produktionsprozess einzusetzen.

/Wissen und Kreativität, Sprache und Affekte sollen in der
postfordistischen Produktionsweise zu unmittelbaren Produktivkräften
werden. Hardt/Negri berufen sich in diesem Kontext auf den Marxschen
Begriff des "General Intellect". Was ist damit gemeint?/

Produktivkraft ist schon bei Marx nicht einfach nur eine technische
Apparatur. Produktivkraft ist also nicht nur die neue Maschine,
sondern Produktivkraft ist vor allem das Verhältnis der Produzenten
zueinander und zum Produktionsprozess. Die Maschinen, die Marx damals
vor Augen hatte, waren natürlich für heutige Verhältnisse sehr
primitiv. Es waren keine computergesteuerten Netzwerke. Diese
Maschinen machten aber trotzdem schon in großem Ausmaß, vor allem in
der Schwerindustrie, menschliche Arbeit überflüssig, eine paradoxe
"Abschaffung der Arbeit" unter dem Kommando des Kapitals. Marx zeigt,
wie der Kapitalismus Maschinen gegen ArbeiterInnenaufstände einsetzt.
Der ArbeiterInnenaufstand bringt so praktisch die so genannte
technologische Revolution hervor. In den "Grundrissen" überlegt Marx,
wie das Wissen in diesem Prozess funktioniert. Marx' Vorstellung von
gesellschaftlichem Wissen beruhte noch auf einer ganz anderen
Arbeitsteilung, in der dieses Wissen produziert wurde und
dementsprechend auch einen anderen Ort hatte. Mit dem "General
Intellect" hat er einen Begriff geschaffen, der denkbar macht, dass
Wissen gesellschaftlich, kooperativ und gemeinsam hervorgebracht wird.
Es geht also einmal darum zu fragen, wie wird Wissen produziert,
distribuiert und angeeignet. Und zum anderen um die Frage, wie sich
diese und andere Produktivkräfte vom kapitalistischen Kommando
befreien lassen. '

/Marx' Thema war dabei ja der Prozess einer reellen Subsumtion der
Arbeit unter das Kapital. Was bedeutet in diesem Kontext bei
Hardt/Negri die Rede von der "reellen Subsumtion der Gesellschaft
unter das Kapital"?/

Hier geht es noch einmal darum, dass die Trennung zwischen Produktion
und Reproduktion, dadurch dass jede Lebensäußerung für das Kapital
interessant ist, obsolet geworden ist. An dieser Argumentation von
Hardt/Negri hängt vielleicht ein gewisser modernisierungstheoretischer
Haken. Auf die formelle Subsumtion folgt die reelle Subsumtion der
Arbeit, auf die reelle Subsumtion der Arbeit folgt die reelle
Subsumtion der gesamten Gesellschaft. Das ist ein bisschen
holzschnittartig. Worum es aber geht, ist zu sehen, dass das Kapital
sich immer neue produktive Kapazitäten einverleiben muss. Dieser
Prozess bringt - worauf schon Marx hinweist - eine "Überbevölkerung"
hervor; er macht die Menschen überflüssig für die kapitalistische
Produktion. Das bedeutet für immer mehr Menschen eine
Verallgemeinerung von Prekarisierung und Marginalisierung. Das
betrifft die Verhältnisse in weiten Teilen des Trikont, dass betrifft
aber auch die Verhältnisse hier in den Metropolen.

/Aus feministischer Perspektive wird der positive Bezug auf Formen der
affektiven Arbeit kritisiert. Idealisieren Hardt/Negri damit nicht
tatsächlich traditionell als "weiblich" definierte Formen der
Reproduktionsarbeit als Orte der Nicht-Entfremdung und
Herrschaftsfreiheit?/

Ich glaube nicht, dass es eine Idealisierung ist, sondern es ist -
ähnlich wie bei dem Begriff der immateriellen Arbeit - der Versuch, eine
bestimmte Tendenz zu fassen. Es geht also darum, mit dem Begriff der
affektiven Arbeit oder auch mit dem Begriff der Frauenarbeit, wie er
im Feminismus vorkommt, eine bestimmte Denkrichtung zu kritisieren. Es
geht um die Kritik einer identitären Konzeption von Frauenarbeit und
von gesellschaftlichen Gewaltverhältnissen, die bestimmte
arbeitsteilige Formen Frauen zuschreiben. An diese starke Kritik des
Feminismus knüpfen Hardt/Negri eher an, als dass sie dem
entgegenstehen. Es geht also nicht um eine Idealisierung, sondern darum
zu sehen, wie bestimmte Handlungen und Verrichtungen in das Zentrum des
Verwertungsprozesses rücken. Dazu gehören diese affektiven
Tätigkeiten, dazu gehört die Produktion von Emotion, dazu gehört im
Bereich der Dienstleistungen die Sorge um andere und die Sorge darum,
dass alles klappt.

/Im schöpferischen Potenzial der immateriellen Arbeit sehen
Hardt/Negri die Basis für "eine Art des spontanen und elementaren
Kommunismus". Teilst du diese optimistische Sicht auf die neuen
Arbeitsverhältnisse?/

Ich bin eigentlich kein Optimist. Die Frage ist, wo die Konfliktfelder
und die Konfliktlinien sind, an denen sich Kämpfe, die über das
Bestehende hinausweisen, bilden können. Man muss das ja nicht gleich
die Keimform des Kommunismus nennen. Die OperaistInnen in den
sechziger Jahren hatten die ganzen gewerkschaftlichen Streiks vor
Augen, die um ein bisschen mehr Lohn und ein bisschen weniger
Arbeitszeit gingen. Gleichzeitig gab es aber in den Fabriken damals
sehr viele Formen von Insubordination, also mehr oder weniger
individuelle Revolten. Die OperaistInnen haben sich die Frage
gestellt, wie verknüpft sich das, gibt es eine Kommunikation zwischen
diesen individuellen Formen, gibt es die Möglichkeit das zu
verallgemeinern.

Ähnlich ist es heute z.B. in der Diskussion darum, wie sich Leute in
den neuen Arbeitsverhältnissen verhalten. Es sind zunächst einmal
individuelle Verhaltensweisen. Trotzdem fragen wir nach Formen der
Kommunikation und Organisierung, die über den bestehenden Zustand
hinausweisen. Es handelt sich im Grunde um eine Untersuchungsarbeit,
die jetzt erst anfängt. Jetzt zu sagen, das sind die Keimformen des
Kommunismus, das halte ich auch für zu hoch gehängt. Aber insofern die
spontanen Kämpfe die bestehenden Verhältnisse in Frage stellen, sind
sie kommunistisch.

/Aber Hardt/Negri gehen doch weit darüber hinaus, wenn sie sagen, dass
diese neuen Produktionsformen eine Form der direkten kooperativen
Interaktion ermöglichen, die das Kapital als Produktionsagent
überflüssig werden lässt. Dass also das Kapital durch ein höheres
Niveau der Vergesellschaftung der Arbeit nur noch "parasitär" ist und
für den Produktionsprozess gar nicht mehr gebraucht wird./

Mir geht es bei dem Blick darauf vor allem um die
Ausbeutungsverhältnisse. So gesehen bleibt zu fragen, wie die
Mechanismen aussehen, durch die es das Kapital irgendwie schafft, sich
die neuen Formen kooperativer Produktion anzueignen. Ein gern
benutztes Beispiel für selbstbestimmte Kooperation ist ja die Free
Software Bewegung. Ein anderes Beispiel der Selbstorganisierung ist
das Feld der Migration. Aber das ist alles nicht eindeutig, sondern
ambivalent. In diesen Formen und Auseinandersetzungen gibt es sowohl
repressive als auch progressive Momente. Aber die These von
Hardt/Negri, dass Kapital sei nur noch parasitär, würde ich nicht
teilen. Der Bereich der Aneignung und Ausbeutung bleibt dabei einfach
zu sehr im Dunkeln.

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



[English translation]
Thread: oxdeT07189 Message: 1/1 L0 [In index]
Message 07189 [Homepage] [Navigation]