Re: [ox] Fragen der Frankfurter Rundschau an Oekonux
- From: Thomas Uwe Gruettmueller <sloyment gmx.net>
- Date: Thu, 20 Nov 2003 22:17:06 +0100
Huhu, alle!
On Montag 17 November 2003 15:22, Stefan Merten wrote:
Seitens der Frankfurter Rundschau
liegt eine Interview-Anfrage an Oekonux vor.
OK, ich versuch denn mal die Fragen zu beantworten, ohne Anspruch
auf Originalität und ohne Vertretungsanspruch für Oekonux (ist
eigentlich selbstverständlich).
Zu den alten Fragen (Do. 13.11. auf [pox]):
| was ist frei an freier software,
Frei im üblichen Sinne ist eigentlich nicht die Software, sondern
ihr Benutzer, nämlich frei, die Software zu jedem Zweck zu
verwenden, sie weiterzuverbreiten, sie zu studieren und zu
verbessern.
Darüber hinaus sind heute viele Projekte frei zugänglich:
einerseits dadurch, daß die Arbeitsabläufe z.B. in öffentlichen
Mailinglisten-Archiven transparent gemacht sind, andererseits
dadurch, daß jedem die Möglichkeit zur Mitarbeit offensteht.
| wie arbeiten entwickler konkret,
Die Arbeit erfolgt gewöhnlich über verschiedene Orte verteilt;
die Kommunikation erfolgt dabei über das Internet.
Da viele Projekte auf Freiwilligkeit beruhen, gibt es in ihnen
keine Kommandohierarchie. Es ist allenfalls nach Aktivität und
Aufgaben der Teilnehmer eine gewisse "Rangfolge" zu erkennen.
Ein Projekt muß auf die Interessen möglichst aller Beteiligten
eingehen, da es sonst zu zerfallen droht. Einige wichtige
Projekte wie z.B. Debian enthalten festgeschriebene
basisdemokratische Strukturen.
| wo steht fs heute,
Es ist heute wieder möglich, einen Rechner ausschließlich mit
freier Software zu betreiben.
| ist kommerzialisierung etwa von linux "gut",
Unter "Kommerzialisierung freier Software" kann einerseits
verstanden werden, daß freie Software im kommerziellen Umfeld
eingesetzt wird, sowie andererseits, daß sie dort entsteht.
Daß freie Software im kommerziellen Umfeld eingesetzt werden
kann, erhöht ihre Akzeptanz. Wäre dies nicht so, wäre sie im
Kapitalismus für wirtschaftlich relevante Bereiche unbrauchbar.
Zur Entstehung im kommerziellen Umfeld: Freie Software entsteht
aus dreierlei Motivation heraus: aus Überzeugung, daß freie
Software eine gute Sache ist, aus Freude am Programmieren, bzw.
dessen Resultat, sowie aus beruflichen Gründen. Wenn nun
zunemend freie Software kommerziell entwickelt wird, heißt das
noch lange nicht, daß dadurch ehrenamtlich weniger erstellt
wird.
| welche weiteren felder wie freie texte können sich entwickeln,
Es gibt freie Hardware, z.B. Ansätze zu einem freien
Prozessor-Design, sowie Ansätze zu einem freien Auto-Design.
Ebenfalls gibt es Ansätze zu freier Musik.
| hat freie hardware (chips, oscar) eine
| chance, wo liegen die Hindernisse (bei den leuten, der politik,
| dem markt)????
Freie Hardware hat eine Chance, allerdings geht die Entwicklung
momentan nur sehr langsam voran und stagniert auch gelegentlich
über Monate hinweg. Ohne Förderung wird die Entwicklung
vermutlich ähnlich lange dauern wie bei freier Software.
Zu den neuen Fragen:
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Freie Software wie Linux gewinnt immer mehr an Bedeutung. Alle
großen IT-Multis haben auch den "Pinguin" im Programm.
Zunehmend setzen IT-Nutzer - Unternehmen, Ämter, Privatleute -
Freie Software ein.
FRAGEN: Wohin führt der Erfolg?
1. Führt er zur Integration in die Marktwirtschaft, wird Freie
Software kommerzialisiert?
* Sparen die auf Gewinne zielenden Firmen wie IBM oder Sun
Entwicklungskosten, indem sie die Leistungen von
Freie-Software-Entwicklern verwenden?
* Scharf formuliert: Hilft die Freie-Software-Gemeinde dem
Kapitalismus?
Ja und nein.
Freie Software schadet denjenigen Firmen, zu deren Angeboten sie
in Konkurrenz tritt. Ein Beispiel hierfür ist OpenOffice.org,
welches ein Beinahe-1:1-Ersatz für MS Office darstellt. Weil das
frei kopierbare OOo konkurrenzlos günstig ist, sollte es daher
demnächst schwer werden, mit Office-Paketen zu handeln.
Anders sieht es mit Hardware aus: Da freie Hardware weit davon
entfernt ist, proprietärer Hardware Konkurrenz zu machen, stört
sie noch nicht. Hardwarefirmen profitieren daher momentan von
freier Software.
Die Buchindustrie konnte lange Zeit Bücher über freie Software
verkaufen und hat somit von dieser profitiert. Dies ist zur Zeit
im Wandel, da zunehmend freie Dokumentation entsteht.
Als besonderes Kuriosum wurden zwei am Markt gescheiterte
Produkte, nämlich der Netscape Navigator (heute: Mozilla), sowie
Star Office (heute: OpenOffice.org) aus werbestrategischen
Gründen in freie Software umgewandelt.
* Oder zumindest dem Teil der IT-Branche und Anwender, der
sich vom Microsoft-Monopol verabschieden möchte?
Jeder Entwickler proprietärer Software hat ein Monopol auf sein
Produkt. Dabei ist MS nichts besonderes.
* Besteht die Gefahr, dass wenn die Wirtschaft die
Entwicklungsziele setzt, die "Kultur" der Freie Software
kaputt geht?
Nein, s.o.
Es kann aber dazu führen, daß sich kommerziell und ehrenamtlich
entwickelte FS inhaltlich auseinanderentwickeln.
Als Beispiel fällt mir dazu TeX vs. OpenOffice.org ein, beides
ist zum Schreiben von Text gut, jedoch ist das Konzept völlig
anders.
2. Oder kann die Art und Weise, wie Freie Software entsteht,
einen Weg in eine neue Ökonomie weisen?
Das ist die Oekonux-Kernfrage.
* Helfen IBM und Co, auch wenn sie es nicht wollen, dabei
sogar?
Ja, z.B. indem sie freie Software bekanntmachen.
* Ist Kommerzialisierung von Linux "gut"?
s.o.
* Wie könnte der Weg zu einer alternativen Ökonomie
aussehen?
Die Prinzipien der Entwicklung freier Software können auf die
Entwicklung aller Informations-Produkte ausgedehnt werden. Die
Frage ist nur, was aus der Herstellung materieller Güter wird.
Dazu gibt es drei Überlegungen:
a) Durch den technischen Fortschritt schrumpft der industrielle
Sektor weiter zusammen. Nur noch wenige Beschäftigte arbeiten
an der Herstellung materieller Objekte.
b) Spezielle Maschinen setzen elektronische Baupläne direkt in
materielle Objekte um. (Ein Beispiel ist der Drucker, der auf
vielfältige Weise Tinte auf einem Blatt verteilen kann; nur
Mopeds zusammenbauen kann er noch nicht.)
c) Die in vielen Freisoftware-Projekten anzutreffenden
Organisationsprizipien Transparenz, Möglichkeit zur Teilnahme,
Demokratie könnten auch in Betrieben gelten, deren bloße
Aufgabe die Herstellung materieller Güter darstellt.
Die drei Überlegungen schließen sich gegenseitig nicht aus,
jedoch ist anzumerken, daß a und b eher in den
Science-Fiction-Bereich gehören.
* Welche Rolle spielt das Internet dabei?
Informationsaustausch.
Dazu genauer:
A. Software ist zwar extrem wichtig für die Wirtschaft, aber
sie ist nicht alles. Auf welchen Gebieten lassen sich
Freie-Software-Prinzipien noch anwenden?
* Gibt es Beispiele dafür, die über freie Musik, Texte und
ähnliche "immaterielle" Produkte hinausgehen?
Nein, es geht auch beim freien Prozessor und beim freien Auto
bisher nur darum, den Bauplan zu entwickeln und nicht darum,
konkrete Hardware herzustellen.
* Wie stehen die Chancen für "Hardware" vom Auto bis zum
Joghurt?
Joghurt ist im Prinzip bereits "freie Hardware", da sein
grundsätzliches Rezept bekannt und nicht geschützt ist.
Natürlich gibt es aber proprietäre Variationen.
Zur Herstellung des Joghurts: s.o.
B. Wenn es einen solchen Weg in eine andere Ökonomie gibt, wie
kann man sich den vorstellen?
* Geht das quasi von selbst, weil die Industriegesellschaft
sich zur Informationsgesellschaft wandelt, oder muss der
Weg "organisiert" werden?
Teils-teils. (s.o.)
* Sind Projekte wie Oekonux mehr als ein Experimentierfeld
oder eine Spielwiese für eine privilegierte Minderheit von
Experten?
Bei Oekonux mitzudiskutieren oder freie Software zu schreiben
sind finanziell vergleichsweise anspruchslose Hobbys, die jedoch
sehr viel Zeit verbraten.
C. Wie können mehr Menschen zum Mitmachen gewonnen werden?
* Was kann der Einzelne tun?
Es gibt viele Bereiche, die nicht nur nützlich sind, sondern
nebenher auch Spaß machen (z.B. an der Wikipedia
mitzuschreiben). Diese Bereiche gilt es aufzuzeigen.
* Wo liegen die größten Hürden für eine andere Wirtschaft,
beim Markt, der Politik, den Leuten?
?
* Es hat den Anschein, dass es eine Art Rollback gibt:
Kampf gegen Musiktauschbörsen im Internet, Versuch,
Softwarepatente in der EU einzuführen, Vorwürfe von SCO
gegen Open Source. Wie ernst ist das für die
Oekonux-Perspektive zu nehmen?
Die Software-Patente sind eine ernstzunehmende Gefahr; der Rest
ist Kikikram.
cu,
Thomas }:o{#
-- - http://217.160.174.154/~sloyment/ - --
"Look! They have different music on the dance floor..."
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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de