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[ox] neuer mittelkurzer Text zur Vorstellung von oekonux



Im Zusammenhang mit dem Sponsoring der Wiener Konferenz hat sich die
Aufgabe gestellt, die Oekonux-Liste in einer kurzen und konzisen Form
vorzustellen, die Bezüge auf die traditionellen Einrichtungen Bildung und
Wissenschaft nimmt. Ich stelle den Entwurf mal in die Liste, er soll so
allgemein sein, daß er die verschiedenen hier vertretenen Positionen
umfaßt, aber auch so speziell, daß oekonux gegenüber einem/r
Außenstehenden definiert werden kann. Ich habe den call dafür ein wenig
überarbeitet.

Vielleicht könnt Ihr mal überprüfen, ob das halbwegs gelungen ist.
Feedback welcome!

1.
In der Mailingliste oekonux (www.oekonux.de)und im assoziierten
"kollektiven Outliner" Opentheory (www.opentheory.org) untersuchen die
unterschiedlichsten Menschen mit den unterschiedlichsten Meinungen und den
unterschiedlichsten Herangehensweisen die ökonomischen und politischen
Formen Freier Software.  

Diese Mailingsliste ist auf der "Wizards of OS" Konferenz in Berlin 1999
entstanden und hat sich über vier Jahre zu einem stabilen
Diskussionszusammenhang entwickelt. 2 internationale Konferenzen in
Dortmund und Berlin mit jeweils ca 150 Besuchern demonstrierten die
inhaltliche Bandbreite.

2
Eine wichtige - wenn nicht die wichtigste - Frage auf der Mailingliste
ist, ob die Prinzipien der Entwicklung Freier Software (Entwirtschaftung
des Kernprozesses, Selbstorganisation, allgemeine und uneingeschränkte
Teilhabe am Produktionswissen) eine neue Ökonomie begründen können, die
nicht mehr auf dem Dogma der wirtschaftlichen Knappheit beruht. 

In der Folge stellt sich natürlich auch die politische Frage: Neue
Ökonomie = Grundlage einer neuen Gesellschaftsordnung??  

Oekonux beschäftigt sich also nicht einfach mit freier Software, sondern
mit dem Verhältnis von freier Software und gesellschaftlicher
Transformation. 

Und doch werden die Elemente einer Theorie gesellschaftlicher
Transformation nicht einer vorgängigen Weltanschauung entnommen, sondern
der Interpretation durchaus neuer und empirischer Fakten.

3.
Es liegt in der Natur der Sache, daß daraus mittlerweile neue Sichtweisen
auf gesellschaftliche Transformationsprozesse in der Vergangenheit und
eine neue Theorie gesellschaftlicher Transformation insgesamt entsprungen
sind: z.B. die "Keimformhypothese". Also eine Sichtweise die sich in etwa
deckt mit den Theorien von Hobsbawm und anderen über die Entstehung des
Kapitalismus: 

eine neue Produktionsweise muß für eine alte nützlich sein, dann wächst
sie eine Zeitlang wie im Mutterschoß, bis sie eben selber ihre politischen
Ausdrucksformen gewinnt etc.

4.
Eine eng damit zusammenhängende Frage ist, ob sich auch innerhalb des
gegebenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmens eine Kultur
freier Informationsgüter herausbilden läßt (und vielleicht sogar
herausbilden muß), die in immer engerem Zusammenhang mit Kernbereichen und
-erfordernissen gesellschaftlicher Produktion und des gesellschaftlichen
Lebens insgesamt steht, also den relativ engen Bereich der freien Software
verläßt. 

Kann sich der "Produktionsfaktor Wissen" von der "Warenförmigkeit", die
eher eine Deformation des Wissens ist, emanzipieren? Die Freie Software
läßt dies als möglich erscheinen - mit unabsehbaren Konsequenzen, die dem
wirtschaftlichen Mainstream auch und gerade in Bildung, Wissenschaft und
Kultur direkt entgegengesetzt sind!

Ist freie Software deswegen nur eine "labile Kultur", wie die NZZ meint,
oder ist sie ein dauerhaftes Phänomen, das früher oder später auch auf
andere Bereiche der Wirtschaft und Gesellschaft ausstrahlen muß? 

Es taucht hier auch die spannende Frage auf, wieso der Staat partizipative
Ressourcen nicht mehr garantieren kann oder will. Ist die Freie Software
eine andere Art von "ideellem Gesamtkapitalismus?" Tritt hier ein neues
gesellschaftliches Regulationsmodell auf die Bühne, das eigentlich keine
Regulation mehr ist, sondern eben freie Selbstentfaltung assoziierter
Individuen? Und wie ist das Verhältnis der verschiedenen
"Regulationsformen" zueinander? Wer oder was garantiert zum Beispiel die
GPL, die das rechtliche Rückgrat der Freien Software bildet?

5.
Die Relevanz der Fragestellung erfaßt alle schon existierenden und
traditionellen Kooperationsformen in Bildung, Kultur und Wissenschaft.
Statt als Auslaufmodelle erscheinen diese nun als adäquate
Organisationsformen einer kulturbasierten Produktion, die in Teilbereichen
in direkte Konkurrenz zur waren- und wertbasierten Produktion tritt.
Konkurrenz auch im wirtschaftlichen Sinn: Microsoft gegen Linux.

6.
Das Motto der Konferenz ""Reichtum durch Copyleft - Kreativität im
digitalen Zeitalter" zielt speziell auf diese Frage ab: was bewirken die
Produktionsmethoden freier Software und von P2P in der Wissenschaft, in
der Kunst, in der Bildung, in der Produktion? "Friedliche Koexistenz" oder
einen Wettbewerb der Paradigmen? Kommt der Reichtum der
Informationsgesellschaft aus Patenten und "Creative Industries" - oder
vermag sich das Copyleft als eine mächtigere Quelle von Reichtum (und
nachhaltiger Sicherung desselben) gesellschaftlich zu legitimieren? 

Welche Koalitionen stehen dahinter und wie können diese dauerhaft
funktionieren?

Welche Konsequenzen hat das für Gesetzgebung und Politik?

7. 
Dahinter steht die Annahme oder Wahrnehmung der vielleicht fundamentalsten
sozioökonomische Transformation der Geschichte: die Automation der Arbeit
hat den Anteil der partizipativen Ressourcen in der gesellschaftlichen
Produktion dramatisch ansteigen lassen. Das Zentrum der Produktion steht
eben nicht mehr die Fabrik, der Betrieb. Diese werden zu Peripheriegeräten
einer globalen Produktionsintelligenz.

Im gleichen Ausmaß, wie die Wirtschaft selbst diese Transformation umsetzt
und Produktionsintelligenz outsourced, verliert das Prinzip Wirtschaft
seinen Sinn. 

Denn eigentlich gilt schon längst: Ressourcen zu kapitalisieren ist
weniger produktiv als partizipative Ressourcen zu kultivieren. Da das
Prinzip Wirtschaft sich selbst aber nicht aufgeben will, sucht es nach
neuen Betätigungsmöglichkeiten; und die bietet ihm das Glücksspiel mit
Elementen globaler Produktionsintelligenz en masse. Logos, Urheberrechte,
Patente, Lizenzen: die einzige noch attraktive Handelsware.

8.
Der Widerspruch und die Bruchstelle entsteht folgerichtig innnerhalb des
Systems selbst: wer am Glückspiel teilnehmen will, der muß ein Monopol
errichten wie Microsoft. Damit fordert er aber andere Konkurrenten
geradezu heraus, sich des "Gratisvorteils" <Kultivierung partizipativer
Ressourcen< zu bedienen und die Keimform zu befördern. 

Hier ist also auch die Verbindung von produktiver Communities einerseits
und einer neuen Unternehmenskultur andererseits interessant, die wollen
wir genau studieren. Wirtschaft muß nolens volens das fördern, was sie
letztlich transzendiert und überwindet. Das kann nicht friktionsfrei
abgehen.

9.
Für solche und ähnliche Fragestellungen ist mittlerweile die
Oekonux-Community auch international ein bekannter Kristallisationspunkt
geworden. 

Von der einfachen Mailingliste heraus entwickelt sich diese virtuelle
Community langsam zu einem kollektiven Forschungsprojekt - ohne daß ein
vorgängiges Projektmanagement bestünde. Sachliche Erfordernisse und ihre
Wahrnehmung sollen die jeweils nächsten Schritte bestimmen, ein langsam
sich herausbildender Konsensus und die Arbeit von akzeptierten
"Maintainern" sind die treibende Grundlage. Der Berliner verdi-Mitarbeiter
und Softwareentwickler Stefan Meretz hat es auf den Begriff gebracht: Es
geht darum, mit neuen Tools Theorie zu produzieren wie freie Software.

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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