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[ox] soziale Mechanismen von Softwareentwicklung am Beispiel Wikis



Hallo Liste!

Während die Projektliste im Datenmüll geradezu erstickt, ist hier auf der
Hauptliste grade relative Ruhe (vielleicht deswegen ;-).

Ich nutze das aus, um einen Brief weiterzuleiten den ich heute 
in der Früh von Helmut Leitner gekriegt habe. Anlaß war ein langes
Telefonat, indem ich unter anderem auch die Frage aufgeworfen habe,
warum Helmut aus ProWiki keinen Freien Standard macht. Es ging
um die Frage, daß es unheimlich wichtig ist aus Wikis Text auch
exportieren zu können, und zwar formatiert. Um die Wikipedia
gibt es eine rapide anschwellende Entwicklergemeinde, die auch
komplexe Probleme rapide lösen zu können scheint.

Meines Wissens ist ProWiki der einzige verbreitete Softwarestandard
in der Welt der Wikis, der (noch) nicht frei ist. Das hat auch damit zu
tun, 
daß Prowikis auf einem einzelnen dedizierten Server laufen:
www.wikiservice.at. Gleichzeitig ist ProWiki ein System, in dem
der Maintainer selbst ständig in den "Abstämmlingen" präsent ist 
(GründerWiki, BücherWiki, DSE-Wiki etc.) und das auch aktiv teil-
genommen hat am revolutionären TourBus System:
(http://www.wikiservice.at/gruender/wiki.cgi?TourBus)
Ein wichtiges System, in dem Wissen über Communities spielerisch
verbreitet wird!

Die Antworten sind sehr informativ und lehrreich. Helmut hat auch
durchblicken lassen, daß für ihn irgendwo der Punkt denkbar ist, 
wo er einer "Befreiung" seines Produktes durchaus zustimmen könnte.
Mich erinnert das auch sehr stark an Open-Space-Online von Gabriela
Ender, die ebenfalls mit totalem persönlichen Einsatz ein sehr 
innovatives und brauchbares Produkt geschaffen hat, dessen Ziel-
gruppe Communities sind. Es wäre eine schöne Vorstellung, daß ein 
Sponsor diese Produkte "freikauft" um ihr Potential weiter entfalten
zu können.
Gabrielas Website: http://www.openspace-online.com/

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Hi Helmut, 
darf ich Deinen wunderschönen Brief mit der oekonux - Liste und meinen
Freunden teilen? Ich glaub die Gedanken sind sehr gut und wichtig und
verdienen es, daß mehr Menschen sie (und von Dir) erfahren. Da sind viele
Aspekte drinnen, die z.B. in oekonux ganz zentral sind....z.B. der Aspekt
ob sich Software besser alleine oder in Kooperationen entwickeln lässt,
wer über die Gestaltung eines Produkts entscheidet und so weiter. 
(Erlaubnis erhalten)

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Helmut Leitner schrieb:

Lieber Franz,

ich habe noch ein paar Gedankensplitter zu unserem gestrigen Gespräch.

Ich finde die Entwicklungen im Bereich der WikiPedia toll, weil sie
das Wiki bekannt macht. Welche Mechanismen im Hintergrund des Projektes
mitwirken und zum Erfolg beigetragen haben, ist unklar, für mich aber
auch nicht so wichtig. Es ist allerdings absehbar, dass nach der Phase
der Expansion und Euphorie auch Community-Probleme innerhalb und 
außerhalb entstehen werden. Auch die Gefahr eines Monopols existiert.

Innerhalb der WikiPedia werden Einflußzonen von Editoren entstehen,
die letztlich kontrollieren, was die "Wahrheit der Wikipedia" ist.
Es wird auch nicht mehr so leicht sein, sich in Zukunft Räume zu
sichern, oder Themen zu entwickeln. Die zweiten 100.000 Seiten sind
nicht so lohnend, wie die ersten 100.000. Es müssen neue Ziele
gefunden werden, Institutionalisierung findet bereits statt.

Außerhalb wird das Problem entstehen, dass Menschen glauben, sie 
bräuchten nur die Technik der WikiPedia verwenden, um ebenso erfolg-
reich und in den Medien zu sein. Das ist aber ein ebenso großer Irrtum,
ebenso naiv wie der Glaube an das Internet als wunderbare Energiequelle, 
die alles möglich macht. 

Wiki scheint 70% sozial und 30% technisch. Deswegen widme ich meine Zeit,
obwohl ich Entwickler bin, der eigentlich seinen Kunden sagen müsste:
"nehmt diese Wiki-Software, alles andere kommt dann von alleine"
zum größere Teil der Diskussion von sozialen (Community-)Themen und
nicht der Weiterentwicklung der Technik. 

Unsere Probleme liegen nicht in der Technik. 

OpenSource löst nicht alle Probleme. Clifford Adams hatte ursprünglich
die Software der WikiPedia (das usemod-Wiki) zur Verfügung gestellt.
Die WikiPedia hat es ihm nicht durch Mitarbeit gedankt, sondern auf den
Erfahrungen seiner Arbeit ihre eigene Software entwickelt. Sicher eine
der großen Frustrationen für Cliff, die dazu geführt haben, dass er 
sein Engagement praktisch eingestellt hat. Hier ist die glänzende 
WikiPedia über ihre erste "Leiche" gegangen.

Wiki ist nicht gleich Wiki. Jede Anwendung hat ihre spezifischen 
Optimierungsbedürfnisse. WikiPedia ist eine Enzyklopädie mit vielen
Seiten, wenig innerer Struktur (linearer alphabetischer Namensraum)
und ausgelagerter Community. Ein System, das vor allem mit technischer
Optimierung (viele Benutzer, viele Zugriffe, Lastverteilung in einem
System) zu kämpfen hatte und hat. Es wird immer seinen Blicke in eine
bestimmte Entwicklungsrichtung lenken und nur solche Verbesserungen
integrieren, die in ihr Konzept passen. Externe Erweiterungen bekommen
den Charakter eines Patchworks, das inkonsistent und schwer zu über-
blicken und zu warten ist.

Die ProWiki-Software ist aus einem ähnlichen Ausgangspunkt etwa ein
Jahr später entstanden. Der Entwicklungsstand ist ähnlich, in manchen
Bereichen ist das MediaWiki stärker, in manchen das ProWiki. Das ist
relativ erstaunlich, gemessen an den Kapazitätsunterschieden. Aber
ich brauche nur den Bedürfnissen meiner hunderten Benutzern in den
ca. 70 Wikis, die derzeit auf meinen Servern laufen folgen und die
wirklichen Bedürfnisse abdecken. In einem Kopf bleibt das System
konsistent und einfach zu warten und zu erweitern. Jedes ProWiki
profitiert sofort von jeder neuen Entwicklung.

Ich setze nicht auf "Publikation", sondern auf "Beteiligung". 

Es geht mir um soziale Strukturen, die das Wachstum von Communities,
ob groß, ob klein, egal für welche Anwendung, ermöglichen. Ich kann
und will meinen Anwendern helfen. Durch Beispiele, durch funktionierende
Communities, durch Entwicklung von Kultur. Ich will, dass jeder als
Benutzer und als Gründer leicht Zugang hat. Ich will nicht (wie in 
der WikiPedia), dass man HTML-Code schreiben muss, um bestimmte 
Gestaltungen, z. B. Tabellen umzusetzen. Ich unterstütze das Arbeiten
des Gründers über mehrere Wikis hinweg durch spezielle Funktionen
und statische Auswertungen. Die ProWiki-Software entwickelt sich so
in einer ganz anderen Ausrichtung, optimiert für andere Anwendungen.

Jeder Gründer macht den Fehler, sich auf seine System zu konzentrieren
und sich damit in eine Isolation zu begeben. Seit du das DorfWiki hast,
bist du im GründerWiki kaum zu sehen. Es ist wichtig, ein soziales
Backing zu haben, die Probleme auch mit anderen Augen und aus einer
anderen Rolle, zu sehen zu bekommen. 

Viel wichtiger als die WikiPedia ist in meinen Augen das WardsWiki.
Es fährt mit einfachster Technik und Funktionalität. Es ist der
Ursprung von allem, und es ist als Community in einer schwierigen
Situation von allen im Stich gelassen, zu einem "Wilden Westen"
verkommen, in dem die Kultur weitgehend verloren wurde. Es zeigt,
dass wir unfähig sind, sozial das zurück zu geben, was wir von 
dort bekommen haben. Es zeigt aber auch, dass es keine funkelnde
Technik braucht, um eine lebendige, interessante Community mit
tollen Inhalten zu haben.

Für mich ist das Entscheidende der Unterschied in deiner Stimme.
Vor Monaten hat deine Stimme müde und desillusioniert geklungen. 
Gestern und in den Monaten seit deinem Wiki-Engagement klingt
sie aktiv, positiv, entscheidungsfreudig, strahlkräftig.

Wir sollten versuchen, den Blick auf das Wesentliche zu bewahren.
Wir werden Probleme nicht und niemals durch Technik lösen, sondern
durch eine "Kultur des Miteinander" und durch einen fairen Umgang
mit den gegenseitigen Interessen. Wiki ist der Ort, wo man das 
bewusst machen kann, lernen und weiter entwickeln kann. 

Herzliche Grüße,
Helmut

-- 
Helmut Leitner    leitner hls.via.at
Graz, Austria   www.hls-software.com

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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