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[ox] Ein neuer Beginn



Liebe Leute,

eine Stärke dieser Liste ist ihre coolness und das weitgehende
Heraushalten von Emotionen, aber nach vollendeter Arbeit an der
oekonux-Konferenz möchte ich doch diesen schönen Augenblick nicht
vorbeigehen lassen ohne ein wenig seine Stimmung einzufangen und
auszudrücken. Vielleicht ist dieses Einfangen und Ausdrücken von
Stimmungen auch nicht so unwichtig für die Frage, ob und wie die Dinge die
man sich erwartet und erhofft dann auch tatsächlich passieren.
Selbstorganisation ist kein passiver Prozeß, der einfach so abläuft, er
lebt davon, daß jenseits von Gewohnheiten die unterschiedlichsten
Individuen zu unterschiedlichen Zeiten auf ihre Art und Weise die
richtigen und vorwärtstreibenden Dinge tun und damit anderen Bedürfnis und
Richtung signalisieren.

Die  Konferenz war alles in allem ein äußerst positives Erlebnis für die
Beteiligten, aber hat auch das Potential sichtbar gemacht, das in einem
Diskussionszusammenhang wie oekonux liegt. Dieses Potential ist in letzter
Zeit durchaus nicht mehr so manifest gewesen. Ein wesentlicher Indikator
dafür: Subskribienten dieser Liste brauchten sich über zuviel Traffic
nicht beklagen.  Einerseits lag das sicher an der Tatsache, daß die
Proponenten der Liste mit Organisationsarbeit überhäuft waren,
andererseits aber auch daran, daß sich im Lauf der Zeit Zweifel ergeben
haben, ob oekonux wirklich der Ort ist, an dem sich die Vision einer neuen
Gesellschaft formulieren läßt. Drehen sich Diskussionen hier nicht im
Kreise, werden sie nicht allzu sehr von einseitigen und apodiktischen
Standpunkten dominiert etc? 

Die Konferenz hat gezeigt, daß dem nicht so ist. An die 150 Teilnehmer
haben die schöpferische Kraft der Diversität in über 30 leidenschaftlichen
Diskussionsrunden unter Beweis gestellt. Niemand hat einen Überblick über
alles, was passiert ist, und viel wird in den kommenden Wochen und Monaten
zu dokumentieren sein. Dennoch ist ein Haupttenor der Sache sichtbar, der
für mich den emphatischen Titel dieses Postings rechtfertigt. Der
Haupttenor war, daß wir die Komplementarität der Arbeit erkannt haben, die
von den vielen Beteiligten und den Gruppen, denen sie sich zugehörig
fühlen, geleistet wird. Komplementarität und Konvergenz. Egal ob das jetzt
zum Beispiel S. Eissler und M. Pedersen sind, die entdeckt haben, daß sie
entlang ganz ähnlicher Fragestellungen an einer Neufassung des
Eigentumsbegriffs arbeiten, oder Thomas Atzert und die
Grundrisse-Redaktion, die sich um eine Präzisierung des Begriffs der
immateriellen Arbeit in enger empirischer Bemühung um die
Umstrukturierungen und Neuzusammensetzungen in der Arbeitswelt bemühen
(Für mich eigentlich der intensivste und dichteste Diskussionsprozeß der
ganzen Konferenz, aber ich hab ja viele andere versäumt). 

Es gibt viele solche Beispiele, sowohl im Bereich der Theorie als auch im
Bereich der praktische Lösung von Problemen, wo diese Konferenz wirklich
den Sinn des Wortes demonstriert hat: Zusammentragen und Ergänzen. Von
anfänglichen "Kampfhund" - Allüren sind wir schnell weggekommen zum
lebendigen Ringen um die Klärung schwieriger Fragen: Was zeichnet die Welt
in der ´wir leben aus? Welche Veränderungen zur klassischen
Kapitalismusanalyse sind wirklich substantiell und strukturell wichtig und
zu beachten? Aber auch auf dem Gebiet der Umsetzung, der Transformation
der Prinzipien der freien Software in andere Bereiche und der praktischen
Absicherung ihrer Funktionsweise (vulgo "Brötchenfrage") gab es diesen
Geist der Ergänzung. So zum Beispiel als die Proponenten von Open Hardware
sich am Rand der Konferenz im Sinn einer verstärkten Kooperation getroffen
haben oder als Christoph Beaupoil und Claus Müller über verschiedene
Formen der Offenlegung handwerklichen Wissens dikutierten.

Es ist tatsächlich unglaublich viel Potential entstanden hier und es wird
meines Erachtens Aufgabe von Oekonux sein, dieses Potential zur Entfaltung
zu bringen. Das Selbstverständnis von Oekonux muß präzisiert werden, als
ein vernetzender Diskussionszusammenhang, in dem sowohl theoretische
Fragen der Gesellschaftsanalyse als auch methodische Fragen der Praxis
freier Projekte einen gleichwertigen Platz haben. Es ist ganz klar, daß
Oekonux weniger denn je eine homogene Gruppe ist, mit Gruppenmeinung und
Organ. Gerade das hat paradoxerweise nicht verhindert, daß wir mehr denn
je argumentativ in die Theoriebildung von homogeneren Gruppen wie
Krisis/Streifzüge eingegriffen haben; es ist eben ganz verkehrt
anzunehmen, daß aus der Unterschiedlichkeit und Vielfalt unserer
Herangehensweisen kein vereinheitlichtes und vor allem argumentativ
vermittelbares Resultat entstehen könnte. Ganz im Gegenteil: es entsteht
ein reicheres und tieferes Verständnis einer komplexen Welt, und "das
konkrete ist konkret weil es das Zusammenwachsen verschiedener
Bestimmungen ist".

Ganz wichtig und beabsichtigt ist, daß Oekonux inspirierend und
katalysierend auf immer mehr Gruppen und soziale Zusammenhänge wirkt, die
ihr Ding tun, aber durch uns ermutigt werden, neue Wege zu versuchen.
Claus Müller hat das wohl am klarsten demonstriert. Von selbst kommen die
Leute nicht unbedingt auf die ungeheure Vorstellung, ihre Tätigkeiten so
neu zu erfinden, daß die unbeschränkte Reproduzierbarkeit und
Modifizierbarkeit ihrer Resultate zur obersten Maxime und zunehmend von
der Nebensache zum eigentlichen Produkt wird. Da ist weniger Faulheit der
Grund als Konkurrenzangst, Gewohnheit und das Wissen darüber, daß man sich
mit solcher Handlungsweise auch Feinde macht. Aber die Wahrnehmung der
enormen Möglichkeiten und der klar ersichtlichen Vorteile offener
Produktion verbreitet sich dennoch, und es wird mit dem Label oekonux
verbunden.

Gestern haben wir einen lange geplanten post-conference-event realisiert,
und er hat meine Erwartungen weit übertroffen. Beim Treffen "open Source
Ecology" mit Marcin Jakubowski kamen über 25 Leute aus verschiedensten
Zusammenhängen (Elektroauto-Community, Eurosolar, Gruppe Angepaßte
Technologie, KeimblattÖkodorf, Permakultur Austria, ÖkoAttac und viele
andere) und fanden zum Konsens, daß sich "Open Source Ecology" als
Grundlage einer verstärkten Kooperation sehr gut eignet. Hier bahnt sich
ein neuer Transpositionssektor an, und es ist genau derjenige, der am
engsten in Bezug zu unmittelbaren und wichtigen Lebensfragen steht. Auch
auf diesem Meeting wurde die Frage Lizenz oder Public Domain
leidenschaftlich diskutiert und nicht gelöst.

Und heute in der Früh schreibt mir ein Bekannter aus Vorarlberg: "Das wird
dich vielleicht freuen: Die Firma JNetSystems gibt den Geschäftsbereich
Gateway zw. Haustechnik und Internet auf, aus den ehemaligen Entwicklern
hat sich aber eine IG gegründet, die die Sache als OpenSource Projekt
weiterentwickeln will. Mehr Infos dazu unter http://www.telbie.org";

Es ist schön, wenn wir tatsächlich täglich mit dem Entstehen und dem
Wachstum freier Projekte konfrontiert werden. Noch schöner fände ich es,
wenn wir auch die Herausforderung erkennen, die darin für Oekonux steckt:
nicht in der Position eines externen Beobachters bloß darüber
theoretisieren, sondern gerade durch den systematisierenden Blick aufs
Ganze einen orientierenden Beitrag innerhalb der Community leisten. Denn
das wird gebraucht und insoferne stimmt der Satz: Oekonux ist eine
Dienstleistung für die freie Community. Nicht aus Geld, sondern weil wir
das eben einfach als *unser* Ding empfinden. Nichtsdestoweniger sollten
wir mehr als je zuvor auch ein für *andere* nützliches und brauchbares
Resultat unserer Tätigkeit wollen. Damit steigt im übrigen auch die
Chance, daß andere es genauso sehen. Der entscheidende Anlaß für Denise
(die Frau die das Fest für oekonux in ihrLokal eingeladen und uns diesen
unvergeßlichen Abend geschenkt hat), war der Umstand, daß sie plötzlich
mitten im Gespräch draufkam: "Hey - Ihr macht ja genau dasselbe wie ich".

happy Selbstentfaltung!

Franz Nahrada


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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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