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[ox] Selbstentfaltung, Zwangssysteme, Kommunikation



Hi Liste!

Es gibt gerade in Hans-Gerts OT-Projekt
http://www.opentheory.org/mtb-mawi/text.phtml eine ganz interessante
Debatte. Meine folgende Antwort auf Hans-Gert passt auch ganz gut hier
hin. (Forwarded with permission).

------- Forwarded Message

Date:  Wed, 25 Aug 2004 20:44:03 [PHONE NUMBER REMOVED] (CEST)
From:  Stefan Merten <smerten oekonux.de>
Subject:  [ot:MTB] Re: [ot:mtb-mawi] Projekt 'mtb-mawi'
To:  MTB opentheory.org
Cc:  Stefan Merten <smerten oekonux.de>
Message-Id:  <20040825184403.1B7113EC3D sqlserver02.syrius.de>

Hi Hans-Gert!

Muss mich kurz per Mail einklinken, da ich zu selten online bin. Meine
Kommentare können aber gerne in den OT-Text wandern. Ich passe mal
meine Zitierweise daran an.

Yesterday Hans-Gert Gräbe wrote:
Kommentar:
http://www.opentheory.org/mtb-mawi/text.phtml#13.1.2
(13.1.2)
Die "abstrakte Logik der Selbstverwertung des Werts" ist kein
Zwecksetzung, sondern höchstens ein Koordinatensystem, denn
(handlungsleitende) Zwecke sind immer konkret. Allerdings zwingt sie, die
Interessen anderer zur Kenntnis zu nehmen. Und im Gegensatz zu manchen
Oekonux-Diskussionen bin ich fest überzeugt, dass zukünftige
Gesellschaften diesen Aspekt eher verstärken als zurücknehmen werden.
Allerdings in einem kooperativen und nicht konkurrenzzentrierten Kontext,
wie bei Holzkamp beschrieben. Deine Formulierung "Zwecksetzungen von
Interessen Dritter frei, es ging nur um das Lebensinteresse der
Gemeinschaft" halte ich für logisch inkonsistent.

Mit "Allerdings *zwingt* sie, die Interessen anderer zur Kenntnis zu
nehmen." habe ich ein zentrales Problem. Der Kapitalismus ist in der
Tat ein recht erfolgreiches Zwangssystem in dieser Hinsicht. M.E. kann
eine post-kapitalistische emanzipatorische Alternative nur
funktionieren, wenn sie hier eben gerade keinen Zwang braucht, sondern
es - im Rahmen des OHA-Systems - es *im Interesse* der Menschen liegt.
M.a.W.: Die Selbstentfaltung *aller* ist die *Vorbedingung* für die
Selbstentfaltung der Einzelnen. Ist dies kein zentrales Feature einer
solchen Gesellschaftsformation, würde ich das Zwangssystem vorziehen,
das ich schon kenne. Vermutlich haben wir hier einen unaufhebbaren
Dissens. Ich würde formulieren: Du glaubst einfach, dass der Mensch
des Menschen Wolf ist, dass es in der "Natur des Menschen" liegt,
unkooperativ und ausbeuterisch zu handeln. Ich glaube das nicht und es
gibt m.E. historisch mehr Gegen- als Probeispiele.

Kommentar:
http://www.opentheory.org/mtb-mawi/text.phtml#13.2.3
(13.2.3)
Beim Korngrößendilemma geht es mir nicht um Entscheidungsinstanzen,
sondern um die Reichweite der "Macht der Agentien", die bei jeder
Entscheidung in Bewegung gesetzt werden, also die kausale Wirkreichweite
von Entscheidungen auf die Interessen und Lebensumstände Dritter. Und wie
weit die entscheidende Instanz überhaupt in der Lage ist, rein sachlich
noch so etwas wie Verantwortung für die Entscheidung zu übernehmen.
Letzteres hat etwas mit Abwägen und das mit Wissen zu tun.
 In vorkapitalistischen Zeiten war beides wohl linear gekoppelt:
Entscheidungen zu komplexen Problemen wurden in Führungszirkeln getroffen,
die in der Lage waren (mehr schlecht als recht und immer schlechter als
rechter), das zu einer verantwortungsvollen Entscheidungsfindung
erforderliche Wissen zu konsultieren und zu bündeln. Und deren
Machtposition (wenigstens auf längere Zeit) zu einem guten Teil davon
abhing, wie weit die getroffenen Entscheidungen die intendierten Effekte
auch wirklich hervorriefen.
 Mit Marktwirtschaft als zentralem gesellschaftlichem Regulationsmuster
ändert sich das. Übergang von der Kathedralen-Methode zur Basar-Methode.
Jeder macht, was er will und für richtig hält (in groben Rahmen) und
heraus kommt trotzdem keine Kakophonie. Im Gegenteil gibt es deutliche
Synchronisationseffekte auf der Was-, der dinglichen Seite.
 Auf dem klassischen Basar spielt Geld auch keine unwichtige Rolle.
Allerdings gibt es dort wohl noch andere Regulative eher kooperativer
Natur, die den Basar dann transparent machen. Das versuche ich hier für so
was wie Markt generell auszuloten.

"Letzteres [nämlich in der Lage sein rein sachlich Verantwortung für
eine (weitreichende) Entscheidung zu übernehmen] hat etwas mit Abwägen
und das mit Wissen zu tun." Es hat *vor allem* mit Kommunikation zu
tun! Das Entwicklungsmodell Freier Software ist nicht deswegen
erfolgreich, weil dort besonders weise Menschen agieren, sondern weil
es ein permanentes Palaver über Gut und Böse, Richtig und Falsch gibt.
*Das* ist eine Stärke dieses Produktivkraftmodells, die der
Kapitalismus mit seinen institutionalisierten Produktivinstanzen (aka
Firmen) nur schwer und wegen der Konkurrenz grundsätzlich nur begrenzt
adaptieren kann.

Kommunikation - und Transparenz - angesichts des Internet hilft auch
aus deinem Zentralproblem heraus. Durch das Internet ist das Potential
für eine solche Kommunikation nämlich faktisch da. Praktisch wird es
(nicht nur) in der Freien Software verwendet.

Davon abgesehen halte ich nicht viel davon, über Modelle zu
spekulieren, die wir wohl kaum wirklich kennen. Ich kann mich
jedenfalls weder in den Bau einer Kathedrale noch in das Leben auf
einem Basar wirklich hinein versetzen. Davon abgesehen, dass es besser
informierte Stimmen gibt, die sagen, dass das Kathedralen-Basar-Bild
genau falsch herum ist.<

Kommentar:
http://www.opentheory.org/mtb-mawi/text.phtml#27.1.1
(27.1.1)
Keineswegs. Auf der Oekonux-Konferenz in Wien hatte es genügend Beispiele
von Firmen, die mit freier Software Geld machen. Und zwar im
Dienstleistungsgeschäft, in dem sie ihre <i>Kompetenz</i> und Kenntnis
anbieten, auf der Basis von Linux angepasste IT-Lösungen zu stricken und
auch zu warten. Und das ginge überhaupt nicht ohne diesen Pool von
Wissens- (hier Software-)Bausteinen und es funktioniert auch nicht, wenn
dieser Pool seine Dynamik verliert. Reproduktion der Infrastruktur als
essentielle Voraussetzung der Reproduktion der eigenen Geschäftsgrundlage.
Noch dazu kooperativ wesentlich günstiger als jede(r) für sich. "Jeder
nach seinen Fähigkeiten", nicht mehr - aber auch nicht weniger (siehe die
Diskussion in Wien mit Georg Pleger). Ist dir das nicht deutlich genug als
Illustration der damals sicher visionären Argumentation von Klaus
Holzkamp? Siehe auch (30)

"Auf der Oekonux-Konferenz in Wien hatte es genügend Beispiele von
Firmen, die mit freier Software Geld machen." Mir wäre es lieb, wenn
wir mit dieser Redeweise mal aufhören könnten. Es suggeriert, dass
diese Firmen "mit Freier Software" so Geld machen, wie es VW mit dem
Verkauf von Autos tut. Das ist aber Unfug - oder gibt es auch nur ein
Gegenbeispiel? Um bei dem Vergleich zu bleiben: Was diese Firmen tun
ist als Reparatur- und Wartungswerkstätte aufzutreten bzw. (Einfach
Freie) Einzelanfertigungen herzustellen. Selbst SuSE/Novell verdient
nicht "mit Freier Software" Geld in dem Sinne, in dem VW - oder auch
M$ mit proprietärer Software - das tun. Sie verkaufen vielmehr
bestimmte Dienstleistungen. Das auch deutlich in der Sprechweise zum
Ausdruck zu bringen - z.B.: Verdienen Geld mit Services rund um Freie
Software - fände ich einen klärenden Beitrag zur Debatte.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

------- End of Forwarded Message



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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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