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Re: [ox] Geistiges Eigentum. aus Streifzuege 31



Hallo in die Runde!
Im Folgenden möchte ich etwas ausführlicher auf verschiedene Passagen der
Mails von Holger Weiss und Rudolf Sponsel eingehen. Da meine Argumentation in
wesentlichen Punkten darauf beruht, möchte ich davor jedoch einiges zu meinem
Verständnis dessen vorausschicken, was in der Ökonomie mit ?Knappheit? bzw.
mit ?knappen Gütern? gemeint ist:  

############################
Zum Begriff der ?Knappheit?
############################

(A) Knappe Entitäten:

Eine Quelle von Missverständnissen ist häufig der Umstand, dass mit dem
Begriff ?Knappheit? unterschiedliches bezeichnet wird. Nach dem ökonomischen
Knappheitsverständnis beantwortet sich die Frage, ob eine Entität an sich
knapp ist oder nicht, eben NICHT dadurch, dass Regale in den Kaufhäusern voll
oder leer sind, ob irgendwo irgendetwas ?auf Halde produziert? wird oder
nicht. Ob eine Entität als knapp bezeichnet werden kann oder nicht, hängt hier
vielmehr von grundlegenden Eigenschaften einer Entität ab, durch die die 
Nutzung der Entität restringiert wird. KNAPPE Entitäten zeichnen sich nun
dadurch aus, dass ihre Nutzung ein Nullsummenspiel darstellt: Denn in dem Maße
wie jemand die betreffende Entität nutzt, sind andere von der Nutzung
DERSELBEN Entität ausgeschlossen. Dies trifft beispielsweise auf Bodenschätze
zu, oder auch auf landwirtschaftliche Produkte wie Getreide: 

=> So ist es nicht möglich, dass eine Gruppe A aus einer bestimmten Tonne
Eisenerz (bzw. aus dem daraus gewonnenen Eisen) Eisenbahnschienen herstellt,
während gleichzeitig die Gruppe B aus derselben Tonne Eisenerz Stahlträger für
den Hochausbau herstellt. Indem also die Gruppe A die Tonne Eisenerz nutzt, um
daraus Eisenbahnschienen herzustellen, ist die Gruppe B von der Nutzung dieser
Tonne Eisenerz ausgeschlossen. 
=> Es ist ebenfalls nicht möglich, dass eine Gruppe A eine Tonne Weizen nutzt,
um daraus Brot zu backen, während gleichzeitig die Gruppe B dieselbe Tonne
Weizen nutzt, um sie in der Schweinemast zu verfüttern.

Neben der gemeinsamen Eigenschaft von Bodenschätzen und landwirtschaftlichen
Produkten, die darin besteht, dass es sich bei ihrer Nutzung um ein
Nullsummenspiel handelt, gibt es jedoch auch einen augenfälligen Unterschied,
wenn man den Faktor Zeit ins Spiel bringt: 
=> Denn das Vorkommen an Bodenschätzen ist (1) langfristig gesehen BEGRENZT
bzw. ENDLICH, weshalb (2) die Nutzbarmachung von Bodenschätzen im Laufe der
Zeit immer schwieriger/ voraussetzungsvoller  wird. 
=> Demgegenüber ist das Vorkommen an landwirtschaftlichen Produkten
langfristig gesehen UNBEGRENZT. Dies ändert jedoch wohlgemerkt nichts an der
Knappheitsproblematik, die auch für Entiäten gilt, die langfristig gesehen
grundsätzlich unbegrenzt zur Verfügung stehen. 
Allerdings ist zu beachten, dass es sich bei beiden Entitäten ? ob begrenzt
oder unbegrenzt vorkommend ? im obigen Sinne um knappe Entitäten handelt.


(B) NICHT knappe und generative Entitäten

Daneben gibt es jedoch auch solche Entitäten, die sich dadurch auszeichnen,
dass es sich bei ihrer Nutzung um KEIN Nullsummenspiel handelt, da 
=> sie genutzt bzw. ?konsumiert? werden können, ohne dass sie sich dadurch
aufbrauchen;
=> DIESELBE Entität von beliebig vielen gleichzeitig besessen und genutzt bzw.
?konsumiert? werden kann, ohne dass dies die jeweils Anderen in ihrer
Möglichkeit des Besitzes und ?Konsums? bzw. der Nutzung eben dieser Ressource
beeinträchtigt. 
In diesem Sinne handelt es sich bei Wissen und Informationen um nicht knappe
Entitäten. 

Darüber hinaus zeichnen sich Wissen und Informationen hinsichtlich ihrer
Nutzung jedoch noch durch eine weitere wichtige Eigenschaft aus: sie vermehren
sich durch ihren Gebrauch, weshalb sie auch als GENERATIVE RESSOURCEN
bezeichnet werden können. 
Beispiel: 
(a) Eine INFORMATION existiert zum Zeitpunkt t(0) als einmaliges Exemplar in
Textform auf einem Server. Bis zum Zeitpunkt t(1) wurde die Information dann
von 100 Personen vom Server auf den Eigenen Rechner geladen und womöglich
anschließend ausgedruckt, um die Information zu nutzen (sprich: den Text zu
lesen). AUFGRUND der Nutzung der Information durch die 100 Personen vermehrte
sich das Vorkommen dieser Information also von einem Exemplar zum Zeitpunkt
t(0) auf weit über hundert Exemplare (digitale Kopien + ausgedruckte
Exemplare) bis zum Zeitpunkt t(1) !
(b) Diese 100 Personen verfügen über WISSEN. Dieses Wissen kann VOR dem Lesen
der Information als das Ausgangswissen zum Zeitpunkt t=0 bezeichnet werden.
Dieses Ausgangswissen (bzw. ein Teil davon) wird im Zeitraum zwischen t=0 und
t=1 dazu genutzt, um die Information zu lesen und zu verstehen. Indem aber das
Ausgangswissen auf diese Weise genutzt wird, verändert sich das Wissen der
Personen: Denn durch die Nutzung des Ausgangswissen zum Lesen und Verstehen
der Information vermehrt sich das Wissen der Personen, die nun zum Zeitpunkt
t=1 über zusätzliches neues Wissen (nW) verfügen.
?Vermehren? bezeichnet bezeichnet bei Wissen also keine quantitative
Entwicklung, sondern eher eine qualitative: Denn eine bestimmte Information
erschließen sich einem Subjekt nur in dem Maße als Ressource, in dem es über
solches Wissen verfügt, das das Subjekt zum VERSTEHEN der Information
befähigt. In dem Maße aber, in dem sich das Subjekt mit Hilfe seines
Ausgangswissens die Bedeutung der Information erschließt, verändert sich sein
Wissen ? aus dem Ausgangswissen (zum Zeitpunkt t=0) wird NEUES Wissen (zum
Zeitpunkt t=1). Dieses neue Wissen steht von nun an als neues Ausgangswissen
(zum Zeitpunkt t=2) zur verstehenden Erschließung der Information zur
Verfügung ? dies ermöglicht es ihm wiederum, die Bedeutung der Information als
Ressource besser zu erschließen usw. usf.
Dieses einfache Modell eines hermeneutischen Zirkels veranschaulicht also,
warum auch im Zusammenhang mit Wissen von einer generativen Ressource
gesprochen werden kann, der gewissermaßen eine Logik der Verschwendung
innewohnt - denn sie vermehrt sich im Gebrauch. 

Damit können wir an dieser Stelle schon einmal festhalten, dass der
Knappheitsproblematik, so wie sie hier dargestellt wurde, eine fundamentale
Bedeutung zukommt. Mit ?fundamental? meine ich, dass sich diese
Knappheitsproblematik nicht ?auflösen? lässt ? durch kein Gesellschaftssystem,
weder durch ein kapitalistisches, sozialistisches oder sonst eines.
Gesellschaftssysteme können sich aber darin unterscheiden, wie erfolgreich sie
mit dieser Knappheitsproblematik umgehen? Es gibt nun drei Möglichkeiten, mit
dieser Knappheitsproblematik umzugehen: (a) ignorieren, (b) Allokation durch
Planung oder (c) Allokation über Märkte (mit Preisen als Steuerungssignal).
(a) können wir als ernsthafte Möglichkeit getrost vernachlässigen, (b) findet
man vor allem in überschaubaren Kontexten wie in Haushalten und in
Organisationen, während (c) für die Allokation in weitläufigen und komplexen
sozioökonomischen Kontexten besonders effizient und effektiv ist (Stefan
Mattekeit (2004) hat in seinem Vortrag in Wien allerdings aufgezeigt, wie und
warum Planung gegenüber Märkten dank neuer Technologien auch in komplexen und
weitläufigen sozioökonomischen Kontexten eine Aufwertung erfahren könnte). 

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Zur Mail von Holger Weiss  (18 Dec 2004 15:11)
##########################

In seiner Replik auf Stefan Matteikats Mail vom 15 Dec 2004 09:18:20 schrieb
Holger Weiss unter anderem: 
?Wenn Du Dich auf die Allokation schon produzierter Gueter beziehst, hast Du
recht. Guckt man sich aber auch die Produktion an, gibt's diese Moeglichkeit
bei allen Arbeitsprodukten: Die verfuegbare Arbeitszeit ist nicht
unbeschraenkt, daher mag es (gemessen an welchem Massstab auch immer) eine
"Fehlallokation" sein, dass x Stunden Arbeit in die Produktion von Musik oder
Autos und nur y Stunden in die von Broetchen oder Software gesteckt wurde.
Hier "reguliert" der Markt die Produktion von Musik und Software in derselben
Weise wie die Produktion von Autos und Broetchen. Selbst wenn man Deinem
Punkt, dass die Allokation des Marktes bei "geistigen Produkten" in
spezifischer Weise suboptimal sei, zustimmt, koennte man also behaupten, dass
die Allokation ohne Markt auch hier noch schlechter waere. Genau so geht ja
auch die Argumentation der entsprechenden Leute.?

Ich habe den Eindruck, als würden hier zwei verschiedene Argumentationen
durcheinander geworfen, die liberale Ökonomen anführen, wenn sie Eigentum
rechtfertigen wollen. Bei diesen beiden Argumentationen handelt es sich
verkürzt gesagt einmal um das Motivationsargument und einmal das
Allokationsargument (es wurde in den Mails verschiedentlich auch die
Naturrechtslehre von John Locke angesprochen, dabei handelt es sich um eine
Dritte, eine normative Argumentation, auf die hier jedoch nicht eingehen
möchte; vgl. dazu Stephan Eissler 2003 ? Stefan Matteikat weist darauf in
seiner letzen Mail vom 23 Dec 2004 11:15 hin?): 
Das MOTIVATIONSARGUMENT besagt, dass jemand nur dann motiviert ist eine
Leistung zu erbringen, wenn er über die Ergebnisse seiner Leistung auch frei
verfügen kann (die Ergebnisse also als Eigentum geschützt werden). Dieses
Argument wird in diesem Thread von Rudolf Sponsel bemüht. 
Das ALLOKATIONSARGUMENT hingegen baut auf der Eingangs beschriebenen
Knappheitsproblematik auf. Denn bei gleicher Motivation der einzelnen Akteure
hängt das Wohlstandsniveau einer Gesellschaft ganz wesentlich von der
Effizienz und Effektivität der Allokation knapper Güter ab. 

Doch nun zurück. Holger Weiss redet im obigen Zitat von ?Märkten?, die etwas
?regulieren? was eindeutig auf das Allokationsargument hindeutet. Gehen wir
also kurz auf das Allokationsargument ein: Damit Märkte im überhaupt
irgendetwas ?regeln? können, müssen Waren mit klar definierten
Eigentumsrechten vorhanden sein. Dies gilt ganz besonders auch für
Informationsprodukte: Würden diese nicht als ?geistiges Eigentum? künstlich
verknappt, so könnten überhaupt keine Preise zustande kommen, die jedoch
notwendig sind, damit die Informationsprodukte über Märkte alloziiert werden
können. WARUM und unter welchen Bedingungen nun aber Märkte (vermittels der
Preise, die über Angebot und Nachfrage ermittelt werden) eine besonders
effektive und effiziente Allokation von knappen Entitäten ermöglichen, das
begründet die liberale Ökonomie recht sorgfältig. Und nach dieser Begründung
kann die Allokation von Informationen über Märkte schlicht und ergreifend
nicht effektiv und effizient sein, da sie die Annahmen, die den Begründungen
der Neoklassik zugrunde liegen, negieren. Es dürfte übrigens auch nicht
einfach sein, einen liberalen Ökonomen zu finden, der dies ernsthaft
abstreiten wollte ? liberale Ökonomen verweisen im Allgemeinen lediglich auf
das Motivationsproblem. Hat Holger Weiss also von ?Allokation? geredet aber
eigentlich ?Motivation? gemeint? Denn um das Motivationsargument geht es dann
zumindest im folgen:
[These von Stefan Matteikat (siehe dazu ausführlich Eissler 2004a): ?in dem
Maße, in welchem Wissen und Information als nicht knappe Güter künstlich
verknappt werden, wird das Potential wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit einer
Volkswirtschaft verringert und allenfalls ein suboptimales Wachstumsniveau
erreicht.?] Darauf hin Holger Weiss

?Waere das uneingeschraenkt richtig, waeren die Protagonisten des "geistigen
Eigentums" unter den VWLern ja einfach nur strunzdumm; sie waeren den
Partial-Interessen von Musik- und Softwareindustrie auf den Leim gegangen und
wuerden "ihrer" Volkswirtschaft aus schlichter Unwissenheit den puren Schaden
raten. Das bezweifle ich. Ich denke, innerhalb des Marktes gibt es Effekte in
beide Richtungen: "Geistiges Eigentum" gibt einen Anreiz zur Produktion
entsprechender Gueter und fuehrt somit zu Wachstum, umgekehrt vermindert das
Zurueckhalten von Information Wachstum, weil schon produzierte Informationen
nicht (kostenlos) von anderen zur Produktion genutzt und/oder um weitere
Erkenntnisse ergaenzt werden koennen. Die Frage ist nun, welcher Effekt
ueberwiegt; daher ist's ueberhaupt nicht verwunderlich, dass die VWLer sich
(zunehmend) um genau diesen Trade-off einen Kopf machen. Wenn man Dein
Argument vertritt, muesste man bei diesem Streit Position einnehmen und
versuchen, zu zeigen, dass der letztere Effekt ueberwiegt, der Vorteil der
kostenlosen Reproduktion also groesser ist als der Nachteil des kleineren
Anreizes zur Produktion. Ich kann das absolut nicht beurteilen, aber mich
interessiert sowieso nicht, wie die Antwort lautet. Der _Widerspruch_
interessiert mich nur insofern, als er yet another Beispiel fuer die
Irrationalitaet des Marktes ist: Waehrend vom Gebrauchswert-Standpunkt
unmittelbar einleuchtet, dass freie Verfuegbarkeit von Information rational
waere, kaempfen der Markt bzw. seine Protagonisten mit diesem bekloppten
Widerspruch, weil es vom Standpunkt des Marktes, welchen Du im zitierten
Absatz ja einnimmst, eben _nicht_ unmittelbar einleuchtend -- watt'n grosses
System.?

Hier wäre zunächst zu sagen, dass es nicht zwangsläufig die schiere Dummheit
ist, die Leute zu bestimmten Aussagen bewegt, die sich dann als (teilweise)
falsch erweisen; es gibt in der Wissenschaft den Begriff des ?Paradigmas?
(vgl. dazu v.a. Kuhn) der hierbei interessante Einsichten liefert. Newton war
auch nicht strunzdumm, seine Argumentation war (ausgehend von seinen Annahmen)
auch nicht unbedingt falsch ? aber eben auch nicht universell gültig. Ähnlich
verhält es sich meiner Meinung nach auch bei dem, was Holger Weiss oben
angeführt hat. Denn das Problem ist hier, dass die VWLer von Annahmen
ausgehen, die oben angeführt werden, die aber nur zum Teil richtig sind:
?Geistiges Eigentum gibt einen Anreiz zur Produktion entsprechender Gueter und
fuehrt somit zu Wachstum.? Richtig ist lediglich, dass ?geisitges Eigentum?
Anreize setzt ? dass dies unterm Strich zu Wachstum führt ist jedoch aus ganz
unterschiedlichen Gründen zweifelhaft. Einen wesentlichen Grund habe ich recht
ausführlich in einem Vortrag in München ausgeführt (vgl. dazu Stephan Eissler
2004b), darauf kann ich jetzt im Einzelnen nicht eingehen, da die überlange
Mail sonst noch länger wird. Hier will ich nun lediglich darauf hinweisen,
dass es ?funktionale Äquivalente? zur Institution des so genannten ?geistigen
Eigentums? gibt ? sprich alternative Anreizstrukturen, die auch motivieren
können, ohne dass die negativen Effekte auftreten, die das ?geistige Eigentum?
mit sich bringt. Wie sonst wäre es möglich, dass wir ein solches Aufblühen der
Wissenschaften in den letzten 200 Jahren erlebt haben ? und zwar weitgehend
ohne dass die Wissenschaftler durch die künstliche Verknappung motiviert
werden mussten. Im Gegenteil. Wer sich in der Wissenschaft auskennt, der weis
dass Wissenschaftler meist froh sind, wenn ein möglichst großer Kreis von
Lesern ihre Arbeiten wahrnimmt ? dies bringt ihnen Reputation und diese
Reputation bringt dann erst die Knete in Form einer ordentlich bezahlten
Stelle usw..
Und in diesem Zusammenhang noch eine Sache: ?Der Markt? hat keinen Standpunkt.
Wie sollte er auch? Aber ich bin gerne bereit mich eines besseren belehren zu
lassen, wenn ?der Markt? mal bei mir vorbeikommt und mir seinen Standpunkt
erläutert. ;) 
Und wenn irgend jemand seine ganz persönlichen wirtschaftlichen Interessen
dadurch zu schützen und zu rechtfertigen versucht (wie beispielsweise
Vertreter der Unterhaltungsindustrie dies gerne tun), indem er einfach mal
ganz rudimentär auf ?den Markt? verweist, dann heißt das genauso viel oder
genau so wenig, wie der Hinweis auf das ?Gottesgnadentum? im Absolutismus.
Beide Begriffe ?Markt? und ?Gottesgnadentum? haben in ihrer Zeit jeweils ein
LEGITIMATIONSPOTENTIAL, das weit mehr zu rechtfertigen vermag, als SACHLICH
eigentlich zulässig bzw. möglich ist. Es sind also zwei verschiedene Dinge was
Leute so alles ?im Namen Gottes? und ?im Namen des Marktes? behaupten, und was
Theorien zu diesen Begriffen tatsächlich hergeben.

[Holger Weiss - 18 Dec 2004 15:11]
?Moechte man, dass Information auch zukuenftig kapitalistisch produziert wird,
braucht's den Schutz des geistigen Eigentums, genau wie's den Schutz des
Eigentums im Allgemeinen braucht, damit kapitalistische Produktion von Autos
stattfindet. Die Preisbildung fuer Informationsgueter ist dann ebenso rational
oder irrational wie bei anderen Guetern.?

Noch einmal: In mehr als 200 Jahren Wissenschaftsgeschichte wurde eine enorme
Menge an Informationsprodukten produziert, wobei es für den einzelnen
Wissenschafter völlig unerheblich war, ob die von ihnen produzierten
Informationen über Märkte gehandelt wurde oder nicht ? wichtig war ihnen vor
allem, dass die Sachen (a) zugänglich waren und (b) so wiedergegeben wurden,
dass für alle ersichtlich wurde, wer der Urheber des Informationsproduktes
war. Derzeit regt sich ja im Gegenteil immer stärkerer Widerstand der
Informationsproduzenten (sprich: Wissenschaftler) gegen die Vermarktlichung
der wissenschaftlichen Informationsproduktion. Nachdem was Holger Weiss
schreibt müssten sie eigentlich für einen besseren eigentumsrechtlichen Schutz
ihrer Werke eintreten? Weiterhin erleben wir in jüngerer Zeit ähnliches im
Softwarebereich, wobei es sich auch hierbei in den seltensten Fällen um
Altruisten handelt, sondern um Menschen, die damit in schöner kapitalistischer
Manier ihr Geld verdienen. Die obige Behauptung ist also nicht nur theoretisch
abenteuerlich, sondern wird schon bei einer flüchtigen Betrachtung der Empirie
hinfällig. 
Ebenso abenteuerlich mutet für mich die Behauptung an, wonach ?Die
Preisbildung fuer Informationsgueter dann ebenso rational oder irrational
[ist] wie bei anderen Guetern.? Nun gut, beleuchten wir zumindest mal einen
Aspekt dieser Problematik? 
Wenn ich ein Werkzeug/ eine Produktionsanalge für die Produktion kaufen
möchte, so kann ich die Ware vorher ausprobieren, kann schauen welche Leistung
sie pro Zeiteinheit liefert und ob sich daher die Investition (der Kauf) in
einem bestimmten Zeitraum amortisiert, ? auf diese Weise kann ich eine
rationale Entscheidung treffen, ob der Kauf dieses Werkzeugs/dieser
Produktionsanlage zu dem festgelegten Preis für mich wirtschaftlich sinnvoll
ist oder nicht. Für den Anbieter ist dies ebenfalls weitgehend
unproblematisch, weil alleine durch das Ausprobieren die Ware ja noch nicht in
den Besitz des potentiellen Käufers übergeht.
Nehmen wir nun an, dass auch in der Wissenschaft alle Informationen über
Märkte gehandelt würden: Wenn in diesem Fall ein Wissenschaftler A in der
Forschung eine Problemlösung sucht und ihm ein Wissenschaftler B ein
Informationsprodukt anbietet mit der Behauptung, darin werde genau dieses
Problem gelöst und er dafür einen bestimmten Preis verlangt ? soll der
Wissenschafter A dem Wissenschaftler B einfach glauben und die Katze im Sack
kaufen? Dann könnte es doch durchaus sein, dass er den Preis bezahlt, sich die
Information durchliest und feststellt, dass dies nicht die Lösung seines
Problems ist und er deshalb einen zu hohen Preis für die Information bezahlt
hat (wir müssen nicht mal dem Wissenschaftler B Arglist unterstellen,
vielleicht hat er einfach das Problem von Wissenschaftler A nicht verstanden).
Also es wäre es doch vom Wissenschaftler A völlig irrational die Information
zu kaufen, ohne sich vorher zu versichern, dass der Nutzen der Information in
Bezug auf sein Problem den Preis tatsächlich rechtfertigt. Herausfinden kann
der Wissenschafter dies aber nur dadurch zweifelsfrei, indem er die
Information liest. Hat er die Information gelesen und sich davon überzeugt,
dass die Information sein Problem löst ? wäre es für ihn dann noch rational
für die Information zu bezahlen? Anders als im ersten Beispiel ist es hier
doch so, dass die Problemlösung schon durch das ?ausprobieren? in den Besitz
des potentiellen Käufers gelangt ? daran kann aber der Anbieter kein Interesse
haben. Es zeigt sich hier also eindeutig, dass das, was im Austausch von
bestimmten Entitäten Sinn macht und aus Sicht beider Beteiligter rational sein
mag, bei anderen Entitäten durchaus NICHT sinnvoll sein muss ? es vielmehr
zumindest von einem der beiden Tauschparteien ein irrationales Verhalten
erfordert, damit ein Tausch zustande kommt.

Im Weiteren behauptet Holger Weiss, dass Preise für Informationsprodukte
dieselben Informationen liefern wie für andere Entitäten (dass also Preise für
Informationsprodukte Informationen liefern, die eine vergleichbar effektive
Allokation ermöglichen, wie die Informationen, die Preise im Falle knapper
Güter liefern). Dies begründet er wie folgt: 
?Offensichtlich sieht der Kaeufer von Information (wie der Auto-Kaeufer) bei
gegebenem Preis fuer sich hinreichend Nutzen, sonst wuerde er die Information
nicht kaufen. Der Nutzen ist aber eh ein anderes Thema: Einer der beiden
Bestimmungs-Faktoren des Preises ist laut VWL zwar die Nachfragekurve, welche
bei gegebenem Budget durch die Nutzen-Praeferenzen des Kaeufers bestimmt ist.
Fuer Budget und Praeferenzen ist aber voellig egal, ob es geistiges Eigentum
gibt, also hat das nix mit der Nachfragekurve zu tun. Fuer den anderen
Bestimmungs-Faktor des Preises, die Angebotskurve, ist das zwar ueberhaupt
nicht egal, aber die ist wiederum in keiner Weise durch den (tatsaechlichen
oder vom Kaeufer vermuteten) Nutzen des Produkts bestimmt.?
Der erste Satz ist (zumal vor dem Hintergrund meiner obigen Argumentation)
kein ernsthaftes Argument. Der Käufer eines Informationsproduktes kann in den
meisten Fällen doch nur VERMUTEN oder hoffen, dass der Nutzen der Information
den Preis rechtfertigt. Das zustande kommen eines Tauschs ist demnach doch
noch kein hinreichendes Indiz dafür, dass der Käufer den Nutzen der Ware
richtig einschätzen konnte. Folglich ist es erst recht kein Indiz dafür, dass
durch diesen Tausch eine sinnvolle Allokation von Güter realisiert werden
konnte (darum geht es aber letztendlich ? geht es hier doch um das
Allokationsargument). 
Bei Monopolmärkten treffen sich doch auch die Angebots und Nachfragekurve
?irgendwo?. Na und? Sagt uns das, dass deshalb alles gut ist? Oder weist die
VWL nicht vielmehr doch darauf hin, dass hier womöglich individuelle
Nutzenmaximierung (des Monopolisten) nicht unbedingt zu einer
gesellschaftlichen Nutzenmaximierung führt? Ergo eine suboptimale Allokation
vorliegt? Es geht es nun darum zu zeigen, dass Informationsmärkte nicht
einfach nur Monopolmärkte sind, sondern aufgrund spezifischer Eigenschaften
der Waren (Informationen) die Diskrepanz zwischen dem Interesse des
Informationseigentümers (des Anbieters auf dem Informationsmarkt) und das
gesellschaftliche Interesse an einer Wohlstandsmaximierung noch wesentlich
weiter Auseinanderfallen als bei Monopolmärkten im Bereich knapper Güter.

[Holger Weiss - 18 Dec 2004 15:11]
?Zu der Kritik, dass die Annahmen des reinen neoklassischen Modells
(vollstaendige Konkurrenz, vollkommene Information etc.) in der Praxis nicht
hinhauen, fuegt die Spezifik von Informationsprodukten glaube ich wenig neues
hinzu. Selbst Deine sechs bei Informationsprodukten nicht gegebenen
Bedingungen (die ich jetzt mal gesnipt habe) sind aus meiner Sicht aus exakt
denselben Gruenden bei _keinem_ Produkt gegeben. Nur wird's da eh
komplizierter, weil ja auch Neoklassiker nicht beim reinen Modell bleiben,
sondern die Annahmen Schritt fuer Schritt abschwaechen und das Modell dadurch
konkretisieren. Insofern ist die Kritik, dass die Annahmen (bei
Informationsprodukten oder ueberhaupt) nicht hinhauen, fuer sich genommen aus
meiner Sicht eh etwas mau.?

Es geht hier nicht darum, dass Märkte für Informationsprodukte - wie andere
Märkte für knappe Güter es selbstverständlich immer tun - vom MODELL der
?vollständigen Konkurrenz? ?mehr oder weniger? abweichen. Es geht vielmehr
darum, dass Märkte für Informationsprodukte die Bedingungen NEGIEREN, die laut
der Neoklassik eine effiziente und effektive Allokation ermöglichen. Das ist
ein kleiner aber feiner Unterschied. 

[Holger Weiss - 18 Dec 2004 15:11]
?Informationen verbessern die Bedingungen der Produktion, welche im
Standard-Modell einfach exogen gegeben und eben nicht endogen analysiert
werden. Aber ich hab keine Sorge, dass das mit ein bischen Bastelei an den
komplexeren Wachstums-Modellen schon klappt, zumal sie diese Bastelei ja auch
laengst betreiben.?

Hierin liegt genau das Problem: Die Aussage ?Informationen verbessern die
Bedingungen der Produktion? ist nicht grundsätzlich falsch ? ob sie richtig
ist hängt jedoch u.a. von der produzierten Information ab. Das hört sich zwar
banal und trivial an, ist es meiner Meinung nach aber überhaupt nicht. Ich
möchte sogar so weit gehen zu sagen, dass (?unter anderem?) genau hier eine
?kritische Theorie? ansetzen muss, die der derzeitigen Entwicklungen hin zu
einer (ich nenne es so, auch wenn es abgedroschen klingt:) Wissensgesellschaft
gerecht werden möchte. Vgl. dazu u.a. Stephan Eissler 2004b 

######################
Das Motivationsproblem
######################

Rudolf Sponsel hat einige interessante (wenn auch nicht neue?) Einwürfe
gebracht, die letztlich alle auf das Motivationsproblem abzielen. Obwohl ich
das Thema hier sicherlich nicht erschöpfend behandeln kann, doch ein paar
Anmerkungen dazu:

[Rudolf Sponsel - 12 Dec 2004 09:41]
?Wenn einer eine geistige Arbeit verrichtet, warum soll er denn dann davon
nichts haben, aber alle andern, die sich das einfach so aneignen??

Es scheint Rudolf Sponsel doch unter anderem darum zu gehen, dass durch das
?einfach so aneignen? dem eigentlichen Urheber ein Gewinn entgeht; ein Gewinn,
den Rudolf Sponsel aufgrund der Leistung des Schöpfers aber für
gerechtfertigt, ja sogar für wünschenswert hält, da ohne die Aussicht auf
einen Verdienst die geistige Arbeit nicht verrichtet worden wäre. 
(1) Hierbei wäre aber zum einen zu Bedenken, dass die geistige Arbeit völlig
wertlos bleibt (i.S. eines Einkommens) wenn die geistige Arbeit von niemandem
wahrgenommen wird (als notwendige Bedingung) und von niemandem aneignet ? und
damit in seiner Bedeutung und seinem Nutzen verstanden ? wird (als
hinreichende Bedingung). Darauf komme ich unten noch einmal kurz zurück.
(2) Zum anderen wäre zu Bedenken, dass sich Wissen gewissermaßen eh selbst
schützt: Die Tatsache, dass inzwischen ein Großteil der Software frei
zugänglich ist bringt mir als Nichtprogrammierer nichts, wenn ich ein Problem
mit der Software habe, weil ich nicht über das notwendige Wissen verfüge. Also
werde ich so oder so jemanden dafür bezahlen müssen, für mich das Problem zu
lösen/die Anpassung vorzunehmen ? egal, ob die Software proprietär oder frei
ist. Auch bei freier Software wende ich mich vernünftiger Weise zuerst an
diejenigen die die Software entwickelt haben, da sie wohl über das
umfangreichste Wissen in Bezug auf die Software verfügen. Anderes Beispiel:
Wenn ich in einer öffentlichen Bibliothek stehe, dann sind die Informationen
zwar formal zugänglich für mich ? das meiste Wissen, das durch diese
Informationen repräsentiert wird, wird mir dennoch verschlossen bleiben, weil
ich nicht über das entsprechende Vorwissen verfüge. 
Interessant ist jedoch, dass dann, wenn Informationen frei sind, diejenigen
die Kontrolle über die Informationen (und damit über das Wissen, das durch die
Informationen repräsentiert wird) haben, die über das notwendige Wissen
verfügen. Wenn Informationen jedoch als ?geistiges Eigentum? geschützt werden,
dann werden Informationen wesentlich stärker durch Kapitalbesitzern und in
geringerem Maße von den ?Wissensbesitzern? kontrolliert, da das notwendige
Vorwissen dann lediglich eine notwendige Bedingung dafür ist, eine Information
nutzen zu können, Kapital jedoch die hinreichende Bedingung. 
Wenn man dies weiterdenkt kann man dies auf die provokative These zuspitzen,
dass in einer Gesellschaft, in der es die Institution zum Schutz von so
genanntem ?geistigen Eigentum? gibt, das Kapital den Zugang zu Information
(und damit letztlich auch das Wissen) kontrolliert, während in einer
Gesellschaft ohne ?geistiges Eigentum? (ausdrücklich ausnehmen will ich dabei
das Recht des Urhebers auf Nennung seines Namens im Zusammenhang mit seiner
geistigen Schöpfung!) das Wissen das Kapital kontrolliert (warum dies so ist
deute ich in Stepahn Eissler 2004a in groben Zügen an). 
Weiter halte ich es für einen merkwürdigen Mythos, dass im Bereich Forschung
und Entwicklung Summa summarum die Wissensarbeiter durch die Institution des
?geistigen Eigentums? mehr von ihrer Arbeit ?profitieren? können als dies ohne
diesen eigentumsrechtlichen Schutz der Fall wäre. Dieser Mythos beruht
weitgehend auf einigen wenigen Beispielen, die dies suggerieren (genialer
Tüftler scheffelt mit seiner Erfindung einen Haufen Geld?) ? das ist aber so,
als würde ich Aufgrund der - im Vergleich zu allen Lottospielern ? begrenzten
Anzahl an Lotto-Millionären darauf schließen, dass Lottospielen reich macht.
Wie man sieht funktioniert dieser Irrglaube in der Realität in beiden Fällen
hervorragend? Völlig unstrittig scheint lediglich, dass Unternehmen von der
Institution des ?geistigen Eigentums? profitieren ? und zwar profitieren diese
umso mehr davon, je besser sie mit Kapital ausgestattet sind.

[Rudolf Sponsel - 15 Dec 2004 10:40]
?Ich kann hier durchaus eigene Erfahrung einbringen: Ich habe 11 Jahre einen
Fehler gesucht, der Korrelationsmatrizen mit negativen Eigenwerten entgleisen
ließ (was regulär nicht sein darf: aber die reine Mathematik und die faktische
Numerik sind zwei Paar Stiefel, was ich hier sicher nicht breittreten muß).
Ein Mathematiker hat mir dabei sehr geholfen. Wir haben im Laufe der Zeit
viele Programme entwickelt, um die Probleme zu klären und zu bewältigen. Warum
sollte ich diese viele Arbeit einfach jedem einfach so zur Verfügung stellen
(erst neulich wollte jemand den Quellcode einffach so haben und gab sich nicht
damit zufrieden, Hinweise zu erhalten , wie er es selbst mit den heutigen
Möglichkeiten einfach selber machen kann)? (2) Als mir zwischendurch das Geld
ausging, um meine Programmierer für meine wissenschaftlichen Hobbies zu
bezahlen, beschloß ich, es mir notdürftig selbst beizubringen beizubringen,
damit ich meine Tests selber verarbeiten und beforschen kann (sie laufen heute
noch unter Magig_PC/Atari und Omikron Basic unter Win).
Das zweite Beispiel zeigt auch, die Programmier wollten für ihre Arbeit etwas
haben, was ich verstehe und akzeptiere. Ich verstehe hingegen nicht, wie man
das nicht verstehen und ernsthaft meinen kann, Menschen arbeiten einfach mit
Gottvertrauen, daß es das Schicksal schon richten werde.?

Ich will mir nicht anmaßen, zu beurteilen, ob man die Lösung dieses konkreten
Problems, das Rudolf Sponsel hier schildert, nicht anders hätte besser
organisieren können. Aber: Zumindest in vielen Fällen lohnt es sich zu
schauen, ob man nicht Leute findet, die ähnliche Probleme haben, oder ähnliche
Interessen, ähnliche Ziele? Es macht einen großen Unterschied, ob parallel,
jeder für sich still und heimlich verschiedene Menschen an der Lösung
desselben Problems arbeiten, oder ob alle ihr unterschiedliches Wissen und ihr
unterschiedlichen Interessen einbringen, um gemeinsam zu entwickeln. Wo der
eine aufgrund seines Wissens monatelang über einem Problem brütet, da hat ein
anderer womöglich schon nach Tagen eine Lösung; bei einem anderen Problem ist
es vielleicht genau umgekehrt. Und Dank freier Lizenzen wie der GPL können
sich die beteiligten Entwickler auch relativ sicher sein, dass dem
Trittbrettfahrertum zumindest erträgliche Grenzen gesetzt sind. 
Ganz anders verhält es sich bei der proprietären Problemlösung, bei der
sorgfältig darauf geachtet werden muss, dass keine Dritten Einblicke erhalten:
Hier entwickeln dann womöglich verschiedene Parteien völlig unabhängig von
einander und kommen womöglich wegen ihres zwangsläufig begrenzten Wissens in
relativ langen Entwicklungszeiten nur zu suboptimalen Ergebnissen ? und da die
eine Partei der anderen nicht in den Source Code schauen kann wird man
womöglich nie auf die entscheidenden Anregungen stoßen, die eine überlegenere
Lösung möglich machen würde. Das ist nun keineswegs idealistisches fantasieren
? dass dem so ist lässt sich an vielen Beispielen zeigen; eines der
eindrücklichsten Beispiele ist sicherlich die Entwicklung des Internets und
später des WWW: Sowohl in Europa als auch in den USA wurde viel Geld für die
Entwicklung von digitalen Infrastrukturen ausgegeben. In den USA wurde mit
offenen Standards gearbeitet (vgl. dazu u.a. die IETF ? http://www.ietf.org)
während die verschiedenen europäischen Ansätze ebenfalls mit enorm hohem
Ressourceneinsatz aber mit quasi-proprietären Ansätzen entwickelten (etwa
Minitel in Frankreich oder BTX in der BRD). Der Rest ist Geschichte? Es dürfte
heute äußerst schwer fallen, jemanden aufzutreiben, der ernsthaft behaupten
würde, dass die Entwicklung des Internets und des WWW ähnlich rasant und
erfolgreich Vonstatten gegangen wäre, dass die vielen einzelnen Akteure
ähnlich motiviert und innovativ mitgewirkt hätten (wohlgemerkt aus
Eigeninteresse und nicht aus Altruismus!!), wenn die Entwicklung nicht auf
Basis offener Standards stattgefunden hätte.

Fassen wir zusammen: Vieles spricht also dafür, dass sich viel Geld und Zeit
sparen lässt, wenn man auf der Basis einer offenen und freien Lizenz
entwickelt. Hier schließt sich nun der Kreis, da wir wieder beim
Allokationsargument gelandet sind: Im Bereich der Wissensarbeit ist eine
offene Entwicklungsumgebung in den meisten Fällen sowohl effektiver (in Form
überlegener Problemlösungen) als auch effizienter (weil der Ressourceneinsatz
geringer ist). Ähnlich äußert sich ja auch Stefan Matteikat aufgrund seiner
praktischen Erfahrung in der Mail vom 18 Dec 2004 17:24.   Wenn dem aber
tatsächlich so ist, dann (1) muss die Gesellschaft ein überragendes Interesse
daran haben solche Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine möglichst effektive
und effiziente Problemlösung ermöglichen; (2) wären auch für weniger
kapitalstarke Akteure (kleine Unternehmen, Einzelpersonen) das
?Investitionsrisiko? wesentlich geringer und damit die Motivation höher, sich
selbst in solche Entwicklungsprozesse einzubringen. 

[Rudolf Sponsel - 20 Dec 2004 12:05]
?Es geht nicht um geistiges Eigetum oder das Patentrecht. Es geht um Arbeit,
die X verrichtet und war er dafür bekommt im Verbund damit, daß andere, sich
den Nutzen dieser Arbeit einfach so aneignen (diese Einstellung findet man oft
in egonaiven-links-alternativen Kreisen).? 

Wer mich kennt, der wird mich kaum verdächtigen, ein linker Träumer zu sein.
Aber diesen Einwurf von Rudolf Sponsel möchte ich nicht unkommentiert lassen:
Wie ich oben schon angedeutet habe, halte ich diese ?Aneignung durch Dritte?
für absolut notwendig, damit ich als Urheber überhaupt von meiner geistigen
Schöpfung in nennenswertem Maß profitieren kann. Denn es gibt genügend
Beispiele für geniale Urheber, deren Pech es war, dass zu ihrer Lebzeiten
niemand so recht die Genialität ihrer geistigen Schöpfungen verstehen und
begreifen konnte. Wenn aber niemand die Bedeutung und den Sinn einer geistigen
Schöpfung versteht, dann kann daraus auch kein Gewinn gezogen werden ? ganz
egal ob die geistige Schöpfung als Eigentum geschützt wird oder nicht. Das
Verstehen des Sinns und der Bedeutung einer geistigen Schöpfung setzt jedoch
eines voraus: die wissensmäßige Aneignung der geistigen Schöpfung durch
Dritte. Wie wir oben aber festgestellt haben, wird die Wahrscheinlichkeit der
Aneignung durch Dritte durch die künstliche Verknappung der geistigen
Schöpfung geringer ? und damit die Wahrscheinlichkeit, dass sich die geistige
Schöpfung zum Wohle des Urhebers erfolgreich verbreiten und durchsetzen kann?
Man könnte also fast so weit gehen und provokativ sagen, dass gerade umgekehrt
ein Schuh draus wird: erst durch die lobenswerte Tat der Aneignung Dritter
erhält eine geistige Schöpfung einen Wert, der sich versilbern lässt. Müsste
ich als Urheber, der ich davon profitiere, dass sich Dritte meine geistige
Schöpfung aneignen, sie be-greifen (in diesem Wort steckt ja schon das
Aneignen) und für wichtig halten (weshalb ich eine gewisse Bekanntheit
erreiche, und deshalb für meine Expertise, für Vorträge und anderes bezahlt
werde) dann nicht dafür entlohnen? Bin ich nicht ein kleiner Ausbeuter, wenn
ich von ihrer unentgeltlich getätigten Aneignung profitiere? Dies ist gewiss
mit einer Briese Ironie gesagt, angesichts der obigen Auslassungen von Rudolf
Sponsel über die vermeintlich schlechte Erziehung bestimmter linker Subjekte ?
aber nur mit einer kleinen Briese. Wer beispielsweise mal einen durchaus recht
ernst zu nehmende Ökonomen und Philosophen wie Birger Priddat (2000) liest,
der wird merken, dass an dieser Argumentation mehr dran ist, als nur Ironie?
(vgl. dazu auch Stephan Eissler 2003 S.14ff).

Schöne Grüße aus dem winterlichen Tübingen
Stephan
 

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Literatur
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Birger P. Priddat (2000): Arbeit an der Arbeit: Verschiedene Zukünfte der
Arbeit. Metropolis, Marburg

(da Stefan Matteikat in seiner Mail vom 23 Dec 2004 11:15 auf diesen Aufsatz
hinweist, gebe ich ihn hier ebenfalls an. Dabei handelt es sich jedoch nur um
eine erste Gedankensammlung ? nicht zuletzt zu erkennen an der schrecklichen
Orthographie?)
Stephan Eissler (2003): Eine Kritik der Institution des so genannten
?geistigen Eigentums? im digitalen Zeitalter aus Perspektive liberaler
Theorien. Zusammenfassung erster Überlegungen


Stephan Eissler (2004a): Das so genannte ?geistige Eigentum? im digitalen
Zeitalter
- eine Kritik aus liberaler Perspektive. Vortrag auf der 3. Oekonux-Konferenz
in Wien im Mai 2004. Ab Frühjahr 2005 zu finden im Internet unter 
http://dritte.oekonux-konferenz.de/dokumentation/texte/Eissler.html  sowie unter
http://www.wissen-schaft.org


Stephan Eissler (2004b): Der Schutz von so genanntem ?geistigen Eigentum? und
Wirtschaftswachstum ? schriftliche Ausarbeitung des Vortrags auf der Tagung
des Arbeitskreis Politische Ökonomie (AKPÖ), der Sektion Arbeits- und
Industriesoziologie sowie der Sektion Wirtschaftssoziologie der DGS zum Thema
Wissensökonomie 
Ab Frühjahr 2005 zu finden im Internet unter http://www.wissen-schaft.org

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(Alle drei Arbeiten von mir sind bis auf weiteres abrufbar  unter
http://www.sowi.uni-tuebingen.de/wip/index.php?id=404 )
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Stefan Matteikat (2004): Das Internet der Dinge - Möglichkeiten der
Überleitung der Ideen freier Software in die materielle Produktion. Vortrag
auf der 3. Oekonux-Konferenz in Wien im Mai 2004. 



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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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