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Rechtsform again (was: Re: [ox] Copyleft in der Praxis)



Hi Juli, HGG, FranzN, alle!

Last week (12 days ago) Juli wrote:
Ich gehöre zwar nicht zu den AutorInnen, habe auch den "Warenform und
Rechtsform"-Thread nur am Rande gelesen, aber mir dünkt doch, das es
sich hier um ein tendenziell strukturelles Phänomen handelt: Eine
Gesellschaft jenseits von Ware und Geld, Kapital und Abspaltung, Fetisch
und Verdinglichung aufbauen zu wollen, setzt intensive soziale
Kommunikation zwischen den Beteiligten voraus.

Jede Gesellschaftsform setzt das voraus. Je komplexer desto mehr und
vor allem auch über desto weitere (soziale) Distanzen. Ich würde
vermuten, dass eine *ausschließlich* auf Kommunikation aufbauende
Gesellschaftsform nicht funktionieren kann, weil der
Kommunikationsbedarf zu hoch ist.

Deswegen werden Regeln eingeführt. Die Regeln schränken einen Teil der
Freiheit / Grenzenlosigkeit ein und ersparen den Beteiligten die
permanente Kommunikation. Regeln sind so gesehen Hilfsmittel, können
aber letztlich nur eine Ersparnis.

Die Rechtsform ist jetzt eine Form, die auf den Regeln aufsetzt, sie
formalisiert und - damit notwendig - abstrahiert. Damit werden sie
universeller anwendbar und der nachregulierenden Kommunikation
tendenziell entzogen. Ein Entfremdungsschritt weg vom zugehörigen
Sozialsystem.

Die konkrete, historische Rechtsform hat natürlich viel mit der
Gesellschaftsform zu tun. Gab es in feudalen Zeiten Privilegien, die
auf Grund persönlicher Entscheidungen vergeben wurden, abstrahiert die
bürgerliche Rechtsform von den Individuen auf Grund des
Gleichheitsgrundsatzes.

Dieser Gleichheitsgrundsatz ist für eine bürgerliche Gesellschaft
unabdingbar - mindestens als Ideologie. Für andere, historische
Gesellschaftsformen war das durchaus kein Thema und auch heute kann
mensch darüber geteilter Meinung sein. Jedenfalls hat
Gleichheitsgrundsatz erst mal nichts mit Bedürfnisorientierung zu tun.

Na ja, so reime ich mir das jedenfalls momentan zusammen ;-) .

Copyleft könnte im
Gegensatz dazu als technisches Verfahren interpretiert werden.

Genauer: ein abstraktes Verfahren. Mit "technisch" meinst du
vermutlich ohne Ansehen der Person.

Und wie
das bei technisch-juridischen Verfahren so ist, sind die im Kern
heternom und Blind gegenüber dem Inhalt.

Das ist ihr Sinn.

Letztlich scheint es mir nur
schwer möglich, Rechtsform emanzipativ zu wenden und gegen sich selber
einzusetzen, eben weil immer etwas von der Rechtsform dabei übrigbleibt
und sich gegen die eigentliche Idee - sagen wir: die Assoziation der
freien und gleichen - richtet.

Wie erlebt. Aber unter den gegebenen Rahmenbedingungen wohl das Beste
was wir haben.

Last week (7 days ago) Hans-Gert Gräbe wrote:
Allerdings geht es, da stimme ich F.O.Wolf zu (sein Text im Band
"Gleicher als andere"), um eine grundlegende Änderung der
Kommunikations_formen_, und Änderung der Herrschaftsformen - auch das
wird mir immer klarer - muss von dort aus gedacht werden.

Nun, ich denke, dass die Bedürfnisorientierung im Mittelpunkt stehen
sollte. Dazu ist mindestens mal fragen eine sehr nützliche Sache ;-) .

Sind wir
übrigens genau bei C. Spehrs "Maquis".

Nein. Der Maquis - so habe ich ihn verstanden - ist nur Anti. Hier
ginge es aber gerade um ein Pro - auf höherer Stufenleiter.

Die Rechtsform ist eine zivilisatorische _menschliche_
Abstraktionsleistung, die viel Ähnlichkeit mit Software hat: Sie liefert
die Instrumente, um regelbasiert zu "leben": zu unterscheiden ist - wie
in der Informatik - zwischen Regeldefinition, Regelanwendung und dem
Engine, der Definitionen zur Anwendung bringt (ohne den Regeln weder
definiert noch angewendet werden könnten). Es wäre interessant, diese
Analogie mit der hier versammelten Programmiererfahrung mal
durchzubuchstabieren. Und natürlich die Unterschiede.

Ja, da ist was dran. Und wenn Lessig sagt "Code is Law" kann Recht und
Code offensichtlich nicht in völlig verschiendenen Ligen spielen. Ich
vermute, dass ein wesentlicher Aspekt eben die Regeln, die Abstraktion
und die damit einhergehende Entfremdung sind.

Das juristische System hat auch in anderem Sinne viel
(phänomenologische) Ähnlichkeit mit Software: Es wird nach der Realität
modelliert, mit Anforderungsanalyse, Entwurf, Reviews, Modellierung,
Implementierung, Test, Inbetriebnahme, Wartung und Verbesserung und was
es sonst noch alles so im Software-Zyklus gibt.

Da ist was dran :-) .

Last week (7 days ago) Franz Nahrada wrote:
Das Recht ist gerade kein Regelsystem, sondern ein Sanktionensystem, in
dem ganz stur und brutal durch eine gewaltmonopolistische Instanz
Regelabweichungen definiert und sanktioniert werden.

Na wenn es Regelabweichungen geben kann, dann müssen die ja irgendwo
her kommen. Ein Stück Regelsystem muss also drin sein.

Was dir besonders ins Auge springt sind in der Software die Aktoren,
die ausführen, was Regelsystem "ersonnen" haben.

Regelsysteme sehen
anders aus, und ich hab in meinem ganzen Leben eigentlich kaum ein
anständiges System dieser Art kennengelernt bevor ich mich mit der Theorie
und Praxis des indianischen Medizinrads beschäftigt habe. Das Problem ist
daß es gerade die systemische Trennung zwischen  "Handlungslogik der
Einzelnen" und "Handlungslogik vom Standpunkt der Gesellschaft" ein
wirkliches Regelsystem unmöglich macht.

Standpunkt der Gesellschaft hat m.E. schon einen etwas
fetischistischen Beigeschmack.

Ich würde es ohnehin tiefer hängen und sagen: Es kann Konflikte geben.
Zwischen Einzelnen, Gruppen und Einzelnen und Gruppen. Konflikte sind
aber m.E. nicht abschaffbar. Nach deinem Diktum sind dann wirkliche -
wo sind sie übrigens wirklicher? - Regelsysteme unmöglich. Hat den
Vorteil, dass wir uns nur noch über die unwirklichen unterhalten
müssen ;-) .

Soll natürlich nicht heißen, daß "im Kleinen" nicht einiges
funktioniert....

Das Kleine ist hier nicht so relevant, weil im Kleinen die Entfremdung
nicht so mächtig werden kann. Die Entfremdung kann aber mit steigender
sozialer Distanz gehörig steigen. Das muss auch so sein, sonst müssten
wir uns alle sekündlich Sorgen um 6Mrd. Menschen machen.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

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