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[ox] Oekonux als Projekt



Hallo Jac und Stefan,

ich kommentiere mal die Antwort von Stefan Meretz vom 11.7. an dich,
damit mein mehrfach deutlich formulierter "Minderheitenstandpunkt" nicht
wieder unter den Tisch fällt. Ich habe auch mal einen (technisch)
frischen Thread angefangen mit dem neuen alten Subject "Oekonux als
Projekt" - und zwar (Karl, freust du dich?) auf ox-de und nicht auf pox.
Vielleicht kommen wir ja - mit zwei neuen Leuten - doch mal zu einer
Diskussion dieser "Metafragen" jenseits der bisherigen starken
Personalisierung.

Zunächst eine Vorbemerkung für Jac, die vielleicht auch gar nicht nötig
ist, denn du scheinst das Mail-Archiv gründlich durchgesehen zu haben.
Aber vielleicht auch als mein "Digest" für Stefan Meretz, denn er war
aus beruflichen Gründen lange nicht aktiv hier und steigt gerade wieder ein.

Eine der zentralsten Differenzen zwischen mir und der "Kernmannschaft"
von Oekonux (und in diesem Sinne gehöre ich NICHT zu diesem Kern) ist
das Oekonux-Grundverständnis: schart es sich um eine IDEE (etwa "über
die gesellschaftliche Verallgemeinerung der Prinzipien Freier Software
nachdenken") oder schart es sich um LEUTE. Meine Minderheitenposition
(und ich verstehe dich mit "Wir-Gefühl" so, dass ich in dir einen
Mitstreiter hätte) entwickelt sich aus Überlegungen, was die LEUTE
bewegt, sich hier zusammenzufinden, was sie zu ihrer Entfaltung brauchen
etc., während die "andere Seite" solche Überlegungen als Metadebatten
abtut und schlimmstenfalls als bähh bezeichnet. Du findest dazu genug
Belege im Archiv, brauche (und will) ich hier nicht ausbreiten.

Stefan Merten hat die Position der "anderen Seite" im Wiki unter
http://en.wiki.oekonux.org/StefanMerten/AboutSocialSystems - bzw. seine
Sicht darauf - detailliert dargestellt. Das Problem ist, dass sie
Bedürfnisse von LEUTEN wie mir, die nicht mit den aktuellen Setzungen
übereinstimmen, als Störungen wahrnimmt und als Störungen behandelt. Und
was ich für ein Oberstörer bin, das hast du im Archiv ja lesen können.
Auch wenn Stefan Meretz viel über eine hehre Theorie redet, in der das
vollkommen anders klingt, in der eigenen PRAXIS geht Oekonux auf
abweichende Bedürfnisse der LEUTE konfrontativ los.

Das kannst du besonders an der "Sprachfrage" nachvollziehen. Eine ganze
Reihe von LEUTEN, die aktiv auf ox-de mitmischen oder mitgemischt haben,
haben mehrfach sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass sie sich durch
das Setzen der Verkehrssprache Englisch auf pox in ihrer Entfaltung,
ihren eigenen Ausdrucksmöglichkeiten behindert sehen. Wenn du Oekonux
von den LEUTEN her denkst, dann wäre klar - lasst uns Formen suchen, die
das berücksichtigen. Das Ergebnis wäre weitgehend klar, denn man muss
nur die Konturen nachzeichnen, die eh existieren: GermanOekonux als
deutschsprachiges Standbein und XXOekonux als englischsprachiges.  Wobei
über XX=English oder XX=International noch nachzudenken wäre. Dann
könnte man über das Verhältnis der beiden Standbeine nachdenken und
dieses formen. So weit die potentia und von mir als Ansatz mehrfach
thematisiert.

Derzeit wird das alles von der IDEE her gedacht und die Spielregeln sind
entsprechend und bekannt und nicht ernsthaft hinterfragbar.

@Karl: Insofern ist - aus meiner Sicht - keineswegs "ein T zuviel".

Dasselbe gilt auch für die "Vereinsfrage".

s.mz: Der Verein ist ein bloß formales, für den Projektprozess absolut 
irrelevantes Konstrukt. Er dient nur dazu, entfremdeten formalen 
Anforderungen (etwa beim Beantragen von Fördermitteln) entsprechen zu 
können.

Auch hier habe ich (inzwischen zusammen mit s.ma) eine vollkommen andere
Sicht. Die etwa im flame um die diesjährige MV deutlich artikuliert wurde.

NB: Ich fände zu all diesen Fragen übrigens eine ANALYTISCHE Debatte
wesentlich spannender als eine normative oder gar emotionale.

Insofern ist deine Frage "Lernumgebung wofür?" für mich längst nicht so
klar beantwortet wie es Stefan Meretz darstellt. Insbesondere das, was in

s.mz: Sure, the learning environment should enable us to approach the core 
Oekonux question from different perspectives. The core question is how 
to societally generalize the principles of free software, if possible, 
and if not, why not.

jac: Schließt Oekonux nun die Entwicklung weitergehender Gesellschafts-
theorien ein oder nicht?

s.mz: Sure. However the relationship to the Oekonux agenda should be visible. 
Please study the archive, There you'll find very important debates with 
only "thin" connections to Oekonux agenda, but it was there and it was 
relevant for the further development of theories.

als "Oekonux-Agenda" bezeichnet wird. Das liest sich alles ganz anders,
wenn es von den LEUTEN her gedacht wird; die Oekonux-Agenda ist nichts
Festes, sondern in einem dauernden Reproduktionsprozess und etwas
"off-topic" zu setzen muss etwas ganz Exzeptionelles sein.

s.mz: Der List-Owner StefanMn hat mehrfach deutlich gemacht, dass er sich 
nicht als Erster unter Gleichen sieht. Forderungen an ihn persönlich 
nach Eingriff in ox-de hat er zurückgewiesen. Stattdessen hat er die 
Wahrnehmung von Verantwortung - im Alleingang oder gemeinsam - 
eingefordert.

Genau das geht aber NUR als "Erster unter Gleichen", als "primus inter
pares" im klassischen professoralen Selbstverständnis.

s.mz: Deswegen haben wir (ich bin in dem Verein) uns entschieden, all
diesen entfremdeten Formalkram auf das absolute Minimum zu reduzieren
und über darüber keine Entscheidungen etc. zu betreiben.

Ich bin auch in diesem Verein (wie s.mz seit seiner Gründung) und sehe,
dass aus dieser Vision heraus zugleich alle Mechanismen zum "decision
meeting" amputiert wurden.  Die hehre Vision, alles im Konsens und
notfalls durch den Maintainer zu entscheiden (siehe
http://en.wiki.oekonux.org/StefanMerten/AboutSocialSystems) heißt in
letzter Konsequenz: der Maintainer setzt sich immer durch. Ein äußerst
unbefriedigender Zustand - im Übrigen auch für den Maintainer, weil er
dauernd Dresche kriegt, die aus dem Frust unbehandelter Konflikte erwächst.

s.mz: Dagegen sollten wir auf starke Personen mit positiver 
Bedeutung für Andere im Sinne der Selbstentfaltung setzen. Das Ziel 
ist, dass jede und jeder eine "Person mit Bedeutung" wird.

In meinen Chemnitzer Thesen heißt es über das Scheitern des
realsozialistischen Versuchs: "Dieses Scheitern war auch ein Scheitern
des Versuchs, den Geist zu beschwören und zugleich den kritischen Geist
zu bannen."

"Personen mit Bedeutung" (und zu denen zähle ich mich hier auf ox-de mal
- in unendlicher Selbstüberschätzung) sind eben immer auch ein
"kritischer Geist", haben einen eigenen Kopf, kommen mit eigenen
Gestaltungsansprüchen, die vielleicht auch a priori gar nicht so
deutlich gemacht werden können, dass sich VOR dem Tun so was wie Konsens
wirklich erzielen ließe, sondern ein positives Einlassen auf den
Anderen/die Andere mit einem "na gugge ma, das hättsch so jetzt aber
nisch gedacht" als REGELAUSGANG, als a posteriori Erfahrung. Verlangt
aber, sich auf die Möglichkeit eines solchen Ausgangs einzulassen. Eben
"New Culture" - wie ich Annette verstehe.

jac: Die dahinter zu vermutende Definition von Selbstentfaltung 
verwendet einen m.E. nach falschen Autonomiebegriff, der eine
autistische Unabhängigkeit von anderen Menschen ein- und befördert.

Genau das ist auch F.O.Wolfs zentrale Kritik an dieser Art von
Selbstentfaltungsverständnis, die er an Christoph Spehrs Text zur
"freien Kooperation" geübt und ausführlich ausargumentiert hat, siehe
http://www.hg-graebe.de/WAK-Leipzig/2005-10-29.html und die Links dort.

Christophs Text zum Download: 
http://www.rosalux.de/cms/fileadmin/rls_uploads/pdfs/texte9.pdf

Der Link führt auf den bei Dietz erschienen "Kommentarband", der im
Nachgang der Verleihung des Luxemburg-Preises an Christoph Spehr
erschienen ist und verschiedene Kommentierungen des Ansatzes enthält.
Die Kritiken dort von F.O.Wolf (s.oben) und R.Mocek fand ich auch noch
sehr wichtig (und meine natürlich :-) )

s.mz schreibt weiter am 13.7. über Alleingänge und Selbstentfaltung
Im traditionellen Verständnis ist es dann eigentlich kein
"Alleingang" mehr. Doch das übersieht, dass es immer individuelle
Menschen sind, die - "allein" im Sinne von "individuell" - handeln:
Sie entscheiden sich letztlich "allein", etwas zu tun oder zu lassen.
Und diese individuellen Menschen sind zu stärken, sind zu ermutigen,
so dass sie verantwortungsvoll handeln können.

Genau das reicht nach meinem Verständnis viel tiefer und ist der Kern
der Kantischen Unterscheidung des "öffentlichen Gebrauchs der Vernunft
zum Raisonnieren" und des "privaten Gebrauchs der Vernunft im
öffentlichen Handeln". Sie haben eine VOLLKOMMEN DIFFERENTE Logik.  Das
erstere verändert die Welt nicht, braucht nur lesenden Zugriff auf den
Erfahrungsschatz der Menschheit als Gattung und hat eben "freedom of
speech" - den freizügigen Zugang zu den Wissensressourcen - zur
Voraussetzung. Das zweitere hat eine vollkommen andere Natur; es ist
con-currente Änderung der Welt, konfliktäre "Schreibzugriffe", die durch
"locking" gelöst werden (dafür wurde Eigentum "erfunden"!). Und - damit
Gesellschaft funktioniert - muss jede(r) Verantwortung übernehmen für
das, was sie/er "in die Datenbank" schreibt. Dazu müssen Menschen nicht
nur "ermutigt" werden, sondern es sind zugleich die Bedingungen dafür zu
schaffen (meine vierte Emanzipationsthese!). Es sind "die Verkehrsformen
zu produzieren", in denen dies möglich ist.

Das ist in Oekonux - wenigstens für die Art, in der ICH mir vorstelle,
in diesem Sinne meinen "Alleingang" durchzuziehen - bisher nicht möglich.

jac: Selbstentfaltung kann nicht ohne den durch andere gegebenen
Rahmen begriffen werden - und sei dieser auch nur, daß die Freiheit
zur Selbstentfaltung notwendigerweise an der Freiheit der jeweils
anderen endet. Totale Freiheit im Sinne einer Autonomie des
"Alleinganges" wird noch nicht einmal vom Anarchismus eingefordert.

Ich darf in dem Zusammenhang noch einmal ein Zitat aus der "Potsdamer
Denkschrift" in Erinnerung bringen, die im "bundle of friendly projects"
ja ebenfalls wohl nur von mir als wichtiger Input angesehen wird:

<zitat>
Zurecht sprechen wir von der Freiheit des Menschen. Aber wie haben
wir diese Freiheit zu verstehen, wenn sie nicht die törichte Freiheit
sein soll, das Falsche zu tun? Wie bewahren wir uns und die Welt mit
uns vor unserer Willkür, nachdem wir ein Stück weit aus dem
Bedingungsgefüge der ‚Ko-evolution’ herausgetreten sind? Eine Antwort
heißt zweifellos, dass wir unsere Erkenntnisfähigkeiten nicht nur
dazu benutzen, immer mehr machen zu können, sondern immer umfassender
und aufmerksamer die sehr vielen Bedingungen der Welt, in die wir
mit unserem Machen eingreifen, und die unendlich vielen
Wechselbeziehungen zwischen ihnen kennenzulernen. Bisher haben wir
aber solches Wissen vor allem dazu benutzt, Machbarkeit noch weiter
und vermeintlich ungefährlicher voranzutreiben. Aber es gilt nicht
nur, diese Fehler zu erkennen und zu vermeiden.
</zitat>

Es ist nicht nur die FREIHEIT der anderen im Sinne einer potentia,
sondern ihr reales "Leben und Gestalten", die TEIL eines umfassenderen
Begriffs von WELT sind, wie er hier aufgerufen wird.

jac: Ferner muß mit Selbstentfaltung in einem Rahmen des Endes der 
eigenen Freiheit an der Freiheit der anderen (für Freiheit kann auch 
Selbstentfaltung eingesetzt werden!) eine gewisse Aufgabe und ein 
bestimmter Verzicht verbunden werden - der Verzicht auf Positionen 
und Handlungen, die andere in ihrer Freiheit oder Selbstentfaltung 
beeinträchtigen. Aufgabe und Verzicht stehen deshalb nicht in
Opposition zur Selbstentfaltung.

Ich würde das - aus eigener Erfahrung - viel schärfer formulieren: Demut
und Zuhören-Können als Prozess des Sich-Bemühens. Ich glaube, das könnte
auch viel mit Annettes Ansatz "New Work - New Culture" zu tun haben.

Das ist vielleicht auch der Archimedische Punkt, von dem aus diese
Gesellschaft aus den Angeln zu heben ist. Denn wir können bereits in
DIESER Gesellschaft in immer größeren Teilen unserer eigenen Praxis
diesen Prinzipien mehr Raum geben.  Indem wir die bürgerliche Freiheit -
hier die Vertragsfreiheit - GEGEN das bürgerliche Eigentum richten.

Das war auch Stephan Eisslers Thema in Wien: Bürgerrechtsliberale gegen
Wirtschaftsliberale. Liberale THEORIE der "bürgerlichen Freiheit" im
Widerspruch zu liberaler Praxis des laissez faire. Und Eben Moglen: "the
dogma of bourgeois property comes into active conflict with the dogma of
bourgeois freedom.  Protecting the ownership of ideas requires the
suppression of free technology, which means the suppression of free
speech.  ... It is in the courts of the owners that the creators find
their class identity most clearly, and it is there, accordingly, that
the conflict begins."

Viele Grüße, HGG

-- 

  Prof. Dr. Hans-Gert Graebe, Inst. Informatik, Univ. Leipzig
  Augustusplatz, D-04109 Leipzig, Raum 5-53	
  tel. : +49 341 97 32248
  email: graebe informatik.uni-leipzig.de
  Home Page: http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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