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Re: [ox-de] Situationen statt Personen



Stefan Meretz schrieb heute:
Am Friday 21 July 2006 19:15 schrieb Christoph Reuss:
Dann ist es keine Selbstentfaltung. Sondern "Selbstverwertung". So
nenne ich das als Gegensatz: Sich auf Kosten Anderer durchsetzen.
Das hat nichts mit personalen Eigenschaften zu tun, sondern es
bezeichnet unterschiedliche Dynamiken, die nahegelegt werden
(Selbstverwertung) oder als erweiterte Option zur Verfügung stehen
(Selbstentfaltung).

Eigentlich müsste es "Fremdverwertung" heissen, da Preds mangels
eigenen Schaffens gerade die von Anderen geschaffenen Werke verwerten
("müssen")...

In welcher Form sich Menschen, egal wer, das auf Kosten Anderer
durchsetzen, ist nicht gesagt. Es ist jedoch kurzschlüssig, anzunehmen,
es geschehe nur durch das, was traditionell "Ausbeutung" genannt wird
(Aneignung/Verwertung der Produkte der Verausgabung von Arbeitskraft).
Es findet genauso statt, wenn du jemanden verdrängst, zum Beispiel bei
einer "erfolgreichen" Bewerbung um einen Platz zum Verkauf deiner
Arbeitskraft. Diese allgemeine Struktur ist die der Selbstverwertung:
Zur erfolgreichen eigenen Verwertung, musst du Konkurrenzverwerter
erfolgreich verdrängen - egal in welcher gesellschaftlichen Position.

Indem ein Prod einem "Konkurrenten" den Rang abläuft, verwertet er aber
nicht dessen Arbeitsleistung.  Es liegt also keine "predation" vor.

Und die Schärfe des Konkurrenzkampfes zwischen Prods wird durch
mächtige Preds vorgegeben!  Ohne diese durch Preds aufdiktierten
Konkurrenzverhältnisse könnten die Prods viel kooperativer werkeln.
Das ist ein Hauptgrund, warum P/P so wichtig für Oekonux ist!


Also nochmal: Selbstverwertung ist _keine_ personale Eigenschaft,
sondern die gesellschaftliche Struktur legt dir solche Optionen nahe,
deren Ergreifen andere Menschen beschädigen. Gleichwohl ist es deine
Entscheidung, diese zu nutzen oder nicht. Das ist keine leichte
Entscheidung, denn schließlich hängt davon deine Reproduktion ab.

Entscheidungen sind eine Machtfrage.  Solange die Preds an der Macht sind,
fällen sie die (wichtigen) Entscheidungen.  Weniger mächtige (Prods) müssen
dann ihre "Entscheidungen" abhängig von diesen fällen -- keine wirklich
freie Wahl (pun!).


Genau darin liegt die Perversion der Verwertungslogik: Du musst dich
freiwillig zu etwas entscheiden, was anderen schadet, um deine Teilhabe
an der Gesellschaft und damit Existenzsicherung zu erhalten. Trotz
dieser Zwangslage ist und bleibt es deine Entscheidung.

Es ist die Perversion der Pred-Macht, dass Ausbeuter die wichtigen
Entscheidungen fällen und Prods bevormunden dürfen.


Und wodurch werden "die je individuellen Gründe" bestimmt, wenn weder
durch Verhältnisse noch durch individuelle Eigenschaften?  Durch
spontane Launen? (Durch den Stand der Gestirne kann's ja nicht sein,
denn der gehört zu den Verhältnissen... und lebende Würfel sind wohl
auch die wenigsten Menschen..)

Da Gründe immer erster Person sind, kann niemand dritter Person -
also "von außen" - sagen, welche Gründe jemand hat, etwas zu tun oder
zu lassen. Das kann nur der Mensch selbst sagen, und auch das fällt
vielen nicht leicht.

In die Gründe fließen eine Reihe von Aspekten ein: Der Ausschnitt der
objektiven Welt, mit dem je ich es zu tun habe; die subjektive
Wahrnehmung und emotionale Wertung des Weltausschnitts; die
deutende/begreifende Abbildung des emotional gewerteteten, subjektiv
wahrgenommenen Weltausschnitts; die biografischen Erfahrungen; die
konkreten Handlungsoptionen - soweit bekannt etc. Und vermutlich habe
ich noch etliches vergessen.

Je meine Gründe "geschehen" mir also nicht, sondern ich "stelle sie
her". Es ist ein aktiver Prozess, kein passiver.

Jemand dritter Person kann kraft seiner (zu grossen) Macht Bedingungen
diktieren, nach denen sich weniger Mächtige richten _müssen_.  Im Alltag
sind praktisch sämtliche Entscheidungen nicht frei, sondern durch solche
Bedingungen beeinflusst (mehr oder weniger stark, je nach Macht des
Betroffenen).

Z.B. die Euro-Einführung in D oder die Millionenbauern-Gesetze fielen
nicht vom Himmel, sondern wurden durch mächtige Personen gegen den Willen
und zum Nachteil der Betroffenenmehrheit eingeführt.  Die Betroffenen
müssen nun ihre täglichen Entscheidungen danach richten -- und diese
Gründe sind ihnen "geschehen" -- ein passiver Prozess.


Da es kein Determinationverhältnis gibt, bestimmen weder "die
Verhältnisse", noch "die individuellen Eigenschaften", sondern es gibt
Bedingungen (äußere wie innere), zu denen ich mich stets verhalte,
indem ich begründet entscheide.

Die äusseren Bedingungen beinhalten "die Verhältnisse",
die inneren Bedingungen beinhalten "die individuellen Eigenschaften".


Deswegen: wenn du nach schwarz-weiss suchst, dann typisiere nicht die
Personen,

Um ein Grauwertbild zu erstellen, muss man schwarz und weiss definieren.
Letzteres bedeutet nicht, dass man schwarz-weiss-malen will.


sondern gucke auf die Situationen: Du entscheidest dich,
jemanden als Lügner zu bezeichnen oder lässt es bleiben. Das hat nichts
mit deinem Personentyp zu tun, sondern es ist deine begründete
Entscheidung, für die du die Verantwortung trägst.

Es hat sowohl mit meinem Personentyp (Allergiker auf Pred-Lügen) zu tun,
als auch mit den äusseren Verhältnissen (ob derjenige lügt oder nicht,
aus welchen Motiven und in welchem Umfeld).  Und für die Ursache (dass
er überhaupt lügt) trage ich gewiss nicht die Verantwortung!


Glaubst du wirklich, die individuellen Gründe für Entscheidungen
hätten nichts mit persönlichen Eigenschaften wie z.B. Gier oder
Fleiss zu tun? Das widerspricht der täglichen Beobachtung von
Menschen...

Gier und Fleiss sind keine persönlichen Eigenschaften, sondern
Beschreibungen von Verhaltensweisen von Personen in bestimmten
Situationen vom Standpunkt dritter Person - Beobachtungen, wie du
schreibst, ja.

Eben nicht nur in bestimmten Situationen, sondern auffallend häufig.
Oft lassen sich solche Eigenschaften auch durch die Lebensgeschichte
der Person begründen, wodurch der Zufallsaspekt weiter minimiert wird.


Das sowas gerne verallgemeinert wird bis hin zu
Eigenschaften von "Völkern", ist schon klar, aber genau das ist der
Fehler: aus Beobachtungen Eigenschaften zu machen.

Das ist etwas GANZ ANDERES: von einzelnen Personen auf ein "Volk" zu
EXTRApolieren.  Das kann nicht richtig sein, weil jede Person anders ist
-- andere Eigenschaften hat.  Beobachtungen _derselben_ Person lassen
aber durchaus auf Eigenschaften dieser Person schliessen (was nicht
heissen soll, dass sich Eigenschaften im Laufe des Lebens ändern können).


Genauso wie eine statistische Angabe über Menschengruppen nichts über
den einzelnen Menschen aussagt, gibt es "Eigenschaften" (etwa als
biografisch gemittelte äußere Zuschreibungen) nicht. So etwas trotzdem
zu tun, hat eher den Zweck, Menschen zu separieren, um dann damit
Maßnahmen gegen diese Menschen zu rechtfertigen. Das geschieht
allerdings im öffentlichen Diskurs permanent.

Würdest Du bestreiten, dass Linus Torvalds die Eigenschaft "fähiger
Programmierer" hat, Albert Einstein "grosser Physiker" und
Joseph Goebbels die Eigenschaft "gefährlicher Demagoge"?

Wenn ja, dann lasse mal einen Bäcker einen Tag lang im Sessel von
Linus Torvalds arbeiten und schaue was dabei herauskommt.

Eigenschaften von Individuen abzustreiten, ist so weit von der Realität
entfernt, dass nur ein ideologischer Zweck dahinter stehen kann.
(Etwa das Kaschieren der Soziopathologie von Pred-Eigenschaften?)
Wie der Spruch sagt, "Wären kommerzielle Interessen daran gebunden,
dann würde sogar die Existenz der Schwerkraft bestritten."
Naja, Jacob kam ja schon nahe dran mit seinem Vakuum. ;-}

Gruss,
Christoph



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