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[ox-de] Zum Konkress "Solidarische Oekonomie im globalisierten Kapitalismus"



Hi Liste!

Wie ihr vielleicht auf [chox] schon gelesen habt, findet demnächst ein
Kongress mit dem Titel "Solidarische Ökonomie im globalisierten
Kapitalismus" statt. Eine private Bekannte hatte mich zu diesem Thema
gefragt. Da meine Antwort wahrscheinlich nicht nur für Verena
interessant ist, möchte ich sie - mit ihrer Erlaubnis - hierher
posten.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

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Hi Verena!

2 weeks (15 days) ago Verena wrote:
na, den letzten Absatz Deiner Mail begreife ich schon als Einladung
zur Diskussion ;-)

Gern. Da ich so viel um die Ohren habe allerdings nur mit geringem
Takt.

Der letzte Absatz war im Übrigen:

  >> Ich hatte gestern mal Gelegenheit mir die Web-Seite anzusehen und es
  >> ist aus meiner Sicht halt ganz viel altes Denken dabei - verglichen
  >> mit Oekonux meine ich. Der Ansatz einer neuen Ökonomie ist sicher
  >> ähnlich wie bei Oekonux, aber es bleibt halt alles doch sehr im
  >> gegebenen Rahmen hängen (Kooperativen, Tauschringe, etc.). Schon beim
  >> Adjektiv "solidarisch" sträuben sich mir z.B. die Nackenhaare - Freie
  >> Software ist nicht solidarisch. Ich meine das nicht böse und finde es
  >> auch wichtig, dass es das gibt, ich denke aber dennoch, dass Oekonux
  >> schon etwas ziemlich anderes ist.

Altes Denken, schreibst Du, prägt die Inhalte dieses Kongresses. Die
Haltung, sich deswegen schon gar nicht mehr einzumischen finde ich
allerdings zu exklusiv.

Na ja, das war jetzt schon meine Haltung. Ich bin halt auch extrem
unmissionarisch drauf. Ich denke halt, dass in Zeiten des Internet die
interessierten Leute die für sie richtigen Dinge schon finden werden.
Oekonux ist das immer gut bekommen.

Es gibt aber auch Oekonuxis, die sich dort aktiv einbringen.

Möglicherweise gibt es sogar ein Treffen dort. Verfolge vielleicht mal
den Thread ab

	http://www.oekonux.de/projekt/chat/archive/msg02086.html

Wo, wenn nicht an solchen Orten ist es
lohnenswert, die Ansätze zu ich sage mal "radikalisieren"?

Ich weiß gar nicht, ob so eine Radikalisierung notwendig ist. Was wir
in der Freien Software und verwandten Phänomenen sehen ist eben nicht
politisch in dem Sinne, in dem es z.B. der Kongress ist. Da geht es
eben nicht um eine politische Bewegung, sondern da brechen sich
unmittelbare Bedürfnisse von Menschen Bahn. Die machen auch mal
Ausflüge in die Politik - aber nur dort, wo sie direkt betroffen sind
- z.B. beim Thema Software-Patente. Oekonux ist da eher ein
Randphänomen, für das sich auch einige aus der realen Bewegung
interessieren.

Dennoch ist das, was Freie-Softwerker und Co. tun, schon mega-radikal -
im engsten Sinne des Wortes radikal. Es legt nämlich die Axt
*wirklich* an die Wurzel der Tauschgesellschaft - indem es sie
fundamental und nachhaltig in Frage gestellt. Dazu braucht es aber
erst mal gar keine Politik, sondern vor allem eine neue, bessere
Produktionsweise, die sich eben historisch jetzt heraus gebildet hat.

Der Kapitalismus hat sich schließlich auch nicht via Politik
durchgesetzt, sondern weil er einen Schritt auf der
Produktivkraftleiter getan hat. Das politische Drumherum ist letztlich
ein nachgelagertes Überbauphänomen. Wäre das anders, wäre es z.B. nach
dem Wiener Kongress aus gewesen mit dem Kapitalismus und der
Demokratie - und zwar endgültig. Wie wir wissen, war es das aber nicht
und die Produktivkraftentwicklung ging weit unterhalb der Politik
weiter. Und hat schließlich doch zur Abschaffung des Feudalismus
geführt.

Bei dem Kongress geht es aber offensichtlich gar nicht um eine
Überwindung der Tauschgesellschaft. Es geht viel mehr um eine
"gerechtere" Verteilung und dafür ist Solidarität ja auch wichtig. Ich
denke allerdings, dass eine emanzipatorische Alternative unterhalb
einer Überwindung der Tauschgesellschaft nicht (mehr) gedacht werden
kann.

Vor einigen Jahren wurde mal ein sehr schönes Bild entwickelt, das ich
hier ganz passend finde: DammbauerInnen und SchiffbauerInnen. Auf dem
Kongress geht es um Dämme bauen in dem Sinne, dass der sich
radikalisierende Kapitalismus in die Schranken gewiesen wird.
Letztlich eine konservative Haltung, die das Erreichte zu bewahren
sucht.

Beim Schiffbau geht es zwar auch darum, mit der steigenden Flut
umzugehen, aber auf eine völlig andere Art und Weise. Dämme bauen und
Schiffe bauen sind nun mal zwei völlig unterschiedliche Tätigkeiten
und erfordern über weite Strecken andere Materialien, Fähigkeiten und
auch Bündnisse. Es liegt in der Natur der Sache, dass der Erfolg des
Dammbaus auf der Hand liegt - eben die Bewahrung des Alten. Beim
Schiffbau ist der Erfolg weniger offensichtlich. Dafür bedarf es dann
eher visionärer Fähigkeiten - und die sind desto besser, desto mehr
sie in der Realität fundiert sind. Und es bedarf natürlich auch Mut,
sich eine Schiffsreise auf der wilden Flut vorzustellen. Dammbauen ist
da sicher das einfachere Geschäft.

Und Oekonux ist eben ein SchiffbauerInnenprojekt. Das ist das, was
Oekonux immer interessant gemacht hat, und was letztlich die
Attraktivität von Oekonux ausmacht. Aber: Dammbau und Schiffbau
schließen sich nicht aus und sind auch nicht wirklich konkurrierend.
Ich könnte sogar argumentieren, dass die SchiffbauerInnen die
DammbauerInnen so lange brauchen, bis die Schiffe fertig sind - um die
DammbauerInnen dann mit zu neuen Ufern zu nehmen :-) .

Ob ich
selber der Ansicht bin, und welche Schlussfolgerungen aus Deinen
Ansätzen zu ziehen sind und ob ich so einer Utopie folgen kann, das
weiß ich alles noch gar nicht,

Mir genügte es schon, den einen oder anderen Denkanstoß gegeben zu
haben. Was du damit machst, kannst du ohnehin besser beurteilen als
ich.

und das gälte es rauszufinden, in
Diskussionen, die ich meiner persönlichen Weiterentwicklung wegen ja
gerne führen möchte.

Ja gerne.

Damit andere auch etwas davon haben, würde ich diese Mail hier incl.
deiner von mir zitierten Passagen gerne auf die Mailing-Liste [ox-de]
posten:

	http://www.oekonux.de/liste/

Dort wäre der richtige Raum für genau diese Debatte. Die Liste wird im
Web archiviert und wenn du möchtest nehme ich gerne alle Hinweise auf
deine Person raus. Vielleicht magst du ja dort auch selbst mit
diskutieren?

Darf ich?

Ich glaube, der Begriff "Solidarisch" oder auch "Solidarität" wird
inzwischen ja ganz anders gefüllt, als vor 20 - 30 Jahren, als die
"Objekte" der Solidarität ja abstrakt und weit entfernt waren und
auch eine Alibi-Funktion hatten.

Das ist wohl wahr. Nachdem die Befreiungsbewegungen der sog. Dritte
Welt als Projektionsflächen ausgedient haben und die Benachteiligten
inzwischen zahlreich auch inmitten der Metropolenstaaten zu finden
sind, hat sich der Begriff der Solidarität schon etwas geändert. Ein
letztes Refugium in der Solidaritätsbewegung diesen alten Typs sind
m.E. die sog. TierrechtlerInnen, die munter ihren Wertekanon auf
Lebenwesen projizieren, die sogar durch Gattungsschranken von uns
entfernt sind.

Solidarität ist aber m.E. dennoch ein Begriff der industriellen
Massengesellschaften mit gesellschaftlichen Großgruppen wie z.B.
ArbeiterInnen und ihren Institutionen wie z.B. Unternehmerverbänden.
Was ich aus der Freien Software und verwandten Phänomenen erlebe,
fühlt sich aber so ganz anders an. Da hat - die früher ja durchaus
notwendige - Solidarität überhaupt keine kulturelle Grundlage.

Heute aber nehme ich diesen Begriff
tatsächlich mit einer anderen politischen Bedeutung wahr. Meiner
Ansicht nach birgt er eine politische Option, die nicht zu
unterschätzen ist, nämlich das Direkt-Verhältnis zu den jeweiligen
politischen AkteurInnen und vor allem zwischen denjenigen, die mit
den jetzigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nicht mehr
d'accord gehen. Vor allem dieses Direkt-Verhältnis unter den
Subjekten finde ich spannend, denn was daraus entstehen kann, ist
noch nicht zu Ende gedacht, glaube ich.

Verstehe ich nicht wirklich. Interpretiere ich es richtig, dass du das
Verhältnis zwischen den von Not Betroffenen und der alternativen
politischen Klasse meinst? Denn dass die Betroffenen auch politisch
unterwegs sind, ist ja auch heute noch eher die Ausnahme. Wäre
vielleicht mal an der Zeit zu analysieren, warum das so ist.

Also, mit Deiner Haltung hast Du mich ein bisschen angestachelt ;-).

Gut :-) .

Ich fände es ja schlauer, ihr ginget mit Eurer Kritik in diese
Zusammenhänge und stellt diese Meinungen zur Verfügung, zum
Diskutieren und zum Weiterentwickeln.

Hätten wir eine Einladung bekommen, hätten ich z.B. geschaut, dass wir
jemensch vorbei schicken. Aber von Seite des Kongresses hat die
Oekonux-Ansätze wohl niemensch für interessant genug gehalten. Na,
passt ja auch irgendwie ;-) .

Aber das ist natürlich immer
auch eine Frage der persönlichen "Ressourcen".

Das ist es ganz gewiss.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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