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[ox-de] Copy Light: Freie Software und globale Emanzipation



http://www.keimform.de/2009/10/26/copy-light-freie-software-und-globale-emanzipation/

Copy Light: Freie Software und globale Emanzipation

Konzerne wie Microsoft setzten in den 1980er Jahren Eigentümer-Software
durch, die erworben werden muss. Als Gegenmodell entwickelte sich die
Bewegung der Freien Software. Gerade in Ländern des Südens unterläuft
Freie Software die Ausgrenzung von NutzerInnen. Darüber hinaus kann sie
ein Signalgeber für eine verwertungsfreie Produktion sein.

Von Stefan Meretz

Seit Mitte der 1980er Jahre ist eine neue Softwareklasse in die Welt
getreten: Freie Software. Doch neu war eigentlich nur das Attribut
„frei“, denn alle Software war zuvor frei verfügbar. Dies änderte sich
erst in dem Maße, wie Software als eigenständige Ware gehandelt werden
konnte und nicht mehr nur Zugabe zur Hardware war. Voraussetzung, um aus
freier Software (mit kleinem „f“) eine Ware zu machen, war die
künstliche Verknappung durch Zurückhalten des Quelltextes und strikter
Anwendung des Copyright. Aus freier Software wurde _proprietäre
Software_: Eigentümer-Software.

Die Bewegung der Freien Software (mit großem „F“) begründete Richard
Stallman mit dem GNU-Projekt als vollständig freies Betriebssystem. Es
war eine Reaktion auf die zunehmende Einschränkung der
wissenschaftlichen Kommunikation zwischen den EntwicklerInnen. Die
Kooperation zwischen den EntwicklerInnen und zwischen EntwicklerInnen
und NutzerInnen wurde beschränkt und kanalisiert. Mit proprietärer
Software wurden aus NutzerInnen KundInnen und aus der Kommunikation mit
EntwicklerInnen wurden Callcenter-Anfragen in Indien.

Das GNU-Projekt setzte der Privatisierung des Gemeinguts Software eine
explizite Freiheitsdefinition entgegen. Aus freier Software wurde _Freie
Software_, die vier Freiheiten garantiert: Erstens Nutzung zu jedem
Zweck, Zweitens Studium und Anpassung der Funktionsweise, Drittens
Weitergabe von Kopien, Viertens Weitergabe von Verbesserungen.
Voraussetzung für die Punkte zwei und vier ist, dass der Quelltext der
Software offen liegt („open source“) und frei zugänglich ist. Dem Schutz
der Freien Software dienen Lizenzen, die die Freiheiten festschreiben.
Die bekannteste freie Lizenz, die GNU GPL („General Public License“),
legt über die vier Freiheiten hinaus noch eine weitere Regel fest: Die
Lizenz darf bei Weitergabe nicht verändert werden. Wenn GPL-lizensierte
Software innerhalb einer anderen Software genutzt wird, muss die
resultierende Software ihrerseits der GPL unterliegen. Dieser „virale
Freiheitseffekt“, der die freie Verwendung eines Werks gegen die
ursprüngliche Intention des Urheberrechts erzwingt, wird auch „Copyleft“
genannt.

Die Welt der Software ist heute zweigeteilt in proprietäre und Freie
Software. Proprietäre Software darf dabei nicht kurzschlüssig mit
kommerzieller und Freie Software mit kostenloser Software gleichgesetzt
werden. So kann proprietäre Software kostenlos sein und Freie Software
von Unternehmen entwickelt werden. Gleichwohl verhindern die vier
Freiheiten, dass Software künstlich verknappt wird. Insofern ist
tatsächlich für die EndanwenderInnen Freie Software häufig kostenlos.
Ihr wesentliches Merkmal sind jedoch die Freiheiten, die mit ihr kommen.

Von Copyright zu Copyleft

Was bedeutet Freie Software für die Länder des Südens? Zunächst sollte
man nur Vorteile vermuten, doch es gibt es auch negative Effekte. Freie
Software basiert auf freien Lizenzen, und freie Lizenzen setzen ein
starkes Copyright voraus, das sie benutzen, um die freie Nutzung
sicherzustellen. Damit befördert Freie Software allerdings implizit ein
Copyright-Regime, welches auch WTO (Welthandelsorganisation) und WIPO
(Weltorganisation für geistiges Eigentum) in den Südländern durchgesetzt
sehen wollen. Zwar dreht etwa das Copyleft der GPL die Exklusionslogik
des Copyright um (was ihr subversives Moment im Norden ausmacht), im
Süden wird aber zunächst einmal die Logik des Copyright bestärkt, die in
der Alltagspraxis bisher mitunter kaum eine Rolle spielte.

Grundlage des Copyright und damit auch des Copyleft ist der Begriff des
„geistigen Eigentums“, ein ideologischer Kampfbegriff, der im Zuge der
WIPO-Gründung 1967 eingeführt wurde. In Analogie zum Sacheigentum
behauptet der Begriff ein gleichermaßen exkludierendes (eine Sache kann
nur von einem besessen werden) wie rivalisierendes (eine Sache kann
gleichzeitig nur von einem genutzt werden) Verhältnis von NutzerIn und
Sache. Für Informations- und Kulturgüter gilt dieses Verhältnis jedoch
grundsätzlich nicht, da diese ohne Einschränkung an andere weitergegeben
und genutzt werden können. Insbesondere die Exklusion von der Nutzung
muss erst künstlich, d.h. explizit rechtsförmig hergestellt werden. Auf
Grundlage des behaupteten „geistigen Eigentums“ wurden verschiedene
Monopolrechte (Copyright, Patentrecht, Markenrecht) formuliert, die
einzig dazu dienen, NutzerInnen vom Zugriff auf ein reichhaltig
vorhandenes Gut abzuhalten. Dass diese Exklusion die im Kapitalismus
notwendige Verwertungsgrundlage für Verlage, AutorInnen etc. darstellt,
ändert nichts an dieser Tatsache.

Die ideologische Form des „geistigen Eigentums“ und abgeleiteter
pejorativer Begriffe wie „Raubkopie“, „Piraterie“ oder „Plagiarismus“
ist für viele Kulturen insbesondere im Süden schlicht nicht
nachzuvollziehen. Das Teilen, die nachbarschaftliche Hilfe und die
Solidarität mit Armen hat hier noch einen wesentlich größeren
Stellenwert – auch wenn dies mit zunehmender Durchsetzung der
neoliberalen Imperative ins Rutschen gerät. Dennoch ist völlig
unverständlich, warum etwas, das nicht weniger wird, wenn man es teilt,
nicht weiter gegeben werden soll.

Die Aufnötigung geistiger Exklusions- und Monopolrechte gewinnt den
Charakter eines globalen Umerziehungsprogramms, das die jeweiligen
Regierungen an ihrer Bevölkerung exekutieren sollen. Die Regierungen
werden in diese Rolle gepresst, wenn sie ihre Produkte auf dem Weltmarkt
verkaufen wollen. Teilweise haben Schwellenländer auch ein eigenes
Interesse entwickelt, ihre Entwicklungen zu monopolisieren und
gewinnbringend global zu vermarkten. Der Wechsel vom „Raubkopierer“ zum
Verfechter „geistigen Eigentums“ geschieht nicht zum ersten Mal. So war
etwa Deutschland der größte „Plagiator“ der frühen Industrialisierung,
bis es England überholte. Nun soll die heimische Industrie vor
„intellektuellem Raub“ geschützt werden.

Von Copyleft zu Commons

Auf der positiven Seite der Freien Software stehen mehrere Aspekte.
Zunächst einmal entspricht ihre auf Basis des Copyright/-left gegründete
Philosophie viel eher dem traditionellen Herangehen sowie Ansätzen
fortschrittlicher Initiativen in den Ländern des Südens als die
Exklusionslogik der proprietären Software. Auf den Aspekt der
Gemeinschaftlichkeit beziehen sich explizit bestimmte
Linux-Distributionen wie zum Beispiel „Ubuntu“ (übersetzt aus Zulu/
Xhosa: „Ich bin, was ich bin, weil wir alle sind, was wir sind“). Freie
Software stellt ferner einen realen Wissenstransfer vom Norden in den
Süden dar, denn der Nutzungsanteil im Süden ist wesentlich höher als der
eigene Beitragsanteil durch Mitentwicklung. Da Freie Software stets
quelloffen ist und Software immer auch ein Produktionsmittel darstellt,
vergrößert diese Form des Nord-Süd-Transfers nicht die Abhängigkeit vom
Norden, wie das bei proprietärer Software der Fall ist.

Diese Potenziale der Freien Software werden von einigen Südländern
erkannt und durch staatliche Maßnahmen explizit, wenn auch in
unterschiedlichem Ausmaß befördert. So haben Kuba, Vietnam, Venezuela,
Peru, Brasilien, Kerala/Indien und andere Länder Programme zur Förderung
und Einführung Freier Software etwa im Bildungssystem beschlossen.
Gleichzeitig sind alle Südländer mit einer schwer aufzuknackenden
Lock-in-Situation konfrontiert. „Lock-in“ bedeutet, dass ein Hersteller
ein bestimmtes Marktsegment mit seinen Produkten besetzt und zum
Quasi-Standard macht. So hat das proprietäre Betriebssystem „Windows“ in
allen Ländern als Arbeitsplatzsystem eine nach wie vor monopolartige
Stellung. Insbesondere über die proprietären Dateiformate und
Systemschnittstellen wird der Datenaustausch und die Interoperabilität
künstlich erschwert. Hinzu kommt die Gewohnheit der NutzerInnen, ein
halbwegs bekanntes System einem Wechsel vorzuziehen. Die durchaus
tolerierte Verbreitung von „Raubkopien“ stärkt den Monopolcharakter.

Die Beendigung der Nutzung proprietärer Software ist eine bewusste
Aufgabe. Dort, wo diese Herausforderung mit sozialer Mobilisierung
verbunden ist (etwa in Venezuela, wo Basisgruppen für Freie Software
werben), könnte sie mittelfristig gelingen. Wo sie nur
politisch-moralisch proklamiert und als staatlich verordnete Maßnahme
aufgedrückt wird, besteht die Gefahr der Nichtakzeptanz in der
Bevölkerung. Ein wichtiges Moment ist die Entwicklung einer eigenen
Perspektive selbstbestimmter Entwicklung der postkolonialen
Emanzipation. Ein Beispiel ist die Anpassung der Software an lokale
sprachliche Verhältnisse. Das ist mit Freier Software unbeschränkt und
in Eigentätigkeit möglich, während sich dies als kommerzielle
Dienstleistung für Anbieter proprietärer Software oft nicht „rechnet“.

Über die genannten Widersprüchlichkeiten und Möglichkeiten Freier
Software in den Ländern des Südens hinaus gibt es weitere Potenziale,
die bislang kaum beachtet wurden. Die Ideen der Freien Software sind in
vielen Bereichen von Kultur, Bildung, Wissenschaft, Design und
Produktion aufgegriffen und verallgemeinert worden. Eine weltweite
Bewegung der _commons-basierten Peer-Produktion_ (Peer: der/die
Gleichgestellte) ist im Entstehen begriffen. Sie kann durch drei
Merkmale charakterisiert werden: Beiträge statt Tausch, freie
Kooperation statt Zwang und schließlich Commons (Gemeingüter) statt
Privateigentum. Christian Siefkes hat den Vorschlag der _Peer-Ökonomie_
erarbeitet[1], der beschreibt, wie die drei Prinzipien der
commons-basierten Peer-Produktion für die Produktion physischer Güter
verallgemeinert werden können.

Jenseits des Marktes

Insbesondere die Behandlung der Ressourcen als Gemeingüter oder als
Besitz (das, was genutzt wird) statt als Eigentum (das, was verkauft
werden kann) führt zu einer Annäherung von zwei globalen Bewegungen, die
aus sehr unterschiedlichen Bezügen kommen. Zum einen sind dies die
Bewegungen der Verteidigung des traditionellen Erbes der Menschheit
(„commons of the earth“), zum anderen die Bewegungen der
Peer-Produktion, die mit der Freien Software ihre erste Ausdruckform
fanden („commons of the mind“). So hat das 9. Weltsozialforum in
Brasilien ein „Manifest zur Wiedergewinnung der Gemeingüter“[2]
beschlossen, das die beiden Aspekte zusammen bringt. Auch das deutsche
Manifest „Gemeingüter stärken. Jetzt!“[3] geht in diese Richtung.

Freie Software bringt also nicht als solche Emanzipation, sondern sie
verweist auf die Möglichkeit, Lebensbedingungen jenseits von Markt, Geld
und Staat selbst herstellen zu können. Freie Software ist ein erster
Signalgeber für die Möglichkeit einer neuen commons-basierten
Produktionsweise. Für die Länder des Südens könnte es also produktiv
sein, Freie Software nicht nur zu nutzen, sondern sich die
Produktionsweise Freier Software anzueignen und für eine eigene
unabhängige Entwicklung zu nutzen.

Anmerkungen

1. Siehe http://is.gd/21U4c

2. Siehe http://is.gd/21TRT

3. Siehe http://is.gd/21TZI

Stefan Meretz ist Ingenieur und Informatiker und bloggt auf keimform.de.
Lizenz: Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen
Bedingungen 3.0 Deutschland

* * *

Erschienen in: »iz3w — Zeitschrift zwischen Nord und Süd«, Nr. 315 (die
aktuelle Ausgabe ist noch nicht sichtbar, wird dort aber in Kürze
erscheinen).

Einzelhefte können auf der Website vom iz3w für 5,30 € bestellt werden:
http://www.iz3w.org/iz3w/index.html

Downloads als PDF:
* Editorial zum Schwerpunkt »Digitale Welten« 
  http://www.keimform.de/wp-content/uploads/2009/10/iz3w_315_editorial.pdf
* Artikel »Copy Light: Freie Software und globale Emanzipation«
  http://www.keimform.de/wp-content/uploads/2009/10/iz3w_315_meretz_freie_software_globale_emanzipation.pdf

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