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[ox-de] Vorstellung - neu im Club



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Guten Tag allerseits auf der Liste!

Ich möchte mich hier kurz vorstellen. Ich beschäftige mich seit etwa
Anfang der 1980er Jahre mit Themen, die sich mit den bekannten
Stichworten 'Der Arbeitsgesellschaft geht die Arbeit aus
(Dahrendorf)', oder auch "Reifeproblem der Industriegesellschaft" oder
"Krise des Spätkapitalismus" benennen lassen.

Ich habe zwischen 1998 und 2002 eine Dissertation im Fach
Wirtschaftsinformatik am FB Informatik der Uni Hamburg abgeschlossen.
Es ging in der Arbeit um die langfristige forschungsprogrammatische
Ausrichtung der Wirtschaftsinformatik. Eine besondere Brisanz erhielt
dieses an sich rein wissenschaftstheoretische Thema durch den Umstand,
dass einer der Gründerväter der Wirtschaftsinformatik in Deutschland,
Prof. Peter Mertens (inzwischen emeritiert) 1995 hierzu den Vorschlag
gemacht hatte, das Wissenschaftsziel der Wirtschaftsinformatik solle
"die Vollautomation des Betriebes" sein, er plädierte also für die
Zielvision einer Maximierung bzw. Komplettierung der erreichbaren
Automationsgrade in der betrieblichen Fertigung in ganzen
Volkswirtschaften. Während die offensichtlichen konzeptionellen Fehler
einer solchen Programmatik nun leicht erkannt und benannt sind (z B
das: eine Volkswirtschaft mit lauter vollautomatisierten "Betrieben"
ist schon aus kreislauftheoretischen Überlegungen nicht möglich, weil
in einer sonst unveränderten Marktwirtschaft sich für die
vollautomatisiert hergestellten Produkte keine Abnehmer finden lassen,
da diese mangels Beschäftigung einkommenslos und daher nicht
kaufkräftig sind), sind die so evozierten Fragen doch recht erhellend.
Ich bin im Ergebnis jedenfalls zu der Annahme gekommen, dass im Laufe
eines die inhärenten Entwicklungspotenziale des Universalen Automaten
ausschöpfenden Wandels der industriellen Arbeitsprozesse sich die
Organisation von Arbeit und Gesellschaft immer mehr einer Weise
annähern müsste, die mit den hier - auf dieser Liste - diskutierten
Peer-to-Peer-Organisationen am besten und treffendsten beschrieben
ist. 

Während diese "Vision" (oftmals innerhalb der Fachdiskussion in den
1990er Jahren in der Wirtschaftsinformatik so genannt) der
Vollautomation des Betriebes eine einfache lineare Extrapolation der
"Rationalisierungs"bestrebungen der 1970er und 1980er Jahre, etwa auch
der CIM-Euphorie der 1990er Jahre (die menschenleere Factory of the
Future) darstellt, und sich die übrige Wirtschaftswelt eben - ceteris
paribus! - unverändert vorgestellt hat, zeigt sich bei genauerer
Betrachtung, dass die unterliegende,  generalisierbare Tendenz der
nicht nur die fortschreitende Automation, also Maschinisierung von
menschlicher Arbeit ist, sondern simultan und ebenso sehr die
Flexibilisierung der automatisierten Produktionsprozesse, d. h. als
denkbares "Perfectissimum" einer solchen Entwicklung der Automation
von Arbeit erscheint dann als vorstellbarer Kulminationspunkt
nicht ein vollautomatisierter Betrieb, der ein bestimmtes, gegebenes
Produktsortiment dann vollautomatisiert herstellen und am Markt
absetzen kann, sondern ein universaler Produktionsautomat, der aber
dann volkswirtschaftlich sinnvoll und nutzbringend nur als im Besitz
des Konsumenten selber befindlich gedacht werden kann, der damit dann
eben zum Prosumenten würde: die Rollen von Produzent und Konsument
würden in diesem Augenblick, mit dem Verfügbarhaben eines solchen
universalen Produktionsautomaten eben ineinander verschmilzen.
Volkswirtschaftlich weittragend ist dann auch die Einsicht, dass in
dem Augenblick ja auch der volkswirtschaftliche Akt des Tauschens sich
erübrigen würde: es entfallen dann Spezialisierung und deren
wertschöpfende Effekte, denn voraussetzungsgemäss sind universale
Produktionsautomaten zu jeder vorstellbaren Spezialisierung fähig, der
eine wie der andere... 

Ich haben in meiner Dissertation die Ende der 1990er Jahre
auftauchende Mass Customization als Phase in diesem Prozess der
simultan sich vollziehenden Automation und Flexibilisierung begreifbar
zu machen versucht. Als vorstellbareres Optimum ist in diesem Sinne
inzwischen natürlich der Fabber zu verstehen, ganz besonders in der
Universalität und Vollkommenheit, wie Neil Gershenfeld das mit
seiner Idee des "Star Trek Replicator" hat zur Vorstellung kommen
lassen. Dieser Satz von Gershenfeld "If anyone can make anything,
anywhere, anytime, it fundamentally changes the meaning of business"
beschreibt mit einer geradezu verblüffenden Schlichtheit einen sehr
wahren und extrem tief- bzw. weit reichenden Sachverhalt: die Welt wie
wir sie kannten seit Hunderten von Jahren, im Grunde seit den Anfängen
des geregelten Tausches, der Arbeitsteilung und Professionalisierung,
der Märkte, der entwickelten Geldwirtschaft, wird sich tiefgreifend
verändern, möglicherweise so weit, dass das Geld selber aus Tausch-
und Wertaufbewahrungsmittel eines Tages überflüssig wird. 

Nun ist es natürlich so, dass eine vollkommene universale
Replikationsmaschine, die sich auch noch selbst replizieren und
traumhafte Kapazitäten und Fertigungseigenschaften besitzt, nicht mal
eben vom Himmel fällt, hier befindet sich die Gesellschaft mit allen
ihren materiellen und geistigen Ressourcen in einem langsamen und
mühevollen Prozess des Wandels, und dieser Prozess wird sicher auch
anhalten, wenn die dominierenden Organisationsprinzipien des
Wirtschaftens schon nicht mehr Märkte, Geld und Waren sind. 
     
Und zur Beschreibung dessen, wie künftig einmal wertschöpfende
Prozesse organisiert sein sollen, wie Menschen miteinander in
Beziehung treten, um kulturell wertvolle, nutzenstiftende Leistungen
zu erbringen, da finde ich die hier entstandene Debatte um Ökonux-
Prinzipien (nenne ich sie jetzt mal...) sehr spannend und interessant,
und würde mich daher sehr gerne an dieser Debatte beteiligen. 

Ganz hilfreich finde ich in diesem Zusammenhang die Einsicht, dass die
Probleme der aktuellen Weltwirtschaft (aktuell noch immer etwa
Finanzkrise, die nächste Krise (US-Hypothekenmarkt) scheint sich schon
anzubahnen...) im Kern Probleme einer reifen, und durchaus eben auch
erfolgreichen Entwicklung der Industrialisierung der entwickelten
Industriestaaten sind (rein wirtschaftlich gesehen: was die
Ausstattung der Gesellschaften mit Gütern und Dienstleistungen
angeht). Es ist im Kern ein Sättigungsproblem, das Problem sehr vieler
weltweit gesättigter Märkte, daher fehlender produktiver
Investitionsmöglichkeiten, und daher diese immer unseliger und
verhängnisvoller werdende Tendenz zu unproduktiven, rein spekulativen,
teilweise ja schon regelrecht betrügerischen Investitionen und
Initiativen (siehe das Engagement von Goldman Sachs in Griechenland z
B...). 

Ich bin also sehr dezidiert der Meinung, dass aktuell dringend ein
Entwurf einer post-kapitalistischen Wirtschaft und Gesellschaft
geschaffen werden muss, um eine gangbare, tragfähige und belastbare
Architektur zukünftiger Gesellschafts- und
Wertschöpfungsgemeinschaften zu besitzen, sowie ferner auch (bzw.
mindestens ebenso wichtig) dass auch technisch die Entwicklung in
Richtung Schaffung von öffentlich nutzbaren Produktionskapazitäten
voran getrieben wird, denn die soziale Absicherung auf dem bisher
verfolgten Weg der Schaffung von Wachstum und damit sekundär von
Arbeitsplätzen und damit von gesichertem Einkommen, wird offenbar
zunehmend absurd und fragil. 
Die demnächst sich ankündigende Gründung eines weiteren FabLab in der
Welt (FabLab St. Pauli, Hamburg) finde ich da sehr viel versprechend! 

Ich hoffe ich habe nun ein wenig umreissen können woher ich komme
sozusagen, ich werde dann versuchen konkret hier irgendwo in die
bestehende Debatte einzusteigen bzw. an sie anzuknüpfen.      

Also, so weit in diesem Moment, wünsche ein geruhsames WE allerseits,

Ludger   

              
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