[ox-de-raw] Studie: "Spass und Software-Entwicklung - Zur Motivation von Open-Source-Programmierern"
- From: Stefan Merten <smerten oekonux.de>
- Date: Sat, 07 Oct 2006 16:15:35 +0200
Hi!
Auf
http://www.dissertationen.unizh.ch/2006/luthigerstoll/
gibt es eine Dissertation zur Motivation von
Freie-Software-EntwicklerInnen verglichen mit der von kommerziellen
EntwicklerInnen. (Ja, das ist falsche Sprache weil Freie Software
kommerziell sein kann - jedoch ist das die Sprechweise des Abstracts.)
Bitte beachtet, dass der richtige Link zum PDF
http://www.dissertationen.unizh.ch/2006/luthigerstoll/diss.pdf
ist.
Hier ist das Abstract der Dissertation:
Die vorliegende Dissertation geht der Frage nach, welche Bedeutung
Spass für Open-Source-Entwickler spielt: Kann das Phänomen, dass
Open-Source-Entwickler in unbezahlter Arbeit teilweise qualitativ
hochstehende Software entwickeln und der Öffentlichkeit zur
Verfügung stellen, damit erklärt werden, dass Programmieren eine
Tätigkeit ist, die Software-Entwicklern Spass macht,
Open-Source-Software demnach als Nebenprodukt einer
freudebereitenden Tätigkeit verstanden werden kann? Um diese
Hypothese zu klären, werden in der Dissertation folgende Fragen
untersucht:
* Wie gross ist der Anteil der bezahlten bzw. unbezahlten
Software-Entwickler unter den Open-Source-Entwicklern?
* Welchen Anteil des Engagements, das Open-Source-Entwickler haben,
kann durch ihre Freude am Programmieren erklärt werden?
* Macht Programmieren mehr Spass, wenn für ein Open-Source-Projekt
programmiert wird, als wenn diese Tätigkeit unter kommerziellen
Bedingungen ausgeübt wird?
* Falls diese Hypothese zutrifft: Welche Elemente des
Open-Source-Entwicklungsmodells (z.B. fehlende Abgabetermine,
klare Projektvision, optimale Herausforderung, keine monetären
Anreize für Projekt-Mitarbeiter, keine formale Autorität des
Projektleiters) sind Ursache dafür, dass Programmieren in einem
Open-Source-Projekt mehr Spass macht?
Zur Beantwortung dieser Fragen wurde eine Online-Befragung sowohl
unter Open-Source-Entwicklern wie auch unter Programmierern in
kommerziellen Software-Firmen durchgeführt. Dabei wurde Spass mit
Hilfe des von Csikszentmihalyi entwickelten Flow-Konzepts
operationalisiert. Das Engagement wurde auf zwei Arten gemessen.
Erstens wurde nach der Anzahl für Open Source aufgewendeten
Wochenstunden gefragt, zweitens wurde die Bereitschaft für
zukünftige Aktivitäten für Open Source ermittelt. Die
Open-Source-Umfrage wurde von insgesamt 1330 Programmierern, die auf
den Open-Source-Plattformen SourceForge, GNU/Savannah oder BerliOS
eingeschrieben waren (Zeitraum 11. 5. 2004 - 26. 6. 2004),
ausgefüllt, die zweite Umfrage von 114 Programmierern aus sechs
Schweizer Software-Unternehmen (Zeitraum 20. 9. 2004 - 4. 11. 2004).
Die Auswertung der gesammelten Daten zeigt, dass rund 58% der für
Open Source aufgewendeten Zeit in der Freizeit der Programmierer
erbracht werden. Demnach werden 42% des zeitlichen Engagements für
Open Source entlöhnt. Dabei ist allerdings zu beachten, dass diese
Zahlen den bezahlten Anteil tendenziell unterschätzen. Bezahlt
werden eher Open-Source-Entwickler, die in bekannten
Open-Source-Projekte arbeiten. Solche Projekte können sich aber eine
eigene Projekt-Infrastruktur leisten und sind nicht auf Plattformen
wie SourceForge beispielsweise angewiesen. Demnach ist der Anteil
bezahlter Open-Source-Programmierer im Sample dieser Studie eher
unterrepräsentiert.
Im Hinblick auf die Bedeutung des Spasses erbrachte die vorliegende
Untersuchung folgende Ergebnisse:
* Spass spielt eine Rolle: Ein einfaches Modell, welches Spass und
Freizeit als erklärende Variablen enthält, kann zwischen 27% und
34% des Engagements für Open Source erklären.
* Freizeit spielt eine Rolle: Der zeitliche Umfang des Engagements
von Open-Source-Entwicklern wird signifikant dadurch bestimmt,
über wieviel Freizeit die Programmierer verfügen. Hingegen spielt
die Verfügbarkeit von Freizeit keine Rolle, wenn die
Open-Source-Entwickler nach der Einsatzbereitschaft, d.h. nach dem
zukünftigen Engagement gefragt werden.
* Die Freude am Programmieren nützt sich nicht ab: jede zusätzliche
Einheit "Spass" wird linear in zusätzliches Engagement umgesetzt.
Ein Vergleich des Spass-Empfindens von Open-Source-Programmierern
mit kommerziellen Software-Entwicklern bestätigt die Hypothese, dass
Programmieren im Open-Source-Umfeld mehr Spass macht: Die
Unterschiede des Flow-Empfindens zwischen Open-Source-Entwicklern
und kommerziellen Programmierern sind statistisch hochsignifikant.
Bemerkenswert ist, dass der Grund für den zusätzlichen Spass, den
das Open-Source-Entwicklungsmodell möglich macht, nicht das
Vorhandensein von Abgabeterminen oder die formale Hierarchie im
kommerziellen Umfeld ist. Entscheidend für den Spass am
Programmieren ist vielmehr der Umstand, dass Open-Source-Projekte
über eine für die Software-Entwickler nachvollziehbare
Projekt-Vision verfügen und, vor allem, dass sie den Programmierern
eine Herausforderung bieten, welche mit den Programmier-Fähigkeiten
der jeweiligen Personen optimal übereinstimmen. Diese Anforderungen
kann das Open-Source-Entwicklungsmodell erfüllen, weil bzw. falls
sich Open-Source-Entwickler freiwillig für ein Open-Source-Projekt
verpflichten. In diesem Fall sind die Projektvision und zu lösenden
Programmier-Aufgaben die massgeblichen Faktoren, wenn sich ein
Programmierer zum Engagement in einem bestimmten Open-Source-Projekt
entscheidet.
Ich habe mich gefragt, was 42% bezahlte Entwicklung meint. Ich habe
die Erklärung auf S.94 gefunden ("7.1.4 Zeitliches Engagement"). Es
bedeutet: 42% der Stundenzahl, die Freie-Software-EntwicklerInnen
aufbringen, werden während bezahlter Arbeitszeit geleistet.
Aber was heißt das? Die Studie hat herausgefunden, dass die
durchschnittliche Anzahl von bezahlten Stunden pro EntwicklerIn
5.2Stunden/Woche beträgt mit einem Median von 1.5Stunden/Woche. Wenn
ich diese Zahlen richtig interpretiere dann gibt es eine kleine Zahl
EntwicklerInnen, die für einen großen Teil ihrer Zeit bezahlt werden
und eine große Zahl von EntwicklerInnen, die lediglich
vernachlässigbar viel Zeit für Freie Software während ihrer Jobs
aufwenden. Eine solche Verteilung würde in einem hohen Durchschnitt
aber in einem niedrigen Median resultieren. Die hohe
Standardabweichung von 10.8(!) deutet ebenfalls auf eine solche
Verteilung hin.
Und die Studie kommt selbst zu diesem Schluss. Die Grafik auf S.79
zeigt zwei Spitzen an den Enden des Bereichs. Die Studie definiert den
Begriff "Professionals", die weniger als 10% ihrer Entwicklungszeit in
ihrer Freizeit aufwenden. Es gibt nur 12% Professionals. Ein Problem
mit diesen Zahlen ist, dass sie nicht sagen wieviel 10% Zeit in
absoluten Zahlen bedeuten. Zugriff auf die Rohdaten wäre hier
hilfreich.
Für mich heißt das: Es gibt eine große Anzahl von Leuten, die Freie
Software hauptsächlich in ihrer Freizeit entwickeln aber hin und
wieder während ihrer bezahlten Arbeitszeit daran herum schrauben.
Dasist etwas, was ich aus meiner eigenen Praxis gut kenne. Du
entwickelst ein Stück Freier Software, das auch für deinen Job
nützlich ist. Dieser Typ Entwicklung ist jedoch nicht wirklich unter
Kontrolle eines Chefs. Wenn dein Chef überhaupt von solchen
Aktivitäten weiß, dann toleriert sie es. Mit anderen Worten: Dies ist
in keiner Weise Freie Software im Auftrag wie Einfach Freie Software.
Es ist tatsächlich Doppelt Freie Software bei der die EntwicklerInnen
lediglich die Freiheiten ihrer Arbeitsumgebung genießen.
Lediglich die 12% Professionals sehen für mich aus wie
Einfach-Freie-Software-EntwicklerInnen.
Mit Freien Grüßen
Stefan