Message 00052 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxderawT00052 Message: 1/1 L0 [In date index] [In thread index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

[ox-de-raw] Studie: "Spass und Software-Entwicklung - Zur Motivation von Open-Source-Programmierern"



Hi!

Auf

	http://www.dissertationen.unizh.ch/2006/luthigerstoll/

gibt es eine Dissertation zur Motivation von
Freie-Software-EntwicklerInnen verglichen mit der von kommerziellen
EntwicklerInnen. (Ja, das ist falsche Sprache weil Freie Software
kommerziell sein kann - jedoch ist das die Sprechweise des Abstracts.)
Bitte beachtet, dass der richtige Link zum PDF

	http://www.dissertationen.unizh.ch/2006/luthigerstoll/diss.pdf

ist.

Hier ist das Abstract der Dissertation:

  Die vorliegende Dissertation geht der Frage nach, welche Bedeutung
  Spass für Open-Source-Entwickler spielt: Kann das Phänomen, dass
  Open-Source-Entwickler in unbezahlter Arbeit teilweise qualitativ
  hochstehende Software entwickeln und der Öffentlichkeit zur
  Verfügung stellen, damit erklärt werden, dass Programmieren eine
  Tätigkeit ist, die Software-Entwicklern Spass macht,
  Open-Source-Software demnach als Nebenprodukt einer
  freudebereitenden Tätigkeit verstanden werden kann? Um diese
  Hypothese zu klären, werden in der Dissertation folgende Fragen
  untersucht:


  * Wie gross ist der Anteil der bezahlten bzw. unbezahlten
    Software-Entwickler unter den Open-Source-Entwicklern?

  * Welchen Anteil des Engagements, das Open-Source-Entwickler haben,
    kann durch ihre Freude am Programmieren erklärt werden?

  * Macht Programmieren mehr Spass, wenn für ein Open-Source-Projekt
    programmiert wird, als wenn diese Tätigkeit unter kommerziellen
    Bedingungen ausgeübt wird?

  * Falls diese Hypothese zutrifft: Welche Elemente des
    Open-Source-Entwicklungsmodells (z.B. fehlende Abgabetermine,
    klare Projektvision, optimale Herausforderung, keine monetären
    Anreize für Projekt-Mitarbeiter, keine formale Autorität des
    Projektleiters) sind Ursache dafür, dass Programmieren in einem
    Open-Source-Projekt mehr Spass macht?

  Zur Beantwortung dieser Fragen wurde eine Online-Befragung sowohl
  unter Open-Source-Entwicklern wie auch unter Programmierern in
  kommerziellen Software-Firmen durchgeführt. Dabei wurde Spass mit
  Hilfe des von Csikszentmihalyi entwickelten Flow-Konzepts
  operationalisiert. Das Engagement wurde auf zwei Arten gemessen.
  Erstens wurde nach der Anzahl für Open Source aufgewendeten
  Wochenstunden gefragt, zweitens wurde die Bereitschaft für
  zukünftige Aktivitäten für Open Source ermittelt. Die
  Open-Source-Umfrage wurde von insgesamt 1330 Programmierern, die auf
  den Open-Source-Plattformen SourceForge, GNU/Savannah oder BerliOS
  eingeschrieben waren (Zeitraum 11. 5. 2004 - 26. 6. 2004),
  ausgefüllt, die zweite Umfrage von 114 Programmierern aus sechs
  Schweizer Software-Unternehmen (Zeitraum 20. 9. 2004 - 4. 11. 2004).

  Die Auswertung der gesammelten Daten zeigt, dass rund 58% der für
  Open Source aufgewendeten Zeit in der Freizeit der Programmierer
  erbracht werden. Demnach werden 42% des zeitlichen Engagements für
  Open Source entlöhnt. Dabei ist allerdings zu beachten, dass diese
  Zahlen den bezahlten Anteil tendenziell unterschätzen. Bezahlt
  werden eher Open-Source-Entwickler, die in bekannten
  Open-Source-Projekte arbeiten. Solche Projekte können sich aber eine
  eigene Projekt-Infrastruktur leisten und sind nicht auf Plattformen
  wie SourceForge beispielsweise angewiesen. Demnach ist der Anteil
  bezahlter Open-Source-Programmierer im Sample dieser Studie eher
  unterrepräsentiert.

  Im Hinblick auf die Bedeutung des Spasses erbrachte die vorliegende
  Untersuchung folgende Ergebnisse:

  * Spass spielt eine Rolle: Ein einfaches Modell, welches Spass und
    Freizeit als erklärende Variablen enthält, kann zwischen 27% und
    34% des Engagements für Open Source erklären.

  * Freizeit spielt eine Rolle: Der zeitliche Umfang des Engagements
    von Open-Source-Entwicklern wird signifikant dadurch bestimmt,
    über wieviel Freizeit die Programmierer verfügen. Hingegen spielt
    die Verfügbarkeit von Freizeit keine Rolle, wenn die
    Open-Source-Entwickler nach der Einsatzbereitschaft, d.h. nach dem
    zukünftigen Engagement gefragt werden.

  * Die Freude am Programmieren nützt sich nicht ab: jede zusätzliche
    Einheit "Spass" wird linear in zusätzliches Engagement umgesetzt.

  Ein Vergleich des Spass-Empfindens von Open-Source-Programmierern
  mit kommerziellen Software-Entwicklern bestätigt die Hypothese, dass
  Programmieren im Open-Source-Umfeld mehr Spass macht: Die
  Unterschiede des Flow-Empfindens zwischen Open-Source-Entwicklern
  und kommerziellen Programmierern sind statistisch hochsignifikant.

  Bemerkenswert ist, dass der Grund für den zusätzlichen Spass, den
  das Open-Source-Entwicklungsmodell möglich macht, nicht das
  Vorhandensein von Abgabeterminen oder die formale Hierarchie im
  kommerziellen Umfeld ist. Entscheidend für den Spass am
  Programmieren ist vielmehr der Umstand, dass Open-Source-Projekte
  über eine für die Software-Entwickler nachvollziehbare
  Projekt-Vision verfügen und, vor allem, dass sie den Programmierern
  eine Herausforderung bieten, welche mit den Programmier-Fähigkeiten
  der jeweiligen Personen optimal übereinstimmen. Diese Anforderungen
  kann das Open-Source-Entwicklungsmodell erfüllen, weil bzw. falls
  sich Open-Source-Entwickler freiwillig für ein Open-Source-Projekt
  verpflichten. In diesem Fall sind die Projektvision und zu lösenden
  Programmier-Aufgaben die massgeblichen Faktoren, wenn sich ein
  Programmierer zum Engagement in einem bestimmten Open-Source-Projekt
  entscheidet.

Ich habe mich gefragt, was 42% bezahlte Entwicklung meint. Ich habe
die Erklärung auf S.94 gefunden ("7.1.4 Zeitliches Engagement"). Es
bedeutet: 42% der Stundenzahl, die Freie-Software-EntwicklerInnen
aufbringen, werden während bezahlter Arbeitszeit geleistet.

Aber was heißt das? Die Studie hat herausgefunden, dass die
durchschnittliche Anzahl von bezahlten Stunden pro EntwicklerIn
5.2Stunden/Woche beträgt mit einem Median von 1.5Stunden/Woche. Wenn
ich diese Zahlen richtig interpretiere dann gibt es eine kleine Zahl
EntwicklerInnen, die für einen großen Teil ihrer Zeit bezahlt werden
und eine große Zahl von EntwicklerInnen, die lediglich
vernachlässigbar viel Zeit für Freie Software während ihrer Jobs
aufwenden. Eine solche Verteilung würde in einem hohen Durchschnitt
aber in einem niedrigen Median resultieren. Die hohe
Standardabweichung von 10.8(!) deutet ebenfalls auf eine solche
Verteilung hin.

Und die Studie kommt selbst zu diesem Schluss. Die Grafik auf S.79
zeigt zwei Spitzen an den Enden des Bereichs. Die Studie definiert den
Begriff "Professionals", die weniger als 10% ihrer Entwicklungszeit in
ihrer Freizeit aufwenden. Es gibt nur 12% Professionals. Ein Problem
mit diesen Zahlen ist, dass sie nicht sagen wieviel 10% Zeit in
absoluten Zahlen bedeuten. Zugriff auf die Rohdaten wäre hier
hilfreich.

Für mich heißt das: Es gibt eine große Anzahl von Leuten, die Freie
Software hauptsächlich in ihrer Freizeit entwickeln aber hin und
wieder während ihrer bezahlten Arbeitszeit daran herum schrauben.
Dasist etwas, was ich aus meiner eigenen Praxis gut kenne. Du
entwickelst ein Stück Freier Software, das auch für deinen Job
nützlich ist. Dieser Typ Entwicklung ist jedoch nicht wirklich unter
Kontrolle eines Chefs. Wenn dein Chef überhaupt von solchen
Aktivitäten weiß, dann toleriert sie es. Mit anderen Worten: Dies ist
in keiner Weise Freie Software im Auftrag wie Einfach Freie Software.
Es ist tatsächlich Doppelt Freie Software bei der die EntwicklerInnen
lediglich die Freiheiten ihrer Arbeitsumgebung genießen.

Lediglich die 12% Professionals sehen für mich aus wie
Einfach-Freie-Software-EntwicklerInnen.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan




[English translation]
Thread: oxderawT00052 Message: 1/1 L0 [In date index] [In thread index]
Message 00052 [Homepage] [Navigation]