[ox-de-raw] keimform.de: Gorz überUniversalgüter
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- Date: Tue, 19 Jun 2007 11:51:55 +0200
http://www.keimform.de/2007/06/19/gorz-ueber-universalgueter/
Gorz über Universalgüter
Von StefanMz, 19. Juni 2007, 11:22 Uhr
André Gorz hat mit »Wissen, Wert und Kapital. Zur Kritik der
Wissensökonomie« (Rotpunktverlag 2004)
[http://www.rotpunktverlag.ch/cgibib/germinal_shop.exe/VOLL?titel_id=12528&caller=rotpunkt]
ein wichtiges Buch geschrieben, dass im wesentlichen in die gleiche
Richtung zu argumentieren sucht, auf die es mir ankommt. Gorz
unterscheidet Universalgüter und Allgemeingüter terminologisch noch
nicht, inhaltlich ist die folgende Passage jedoch klar:
»Der Begriff des Wertes im ökonomischen Sinne als Tauschwert lässt
sich nur auf Waren anwenden, das heißt auf Güter und für
Dienstleistungen, die im Hinblick auf ihren Tausch produziert
wurden. Was nicht durch menschliche Arbeit produziert ist sowie a
fortiori was nicht produzierbar oder nicht tauschbar oder nicht für
den Tausch bestimmt ist, hat keinen ökonomischen Wert. Das gilt …
ebenso für Allgemeingüter die, wie etwa überliefertes Kulturgut,
weder geteilt noch gegen andere ausgetauscht werden können. … (Sie)
können allerdings beschlagnahmt werden. Es genügt, ihre
Zugangsmöglichkeiten zu privatisieren, um Zugangsrechte erheben zu
können. Auf diese Weise werden Allgemeingüter in Scheinwaren
verwandelt, die den Verkäufern der Zugangsrechte eine Rente
verschaffen.« (S. 33)
An dieser Stelle möchte ich die Diskussion zum Beitrag »Universalgüter«
[http://www.keimform.de/2007/06/17/universalgueter/] mit Christian
fortsetzen, der fragt
[http://www.keimform.de/2007/06/17/universalgueter/#comment-7807]:
»Inwiefern wird MS Windows “von vornherein gesellschaftlich
produziert”, die Brötchen dagegen nicht?«
Die Frage bezog sich auf die Aussage, dass Universalgüter von vornherein
gesellschaftliche Güter und somit (ökonomisch) wertlos sind. Eine gute
Frage, deren Antwort mir nicht leicht fällt, weil die Bedeutungen der
Begriffe “gesellschaftlich” und (als Gegenstück) “privat” nicht
feststehen, sondern changieren. Mal sehn.
Zunächst zeigt meine Kennzeichnung als “von vornherein gesellschaftlich
produziert” den eindeutigen Fall an, etwa den von Freier Software.
Proprietäre Software wird — im Unterschied zu Freier Software — nicht
von vornherein gesellschaftlich produziert, sondern
gewissermaßen “notgedrungen” oder “paradoxerweise” trotz privater Form.
Das macht die Einsicht zugegeben ziemlich schwer bzw. es gibt gute
Gründe, das Paradoxon für Schein und die Einsicht für Einfalt zu halten
— wer das denkt, irrt natürlich;-)
Weder MS-Irgendwas noch die Brötchen werden also “von vornherein
gesellschaftlich produziert”. Wäre das der Fall, müssten sich die
ungesellschaftlichen Produkte nicht auf dem Markt treffen und ihren
Werthändel treiben, gäbs also keine zirkulative Vergesellschaftung ex
post, sondern alles wäre “unmittelbar gesellschaftlich”, einsichtig und
klar, kurz: Dann hätten wir den Kommunismus.
Die These ist, dass zum Beispiel Microsoft trotzdem, obwohl es nicht so
aussieht, gesellschaftliche Arbeit privatisiert und nicht, wie es
normal wäre, private Arbeit gesellschaftliche Verhältnisse herstellen
lässt (via Tausch). Hier ist folglich das Verhältnis von Privatheit und
Gesellschaftlichkeit verkehrt: Während konventionelle Güter durch
Privatproduzenten hergestellt werden und in der Zirkulation ihre
Gesellschaftlichkeit bewähren müssen (denn dann und nur dann sind sie
Waren), werden Universalgüter durch (privatisierte) gesellschaftliche
Arbeit produziert und müssen in der Zirkulation ihre Privatheit bzw.
Exklusivität, also ihre äußerliche Warenform simulieren, damit sie als
Bezahlgut akzeptiert werden und erfolgreich Geld transferieren.
Dass das so “verkehrt” ist, hat mit der gegenständlichen Spezifik der
Güter und den sozialen und rechtlichen Verhältnissen zu tun, die diese
erzeugen. Konventionalgüter sind “singuläre Güter” (dazu zählen auch
bestimmte Dienstleistungen, klar können auch die wertproduktiv sein —
anderes Thema) und Universalgüter sind (potenziell) “ubiquitäre Güter”.
Ihre Verbeitung ist nur durch die verfügbaren Träger limitiert, was in
praxi eine real wichtige Grenze darstellt. Singuläre Güter müssen
getauscht werden, um ihre Gesellschaftlichkeit zu bewähren, potenziell
ubiquitäre Güter müssen ihre Exklusivität behaupten, um Geld
anzuziehen. Singuläre Güter werden auch real getauscht, ein
Händewechsel findet statt. Universalgüter werden weder hingegeben, noch
getauscht, noch ausgeliehen, sondern nur die Nutzung wird erlaubt.
Insofern ist eine Verwandtschaft mit dem vorbürgerlichen Lehnswesen,
die Franz Nahrada einbrachte
[http://www.opentheory.org/kampfumdiewarenform/text.phtml#10.1],
augenfällig — nur dass hier nicht die Sache, sondern nur die
Nutzungserlaubnis “übertragen” wird. Unversalgüter sind mithin keine
Waren.
Eigentlich ist *jede* Produktion schon immer gesellschaftlich. Im
Kapitalismus findet die gesellschaftliche Produktion im Gesamt jedoch
in Form voneinander unabhängiger Privatarbeiten statt. Eigentlich
unterscheiden sich also Microsoft und Bäckerei nicht: Beidesmal sind
Form und Aneignung privat, die Produktion aber Teil gesellschaftlicher
Produktion. Der Charakter der Arbeiten unterscheidet sich jedoch sehr
wohl, weil sich diese auf unterschiedliche Güter bezieht und
unterschiedliche soziale Beziehungen erzeugt. Die Arbeiten bei
Microsoft beziehen sich auf Universalgüter, auf universelle, potenziell
ubiquitäre Güter, die nicht getauscht werden, also nicht Waren sind,
sondern deren Nutzungserlaubnis mehr oder weniger restriktiv erteilt
wird. Siehe das Gorz-Zitat. Der Charakter der Arbeiten ist allgemeiner
Natur, weil diese allgemeine Güter erzeugen. Die Arbeiten in der
Bäckerei beziehen sich auf die wiederholte Anwendung abstrakter Arbeit
zur stetigen Erzeugung immer neuer Backwaren, die getauscht werden
(müssen), wodurch das exklusive Eigentum an dem gebackenen
Gebrauchswert auf einen Käufer übergeht.
Also: Allgemeine Arbeit erzeugt Universalgüter, unmittelbar verausgabte
abstrakte Arbeit erzeugt Singulargüter. Aber unterscheidet sich die
Arbeit in der Schwitzbude Microsoft von der Schwitzbude in einer
Bäckerei, ist nicht beides anstrengend, ist nicht beides Verausgabung
gesellschaftlich notwendiger Arbeit, um die Güter in die Welt zu
bringen? Die Qualität dieser Frage entspricht in etwa der Frage, ob es
denn überhaupt einen Unterschied zwischen den genannten Gütern gäbe, wo
man im Laden doch sehen könne, dass MS-Irgendwas x kostet und das
Backgut y kostet. — Das ist die erscheinende Oberfläche, das ist der
verdinglichte Blick, der in der Naturalform der Güter selbst den Wert
erkennen will, statt ihn als gesellschaftliches Verhältnis zu
begreifen.
Genauso mit den Arbeiten: In der Naturalform der Arbeiten wird ihr
Charakter — produktiv/unproduktiv, abstrakt/universell — nicht zu
finden sein. Der Charakter der Arbeit ergibt sich einzig aus ihrem
Verhältnis zu den sie erzeugenden Gütern und sozialen Beziehungen,
denn “Arbeit im Kapitalismus” ist selbst ein gesellschaftliches
Verhältnis und keine überhistorische Seinsbestimmung des Menschen. Mehr
noch, genauer wird es umgekehrt: “Arbeit” in der
spezifisch-historischen Form konstituiert das spezifische
gesellschaftliche Vermittlungsverhältnis. Das bedeutet, dass durch
Universalgüter erzeugende allgemeine Arbeit qualitativ andere
gesellschaftliche Vermittlungsverhältnisse produziert werden, als durch
jene konventionelle Güter produzierende Lohnarbeit. Und genau das ist —
wie dargelegt — auch der Fall: Die sozialen, rechtlichen und
praktischen Verhältnisse unterscheiden sich trotz Unterordnung unter
die Warenform gravierend von konventionellen Gütern.
Statt also die Differenzen und Ungereimtheiten wegzutricksen (etwa:
Tausch finde doch statt, nur halt eins gegen viele und mit open end),
geht es darum die Bruchstellen zum Ausgangspunkt einer Differenzierung
in der Analyse zu machen. Damit wird Marx nicht aufgegeben, sondern
Marx entsprochen. Aber es ist natürlich wie bei jeder theoretischen
Annäherung eine Frage der Perspektive und der Begriffe: Aus meiner
Perspektive einer aktualisierten Analyse erscheint es mir
unverständlich, wie man noch an der alter Kategorialität festhalten
kann und diverse Klimmzüge einbaut, wo doch die Realität längst anderes
zeigt. Umgekehrt weiss ich ganz genau, dass die von mir dargestellte
veränderte Sichtweise auf Befremden stößt, weil sie nicht nur
unvertraut, sondern in der eigenen Blickweise entsprechend “ungereimt”
erscheint. Was hier also konkurriert, sind nicht Einzelargumente,
sondern Kategroriensysteme. Diese sind nicht auf der
Einzelargumentebene belegbar oder widerlegbar — man muss sie schon als
Ganzes gedanklich bewegen und bewerten. Wie, das bleibt letztlich jedem
selbst überlassen.
So. Ganz am Schluss habe ich aber noch eine schlichte Antwort parat, die
ich jedoch bewusst hintan stelle. Die schlichte Antwort wäre, dass der
Wissensanteil bei allen Produkten gesellschaftlicher Natur ist und
somit wertlos. Bei (proprietärer) Software beträgt dieser Anteil 90%,
bei Brötchen 30% (keine Ahnung, Zahlen nur zur Illustration). Hierin
eingeschlossen ist die Unterscheidung von Schaffung neuen Wissens
(wertunproduktiv) und Anwendung vorhandenen Wissens in der
Warenproduktion (wertproduktiv). Softwareentwicklung ist im
wesentlichen Schaffung und Vergegenständlichung neuen Wissens (in
Softwareform), Brötchenproduktion ist im wesentlichen Anwendung von
vorhandenem Wissen. Neues Wissen wird durch allgemeine Arbeit
geschaffen, vorhandenes Wissen wird durch konkrete Arbeit angewendet.
Guckt man sich die Softwareentwicklung an, dann findet man auch auf
Oberfläche der konkreten Tätigkeiten den gesellschaftlichen Charakter
wieder: Die Arbeiten sind nicht nur indirekt über den Markt oder
vertragliche Kooperationsbeziehungen miteinander verbunden, sondern
weltweit auch personal-konkret. Auch die Entwickler proprietärer
Software tumeln sich in den Foren, auch die proprietären Firmen haben
die Potenzen “eigener” Communities erkannt und insbesondere Software
ist ein Produkt, dass von Feedbacks und der Mitentwicklung durch
AnwenderInnen lebt. Dieser Drang zur konkreten Vergesellschaftung auf
der Ebene der Produktion und nicht erst der Zirkulation wird natürlich
durch die Notwendigheit zur Exklusion zwecks Warensimulation
gleichzeitig begrenzt. Genau deswegen ist das Inklusionsmodell Freier
Software die angemessenere Produktionsweise für gesellschaftliche
Güter.
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