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[chox] Sheriffstern



Ein Sheriffstern mit sechs Zacken

 Marcus Hammerschmitt 30.01.2003

 Globalisierungskritik am Abgrund?

 Dass die globalisierungskritische Bewegung dem Antisemitismus gegenüber
eine offene Flanke hat, ist nun wirklich kein neuer Vorwurf. Aber wie offen
diese Flanke wirklich ist, konnte während des World Economic Forum (WEF) in
Davos besichtigt werden.

 Paradigmatisch dafür kann das obige Foto [1] stehen, das während einer
Demonstration am Samstag, den 25.1. in Davos geschossen wurde.

 Es heißt oft, dass ein Bild mehr sagt als tausend Worte, und das trifft
ganz bestimmt für dieses Bild zu. Wollte man es in all seinen
Tiefenschichten "lesen", auch mit seinen inneren Widersprüchen (so zum
Beispiel jenem, dass der Tanz ums goldene Kalb dem Judentum das
Musterbeispiel eines götzendienerischen Frevels ist) könnte man mit den
Ergebnissen ganze Bände über die Bildersprache des Antisemitismus füllen,
aber das ist gar nicht nötig.

 Interessant ist, dass ein zusammengeklaubtes Ensemble aus Faschingskostümen
(z. T. mit deutlichem Tierbezug), dem goldenen Kalb, einem Judenstern nach
Nazi-Machart und einigen Politikermasken so dreist zur Markierung des
Feindes benutzt wird, weil die Demonstranten davon ausgehen, dass die
Botschaft schon verstanden wird: Jüdische Amerikaner, oder amerikanische
Juden beten Geld und Gold an und schützen es mit (tendenziell animalischer)
Gewalt, wie sie nur können.
Wirr und klar zugleich, sowohl bodenlos tief als auch barbarisch einfach wie
es nur die echten Zeugnisse antisemitischen Wahns sind, denunziert dieser
Aufzug nicht nur die abgründige Dummheit der Demonstranten, sondern auch die
selten deutlicher gewordenen Beziehungen zwischen Antisemitismus und
Antiamerikanismus: Die Deppen von Davos, die sich wahrscheinlich auch noch
als Linke sehen, pappen dem Rumsfeld-Darsteller in schöner Einigkeit mit
irakischen Regierungsblättern [2] den gelben Stern an und schreiben dem
Stern das Wort "Sheriff" ein, um den letzten Zweifel an ihrer Idiotie zu
zerstreuen: Für sie ist alles eins und wurscht, Amerikaner sind Juden, alle
Juden sind wie Scharon, ein Judenstern ist dasselbe wie ein Davidstern, das
goldene Kalb ist ein jüdisches goldenes Kalb, alles egal, die Zuschauer, so
mutmaßen sie, werden schon verstehen, was und wer gemeint ist, Hauptsache,
der götzenumtanzende Dämon hat ein Signet.

Nun muss man nicht so blöde sein und die grausame Krudität dieser
Idiotenparade als Beweis für die Richtigkeit amerikanischer Politik im Nahen
Osten missbrauchen, wie das so mancher US-Warblogger [3] tut.

Auch als genehmer Beweis für die Behauptung, die globalisierungskritische
Bewegung oder gar jede Form antikapitalistischer Kritik sei antisemitisch,
taugt der Aufzug nicht. Klar wird nur wie selten sonst an der Davoser
Peinlichkeit: Der Antisemitismus als "Sozialismus der dummen Kerls" (Bebel)
marschiert auch in der globalisierungskritischen Bewegung, und das nicht zu
knapp.

 Man könnte ja versucht sein, diesen Vorfall als Ausrutscher, oder gar als
von außen in die Demo hineingetragene Provokation zu begreifen. Nun, ein
Ausrutscher ist er angesichts der vielen anderen Fälle, in denen
Antisemitismus bei globalisierungskritischen Veranstaltungen "übersehen"
wird, ganz bestimmt nicht. Wenn Referenten auf attac-Podien die Politik der
Israelis mit der der Nazis im Warschauer Ghetto vergleichen [4], wenn
indymedia.ch nicht in der Lage ist, auf ähnliche Provokationen [5] eines
brasilianischen Karikaturisten angemessen [6] zu reagieren [7], wenn auf
globalisierungskritischen Demonstrationen haufenweise dümmliche und
ahistorische Vergleiche zwischen Bush, Blair, Scharon und Hitler auftauchen
und gleichzeitig der "Nationale Widerstand" bei attac-Veranstaltungen
geduldet [8] wird, weist das darauf hin, dass dieses Gedankengut in der
globalisierungskritischen Bewegung Tradition hat. Diesen Eindruck der
Offenheit nach rechts zerstreuen dann auch nicht mehr die gutgemeinten
Texte, die sie leugnen [9].

Wegen der all zu vielen "Ausrutscher" dieser Art ist es gleichfalls nicht
wahrscheinlich, dass es sich bei den Karnevalisten von Davos um Provokateure
handelt. Sie sind schon gleichzeitig echte Globalisierungskritiker und echte
Schafsköpfe.

 Ist es denn wenigstens ein Zufall, dass in ihrer Bewegung der
Antisemitismus so aufschäumt, etwa weil er das überall in der Welt auch
täte, und die Bewegung nur ein Spiegel der Gesamtgesellschaft wäre? Leider
ist dem nicht so. Die verkürzte, hauptsächlich personalisierte
Kapitalismuskritik, die in dieser Bewegung so populär ist, die symbolische
Attacke gegen die Symbole des Weltübels, das sich an bestimmten Orten und in
bestimmten Personen zu konzentrieren [10] scheint [11] die ideologische
Beliebigkeit der Positionen, die nicht als Fehler, sondern als Mittel
begriffen wird, um möglichst viele Menschen möglichst schnell und
reibungsfrei in die Bewegung zu integrieren, lädt zu Rohrkrepierern wie dem
Davoser Tanz um das goldene Kalb geradezu ein. Wenn man dazu noch die
eklatante politische Naivität, die mangelnde Transparenz und die
offensichtlichen Demokratiedefizite zum Beispiel bei attac hinzurechnet
[12], kann einem angst und bange werden.

 Und so legen Vorfälle wie der in Davos den Verdacht nahe, dass die
globalisierungskritische Bewegung dabei ist, in sinnlosem Eventhopping die
implosionsreife Gedankenleere ihrer Gegner zu reproduzieren [13] und
gleichzeitig zur Brutstätte eines modernisierten Antisemitismus zu
degenerieren, der ein gutes Gewissen hat, weil er von links kommt.

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