DISCLAIMER DISCLAIMER DISCLAIMER DISCLAIMER

Die hier archivierte Mail kann, muss sich aber nicht auf den Themenkomplex von Oekonux beziehen.

Insbesondere kann nicht geschlossen werden, dass die hier geäußerten Inhalte etwas mit dem Projekt Oekonux oder irgendeiner TeilnehmerIn zu tun haben.

DISCLAIMER DISCLAIMER DISCLAIMER DISCLAIMER

Message 00073 [Homepage] [Navigation]
Thread: choxT00073 Message: 1/1 L0 [In date index] [In thread index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

[chox] Interview mit Nora Goldenbogen



»Der Angriff stoppte die Deportationen«

Nora Goldenbogen

In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 wurde Dresden von der
britischen Royal Air Force bombardiert. In jedem Jahr finden in der Stadt
Gedenkveranstaltungen statt, bei denen der deutschen Opfer gedacht wird. Die Verbrechen
während des Nationalsozialismus spielen dabei kaum eine Rolle. 

Nora Goldenbogen ist Historikerin und Mitarbeiterin der Bildungs- und
Gedenkstätte für jüdische Geschichte, Hatikva, in Dresden. Mit ihr sprach Kerstin
Eschrich. 




Kerstin Eschrich: Verfolgte des NS-Regimes wie beispielsweise Victor
Klemperer hatten wegen der Bombardierung von Dresden die Möglichkeit, unterzutauchen
und ihr Leben zu retten. Spielt dieser Umstand im Bewusstsein der Dresdner
eine Rolle? 

Nora Goldenbogen: Das wird leider nur von einem Teil der Bevölkerung
wahrgenommen. Für viele ist das nicht sehr wichtig. Wegen der Bombenangriffe auf
Dresden ging der gesamte letzte Deportationstransport nicht mehr ab. Victor
Klemperer war von diesem Transport ausgenommen, aber 175 jüdische Bürger waren
für den Transport nach Theresienstadt vorgesehen. 
Der Zug sollte am 14. beziehungsweise am 16. Februar von Dresden abfahren.
Dazu kam es nicht mehr, was für die Juden die Rettung bedeutete. In allen
anderen Städten gingen die Deportationen weiter. Für Juden, Zwangsarbeiter und
Kriegsgefangene konnte die Bombardierung zwar den Tod bedeuten, häufig aber
auch die Befreiung. 

Kerstin Eschrich: Wird am 13. Februar auch daran erinnert, oder geht es nur
um die Opfer der britschen Luftangriffe? 

Nora Goldenbogen: Verschiedene Organisationen versuchen jedes Jahr, diese
Perspektive in die Feierlichkeiten einzubringen. So organisieren unter anderem
der DGB Dresden und Pax Christi eine Parallelveranstaltung zu den offiziellen
Gedenkveranstaltungen auf dem Dresdner Altmarkt. Diese Gruppen wollen das
Gedenken an die britischen Bombenangriffe auf Dresden am 13. Februar erweitern.
Nicht nur an den Bombenkrieg wird erinnert, sondern auch an die Gründe, die
zum Angriff führten. In diesem Jahr soll es vor allem um die ehemaligen
Zwangsarbeiter in der Stadt gehen. 

Kerstin Eschrich: Spielen diese Aspekte in den offiziellen
Gedenkveranstaltungen auch eine Rolle, oder ist es allein Ihre Aufgabe, an die NS-Opfer zu
erinnern? 

Nora Goldenbogen: Es ist vor allem unsere Aufgabe. Wir haben es aber auch
schon mehrfach geschafft, dass das Thema in den offiziellen Reden eine Rolle
spielte. Ich verstehe unsere Aktivitäten vor allem als
Alternativveranstaltungen, um die Veranstaltungen nicht so einseitig zu belassen. Wir wollen
wenigsten denjenigen, die bei uns vorbeikommen, zeigen, dass es auch noch andere
Schicksale gab. 

Kerstin Eschrich: Und wie war es in der DDR, dem Land, das sich offiziell
antifaschistisch nannte? Spiegelte sich dieser Anspruch damals im Umgang mit
den Gedenkveranstaltungen wieder? 

Nora Goldenbogen: In der DDR gab es auch Gedenkveranstaltungen an diesem
Tag. Kränze wurden niedergelegt und es wurde der Toten gedacht. Wobei es
allerdings nicht nur um den Bombenkrieg gegen Deutschland ging, sondern um eine
generelle Manifestation gegen den Krieg. Das Leid, das der Dresdner Bevölkerung
geschehen war, wurde nicht als etwas Einzigartiges dargestellt, sondern es
wurde als Folge des Krieges verstanden. Die Ursachen für die Bombardierung, der
deutsche Angriffskrieg und die Herrschaft der Nationalsozialisten, wurden
nicht ausgeklammert. Zudem wurde bei den Gedenkveranstaltungen die Schuld der
deutschen Regierung am Krieg und auch der Anteil der deutschen Bevölkerung
daran stärker betont. 

Kerstin Eschrich: Und dabei spielte es keine Rolle, dass die Angriffe von so
genannten Imperialisten durchgeführt wurden? 

Nora Goldenbogen: Das Problem war, dass durch die Formel von den
»angloamerikanischen Bombenangriffen« die Bombardierung mit dem Imperialismus in
Verbindung gebracht wurde. Dazu kam der Vorwurf von den »angloamerikanischen
Kriegstreibern«. Damit wurde behauptet, dass deren Politik eine Kontinuität
aufweist. Das war damals ganz im Sinne der Blockbildung während des Kalten Krieges.
In den achtziger Jahren waren die Gedenkveranstaltungen dann geprägt von den
Aktivitäten gegen die Aufstellung der Mittelstreckenraketen und von der
Bemühung, etwas gegen das Wettrüsten zu unternehmen. 

Kerstin Eschrich: Wie haben Sie die Veränderungen seit der Wiedervereinigung
wahrgenommen? 

Nora Goldenbogen: Die erste Zäsur wurde mit dem Beginn des Wiederaufbaus der
Frauenkirche deutlich. Damit fiel der symbolische Ort weg, die Ruine der
Kirche, wo die Veranstaltungen vor allem in den achtziger Jahren organisiert
worden waren. Jetzt findet dort nicht mehr die zentrale Gedenkfeier statt,
sondern nur kleinere Aktionen. Seit Anfang der neunziger Jahre kommen immer mehr
organisierte Rechtsextremisten an diesem Tag in die Stadt. Sie stilisieren den
Tag zum so genannten Volkstrauertag und behaupten, die Bombardierung sei ein
Kriegsverbrechen gewesen. 
Gleichzeitig haben sich aber auch Gruppen zusammengefunden, die dieses Datum
nicht nur als einen Trauertag verstehen. Sie weisen auch auf das Schicksal
der Juden, der Zwangsarbeiter und der Kriegsgefangenen hin, die damals
ebenfalls in Dresden lebten. 

Kerstin Eschrich: Was unternimmt die Stadt Dresden, um den Aufmarsch der
Neonazis zu unterbinden? 

Nora Goldenbogen: Es wird überhaupt nicht gegen sie vorgegangen. Sie sind
zwar nicht in die Veranstaltungen eingebunden, und ich glaube auch nicht, dass
viele Dresdner über diese Demonstration begeistert sind. Das Problem ist
aber, dass den Rechtsextremen überhaupt ein Platz in der Stadt eingeräumt wurde. 
In den vergangenen Jahren ist es ihnen immer erlaubt worden, im Anschluss an
die offiziellen Feierlichkeiten zu demonstrieren. Ihre Veranstaltung endet
mitten in der Stadt, an einem Gedenkstein vor dem Rathaus, der so genannten
Trümmerfrau. 

Kerstin Eschrich: Dass die Stadt so wenig gegen die Demonstration der
Neonazis unternimmt, könnte auch daran liegen, dass die Veranstaltungen eine
gewisse Ähnlichkeit aufweisen. 

Nora Goldenbogen: Sehr oberflächlich betrachtet, könnte man zwar
Ähnlichkeiten feststellen, aber man muss schon genauer hinsehen. Bei den offiziellen
Feierlichkeiten der Stadt geht es darum, der Opfer zu gedenken. Und nicht darum,
Sündenböcke zu finden, wie bei den Rechtsextremen. Man muss aber natürlich
immer sehr genau aufpassen, in welcher Gesellschaft man sich befindet. Es ist
wichtig, Pauschalisierungen zu vermeiden und konkret zu bleiben. Aber das
gelingt nicht ohne Anstrengung. Es ist ja auch viel unbequemer, des Ereignisses
so zu gedenken, wie es war; dass die Bombardierung eine Folgeerscheinung war
und nicht ein singuläres Ereignis. 

Kerstin Eschrich: In den letzten Jahren wurde verstärkt der Mythos gepflegt,
dass auch die Deutschen Opfer gewesen seien, wie es beispielsweise in der
Spiegel-Serie zu den Bombardierungen und in dem erfolgreichen Buch »Der Brand«
von Jörg Friedrich nahe gelegt wird. 

Nora Goldenbogen: Das ist ganz sicher gefährlich. Man darf bei der
Auseinandersetzung mit den Bombardierungen einfach nicht vergessen, dass es Gründe
dafür gab, dass der Krieg nach Deutschland zurückgekommen ist. Man muss
festhalten, dass es historische Abläufe gab, die man analysieren kann. Wenn man in
Deutschland über Bombardierungen redet, muss man auch von den Ursachen
sprechen. Deshalb machen wir diese Veranstaltungen am 13. Februar. Wir sagen, vor den
Bombenangriffen hat noch etwas anderes stattgefunden und damit ist der
Angriff auf Dresden verbunden. 

-- 
+++ GMX - Mail, Messaging & more  http://www.gmx.net +++
Bitte lächeln! Fotogalerie online mit GMX ohne eigene Homepage!

_______________________
http://www.oekonux.de/



[English translation]
Thread: choxT00073 Message: 1/1 L0 [In date index] [In thread index]
Message 00073 [Homepage] [Navigation]