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[chox] Globalisierungsgegner



Jargon der Bewegung – Zur Ideologiekritik der Globalisierungsgegner

Über die vergebliche Suche nach systemimmanenten Alternativen auf dem Boden
des warenproduzierenden Systems



Ende des 19. Jahrhunderts – eine Welt an der Schwelle zur totalen
Verwertung. Die Mehrzahl der Gesellschaftsmitglieder ist unfrei,
Proletarier, die in finstersten Verhältnissen vegetieren. Nach Kapitallogik
müssen sie mündiges Subjekt sein, real sind sie nichts als bessere
Leibeigene (bspw. mussten sich Arbeiter noch Anfang des 20. Jahrhunderts
willkürlich angeordneten Untersuchungen durch ihre Fabrikherren unterziehen,
sie konnten nicht nach Gutdünken ihre Stelle kündigen und das preußische
Dreiklassenwahlrecht sorgte dafür, dass mehr als drei Viertel der
Bevölkerung verfassungsmäßig nicht in die Gesellschaft integriert war). Das
Kapital steht auf wackligen Beinen. Sein Staat (der bürgerliche), der es
gegen sich selbst, seinen Raubbau am Arbeitsvermögen der Gesellschaft, in
Schutz nehmen könnte, ist erst im Entstehen. Arbeiter sterben früh an
elenden Arbeitsbedingungen, Trunksucht und Kinderarbeit tun ihr übriges, um
die gesamte Reproduktion zu gefährden. Die »schöne Maschine« droht sich
festzufressen, ehe sie überhaupt auf volle Touren kommt. Langsam sickert die
Erkenntnis, dass so etwas wie eine »soziale Frage« über Sein oder Nichtsein
der ganzen Gesellschaft entscheidet. Nach Napoleon I. und Bismarck wird sie
erneut von der Arbeiterbewegung gestellt und versucht, durch Revolution oder
Reform zu lösen.

Anfang des 21. Jahrhunderts – die Welt hat sich geändert. Die
Arbeiterschaft
ist in die Gesellschaft integriert, Arbeiterbewegung und Marxismus haben
ihre historische Mission also erfüllt. Das Kapitalverhältnis ist zum
planetarisch geschlossenen System geworden – nirgendwo mehr ist eine
Reproduktion jenseits von Wert, Ware, Geld, Arbeit, Staat möglich. Wo diese
fünf Teufel fehlen, ist menschliches Leben billig. Der Keynesianismus ist an
den horrenden Staatsdefiziten mit Pauken und Trompeten gescheitert. Während
linke Sozialpolitiker, Antideutsche und Neokeynesianer ihre liebgewordenen
Meisen pflegen, taucht das letzte große Problem der Menschheit auf: Im Zuge
der dritten industriellen – der mikroelektronischen – Revolution
kommt es
zum globalen Abschmelzen der Wertsubstanz, der Zeit, in der produktive
Arbeit verausgabt wird. In seinem eigenen Prozessieren (G-W-G´ = aus Geld
mehr Geld machen) entzieht sich das Kapital seine Grundlage dadurch, dass es
menschliche Arbeit zunehmend überflüssig macht. Das Einzelkapital, das am
meisten Arbeitskraft einsparen kann, erhält aus der verbleibenden Wertmasse
den größten Anteil. Da nirgendwo eine Kompensation (in Gestalt neuer,
Arbeitskraft einsaugender Produkte) für diesen Autokannibalismus zu
entdecken ist, bleibt nur eine Schlussfolgerung: Vor uns erscheint die
absolute Schranke des warenproduzierenden Systems.

Im globalen Absturzprozess des Kapitals kann es nicht mehr um die Lösung der
sozialen Frage gehen, die eine immanente des Systems selbst war. Es wird
deutlich, dass es weder möglich noch wünschenswert ist, die Pole vergangener
immanenter Kämpfe zu besetzen. In der Endkrise der Warenproduktion falten
sich die Gegensätze Arbeit/Kapital und Markt/Staat wieder zusammen.(1) Wer
als Arbeiter dafür eintritt, in die Gesellschaft integriert zu bleiben, muss
für die Verwertung seiner Arbeitskraft durchs Kapital, d. h. für das Kapital
selbst eintreten; wer für den Markt eintritt, muss unbedingt befürworten,
dass ein starker Staat die Verwertungsbedingungen schützt.

Nichts aber hat sich daran geändert, dass Kapitalismus Tod und Zerstörung
bedeutet – das Prinzip G-W-G´ ist für alle sinnlichen Bedürfnisse von
Menschen blind. Vieles spricht dafür, dass es bei seinem endgültigen Absturz
jedes menschliche Leben mit sich in den Abgrund reißen wird. Um das zu
verhindern, ist es nötig, Sozialkritik zu formulieren, die über die
katastrophische Wertgesellschaft hinausweist. In dieser Zeit, in der zwar
alle, die noch bei Sinnen sind, die akute Gefährdung des Systems der
abstrakten Arbeit spüren, die meisten aber von den Voraussetzungen der
Wertvergesellschaftung sich nicht abstoßen können, haben die System- und
Konzeptbastler von rechts und links Zulauf. Wer bei Sinnen ist, muss eben
noch lange nicht bei Verstand sein. Es ist also zu klären, welche Gefahren
dieser Sozialkritik selbst drohen, wenn sie nicht Tabula rasa macht mit dem
Imperativ des Werts.



Gerechtigkeit?

Die jetzige Wirtschaftsordnung sei ungerecht, so der Evergreen von Leuten,
die Globalisierungsgegner statt Wertkritiker sein wollen. Wenige besäßen
viel, die Meisten wenig, das dürfe nicht sein, weswegen die Reichen den
Armen abzugeben hätten. Doch in der Welt geht es schon vollends gerecht zu.
Beim Austausch von Arbeitsmengen, der durch Preise als Erscheinungsform der
Werte geregelt wird, bleibt niemand auf der Strecke. Jeder kann nur nehmen,
indem er gibt. Arbeiter erhalten ihre Arbeitskraft bezahlt – vom sie
anstellenden Kapital. Wer vor diesem System nicht bestehen kann, hat kein
Existenzrecht, denn er tut nichts dafür, das subjektlose synthetisierende
Prinzip dieser Gesellschaft am Leben zu halten. Das System der Ausbeutung
menschlicher Arbeitskraft produziert auf gerechte Weise Elend und Tod, alles
an ihm ist unmenschlich, nichts ungerecht. Naiv affirmiert die
Globalisierungskritik auch den Rattenschwanz der Gerechtigkeit: Gleichheit
(die nur eine vorm Wert sein kann), Freiheit (die nichts anderes sein kann
als die von Vertragspartnern, von denen keiner direkte Macht über den
anderen hat) und Vernunft (die eben nur die Fähigkeit ist, in den Grenzen
des Werts das Machbare zu erkennen und zu tun).

Wer diese bürgerlichen Ideale verteidigt, muss Denken durch wüste Chiffren
ersetzen: »Die Welt ist keine Ware!«. Die Welt war noch nie eine Ware, denn
wo bitte soll’s die aus Arbeitskraft, Rohstoff, Maschinerie gefertigte
Welt
zu kaufen gegeben haben? Chiffre ist auch der linke Dummsprech
vom »Menschen, der zur Verwertung gezwungen wird«. Noch nie in der
Geschichte der Menschheit oder gar des Kapitals hat sich ein Mensch
verwertet; lediglich Kapital verwertet sich und zwar dadurch, dass
menschliche Arbeitskraft durch menschliche Agenten, die Kapitalisten,
angekauft und zur Produktion eingesetzt wird. »Eine andere Welt ist
möglich« – was so sympathisch klingt (und sich fast anhört wie Adornos
Hoffnung »daß der Bann sich löse«) wird leider folgendermaßen
präzisiert: »soziale(r) Gerechtigkeit, Gleichheit und ... Selbstbestimmung
der Völker.«(2) Da können wir die alte Welt auch behalten.


Moralisieren, Eigentlichkeit, Personifizieren

»(Bush) forciert das Streben der USA nach Weltherrschaft (...) direkt,
arrogant und brutal...«(3), sagt die unsäglich dumme Betriebsnudel der
Globalisierungskritik Arundhati Roy. Was soll Weltherrschaft auf dem
Planeten des Wertes anderes bedeuten, als unschlagbare ökonomische Stärke?
Was meint man, wenn man gegen die »Arroganz der Macht« wettert? Macht ist
schon OK, wenn moderat dosiert und verständnisvoll artikuliert, wenn sie
sich Mühe gibt, zu vertuschen, dass es sie gibt? Wäre es besser, wenn
die »Weltherrschaft« unter mehrere Staaten aufgeteilt wäre?

»Jede Gesellschaft muss ihren eigenen Weg finden, Unrecht und Unterdrückung
zu bekämpfen«(4) meint Roy und markiert damit den Übergang von Naivität zu
Wahn. Wir haben es bei ihr also mit vielen Gesellschaften zu tun, nicht mit
der einen des Werts. Somit sei es ungerecht, wenn eine Gesellschaft sich in
die Belange der anderen einmischt – ein ekelhafter Zynismus, der
Frauen und
Schwule auf den Volks- bzw. Weltgeist vertröstet, der zur gerade rechten
geschichtlichen Stunde sich ihrer schon annehme, nämlich dann, wenn die
jeweilige Gesellschaft es für richtig hält, mit dem Steinigen und
Lebendig-Begraben aufzuhören. Selbstverständlich, dass jedes Eingreifen
irgendeines US-Oberkommandos, das diesem Treiben ein Ende setzen könnte, von
ihr abgelehnt wird.

»Den USA geht es gar nicht um Gerechtigkeit, sondern nur um ihre eigenen
Interessen (Öl!)«, so die wieder und wieder mit verschwörerischem Geraune
vorgetragene »Analyse« von Anti-Imps, Nazis, Ökospießern und ATTAC-Leuten.
Gegenfrage: Um welche Interessen geht’s den Globalisierungskritikern
denn so
beim Einkaufen? Um die ihres Chefs, ihrer Ex-Freundin, ihres
Arbeitsamtsbetreuers oder nicht vielleicht doch – um ihre eigenen?
Statt das
System anzugreifen, in dem sich jeder mit anderen nur dadurch in Beziehung
setzen kann, dass er seine eigenen, bornierten Privatinteressen verfolgt,
wird auf Teufel komm raus moralisiert. Man bastelt sich ein System, wie
es »eigentlich« sein sollte bzw. fordert zur Rückkehr in einen Zustand auf,
in dem alles wieder an seinem Platz ist. Der Mensch müsse sich gegen die
billige Oberfläche auflehnen, etwas viel Tieferes, als den eigenen schnöden
Materialismus zum Ziel haben. Hörbar wird das Klappern des
Jargons: »existentiell, (...), Auftrag (...) Anliegen, Bindung«(5).

Wohin man gelangt, wenn man bürgerliche Ideale gegen die bürgerliche
Realität ausspielt, zeigt die »Bürgerrechtsbewegung Solidarität«. Sie
formuliert eine Kritik an neoliberalen Einschnitten bei den
Sozialleistungen, macht Bemerkungen über den akuten Pflegenotstand in
Deutschland und auch der Hinweis darauf, dass die freie Marktwirtschaft
selbst »für den katastrophalen Zustand der realen Wirtschaft
verantwortlich«(6) ist, fehlt nicht. Soweit der normale
ATTAC-Kriseninstinkt. Die Wege aus der Krise sehen so aus: der Staat muss
die Massenarbeitslosigkeit durch produktive Kreditschöpfung beseitigen, der
spekulierende Profithai ist zugunsten des ehrlichen Mittelständlers
anzuzapfen, der Euro sollte eine Goldbindung erhalten, ein System fester
Wechselkurse müsse wieder installiert werden. Wir kommen zur Grundlage aller
Analyse: Das britische Empire zerstört die Welt, Adolf Hitler ist eine
jüdische Marionette, die amerikanischen neokonservativen Kriegshetzer und
die israelischen Likud-Anhänger in der Welt sind Schüler des jüdischen
Nazisympathisanten Leo Strauss und Drahtzieher der Anschläge vom 11.
September.

Alles soll also wieder richtig zugehen, wenn die eigentlichen Schuldigen
benannt und dingfest gemacht sind und berufene Leute das Notwendige
tun – »Proklamation zwanghafter Ordnung als Heil«(7).

»Die im kapitalistischen Finanz- und Wirtschaftssystem florierende
schrankenlose Vermehrung des Geldkapitals durch Subventions-, Steuer-,
Kredit- und Zinsprivilegien führt zu gravierenden Fehlentwicklungen der
Wirtschaft und muß deswegen eingedämmt werden.«

Nämlich durch die Tobin-Steuer, eine Steuer auf Devisentransaktionen,
fordert ATTAC. Geld sei schließlich genug da, man müsse es nur endlich für
vernünftige Dinge einsetzen. Die PDS ist dabei: Sie fordert in einem Antrag
vom 23. April 1999 die Einführung dieser Steuer zur Sicherung
der »Stabilität der Volkswirtschaften« und der »Sicherung der Kontinuität
langfristiger weltwirtschaftlicher Verflechtungsbeziehungen«(8). Die Partei
und die weltweite Bewegung sollten also über ein Bündnis mit derjenigen
Kraft nachdenken, deren Programm das Zitat am Anfang dieses Absatzes
entnommen wurde, mit der NPD(9).
Naomi Klein, die gut beobachtende Kritikerin des Markenwahns, lässt ihrem
Buch »No Logo« ein analytischeres folgen. In ihm bekennt sie frühere Fehler.
Bisher dachte sie, die schlechte finanzielle Ausstattung von Schulen oder
auch die Gewässerverschmutzung seien »auf die schlechte Finanzpolitik oder
blanke Korruption der Regierung des betroffenen Nationalstaats
zurück(zuführen).« Ist sie klüger geworden, hat sie mal bei Marx
nachgelesen? Es sieht nicht so aus: »Heute dagegen werden solche Probleme
dank eines regen grenzüberschreitenden Informationsaustauschs als lokale
Auswirkungen einer ganz bestimmten weltweit wirksamen Ideologie erkannt,
einer Ideologie, die von einzelstaatlichen Politikern durchgesetzt, aber im
wesentlichen von einer Hand voll Großkonzerne und internationaler
Institutionen wie der Welthandelsorganisation, dem Internationalen
Währungsfonds und der Weltbank entwickelt wurde.«(10) Naomi Klein würde,
wenn sie ein Unternehmen führte, vermutlich auf minimalen Gewinn und
maximale Umweltverträglichkeit achten.


Illusionen

»Krieg ist keine Lösung«, so der Konsens der jüngsten Friedensbewegung. Kein
Krieg, aber eine »Lösung« muss schon sein, eine friedliche eben. Der
linksalternative Spießerstammtisch wärmt seit Jahrzehnten seinen kreativen
Vorschlag auf, dass sich »die Herren Politiker« doch bitteschön selbst
bekämpfen und nicht die Völker aufeinanderhetzen sollen.

Illusionär ist auch das vom anderen Pol der falschen Alternative tönende
Gerede, dass »Einschnitte im sozialen Sicherungssystem« nötig seien, damit
eben dieses System überhaupt erhalten werden könne. Wiederum: Ein Problem
taucht auf und muss mit neuen Mitteln, doch auf dem Boden von Wert, Ware,
Geld, Arbeit, Staat gelöst werden, damit Wert, Ware, Geld, Arbeit, Staat
nicht krachen.

Komplett das Denken beleidigend ist die Position von ATTAC, der
antikapitalistischen Bewegung zur Einführung einer Steuer.(11) Fast niemand
findet’s komisch, wenn mit klassenkämpferischem Pathos der Weltmarkt
angegriffen und prosperierendes Wirtschaften affirmiert wird. Steuern gehen
schon in Ordnung, wenn sie für Richtiges eingesetzt werden.

Das Europäische Sozialforum setzt sich dafür ein, dass »menschliche Werte
vor Profit kommen«. Profit geht schon in Ordnung – nur eben in Maßen.
»Das
Weltsozialforum widersetzt sich allen totalitären und reduktionistischen
Ansichten der Wirtschaft, der Entwicklung und der Geschichte...«(12), es
verkündet also, dass das, was es nicht sehe, auch nicht da ist. Dass
Wirtschaft und die Entwicklung seit der Durchsetzung des
Kapitalverhältnisses selbst totalitär sein könnten, muss vom festen Willen
zum Pluralismus konsequent ausgeblendet werden. Wem nicht klar ist, dass
Kapital die Anmaßung grenzenloser Selbstvermehrung bedeutet und damit
Totalitarismus und Reduktionismus, der kann annehmen, es gebe so etwas wie
die »friedliche Lösung«, die »gerechte Verteilung«, das »vernünftige Maß«.
Wieviel Profit in der Alternativwelt gerade noch erträglich ist, wird aller
Wahrscheinlichkeit nach der antisemitische Mob entscheiden.

Schließlich wäre da noch der »Pipeline-Materialismus« (R. Kurz) von
Trampert/ Ebermann, die jede Begriffsarbeit der Kritik der Politischen
Ökonomie von sich weisen und nahezu zwanghaft positivistisch Fakten
über »Interessen« zusammentragen, in einer Welt, in der Interessen als
Ausdruck der Wertlogik zu dechiffrieren wären. Wer aber »Interessen« nicht
zurückbindet an die Krise der Wertvergesellschaftung, für den wird
der »Wille zur Macht« letztes Prinzip der Analyse, an deren Ende dann solche
grundstürzende Feststellungen stehen wie: »Chinas Einfluss in Kasachstan
schwindet«(13). Doch wieder lacht fast niemand.


Bewegungsbashing?

»Es gibt Dinge, die sind so falsch, daß noch nicht einmal das absolute
Gegenteil richtig ist.« (Karl Kraus)

Was Kraus hier formuliert, ist der Unterschied zwischen abstrakter und
bestimmter Negation, zwischen dem Verwerfen eines Systems zugunsten eines
anderen und immanenter Kritik, die ihren Gegenstand ernst nimmt, um ihn von
innen aufzusprengen.

Angewendet auf die heutige Situation heißt das: Es gibt keine positiv zu
besetzenden Seiten von Alternativen auf dem Boden des warenproduzierenden
Systems mehr. ATTAC & Co. wollen keine kategoriale Kritik an der
Warenproduktion leisten, für sie liegt also nichts näher, als die
Vergewaltigung der Realität durch das willkürliche Backen irgendwelcher
Handlungsoptionen; eine Bewegung, die in Dezisionismus und Politizismus
schwelgt, gehört aber unbedingt kritisiert als Verlaufsform der
Krisenverwaltung.

Wer so tut, als hätten die Neoliberalen fieserweise den Sozialabbau
erfunden, argumentiert ähnlich plausibel, wie diejenigen, die den
Kapitalisten die Höhe ihrer Revenue vorhalten und nicht der ganzen
Gesellschaft, dass diese Revenue überhaupt anfallen kann.

Das fraglose Hinnehmen der kapitalistischen Kategorien, diese tapsige
Bewegungsnaivität ist es, die es so schwer machen, sich mit der
Antiglobalisierungsbewegung zu solidarisieren. Dem Widerstand gegen die
kapitalistischen Zumutungen hilft man auf alle Fälle besser durch ätzende
Kritik derjenigen, denen vor lauter »phantasievollen« Aktionen überhaupt
nicht mehr klar ist, wogegen sie kämpfen.

Wo ließe sich anknüpfen? Auf alle Fälle bei einer Sozialkritik, die sich das
gute Leben für alle zum Ziel setzt und damit der fatalen Alternative
kritischer Pessimismus vs. neokeynesianische Flausen glücklich entronnen
ist. Man mag von wildcat, FAU & Co halten was man will, doch wer heute
schonungslose Arbeitskritik übt, die den herrschenden Betrieb stört und
blockiert, bei dem überwintert die Emanzipation.

Gegen die allseitige Regression von Kritik zu Ressentiment gilt es, auf der
Kritik der Politischen Ökonomie zu beharren, die eine durchgeführte
Ideologiekritik ist und heute zur Theorie der absoluten Schranke des
Kapitals wird.

Nimmt man sie ernst, wird man sich nicht um ökonomische Realanalyse
herummogeln können. Es steht an, den Zusammenhang von Globalisierung,
Transnationalisierung des Kapitals und neoliberalem Sozialabbau neu
aufzurollen. Statt sich buddhistisch in die Frage zu versenken, was der Wert
denn nun »wirklich« sei und die absolute Schranke der Warenproduktion
als »Glaubenssache« abzuwehren, gilt es, sich endlich der Einsicht zu
stellen, dass auf dem Boden des warenproduzierenden Systems nichts mehr
wachsen wird: die Demokratie im Irak nicht und schon gar keine
prosperierende Weltwirtschaft.

Wer sich die logische Unmöglichkeit einer weiteren Entwicklung des
Kapitalverhältnisses klar gemacht hat und tagtäglich erleben muss, dass die
menschliche Reproduktion auf dessen Grundlage immer prekärer wird, dem
bleibt nur abgrundtiefer Hass auf Marktwirtschaft und Demokratie. Weder die
US-Militärmaschine, noch die Besteuerung von Spekulationsgewinnen, noch
irgendwelche anderen Maßnahmen, die nicht mit dem Verwertungsimperativ
brechen, sind geeignet, ein menschenwürdiges Leben für alle zu ermöglichen.
Die einzig realistische Option ist eine globale Aufhebungsbewegung, die
im »Welt-Kibbuz«(14) mündet.



Fußnoten:
(1) Grundsätzlich dazu: Robert Kurz, Negative Ontologie, Krisis 26,
Horlemann, 2003, Bad Honnef, 27 ff.
(2) http://weltsozialforum.org/prinzipien/index.html.
(3) Interview mit Arundhati Roy, in: Der Spiegel 15/2003, 170.
(4) ebd., 168.
(5) Theodor W. Adorno, Jargon der Eigentlichkeit, Bd. 6 »Gesammelte
Schriften«, Darmstadt 1998, 417.
(6) http://www.solidaritaet.com/neuesol/2003/18/zepp-lar.htm.
(7) Adorno, 437.
(8) http://www2.pds-online.de/bt/drucksachen/1999/04/1999[PHONE NUMBER REMOVED].htm.
(9) http://npd.de/npd_seiten/hauptteil_programme.html.
(10) Naomi Klein, Über Zäune und Mauern, Leseprobe hier:
http://www.campus.de/leseprobe/37216-9_vorwort.htm.
(11) ATTAC: Abkürzung für »Vereinigung zur Besteuerung von
Finanztransaktionen im Interesse der BürgerInnen«.
(12) http://weltsozialforum.org/prinzipien/index.html.
(13) Ebermann auf einer Veranstaltung zum Irakkrieg am 26. Februar 2003 im
Leipziger Kulturhaus naTo.
(14) Robert Kurz, Weltordnungskrieg: Das Ende der Souveränität. Bad Honnef
2003, 438.

== Marek Mausebär (Der Autor lebt in Leipzig) ==
"Phase 2", Nummer:08/2003


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