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[chox] Für die soziale Revolution! Für den Kommunismus! (2)



Kommunismus ist machbar!

Zehn Thesen zur emanzipatorischen Transformation nebst Erläuterungen


Unser Ziel ist ein "Verein freier Menschen”. Um ihn wirklich werden zu
lassen, bedarf es einer kommunistischen Bewegung. Wir schließen uns Marx und
Engels an, die in der "Deutschen Ideologie" klarstellen: "Der Kommunismus
ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach
die Wirklichkeit sich zu richten haben [wird]. Wir nennen Kommunismus die
wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt. Die Bedingungen dieser
Bewegung ergeben sich aus der jetzt Bestehenden Voraussetzung." (Marx/Engels:
Die deutsche Ideologie, MEW Bd. 3, S. 35)



 

1.  Eine befreite Gesellschaft ist nicht nur keine schöne, sondern überhaupt
keine Utopie. Ebenso wenig ist sie das ganz Andere über das sich heute rein
gar nichts aussagen ließe. Eine befreite Gesellschaft ist negativ aus der
bestehenden Gesellschaft entwickelbar. Diese betrachten wir als Waren
produzierende, patriarchale Gesellschaft. In ihr werden alle nützlichen Sachen als
Waren hergestellt, um sie gegen Geld zu tauschen. Sie werden produziert durch
Arbeit, dem herrschenden männlichen Prinzip der Unterwerfung von Mensch und
Natur. Für diese Gesellschaft ist wesentlich, dass sie Menschen weltweit zusammen
schmiedet. Dies vollzieht sich aber blind und unabhängig vom Willen der
Menschen, d.h. diese Vergesellschaftung ist keine der freien Übereinkunft.
Demgegenüber erhoffen wir uns eine postkapitalistische Gesellschaft als einen
"Verein freier Individuen”: einen weltweiten freien und freiwilligen
Zusammenschluss von Menschen, die die Befriedigung ihrer Bedürfnisse selbst
gestalten.

2.  Linke dachten bisher, es bedürfe eines "revolutionären Subjekts”,
um den Kapitalismus zu überwinden. Das bedeutet: Bestimmte Menschen oder
Menschengruppen müssten oder könnten allein wegen ihrer gesellschaftlichen
Stellung die Revolution durchführen. Die traditionelle Linke hielt die
Arbeiterklasse für das revolutionäre Subjekt. Da die "Proletarier" "nichts ... zu
verlieren" hätten, "als ihre Ketten" (Marx/Engels: Manifest der kommunistischen
Partei, MEW Bd. 4, S. 493), würden sie eines Tages die bürgerliche Gesellschaft
sprengen können. Doch die westliche Arbeiterbewegung passte sich in den
kapitalistischen Staat ein und versandete in Reformismus. Die Revolution der
russischen Arbeiter führte zu Stalins brutaler Diktatur. So zerstoben die
Hoffnungen auf die Arbeiter als Subjekt der Emanzipation. Auch die weitere Suche nach
revolutionären Subjekten wurde nicht belohnt: Marcuse wollte in Studenten
oder sozialen Randgruppen ein neues Subjekt der Revolution erkennen. Später
hielt er Frauen oder zumindest feministische Frauen für jene, die die
Gesellschaft umstürzen sollten.

Wir halten dagegen, dass sich eine gesellschaftliche Emanzipation nicht nur
ohne ein solches Subjekt vollziehen kann, sondern dass dies nur ohne ein
solches Subjekt möglich ist. Ein Subjekt ist vielmehr ein Hindernis auf dem Weg
zur Befreiung. Denn: Subjekt sein heißt, für jemand anderen Objekt zu sein.
Ein Subjekt ist ein Mensch stets im Verhältnis zu einem Objekt, sei dies ein
anderer Mensch oder Natur. Solange es Subjekte und Objekte gibt, gibt es
Herrschaft und Unterdrückung. Objektiv ist der Zwangszusammenhang, der abgeschafft
werden muss. Mit dem Ende aller Objektivität findet auch das Subjekt sein
wohlverdientes Ende. Kommunismus heißt: Überwindung von Subjekt und Objekt als
Bruch mit der fetischistischen Herrschaft, der Herrschaft toter Dinge über die
Menschen. Das Ende des Subjekts bedeutet genau das Gegenteil vom Ende der
Individualität. 

Marxens Satz "Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein,
sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.”
(Marx: Zur Kritik der Politischen Ökonomie, MEW Bd. 13, S. 9) hat daher nur
Gültigkeit in der kapitalistischen Gesellschaft. Nach deren Überwindung werden
Menschen selbst über ihr gesellschaftliches Sein bestimmen.

3.   Gesellschaftliche Befreiung ist das Ergebnis einer sozialen Revolution.
Diese ist abzugrenzen von einer politischen Revolution. Letztere verändert
nichts als die Herrschafts-, "Macht"- und Verteilungsverhältnisse. Eine
soziale bzw. kommunistische Revolution verändert das Leben der Menschen selbst,
also die Art wie sie ihr Leben gestalten. Im Gefolge der sozialen Revolution
ändern sich die Formen der Reproduktion menschlicher Gesellschaft. Wir fassen
jene als schrittweises Ausbrechen aus fetischistischen und patriarchalen
Verhältnissen. Zentral bei dieser Umgestaltung, wesentliches Kernmoment der
sozialen Revolution, ist die Beseitigung der Arbeit. Menschen haben schon immer
Natur umgeformt. Arbeit ist jedoch die fremdbestimmte und selbstzweckhafte Weise
dies zu tun. Mit der Arbeit ist außerdem die Zuweisung bestimmter Tätigkeiten
wie Kinder-"Aufzucht", Erziehung, Liebe und Sinnlichkeit an bestimmte
Menschen (zumeist Frauen) gesetzt; sie begründet damit die patriarchale
Sphärentrennung. Mit der Beseitigung der Arbeit ergibt sich die Möglichkeit, ja besteht
die Notwendigkeit, auch die Sphärentrennung in "privat” und
"öffentlich” und somit das Patriarchat zu überwinden. Das Herauswinden und -wühlen
aus der bestehenden Gesellschaft kann sich nur schrittweise vollziehen. Wir
sprechen daher von einer emanzipatorischen Transformation jenseits von Reform
und politischer Revolution.

4.  Die von Fetischzwang und patriarchalen Verhältnissen befreite
Gesellschaft ist nicht "utopisch". Von einer Utopie sprechen wir, wenn ein sich
unabhängig wähnender Geist eine Gesellschaft am Reißbrett entwirft und sich
anschickt, seine Hirngespinste an "willenlosem Menschenmaterial" (oder solchem,
dessen Wille zu brechen ist) umzusetzen. Somit sind Utopien patriarchal und
anti-emanzipatorisch. Gerade die bestehende Waren produzierende Gesellschaft stellt
eine verwirklichte bürgerliche Utopie dar und diese wollen wir überwinden.
Wir sind also explizit anti-utopisch.

Nicht weniger übel als Utopien ist das sich realistisch dünkende, "fest im
Leben stehende” Zeitgeist- und Alltagsbewusstsein des mainstream. Wir
verabschieden uns sehr wohl von der Utopie, nicht aber von der Emanzipation,
die wir als Bruch mit dem Waren produzierenden Patriarchat begreifen.
Emanzipation ist nur negativ aus den bestehenden Verhältnissen zu bestimmen; weder ein
"Naturgesetz" noch die "historische Mission der Arbeiterklasse" führt zur
befreiten Gesellschaft. Emanzipation wird Ergebnis der Handlungen von Menschen
sein, die mit der bestehenden Gesellschaft– also mit
Wert/Abgespaltenem, Ware, Geld, Arbeit, Staat- brechen wollen.

5.  Gar nichts halten wir von einem so genannten "Bilderverbot”. Seine
Verfechter argumentieren, man dürfe und könne heute überhaupt nichts über
die Grundzüge einer emanzipierten Gesellschaft aussagen, da alle Vorstellungen
so sehr im Bestehenden befangen seien, dass sie nur Verlängerungen des
herrschenden falschen Zustandes darstellen könnten. Die befreite Gesellschaft muss
im alltäglichen Leben der Menschen ihren Ausgangspunkt finden. Revolution ist
kein einmaliger Akt, kein" Schuss aus der 'Aurora'” und auch kein
Mausklick.

Marx widmete sich der Analyse und Kritik des Kapitalismus. Alle Entwürfe
einer besseren Welt waren ihm zu recht suspekt. Allerdings dachte Marx erst von
einem sich durchsetzenden Kapitalismus aus, nicht von einem global voll
durchgesetzten. Wir aber leben heute in der Endphase dieser Gesellschaft. Ihre
Überwindung wird direkt unsere Aufgabe sein. Denk- und Handlungsverbote
bezüglich emanzipatorischer Überwindungen (nach dem falsch verstandenen, oft zum
Dogma gemachten Adorno-Satz: "Es gibt kein richtiges Leben im falschen.")
blockieren kommunistische Kritik.

6.  Unsere Gesellschaft, die Warengesellschaft, wird global vermittelt über
das Geld. Es drückt vernutzte Arbeitskraft aus und ist Zentrum eines
Produktionsverhältnisses, das auf beständigem Wachstum beruht. Beständiges Wachstum?
- Geld ist begrenzt und unbegrenzt zugleich. Begrenzt, weil jeder Mensch nur
eine bestimmte begrenzte Menge Geld besitzen kann; unbegrenzt weil es
unbegrenzte Möglichkeiten eröffnet, weil man sich nahezu alles dafür kaufen kann
bzw. angeblich könnte - von Produkten des täglichen Bedarfs bis hin zu
"Anerkennung” "Macht” und "Liebe". Eine über Geld vermittelte Produktion
bringt daher aus sich heraus die Figur des "Schatzbildners" (Marx) hervor.
Dieser verkauft zwar Waren, gibt das dafür erhaltene Geld aber nicht wieder aus,
sondern sammelt es, häuft es zu Hause an, um sich in der Zukunft mehr
leisten zu können. Doch dieser Schatzbildner ist ein dummer armseliger Tölpel, der
seine Geldscheine unter dem Kopfkissen hortet. Weit klüger als er ist ein
anderer: Der Kapitalist als Funktionsträger der Verwertungsbewegung. Er hortet
sein Geld nicht, sondern gibt es aus. Aber er gibt es nicht aus, um es zu
verprassen, sondern er investiert - er kauft mit seinem Geld Produktionsmittel
und die Ware Arbeitskraft. Diese Arbeitskraft wird in der Kombination der
Produktionsmittel zur Herstellung von Waren vernutzt, die auf dem Markt gegen Geld
getauscht werden. Und zwar gegen mehr Geld, als der Kapitalist zum Ankauf
von Arbeitskraft und Produktionsmitteln eingesetzt hat, da die Ware
Arbeitskraft als einzige Ware in der Lage ist, einen Mehrwert, d.h. mehr als zu ihrer
Reproduktion nötig ist, zu produzieren. Somit erhält der Kapitalist mehr Geld
als er vorher hatte, ist also der cleverere Schatzbildner. Einen Großteil
seines Gewinns gibt er wiederum aus, um noch mehr Geld einzustreichen und der
Kreislauf beginnt von vorn. Als Geldkapitalist schließlich verzichtet er auf die
Produktion und begnügt sich damit, sein Geld Anderen, die damit produzieren
wollen, zu verleihen. Dafür erhält er als eigenen Gewinn den Zins, der der
Preis des Geldes in Kapitalform ist und seinem Wesen nach einen Abzug vom
industriell geschaffenen Mehrwert darstellt. Das Geldkapital ist logisches Produkt
der kapitalistischen Gesellschaft, es resultiert aus der strukturellen
Teilung des Kapitals.

In der Warengesellschaft ist Bedürfnisbefriedigung bloßes Nebenprodukt der
Kapitalverwertung. Produziert wird einerseits nur, was sich zu Geld machen
lässt. Bedürfnisse von Menschen ohne Geld bzw. Bedürfnisse, die sich nicht oder
nur schwer in Geld ausdrücken lassen (Gefühle bspw.) finden keine
Berücksichtigung. Produziert wird andererseits alles, was sich zu Geld machen lässt
– selbst wenn diese Waren die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen
oder direkt deren Leben zerstören (z. B. Waffen.)
Geld ist also keine nützliche, sinnvolle Angelegenheit, die den notwendigen
Austausch der hergestellten Güter erleichtert, sondern ein gefährliches, ja
hoch brisantes gesellschaftliches Verhältnis, das Menschen im Kapitalismus
über den Weltmarkt zusammenschließt. Sie können damit über ihre Gesellschaft
nicht selbst bestimmen – etwas von ihnen selbst geschaffenes herrscht über
sie. Wir sprechen daher von einem fetischistischen Verhältnis.

7.  Eine Gesellschaft, die sich über Geld vermittelt, ist explizit
patriarchal. Die Verselbständigung einer verwertenden Sphäre der Arbeit, des Geldes
und der Ware macht es nötig, dass sich jenseits dieser Sphäre eine andere, ihr
scheinbar entgegengesetzte Sphäre etabliert: die "abgespaltene Sphäre”
der "Reproduktion", der "Aufzucht" von Kindern, der Erziehung, der
Sinnlichkeit. Dieser Bereich wurde historisch Frauen zugewiesen. Die Trennung in die
beiden genannten Sphären begründet das patriarchale Geschlechterverhältnis des
Kapitalismus. Seine Durchsetzung lässt sich als warengesellschaftliche
Reorganisation des Patriarchats beschreiben. Sie knüpft an vorkapitalistische
patriarchale Verhältnisse, die tradierte Unterordnung und Unterwerfung der Frau
durch bzw. unter den Mann an und gestaltet sie neu als Herrschaft des
männlichen Verwertungsprinzips über die als weiblich bestimmte abgespaltene Sphäre.

Der abgespaltene Bereich ist dabei nichts Angenehmes, Positives und liegt
nicht außerhalb der Warengesellschaft, sondern ist vielmehr ihr Fundament. Der
Kapitalismus lässt sich daher als Waren produzierendes Patriarchat bestimmen.

8.  Eine emanzipierte Gesellschaft ist somit eine, die sich nicht über Geld
vermittelt und in der das patriarchale Geschlechterverhältnis überwunden ist.
In einer solchen Gesellschaft können Menschen weltweit durch direkte
Absprache ihr Leben gestalten. Sie müssen aber nicht auf alles Einfluss nehmen,
sondern wirken nur in denjenigen Bereichen der Gesellschaft mit, die sie
tatsächlich selbst beeinflussen wollen. Die Art der Produkte und die Weise ihrer
Herstellung können sie dabei selbst bestimmen. Produktion und Reproduktion
zerfallen hier nicht mehr in zwei sich ausschließende und gleichzeitig gegenseitig
bedingende Sphären. Mit der Entkopplung vom Wert und seinem Ausdruck, dem
Geld, entfällt die Aufspaltung in Wertsphäre und abgespaltene Sphäre.

9.  Daraus ergeben sich Anknüpfungspunkte einer möglichen gesellschaftlichen
Praxis. Sie muss auf allen Ebenen ansetzen, auf denen das Waren
produzierende Patriarchat in seine finale Krise gerät. Diese -nur analytisch voneinander
zu trennenden- Ebenen sind: 1.) Krise der gesellschaftlichen Reproduktion,
2.) Krise des Mensch-Natur-Verhältnisses, 3.) Krise der Produktion,
Verschwinden der Arbeit. An diesen zentralen gesellschaftlichen Konfliktlinien muss eine
Überwindungsbewegung agieren.

9.1  Die Krise der gesellschaftlichen Reproduktion stellt sich wie folgt
dar: Systematisch erfasst die geldvermittelte Warenproduktion auch die als
"abgespalten” bestimmte Sphäre; die den Frauen zugewiesenen Bereiche werden
also zunehmend monetarisiert (= vergeldlicht). Kindererziehung,
Partnerschaft, Sexualität und Fürsorge werden dann immer häufiger gegen Geld verrichtet.
Diese Tätigkeiten können qualitativ allerdings nicht betriebswirtschaftlicher
Zeitsparlogik unterworfen werden; wird dies versucht, ändert sich der
Charakter dieser Tätigkeiten grundlegend. In Zeiten allseitiger Flexibilisierung
lösen sich traditionelle Institutionen wie die Familie auf. Übrig bleiben
bindungsunfähige, paralysierte und deprimierte Single-Monaden. Damit ist folgendes
verbunden: Die reproduktiven Tätigkeiten werden dann nicht mehr verrichtet,
wenn die Menschen sie sich nicht mehr leisten können; die noch geborenen
Kinder verwahrlosen. Wenn aber keine Menschen mehr hervorgebracht werden, die sich
für die Zwecke der Verwertung abrackern können und wollen, bricht die
Reproduktion der menschlichen Gattung zusammen. Der Ausweg aus dem Verfall der
Reproduktionssphäre besteht gerade nicht darin, patriarchal die Erhaltung der
Familie oder die Rückkehr der Frau an den Herd zu fordern, wie es einer
rechtskonservativen Sichtweise nahe läge. Vielmehr müssen sich antipatriarchale und
antisexistische Gruppen, Initiativen und Bewegungen etablieren, die eine
nicht-patriarchale Reproduktion, eine Überwindung der Sphärentrennung,
verwirklichen wollen. Diese Gruppen müssen gleichzeitig gegen die oben skizzierten
konservativen, restaurativen und sexistischen Bestrebungen agieren.

9.2  Die selbstzweckhafte Wertproduktion bringt umfassende Zerstörung der
natürlichen Lebensgrundlagen hervor. Der Grund dafür liegt in der oben
beschriebenen entfesselten, blinden Wachstumslogik, die auf menschliche Bedürfnisse
und Lebensgrundlagen keinerlei Rücksicht nehmen kann. Diese Zerstörung tritt
uns als globale Krise der Ökosphäre entgegen und bringt seit Ende der 70er
Jahre auch eine daran orientierte Kritik hervor. Das Bewusstsein von dieser
Bedrohung ist keineswegs prinzipiell reaktionär. Vielmehr gilt: "Bleibt es seinem
Anliegen treu, so treibt das ökologische Bewußtsein aus seiner eigenen Logik
heraus in eine ähnliche Richtung wie der wertkritische Ansatz...”
(Ernst Lohoff: Krise und Befreiung - Befreiung in der Krise, in: Krisis 18). 

Der Protest gegen die Umweltzerstörung muss wertkritisch radikalisiert und
über sich hinausgetrieben werden. Ein möglicher Ansatzpunkt hierfür wäre eine
radikale Kritik der automobilen Gesellschaft: "Die destruktiven Tendenzen der
warenfetischistisch verfassten Gesellschaft treffen beim Themenkreis
Mobilität(-szwang) und Automobil in fast 'idealer' Weise aufeinander. Hier begegnet
uns ein hochexplosives Selbstzerstörungspotential - und zwar gleichzeitig
unter ökologischen, ökonomischen wie psychologischen Gesichtspunkten”.
Daher "bieten sich kaum sonstwo so viele praktische Angriffsmöglichkeiten gegen
die schöne Maschine der blinden Wertverwertung als gerade auf diesem Gebiet.
Und zwar durchaus mit der Aussicht darauf, 'die Massen zu ergreifen', d.h.
zur realen, eingriffsfähigen Bewegung zu werden” (Lothar Galow-Bergemann:
Selbst-Bewegung statt Auto-Mobilismus - Zur Perspektive einer Bewegung gegen
den Mobilis-Muss als emanzipatorischer Praxis, in: Streifzüge 2/2002).

9.3  Die kapitalistische Produktion lässt zusehends die Arbeit verschwinden.
Innovationen im Bereich der Mikroelektronik haben einen riesigen
Produktivkraftschub erzeugt. So werden Menschen in der kapitalistischen Produktion immer
weniger gebraucht, immer mehr Arbeitsplätze werden abgeschafft, durch
nicht-menschliche Produktivkräfte (Maschinen, Software...) ersetzt. Letztes Jahr
(2002) wurden in der BRD monatlich 22 000 Arbeitsplätze wegrationalisiert.
Heute (2003) sind es monatlich 62 000 (Wirtschaftswoche Nr. 17). Auch im allseits
(bspw. von Thomas Ebermann und Rainer Trampert, den linksradikalen
Gesundbetern des Kapitalismus) als Vorbild hingestellten China ist nichts von der
Morgenröte eines erneuerten Kapitalismus zu erblicken. Dort steigerte sich die
Arbeitslosigkeit von 2,3 % im Jahr 1991 auf 3,6 % im Jahr 2001
(http://laborsta.ilo.org). Die Folge davon ist, dass immer mehr Menschen ohne Arbeit, also
ohne Einkommen und somit perspektivisch ohne Überlebensmöglichkeit vegetieren
müssen. "… soziale Härte hat es immer gegeben, aber sie stieß immer auf
Grenzen, weil die von den Menschen geleistete Arbeit… unentbehrlich
war… Zum ersten Mal ist die Masse der Menschen… materiell nicht mehr
notwendig und wirtschaftlich erst recht nicht”. Deshalb "brechen die
Grenzen zusammen. … Nie zuvor war das Überleben der gesamten Menschheit
derart bedroht” (Viviane Forrester: Der Terror der Ökonomie).

Da sich die mikroelektronische Revolution nicht rückgängig machen lässt (und
dies ist auch überhaupt nicht wünschenswert, schließlich kann
Automatisierung viele lästige Tätigkeiten aus der Welt schaffen), muss heute der Kampf
gegen die Arbeit im Zentrum von Gesellschaftskritik stehen. Weder eine
technizistische Utopie (in der eine"große Maschine" alle ernährt), noch stetiges
Schuften von Kleinproduzenten sollte das Ziel sein. Vielmehr muss eine Form der
Produktion gefunden werden, die nicht über Geld und Arbeit vermittelt wird, d.
h. eine, die den Menschen eine direkte Form der Befriedigung ihrer Bedürfnisse
erlaubt. Materielle Forderungen sind also nicht mehr in monetärer Form zu
stellen, sondern direkt zu formulieren. Perspektive wäre eine direkte Aneignung
von Wohnraum, Boden und eine selbst organisierte Re-Produktion (vgl. Gaston
Valdivia: "Zeit" ist Geld und Geld ist "Zeit", in: Krisis 19).

Die soziale/ kommunistische Revolution ist ein schrittweises Lostrennen der
neu geschaffenen "frei assoziierten Reproduktionsgenossenschaften" (Robert
Kurz spricht vom"Welt-Kibbuz") von der immer krisenhafter werdenden
Warengesellschaft. Die Negation des Waren produzierenden Patriarchats geschieht nicht
auf dem Papier, sondern wird von handelnden Menschen in der Wirklichkeit
vollzogen. Merkmale derartiger Assoziationen müssten sein:

1) wertfreie, nicht-monetäre Vermittlung im Inneren,
2) monetäre Beziehung nach außen (da viele menschliche Grundbedürfnisse
anfangs nicht ohne Geldvermittlung befriedigt werden können),
3) klare, rigide und andauernde Trennung von äußerer Verwertungslogik und
innerer Nutzungslogik,
4) Ausrichtung auf Ausweitung des wertfreien Innenbereichs und Reduzierung
des monetären Außenbereichs (wobei der "Innenbereich" die gesamte globale
wertfreie kommunistische Vernetzung umfassen kann und der"Außenbereich" die
ebenfalls globalen Reste der kapitalistischen Produktion),
5) eine Überwindung geschlechtshierarchischer Beziehungen,
6) radikaler Kampf um "Verfügbarmachung" und "Entwertung" des
Menschheitswissens (vgl. Stefan Meretz: Die freie Gesellschaft als
Selbstentfaltungs-Netzwerk).

Aus diesen Merkmalen ist ersichtlich, dass in diesen Assoziationen kein
"richtiges Leben im falschen" gelebt wird, dass sich in ihnen niemand vom "harten
Dasein" zurückziehen kann, um seine "heile Welt" zu errichten.

10.  In der finalen Krise ergibt sich also auf den genannten drei Ebenen die
Möglichkeit, die das menschliche Leben bestimmenden Verhältnisse
(Geschlechterverhältnis, Verhältnis zur Natur, Art der Herstellung von Gütern) dem
blinden Fetischzwang zu entreißen und in menschlichere Verhältnisse umzugestalten.
Mit der Globalisierungskritik begegnet uns erstmals seit langem eine Form
des Protests, die wieder materielle Forderungen stellt, sich nicht mit
kultureller Opposition begnügt und die zudem von Anbeginn transnational gestaltet
ist, also nicht nachträglich "international” gebündelt werden muss (vgl.
Ernst Lohoff: Antikapitalistisches Frühlingserwachen, in Krisis 24). 

Gesellschaftskritische Praxis darf nicht länger partikular sein. Sie muss
eine Kritik an der selbstzweckhaften Produktionsweise, am
Geschlechterverhältnis und an der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen sein. In der
gegenwärtigen historischen Situation muss kommunistische Gesellschaftskritik die
oben skizzierten Konflikte theoretisch formulieren und die Gesellschaft entlang
dieser Konfliktlinien polarisieren. So treibt sie die soziale Revolution
voran – alles andere ist Quark.

 

Wertkritische Kommunisten Leipzig, 07. August 2003


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