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Die hier archivierte Mail kann, muss sich aber nicht auf den Themenkomplex von Oekonux beziehen.

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Message 00285 [Homepage] [Navigation]
Thread: choxT00271 Message: 3/4 L1 [In date index] [In thread index]
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[chox] Re: [ox] Re: Interesse als Abstraktion



Hallo Stefan,

Am Sonntag, 31. August 2003 21:06 schrieb Stefan Merten:
-----BEGIN PGP SIGNED MESSAGE-----

Hi Matthias!

Ich verlagere mal nach `chat oekonux.de'. Ich weiß nicht, ob du da
subscribet bist.

Jetzt bin ich es.
Aber wieso nach chox? Ich finde diese Diskussion sehr wichtig und grundlegend 
für die weitere Theorieentwicklung.


Ich glaube inzwischen, dass der Grund für den Dissens in einem
tieferen philosophischen Problem liegt. So gewendet würde ich unseren
Dissens da sehen.

Ja.


Last month (33 days ago) Matthias Schulz wrote:
Am Sonntag, 20. Juli 2003 17:23 schrieb Stefan Merten:
In einer Menge von Menschen hat jedeR eigene individuelle
Gründe etwas zu tun. Überlappen sich nun diese Handlungsgründe
zwischen mehreren Menschen, kann ich diese Abstraktion, den
Durchschnitt als Interesse bezeichnen.

Hier scheint mir schon das Kardinalproblem zu liegen: Warum tust du
das denn? Hier trittst du ganz konkret als 3. Person auf und pfropfst
eine Abstraktion auf. Wozu?

Aber das Interesse ist doch die Abstraktion und damit äußerlich. Aber
dazu später mehr.

Es ist genau dann äußerlich, wenn du den Menschen als Monade
begreifst. Wenn du aber Menschen (auch) als Teil einer Gruppe
begreifst, dann ist im Beispiel unten, wo wir von 1. Person sprechen,
nichts mehr äußerlich.

Dazu schreibe ich unten was.


BTW: Ich habe neulich mal kurz (ca. 20 Seiten) was über die
Philosophie Sartres gelesen. An einigen Stellen fiel es mir wie
Schuppen von den Augen, wenn ich an das dachte, was ich von Holzkamp
bisher gehört so habe (und das ist praktisch nur die Reflexion von
StefanMz). Kann es sein, dass die Sartre'sche Philosophie eine
wichtige Wurzel für Holzkamp ist? Gerade an dieser Stelle scheint mir
das so zu sein, weil ich hier genau Sartres Bild vom Ich und den
Anderen wieder erkenne. Und diese Sartre'sche Grundauffassung teile
ich überhaupt nicht. Das entspricht scheinbar ziemlich genau unserem
Dissens.

Ich kenne Sartre nicht.


Im Abstrakt-Allgemeinen betrachte ich die Elemente eines Ganzen nur
insofern, wie sie eben dieses Ganze erschaffen. Die Elemente sind dann
nur gleiche Teile des Ganzen. Also die konkreten je individuellen
Handlungsgründe werden nur soweit betrachtet, wie sie zum Interesse
führen. Der Rest wird ausgeblendet.

Ja, hierzu hatte ich ja schon geschrieben, dass dieses
Abstrakt-Allgemeine ein mir reichlich fremdes Ding ist. Leider scheint
es euch mehr umzutreiben als mir lieb ist :-( .

Oh, mach dir mal keine Sorgen um uns ;-)
Es würde mich sehr wundern, wenn das Abstrakt-Allgemeine dir fremd ist.
Das würde nämlich bedeuten auf der Ebene der Erscheinungen zu verharren.

???

Das Konkret-Allgemeine verharrt auf der Ebene der Erscheinungen?

Nein, aber das Konkret-Allgemeine enthält doch das sinnlich Konkrete und das 
Abstrakt-Allgemeine.


Und ganz offen gestanden: Ich wüsste auch nicht, warum ich für meinen
Teil mich für das Abstrakt-Allgemeine interessieren sollte. Ist
sowieso Teufelswerk und es ist auch leicht zu vermeiden. Was soll's
also?

Das Abstrakt-Allgemeine selbst ist kein Teufelswerk ;-) . Es ist eine
wichtige Denkform um das Wesentliche, das Stabile zu erkennen.

Dazu geht auch das Konkret-Allgemeine - hatte ich verstanden.

Das Konkret-Allgemeine erfasst ein Ding in seiner Totalität, in seiner 
Bewegung und Entwicklung.


Für mich bezeichnet Gruppeninteresse eher das genaue Gegenteil: Eine
fokussierte Konkretisierung der je konkreten Gründe im Rahmen eines
Kollektivs (jetzt mal ohne das transzendente Brimborium, das diesem
Wort anhaftet). Jedenfalls ein Gruppeninteresse, das ich mir
emanzipatorisch vorstelle. Alles andere würde ich aber ohnehin als
Ideologie bezeichnen und nicht als Gruppeninteresse.

Wie willst du denn konkrete Gründe konkretisieren?

In der 1. Person Singular: Ich gehe in mich, denke darüber nach, was
für Gründe ich habe, reflektiere die mit der Realität, denke
(vieldimensional) über Mühe und Nutzen bestimmter Handlungen nach und
finde mich irgendwann (hoffentlich) bei einem für den jeweiligen
Augenblick angemessenen individuellen Interesse [euer-Begriff-hier]
wieder. Dieses Interesse [euer-Begriff-hier] wird dann für's Erste für
mich handlungsleitend.

Das ist wohl das, was ich unter Handlungsgrund verstehe.
Wie dieses individuelle Interesse ermittelt wird, weiß ich schlicht
nicht. Davon habe ich keine Ahnung und das ist auch im Moment nicht mein
Thema.

Wenn es um eine Analogie geht, wäre es aber wichtig, da Genaueres zu
wissen.

Ich weiß jetzt genaueres, siehe unten.


Für
mich ist es aber etwas völlig anderes, als das Interesse, zu dem wir
gleich kommen.

In der 1. Person Plural: Ich kommuniziere mit anderen, denke mit ihnen
darüber nach, was für Gründe wir haben, reflektieren diese mit der
Realität, denken (vieldimensional) über Mühe und Nutzen bestimmter
Handlungen nach und finden uns irgendwann (hoffentlich) bei einem für
den jeweiligen Augenblick angemessenen gemeinsamen Interesse
[euer-Begriff-hier] wieder. Dieses Interesse [euer-Begriff-hier] wird
dann für's Erste für uns handlungsleitend.

Ja, das ist das Interesse, von dem ich rede.

Gut.

Nicht das Interesse ist handlungsleitend, sondern weiterhin der
Handlungsgrund bzw. das Interesse der 1. Person Singular. Sicherlich ist
das gemeinsame Interesse ein Moment der konkreten Handlungsgründe, aber
es ist nicht selbst der Grund.

Hier nimmst du eine Trennung vor, die m.E. nicht sachgemäß ist. Auch
hier scheint wieder das Sartre'sche Verhältnis von Ich und Anderen
auf, dass er als ein unüberbrückbares verstanden hat - IIRC. Das halte
ich aber für Blödsinn.

Ja, ich auch. 
Ich schrieb ja, dass das Interesse ein Moment der Handlungsgründe ist. Ich 
trenne also nicht. Vielmehr kann ich die konkreten Handlungsgründe bzw. das 
Interesse der 1. Person Singular nur in ihrem Verhältnis und ihren 
Wechselwirkungen mit den Handlungsgründen anderer konkreter Menschen 
begreifen.
Ich gehe also nicht von der Monade aus, weil ein vereinzelter Mensch für mich 
gar nicht denkbar ist.
Ich habe eher das Gefühl, das du von der Monade ausgehst. Dein Interesse 1. 
Person Singular unterschiedet sich ja gerade vom gemeinsamen Interesse. D.h. 
für mich, dass das individuelle Interesse ein vereinzeltes ist, dem du dann 
das gemeinsame Interesse hinzufügen musst.
Dieses vereinzelte individuelle Interesse existiert aber für mich nicht, 
weshalb auch das gemeinsame Interesse überflüssig ist.

Außerdem ist ein gemeinsames Interesse noch aus einem anderem Grund 
problematisch. Wo sollte dieses sich denn befinden? Wenn ich davon ausgehe, 
das es nicht in der Luft schwebt, ;-) muss es sich in den Individuen 
befinden. Damit unterstelle ich ihnen aber ein gemeinsames, ein gleiches 
Interesse. Das kann ich nicht wissen und ich mache sie damit gleich.


Ist das gemeinsame Interesse handlungsleitend, würde ich vom entfremdeten
Fall sprechen.

Die Handlungsgründe / individuellen Interessen sind im gemeinsamen
Interesse für mich quasi verdichtet. Was für dich eine andere
Kategorie ist - die dann natürlich flugs eine äußerliche wird - ist
für mich bestenfalls ein anderer Aggregatszustand des gleichen Stoffs.
Hier liegt m.E. unser zentraler Dissens. Und der speist sich aus der
grundlegenden Auffassung vom Individuum und seinem Verhältnis zu den
Anderen.

Kannst du das mit dem "verdichtet" näher erläutern?


Entfremdet wird es dann, wenn handlungsleitende Interessen eben nicht
mehr Aggregatszustand individueller Interessen sind. Sage ich jetzt
mal so. Müsste genauer durchdacht werden.

Nun gibt es von diesen Realabstraktionen eine ganze Menge, IMHO.
Zum Beispiel auch die Politik. Sicherlich ist Politik ein Teil des
gesellschaftlichen Seins des Menschen, jedoch wenn ich mich darauf
beschränke und es quasi vom konkreten Sein abspalte, setze ich eine
Abstraktion in die Wirklichkeit.
In der FS-Community ist es immer das konkrete Sein der Menschen
welches produziert. Ich kann davon keine einzelnen Teile abstalten.

Freie Software ist auch nichts anderes als das Ergebnis der
Fokussierung der Totalität der Bedürfnisse auf bestimmte Inhalte von
relevant vielen Personen. Diese Personen "zwingen" sich auf, dass
Freie Software etwas Wichtiges sei, für das sie sich Mühe geben
möchten.

Hm, Freie Software ist IMHO das Ergebnis einer Vielzahl
unterschiedlicher je individueller Handlungsgründe, die sich nicht auf
ein Abstraktum, auf den Durchschnitt beschränken müssen.

Für mich liegt der Fehler im Schritt von einer Fokussierung zur
Realabstraktion.

Eine Fokussierung ist leicht änderbar und schon das Wort beschreibt
die Tatsache, dass ein Ausschnitt aus einer Vielheit hervorgehoben
wird. Wie bei einer Lupe ist der Rest dadurch aber nicht weg sondern
eben nur gerade nicht im Fokus. Politik, etc. *kann* ich jetzt als
eine solche Fokussierung auf einen bestimmten Ausschnitt aus Themen
der menschlichen Existenz ansehen. So würde *ich* *alle* Begriffe
bilden wollen.

So funktioniert IMHO das Abstrahieren. Das ist eine wichtige
Voraussetzung. So siehst du aber nur lauter einzelne Elemente, die du
dann später irgendwie zusammen bringen musst.

Nein, nein, nein!! Das ist die Stanze!! Es sind *nicht* lauter
unverbundene Elemente. Wenn du mit einer Lupe auf einer Straßenkarte
operierst, dann siehst du auch, dass die Straßen am Rande deines
aktuellen Fokus weiter gehen. Die Lupe berücksichtigt das und von
daher ist gar nicht die Notwendigkeit, da irgendwas a posteriori
wieder zusammen zu bringen. Die Stanze sagt, dass die Straßen da
enden. *Dann* machst du allerdings einen kapitalen Fehler.

Was ist, wenn das Element nur aus dem Ganzen herraus
begreifbar ist?

Das ist genau das, was ich meine! *Alles* ist nur aus dem Ganzen
heraus zu begreifen. *Alle* Straßen führen am Rand weiter. *Alles*
andere ist Humbug bzw. ein kapitaler Fehler. Und ich hatte verstanden,
dass ihr diesen Humbug mit allgemein-abstrakt bezeichnet. Aber dennoch
kann ich mir die Straßenkarte einer Stadt anschauen und Sinnvolles
daraus lesen.

Hm, aber warum sind diese Straßen denn dort und warum verlaufen sie so und 
nicht anders?
Ich denke, ich kann den Verlauf der Straßen innerhalb einer Stadt nur als ein 
Moment eben dieser Stadt begreifen. Eine Stadt bringt die Straßen hervor, die 
ihr entsprechen. Also kann ich auch die Stadt nur begreifen, wenn ich sie als 
ein Moment des Straßennetzes betrachte. Und das kann ich nicht sehen, sondern 
nur begreifen.
Weiß ich nicht, das die Stadt die Straßen ihren "Bedürfnissen" entsprechend 
hervorbringt, betrachte ich die Straßen als der Stadt äußerlich. Halte ich 
nun das für die Wahrheit und gestalte die Welt so, baue ich die Straßen für 
die Stadt, die ihr dann nicht entsprechen und somit real äußerlich sind 
(Realabstraktion).
Es geht also darum Straßen (Strukturen) zu bauen, die mir selbst entsprechen 
und nicht zu überlegen, wie sie aussehen müssten, damit sie anderen 
entsprechen. Das kann ich nicht wissen. Außerdem kommen die Straßen, welche 
ich für mich baue, auch anderen zu Gute, weil ich eben nicht vereinzelt bin.


Aber vielleicht kommen wir ja so auch zusammen: In der Praxis ist
dieses Aus-dem-Ganzen-heraus-begreifen in einer bestimmten Situation
natürlich immer nur bis zu einem gewissen Grad leistbar. Bei genügend
mangelnder Sorgfalt mag dann auch mal im Ergebnis eben das raus
kommen, was ihr als allgemein-abstrakt bezeichnet. Ich könnte jetzt
mit euch argumentieren: Das ist nicht schlimm, das muss mensch nur
wissen. Na, vielleicht finden wir uns ja doch noch irgendwie ;-) .

Wenn du den Schritt zur Realabstraktion machst, dann wirfst du die
Lupe weg und stanzt aus dem Gesamtbild ein Fragment heraus. Das ist
wie Ideologien funktionieren und immer bescheuert. Aber es ist doch
eigentlich ziemlich leicht, dass einfach zu lassen - oder?

Naja, bei den Realabstraktionen hast du doch immer mehrere, z.B. Politik,
Kultur, Ökonomie... die alle miteinander in Beziehung stehen und ein
Ganzes bilden. Es sieht aus, wie durch die Lupe, nur größer ;-) .

Im Kapitalismus ist das gesellschaftliche Sein aufgespalten in z.B.
Politik, Kultur, Ökonomie... aber auch Wissenschaft, Theorie ;-)
... Das sind alles Realabstraktionen, IMHO.

Das sind alles Fokussierungen - ja. Kein wesensmässiger Unterschied
zu Freier Software an dieser Stelle.

Bis du jetzt anderer Ansicht?

Nein. Es kommt darauf an, was mensch mit der Fokussierung macht.
Mensch kann fokussieren und sich für einen Moment auf etwas
konzentrieren. Da wird nichts weg geworfen. Und mensch kann die Stanze
nehmen und den Rest weg werfen - erst dann ist es eine
Realabstraktion. Aus meiner Sicht kommt es lediglich darauf an, nicht
das falsche Werkzeug zu nehmen - um im Bild zu bleiben.

Das mit dem Fokussieren und der Lupe hingt etwas, IMHO. Es heißt ja auch
nicht umsonst Abstrahieren. Du betrachtest nur einige Eigenschaften eines
Dings. Nicht das Ding selbst. Was du abstrahierst existiert nicht
wirklich. Wenn du das aber nicht weißt, und es für die Wirklichkeit
hältst und sie so gestaltest, wird es eine Realabstraktion.

Es ist grundsätzlich (zumindest Menschen - und über die reden wir)
nicht möglich, das Ganze zu erfassen. Postuliere ich. Deswegen machst
du notwendig immer einen Fehler bei der Begriffsbildung. Das musst du
wissen. Aber die Lupe weiß das.

Einen bestimmten konkreten Menschen kann ich in seiner Totalität nicht 
erfassen, den Menschen als solchen aber schon. Das ist ja gerade die konkrete 
Verallgemeinerung.

Bis dann, Matti.

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