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Message 00287 [Homepage] [Navigation]
Thread: choxT00287 Message: 1/1 L0 [In date index] [In thread index]
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[chox] Bill Joy verläßt Sun



Angst vor der Zukunft
http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/5897/1.html
 
 Florian Rötzer   13.03.2000 

Bill Joy, Mitbegründer von Sun, warnt vor der sich verselbständigenden Technik 
und fordert mehr Kontrolle des technischen Fortschritts 

Es muss schon ein Ereignis der besonderen Art sein, wenn in großen 
amerikanischen Zeitungen wie der Washington Post oder der New York Times die 
Bedenken eines Angehörigen der technischen Elite gegenüber dem technischen 
Fortschritt Eingang finden, zumal der Artikel "Warum die Zukunft auf uns 
verzichten kann" erst morgen in  Wired erscheinen wird. 

Besessen von der besseren Zukunft, die der technische Fortschritt mit sich 
bringen wird, und erregt von den noch immer explodierenden Börsenbewertungen 
der Internetindustrie oder der Biotechnologiebranche, die den Investoren 
offenbar ein Standbein in der ökonomischen Nahzukunft zu gewähren scheinen, 
haben es natürlich kritische Einwände schwer. "Offiziell" muss von den 
Angehörigen der Branche Optimismus verkündet werden. Gerade hatte erst 
Computerpionier Danny Hillis voller Optimismus verkündet, welche Segnungen 
doch die Compuerspiele mit sich bringen werden und dass die Menschen auch 
bereit seien, mit den Maschinen zu verschmelzen (  Danny Hillis über die 
Zukunft des Entertainment, die Macht der Spiele-Entwickler und die 
Verschmelzung von Mensch und Maschine). Da mag es schon überraschen, wenn 
Bill Joy, Mitbegründer von  Sun Microsystems, ankündigt, die neuen 
Technologien könnten schon innerhalb der nächsten zwei Generationen zu einer 
Auslöschung der Menschheit führen. 

Vielleicht ist es aber auch so, dass ein Experte der Informationstechnologie 
wissen muss, wovon er spricht, und wenn er dann auch noch ein tiefsitzendes, 
vom Optimismus kaschiertes Unbehagen an dem Sog zum Ausdruck, der uns mit 
aller Kraft und schwindelerregender Geschwindigkeit in eine unbestimmte 
Zukunft zu ziehen scheint, dann dürfen wir einmal wieder aufhorchen. 
Andererseits haben mittlerweile die Politiker die Zukunft mit Ankündigungen 
und Programmen besetzt verkünden die entschiedene Entschlossenheit, uns so 
schnell wie irgend möglich ins Informationszeitalter oder, je nach Belieben, 
in die Wissensgesellschaft zu katapultieren, weil sonst der Untergang des 
jeweiligen Standorts droht. Es könnte ja sein, dass diese Affirmation aus der 
Politik der Mitte, die Angst zum Hebel des Fortschritts macht, es den 
Avantgardisten erlaubt oder abnötigt, um wieder an der Front des 
Weltgeschehens zu stehen, nun in mentale Distanz zum technischen Fortschritt 
zu gehen. 


Wie auch immer, Bill Joy legt seine Prognose, die er als warnenden Aufruf 
versteht, zumindest für das schnelllebige Internetzeitalter so weit in die 
Zukunft, dass unmittelbare Geschäftsinteressen nicht bedroht sind, weswegen 
er fast gleichzeitig in Fortune den sehr viel optimistischeren Artikel 
 Digital Wonders veröffentlichen konnte, der uns die Ankunft in einer 
allgegenwärtigen digitalen Zukunft verspricht. Da geht es eben, wie Joy 
betont, nur um die nahe Zukunft, in der er keineswegs damit spielt, seine 
Arbeit an neuen Programmen wie Jini einzustellen. Aber der Experte droht, er 
könne sich jetzt durchaus vorstellen, dass ein Tag kommen könnte, an dem er 
moralisch verpflichtet sein würde, aufzuhören, wenn Software die Welt nicht 
mehr zu einem "sichereren und besseren Ort" machen wird. Zumindest passt es 
ja dann, dass er vermutlich schon im Altenteil sitzen wird, wenn es soweit 
ist. 


Die Bedrohungen kommen für ihn vor allem aus den drei Zukunftstechnologien 
Genetik, Nanotechnologie und Robotik, die "ganz neue Arten von Unfällen und 
missbräuchlichen Anwendungen" hervorbringen können. Gefährlich sei das vor 
allem deswegen, weil diese Technologien von einzelnen Menschen oder kleinen 
Gruppen eingesetzt werden können: "Sie erfordern keine großen 
Produktionsanlagen oder seltene Rohmaterialien. Wissen allein wird genügen, 
um sie einzusetzen." Die Gefahr gehe also nicht von "rogue states", sondern 
von bösen Einzelpersonen aus, was alles noch schlimmer mache als bei den 
Nuklearwaffen. Da steht er im Einklang mit den von der US-Regierung 
ausgearbeiteten Sicherheitsstrategien, die angesichts von Infowar, 
Cyberterrorismus oder biologischern Waffen diese Bedrohung durch einzelne 
Menschen aber bereits in der Gegenwart ansetzen. Das ist aber wahrscheinlich 
dem Computerexperten doch zu nah und auch zu pragmatisch, schließlich wäre 
dann auch womöglich Sun gefordert, nicht nur relativ folgenlos darüber 
nachzudenken, was man machen könnte, sondern zu handeln, indem man dem 
Fortschritt Zügel anlegt. Just das nämlich fordert Joy nämlich in Zukunft als 
"einzig realistische Alternative: die Entwicklung von Technologien zu 
begrenzen, die zu gefährlich sind, indem man unserem Nachgehen nach 
bestimmten Arten des Fortschritts begrenzt." 


Nicht ganz unbescheiden positioniert er sich in der Nachfolge derjenigen 
Wissenschaftler, die vor dem Aufkommen der Atombombe gewarnt haben. "Wir 
hätten von der Herstellung der ersten Atombombe und dem daraus entstehenden 
Wettrüsten etwas lernen müssen. Wir haben das damals nicht gut gemacht, und 
die Parallelen zu unserer gegenwärtigen Situation sind beängstigend." Daher 
fühle er jetzt eine stärkere "persönliche Verantwortung - nicht für die 
Arbeit, die ich bereits getan habe, sondern für diejenige, die ich ausführen 
könnte" - weswegen alles noch schön theoretisch bleibt und das Geld weiterhin 
fließen kann. 


Provokativ allerdings ist, weswegen seine Ausführungen wahrscheinlich auch so 
gut ankommen, dass er sich jetzt zu seinem Leidwesen in der Nähe der Kritik 
des Unabombers findet, der mittlerweile gut verwahrt mit einer 
lebenslänglichen Strafe im Gefängnis sitzt. Der ehemalige Mathematiker hatte 
nämlich gesagt, dass der technische Fortschritt die Menschheit bedroht - und 
zu Bomben gegen Wissenschaftler und andere Agenten der technischen 
Nomenklatur gegriffen, um durch diese Propaganda der Tat eine Umkehr 
einzuleiten, während er sich selbst in die Wälder von zurückgezogen hatte und 
dort ein einfaches Leben führte (  Bomben aus der Wildnis). 

Wie Minsky, Kurzweil oder Moravec glaubt jedenfalls auch Joy, dass immer 
leistungsfähigere Computer zu superintelligenten Robotern führen werden, die 
schließlich mit den Menschen konkurrieren werden. Die Gentechnologie werde zu 
biologischen Waffen führen, die selektiv töten können, aber auch zu neuen 
Lebensformen. Und die Nanotechnologie könne autonome Kleinstmaschinen 
erschaffen, die sich selbst replizieren und Unheil anrichten könnten, wenn 
man sie freilässt. Die schlimmste Gefahr drohe durch die unkontrollierte 
Freisetzung von sich fortpflanzenden und mutierenden mechanischen oder 
biologischen Produkten: "Auch wenn Replikation in einem Computer oder einem 
Computernetz nur ärgerlich sen kann, führt eine unkontrollierte 
Selbstreplikation bei diesen neuen Technologien zu einem weitaus größeren 
Risiko: dem Risiko einer erheblichen Schädigung in der materiellen Welt." Das 
ist nun zwar wirklich keine neue Erkenntnis, geschweige denn eine neue 
Warnung, aber führt Joy wohl nicht etwa zur Solidarität mit den 
zeitgenössischen Gentechnikkritikern, weil ja alles erst noch kommt. Oder 
nähert er sich gar dem amerikanischen Geistlichen an, für den sich die Teufel 
in die Computer einnisten können? (  Austreibung des Teufels aus dem 
Computer) 

Insgesamt drohe eine "Replikationsattacke in der materiellen Welt", die mit 
den Angriffen in der virtuellen Welt vergleichbar sei, durch die einige 
kommerzielle Websites kürzlich lahmgelegt wurden. Jedenfalls scheint Joy die 
alte Frankenstein- oder Golem-Angst vor der Verselbständigung der eigenen 
Erfindungen zu beunruhigen: "Wenn man etwas los lässt, das Kopien von sich 
selbst herstellen kann", sagte er i einem Interview, " dann ist es schwierig, 
das wieder zurück zu holen. Das ist so schwer, wie die Ausmerzung aller 
Mücken: Sie sind überall und vermehren sich. Wenn sie angegriffen werden, 
mutieren sie und werden immun. Das lässt die Möglichkeit für einzelne 
Menschen entstehen, etwas extrem Böses auszuführen. Wenn wir nicht handeln, 
ist das Risiko sehr groß, dass ein einzelner verrückter Mensch etwas sehr 
Schlechtes macht." 


Dann kritisiert er nicht nur die Wissenschaftler, die über mögliche Risiken 
ihrer Forschung schweigen, sondern meint auch, dass die vom Markt, also von 
kommerziellen Interessen bestimmte Entwicklung neuer Technologien nicht von 
selbst durch die unsichtbare Hand kontrolliert würden. Wird also Joy ein 
Vorbild setzen und aus der technischen Entwicklung aussteigen? Gefragt, wie 
er selbst die Entwicklung begrenzen wolle, sagte er nur "stammelnd", wie die 
Washington Post anführt: "Sun hat sich immer darum bemüht, ein ethischer 
Erfinder zu sein. Wir stellen Werkzeuge her. Ich weiche hier vom Thema ab." 
Man muss also nicht fürchten, dass Joy ein zweiter Unabomber wird, und die 
Shareholder von Sun brauchen keine Angst zu haben, dass im Unternehmen 
plötzlich zuviel persönliche Verantwortung gegenüber dem technischen 
Fortschritt aufkommt. Und wahrscheinlich sollen eine mögliche Begrenzung dann 
doch die Politiker machen, denen ansonsten immer von der Industrie 
eingehämmert wird: "Hands off!" 
 
-- 

Denke global, handle vernetzt
A Message from a Linux- Desktop, M$ free
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