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Eine Fragerunde über Krise und Zusammenbruch Das Folgende präsentiert unsere Auffassung über Krise und Zusammenbruch in Form eines fiktiven Interviews. Die Fragenden seien in unterschiedlichen gesellschaftskritischen Zirkeln sozialisierte Menschen, die einiges über die Zusammenbruchstheorie der "Krisis" gehört und gelesen haben, deren Vorbehalte sich aber nicht ausräumen ließen. Der Antwortende ist der Krisentheoretiker. Frage: Ihr tretet mit der steilen These an, dass es immer weniger Arbeit gibt. Was unterscheidet euch eigentlich vom schnarchnasigen Ex-Wirtschaftsweisen Horst Siebert, der 1994 die Frage aufwarf: "Geht den Deutschen die Arbeit aus?" Siebert findet Arbeit Klasse. Wir finden Arbeit Scheiße. Er macht sich Sorgen um den Bestand des von ihm gepriesenen Systems und fühlt, dass zu diesem die Arbeit eine innige Beziehung hat. Da spielen neo-keynesianische Erwägungen eine Rolle (also das Problem, dass das Geld, mit dem die Leute den Kapitalreichtum mehren sollen, irgendwo herkommen muss), aber auch die Angst, dass die unnützen Massen auf dumme Gedanken kommen könnten. Im Übrigen ist der Siebert so begriffslos wie die Freiburger "Ideologiekritik", denn für ihn ist alles, was gegen Geld getan wird, wertschaffende Arbeit, was Blödsinn ist. Er ist begriffslos, weil er weder weiß, was Arbeit überhaupt, noch gar was produktive Arbeit ist. Frage: Wer will schon festlegen, was produktiv und unproduktiv ist, der Kapitalismus schert sich um eure Unterteilung überhaupt nicht! Ganz davon abgesehen, dass "produktiv" verdammt hässlich nach einem Lob des guten Schaffens gegen das unproduktive Rumhängen klingt. Solange jemand was herstellt, wofür ein anderer was bezahlen will und kann, solange läuft diese Wertgesellschaft weiter. Ich habe das Gefühl, euch dient "produktive Arbeit" als Ausrede dafür, einen Rückzieher machen zu können, wenn das mit eurer Krise nicht klappt. Kapitalismus heisst Kapitalgesellschaft und das heisst Bewegung, Kreislauf: G-W-G´. Das G eines neuen Kreislaufs muss das G´ des vorherigen sein – sonst stockt der Kreislauf, d. h. die Verwertung. Nur diejenigen Kapitalgüter und diejenige Arbeitskraft haben das Recht, ersetzt zu werden, die im vorigen Kreislauf an der G-Produktion teilgenommen haben, Kapitalgüter und Arbeitskraft können nur insoweit vermehrt eingesetzt werden, wie der Mehrwert des vorherigen Umlaufes reicht. Eine Ausdehnung darüber hinaus mag erlaubt sein, ist aber immer prekär und muss zu Krisen führen. Das ist alles, was "produktive Arbeit" sagen will. – Zum zweiten Punkt: Wenn wir uns zwischen "produktiver Arbeit" und "Rumhängen" entscheiden könnten, sind wir selbstverständlich fürs Rumhängen. Zum letzten Punkt: Nein, das ist keine Ausrede, sondern die einfache Einsicht, dass Kapitalismus nie eine Gesellschaft werden kann, in der alle Kaufmannsladen spielen, wir uns also gegenseitig Hamburger und Pauschalreisen verkaufen, ohne zu wissen wo das Zeug herkommt. Zusammengefasst: Produktive Arbeit ist die Arbeit, die den Kreislauf G-W-G´ am Leben hält. Ja, diese Definition ist zirkulär, so zirkulär und widersprüchlich wie die Existenz des Kapitals selbst, d. h. ist diesem und seiner Gesellschaft also die einzig angemessene. Frage: Marxisten haben schon vor euch jahrzehntelang aus dem Fall der Profitrate den ultimativen Untergang diagnostiziert. Na und, ist er gekommen? Die Profitrate als Verhältnis von Profit (dem Wesen nach: Mehrwert) und eingesetztem Gesamtkapital ist das Maß der Verwertung, Maß also für die Höhe, in der eingesetztes Kapital Wert heckt. Dieses Maß setzt voraus, dass es Wertsubstanz überhaupt gibt. Ob die Profitrate nun 10, 1 oder 0,1% ausmacht, ist völlig gleichgültig. In der heutigen Zeit geht die Wertmasse selbst verloren, produktive menschliche Arbeit wird durch die Verwissenschaftlichung der Produktion im Zuge der mikroelektronischen Revolution absolut eingespart; das Maß "Profitrate" verliert also seinen Halt dadurch, dass die Wert- und damit auch die Profitmasse fällt. In jeder Einzelware "steckt" also nur noch eine winzige Dosis "Wert". Kompensieren ließe sich dies nur durch die komplette Überschwemmung der Welt mit Waren, die den sofortigen Kollaps des Ökosystems auslösen würde bzw. durch die Schaffung neuer Produkte, die viel Arbeit benötigen UND die von produktiven Arbeitern konsumiert werden. Im Übrigen finden wir, dass eine Position, die nahelegt, dass der Zusammenbruch nicht kommen könne, weil er noch nicht gekommen ist, das Denken beleidigt. Frage: Du hast vorhin gesagt, eine Ausdehnung des Kapitaleinsatzes über G´ hinaus ist zwar erlaubt aber prekär. Ich sage dir: Diese Ausdehnung findet täglich statt und zwar über den Kredit. Mit ihm ist fiktives Kapital gesetzt, wusste schon Marx. Ihr aber tut so, als sei das Auftauchen des fiktiven Kapitals das ultimative Argument für die finale Krise, weil mit ihm angeblich immer klarer würde, dass die Wertsubstanz abschmilzt. Stimmt, man darf nicht so tun, als würde Kredit nicht zur Kapitalgesellschaft gehören. Doch sollte man sich folgenden Unterschied klar machen: Kredit ist dazu da, Stockungen im Rückfluss auszugleichen oder dazu, einem Betrieb für dessen Waren Absatzmöglichkeiten vorhanden waren/sind, die Einsatzelemente (c + v) vorzufinanzieren. Das heisst: Sein Einsatz ist seinem Wesen nach darauf gerichtet, Krisenpotenzial, das letztlich auf das Auseinanderfallen von Produktion und Zirkulation zurückgeht, abzumildern. Die riesigen Dimensionen des heutigen fiktiven Kapitals (= Papiere, die einen Rechtstitel auf Zins oder Profit tragen, sofern sie selbständige "Werte" ohne kapitalproduktiven Hintergrund sind) stehen für eine qualitativ andere Sache: Da kaum noch produktive Anlagemöglichkeiten existieren, wirft sich Kapital in die Finanzsphäre, in der es so tun kann, als würde Geld tatsächlich ohne Vermittlung Geld hecken. Noch stattfindende Produktion wird fast nur noch aus dem G´ der Finanzsphäre finanziert, hängt also am Tropf des fiktiven Kapitals. (Fast muss man Unternehmen dankbar sein, dass bei ihrem Geschäft irgendwelche konsumierbaren Waren rauskommen, also nicht alles über die Finanzabteilung läuft; vgl. den Witz über "Siemens" als "Bank mit angeschlossenem Elektroladen"). Es ist offensichtlich, dass dies eine fürchterlich prekäre Angelegenheit ist, denn wenn die riesige Spekulationsblase platzt und die Kreditketten reißen, stürzen sämtliche Unternehmen, die nur mit diesem Prekärgeld gegründet wurden, in den Abgrund - völlig egal, ob sie "handfeste" Dinge herstellten, also scheinbar produktiv waren. Frage: Krisen hat's immer gegeben, sie gehören nun mal zum Kapitalismus. Zugegeben: Was jetzt kommt, wird härter als alles, was es zuvor gab, doch die letzte Krise ist das nicht. Gegenfragen: Warum wird denn alles härter, wenn wir's mit kapitalistischem Normalbetrieb zu tun haben? Dein Gefühl kannst du wohl nicht begründen?! Noch mal: Das Lebenselixier dieser Gesellschaft ist der Wert. Seine Substanz nimmt von Tag zu Tag ab, keine Kompensationsmöglichkeiten (s.o.: neue Produkte usw.) stehen zur Verfügung. Somit zwingt die Logik zur Diagnose: Der Kapitalismus hat keinen säkularen Aufschwung mehr vor sich, wir leben in seiner Endzeit. Noch eine Klarstellung: Wenn wir von finaler Krise reden (die nicht irgendwann kommt, sondern in der wir jetzt leben), meinen wir nicht eine ganz schlimme zyklische Krise, die automatisch das Kapital abschafft, sondern postulieren: diese Strukturkrise ist gekennzeichnet durch Auto-Kannibalismus des Kapitals und nicht durch das Herausnehmen einiger Kapital- und damit Wertteile aus der gesellschaftlichen Reproduktion. Frage: Ihr wartet auf die Krise, gefallt euch zynisch in pessimistischem Fatalismus, statt bspw. die USA in ihrem Abwehrkampf gegen die ärgsten Krisenerscheinungen im Irak zu unterstützen. Warum lest und schreibt ihr überhaupt noch? Die USA versuchten im Irak Ruhe für das letzte bisschen mögliche Verwertung innerhalb ihres Einflussbereiches zu sichern. Zynisch ist nicht der Kritiker, der das Eingreifen der USA sachlich als durch Sicherheitsbedürfnisse motivierten Weltordnungskrieg beschreibt, sondern derjenige, der im sicheren Berlin sitzend Elogen auf die US-Army schreibt und nicht mal den Mumm hat, sich in einen Kampfpanzer zu setzen. Das Kapital verröchelt in Agonie und bäumt sich ein letztes Mal auf, die unsichtbare Hand schlägt wild um sich. Wenn es schon nicht mehr sein darf, soll nichts mehr sein dürfen. Seinen letzten großen Abgang, den endgültigen Türenknall, der die Welt einstürzen ließe, müssen wir ihm vermasseln – das heisst, wir müssen Kritik üben: indem wir den falschen Zustand analysieren, beschreiben, seine Menschenfeindlichkeit zeigen und damit seine Abschaffung betreiben. Frage: Ihr wartet auf die Krise. Für euch ist alles schon in Butter, weil die Aufhebungsbewegung alles richtet. Mit den Worten von Franz Schandl: Die Krise richtet nichts, sie richtet nur hin. Die freien Assoziationen in Form von Reproduktionsgenossenschaften (s. Flugblatt) sind eben nicht ein Kommunenidyll, sondern bittere Notwendigkeit. Das heisst: Die Aufhebungsbewegung wird richtig Stress und kein Spaziergang. (Bemerkung am Rande für Antideutsche: Die beiden eben angeführten Fragen schließen in ihrer Intention einander logisch aus. Man wird sich schon entscheiden müssen, welche man geltend macht.) Frage: Ihr blickt vom Ende der Geschichte. Der Weltgeist ist im Grunde "Krisis" plus "Wertkritische Kommunisten". Dabei ist unausgemacht, was genau passiert... Wir sind Gegner jedes Geschichtsdeterminismus´. Die Geschichte rollt nicht nach vorgegebenem Plan ab. Zwar ist ein immer tieferes Versinken in der Barbarei wahrscheinlicher, als menschliche Emanzipation, doch sicher ist eben gar nichts. Nicht für uns, sondern bspw. für den Freiburger ideologiekritischen Reduktionismus ist immer schon "alles klar", bewegt sich nichts mehr. Kritiker wollen das bestehende Schlechte, in das wir alle hineingeboren wurden, analysieren, um Möglichkeiten zu finden, sich aus ihm herauszuwühlen. Doch diejenigen, die ihre Textproduktion darauf beschränken, zu untersuchen, was die Leute so schwatzen, sind nicht kritisch. Wer als Freund der Aufklärung denen, die die Notwendigkeit dieser Reproduktionsgenossenschaften dartun, Gemeinschaftsterrorismus unterstellt, sollte gefälligst arbeiten gehen und "etwas aus sich machen" (Bahamas-Autor Justus Wertmüller und alle Eltern dieser Welt). Er bleibt im Übrigen so sehr Diskurstheoretiker (das exzessive Adorno-Zitieren ist da ganz gleichgültig) wie die, deren größtes Problem deutsche Großmachtambitionen sind. Als ob es irgendwie wichtig wäre, was Deutschland will und nicht das, was es macht (im Theater ist "ambitioniert" ein Schimpfwort für "wollen und nicht können"). Frage: Das Kapital ist ein rein ideologisches Verhältnis; wer seinen Widersinn nicht zur Kenntnis nimmt, nähert sich ihm logisch, das heisst mit dem Willen zu Theorie, die immer schon rationalisiert, in ihren Gegenstand Logik investiert. Beim Kapital, einem unlogischen, doch realen "Gegenstand" muss Theorie versagen. Das klingt ganz fetzig radikal, ist aber nur Resignation, aus der keine Befreiung folgen kann. Hier ist die Frage angebracht: Warum lest und schreibt ihr überhaupt noch? Unseres Erachtens ist es bizarr, dass es für theoretisch reflektierte Linke tagesaktuell zu sein scheint, in wissenschaftlicher Manier die Geschichte des Subjektbegriffs auseinanderzufaseln, die Untersuchung des Geschehens in der Weltwirtschaft jedoch als esoterische Spinnerei anzusehen. Wer dein Statement ernst nimmt, wird gefälligst Agnostiker, der sagt noch ein einziges Mal "Nein!" zur Gesellschaft und muss dann den Mund halten. Wenn der Gegenstand undurchschaubar widersinnig ist und bleibt, gibt's nix zu analysieren, nix zu agitieren und auch Adornos Aufforderung "mit dem Begriff gegen den Begriff" zu denken, ist abzulehnen, denn: Wo ist der Standpunkt der Kritik, wie ist Kritik dann überhaupt möglich? Wir glauben, dass die Debatte über Logik/Unlogik des Kapitals unnötig verkompliziert wird, um sich in schicker Resignation, in "kritischem Pessimismus" (Brick/Postone) einzurichten. Im Grunde ist die Sache einfach: "Wie jeder Mensch in seinem persönlichen Leben virtuell zu sich selbst auf Distanz gehen und sich in seinem Denken und Handeln selbst beobachten kann, so ist dies auch hinsichtlich der eigenen Gesellschaftlichkeit möglich. Und dabei handelt es sich ja auch nicht um ein bloßes intellektuelles Glasperlenspiel, sondern um die unausweichliche Verarbeitung negativer Erfahrungen von Zumutung, Leid und Unlebbarkeit. Daß diese Verarbeitung als ideologische (im Sinne eines falschen, nämlich affirmativen Bewußtseins) mit mörderischen Konsequenzen geschieht, macht die kritische und emanzipatorische Verarbeitung nicht unmöglich. Das Individuum geht eben nicht in seiner bürgerlichen Subjektform auf." (Kurz, Fanta auf Lebenszeit) Frage: Wann ist denn nun Schluss mit Wert, Ware, Geld, Arbeit, Staat? Die Krisis ist früher mehrfach in die Falle gegangen, Voraussagen zu treffen. Wir wollen da nicht mitmachen. Nur soviel: Wir reden über Jahrzehnte, nicht mehr Jahrhunderte. Mausebär -- NEU FÜR ALLE - GMX MediaCenter - für Fotos, Musik, Dateien... Fotoalbum, File Sharing, MMS, Multimedia-Gruß, GMX FotoService Jetzt kostenlos anmelden unter http://www.gmx.net +++ GMX - die erste Adresse für Mail, Message, More! +++ _______________________ http://www.oekonux.de/
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