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Message 00404 [Homepage] [Navigation]
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[chox] vaterlandsliebe



heyho,

hier - zur abschreckung - der aktuelle leitartikel aus der
"ost-west-wochenzeitung freitag". steht dort auf seite 1. auf seite 2 ein (durchaus
differenzierter) kommentar von franz schandl zur finanzsituation der kpö, drohenden
einstellung der parteieigenen "volksstimme" etc.. 

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DEUTSCHE EINHEIT 2003 

Peter Michael Diestel

Abgekippt    


Ihr habt genug bekommen - so lauten die Glückwünsche der alten an die neuen
Bundesländer 



"Ich habe nur ein Vaterland, das heißt Deutschland ... Mein
Glaubensbekenntnis ist Einheit." Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein,
der preußische Minister, der das sagte, fiel in königliche Ungnade, weil er
widerspenstig, hartnäckig und ungehorsam war gegen Dummheit und Dünkel. Auch
Napoleon kanzelte ihn ab. Na und? Steins Staatsreformen wogen das bei weitem
auf. Sie waren gut, weil sie das Land voranbrachten. Ohne das Volk
auszuplündern. Seine Tugenden wären in heutigen Zeiten des wohlfeilen Opportunismus bei
Hofe und anderswo gleichermaßen vonnöten. Seine Vaterlandsliebe, die ich von
Herzen teile, nicht minder. Sein Glaubensbekenntnis Einheit erst recht. 

Für mich vollzog sich im eruptiven Prozess der Jahre 1989/1990 das, was
Dichter und Denker von einst wollten, was Bismarck "von oben" vollzog und nunmehr
"von unten" geschah. Wir sind zurückgekehrt und wieder da, wo wir
hingehören, dachte ich in jener bewegten Zeit. Im deutschen Vaterland. Mit Brüdern und
Schwestern gleicher Zunge, gleicher Kultur, gleicher Historie, gleicher
Tradition, mit schönen alten Städten und Landschaften. Was wollte ich mehr?
Endlich konnte zusammenwachsen, was zusammengehört. In Frieden und Freiheit. Weil
die Völker der einen Front des Kalten Krieges den obersten Kommandostellen
beider Seiten unmissverständlich deutlich machten: Wir wollen nicht mehr. Lasst
ab - wir sind das Volk. 

Was denke und empfinde ich heute? Im Jahr der 13. Wiederkehr des Jubel- und
Freudentränentages am Brandenburger Tor und überall in deutschen Landen?
Meine Grundstimmung ist geblieben. Ein Vaterland zieht man nicht aus wie ein
Hemd, erst recht nicht in Globalisierungzeiten. Doch Etliches wuchert seit 1990
wie ein Krebsgeschwür. Es lässt mich grauen. Und an Hölderlin denken: "Wohl
dem Manne, dem ein glühend Vaterland das Herz erfreut und stärkt. Mir ist, als
würde ich in den Sumpf geworfen ... wenn einer an das meinige mich mahnt." 

Wäre es nicht ehrlicher, den 3. Oktober umzubenennen? In den Tag des
ostzonalen Beitritts, der zugleich ein finaler Abtritt war. Denn im Bewusstsein der
(medialen) Öffentlichkeit bleiben die Menschen aus der DDR so etwas wie die
westlichsten Russen. Ein Berliner Sender gefiel sich jüngst mit dem Vergleich:
"Die Irakis sind die Ossis der Amerikaner." Immer wieder dieselben
Stereotype: Gedopte Sportler, informelle Mitarbeiter, tumb und arbeitsscheu, zu nichts
nutze, höchstens als "negatives Beispiel". Wehe, der kleine Klaus wähnt sich
dem großen Klaus ebenbürtig. Heuchlerisch der Vorwurf: "Warum nur ist er
nicht wie wir?" Ihre Hoffnung: "Das wird er nie." Bis auf ganz wenige Ausnahmen
verfügen die Ostdeutschen über keine Zeitungen und Sender. Wollen sie sich
politisch äußern, entscheidet letztlich ein Westdeutscher, ob ihr Statement
gedruckt oder ausgestrahlt wird. 

Dabei hatte es 1989/1990 vielversprechend begonnen. Gemeinsam mit Lothar de
Maizière, Günter Krause und anderen habe ich auf der östlichen Seite des
runden Einheitstisches am Einigungsvertrag gearbeitet und gefeilt, auf der
westlichen taten Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble das Ihrige. Heraus kam, davon
bin ich überzeugt, ein einmaliges völkerrechtliches Dokument, ein Rezept für
das Zusammengehen zweier Staaten aus zwei sich feindlich gegenüberstehenden
Gesellschaftssystemen. 

Warum aber hat der epochale Vertrag in Teilen nicht funktioniert wie
gewünscht? Wie konnte es sein, dass ausgebuffte Geschäftemacher, windige Juristen
und gewöhnliche Kriminelle den Vertrag unterliefen, um sich am Ausverkauf der
DDR zu bereichern? Wer errechnet, wie viele der "in den Osten geschaufelten
Millionen" auf kürzestem Weg wieder zurückflossen? Aus dem Steuersäckel zu den
Geldsäcken. Fördergelder erhielt, wer über Kapital verfügte. Ostler besaßen
keins oder wenig. Gleichgültig blieb unseren raffgierigen Brüdern und
Schwestern, dass die Ostler die Hauptzeche des Zweiten Weltkrieges für das gesamte
deutsche Volk zahlen mussten. Im Westen ging es mit dem Marshallplan bergauf,
im Osten mit dem sowjetischen Demontageplan zunächst bergab. Sprach man nicht
auch deshalb jahrzehntelang von den "armen Schweinen im Osten"? 

Ihr habt genug bekommen, so lauten mittlerweile die Glückwünsche der reichen
an die armen Bundesländer. Haben sie das auch erklärt, als das heute
gepriesene Bayern zu verarmen drohte und selbstverständlich die im Grundgesetz
verankerte Solidaritätspflicht in Anspruch nahm? Ist nicht die aktuelle Absage ein
eindeutiger Verstoß gegen die Verfassung und damit ein Fall für den
Verfassungsschutz? 

Zu Glasperlenspielen sind längst auch die Einheitsfeiern geworden, die eine
erstaunliche Wahrheitsauffassung verkünden. Wir sind das Volk. Heute kann man
darüber nur noch lachen. Die vermeintlichen Sieger der Geschichte klopfen
sich selbst auf die Schultern, weil sie damals, wie sie glauben, die Gunst der
historischen Stunde unendlich klug, geradezu weise, genutzt haben. Danach
preisen sie diejenigen, die ihnen stets zu Diensten sind, sei es als
Aktenverweser oder - Jeanne d´Arc wende dich ab - als Mutter der Revolution. Wer zu
Kreuze kriecht, darf am alles entscheidenden Tag in der Volkskammer seine Stimme
ruhig dem Einigungsvertrag verweigert haben. Ein kleiner Fehler, der
angesichts der großen Verdienste um die Aufklärung des Volkes über das Unrechtsregime
nicht weiter zählt. 

Zurück zum Vaterland, dem geliebten. Ich wünschte, die neuen Brüder und
Schwestern ließen mich das auch empfinden. Ich will die Hoffnung nicht verlieren.
Vielleicht sagen wir uns alle gemeinsam in Ost und West einmal wie Carl von
Clausewitz los: "Von dem unvernünftigen Misstrauen in die uns von Gott
gegebenen Kräfte, von der sündhaften Vergessenheit aller Pflichten für das
allgemein Beste, von der schamlosen Aufopferung aller Ehre des Staates und des
Volkes, aller persönlichen und Menschenwürde." Bis dahin stehe ich widerspenstig,
hartnäckig und ungehorsam gegen Dummheit und Dünkel. Schulter an Schulter mit
Seume, der da schrieb: "Nur eine Parole gilt: die Rettung des Vaterlandes." 

Der Autor war für die damalige Deutsche Soziale Union (DSU) im Kabinett de
Maizière Innenminister.
 
 

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