DISCLAIMER DISCLAIMER DISCLAIMER DISCLAIMER

Die hier archivierte Mail kann, muss sich aber nicht auf den Themenkomplex von Oekonux beziehen.

Insbesondere kann nicht geschlossen werden, dass die hier geäußerten Inhalte etwas mit dem Projekt Oekonux oder irgendeiner TeilnehmerIn zu tun haben.

DISCLAIMER DISCLAIMER DISCLAIMER DISCLAIMER

Message 00448 [Homepage] [Navigation]
Thread: choxT00448 Message: 1/1 L0 [In date index] [In thread index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

[chox] "Das Wunder von Bern"



"Das Wunder von Bern"

von Max Brym

Der Film "Das Wunder von Bern", der Kanzler und der Nationalismus. 




„ Das Wunder von Bern“ 

Gut gemachter Humbug und nationaler Wahn 


Der Film von Sönke Wortmann „Das Wunder von Bern“, wird ein
Kinorenner und rührte Kanzler Schröder zu Tränen. Überall im Lande, soll des
Wunders von Bern im Jahr 1954, gedacht werden. Dabei steht nicht die sachlich,
fachliche Erinnerung an den überraschenden Gewinn der Fußballweltmeisterschaft
durch das deutsche Team im Mittelpunkt, sondern die Wiedergewinnung von
nationalem Stolz. Im Jahr 2003 ist dies neuerlich eine Herzensangelegenheit der
gesamten politischen Kaste. Kanzler Schröder sprach kürzlich von einer,
„neuen deutschen Normalität“ und der „Wiedererlangung unserer
Souveränität“ (Rede zum Tag der „Deutschen Einheit“ 3.10.03).
Die Erinnerung an Bern, die Tore von Helmut Rahn im Endspiel gegen Ungarn 1954
dienen filmisch aufbereitet der deutschen Geschichtsentsorgung, dem Kult der
harten Männer und der Durchsetzung deutscher Interessen im Weltmaßstab. Ein
Fußballspiel wird für reaktionäre politische Konzepte mißbraucht, ein
völkischer Mythos weiterentwickelt. Deshalb weint der Kanzler, nicht wegen dem in
Wirklichkeit tatsächlich sympathischen Helmut Rahn oder wegen der technischen
Brillianz eines Fritz Walter. Der Film von Sönke Wortmann hat in der Tat wenig
mit Fußball zu tun, dafür um so mehr mit nationaler Gefühlsduselei und der
Haltung „wir sind wieder wer“. 


Kein Film für Fußballbegeisterte und Fußballinteressierte 

Nichts, buchstäblich nichts, außer den Resultaten erfährt der Laie über die
beiden Siege des DFB- Teams gegen die Türkei in der Vorrunde 1954 in der
Schweiz. Warum Nationaltrainer Herberger, damals in der Vorrunde gegen die
Fußballmacht Ungarn, die Reserve spielen ließ und mit 8:3 verlor, überläßt Wortmann
der Spekulation. Im Viertelfinale ließ Herberger statt Berni Klodt Helmut
Rahn über rechts angreifen und das Spiel gegen Jugoslawien wurde 2:0 gewonnen.
Ob das Resultat mit der geänderten Aufstellung zu tun hatte, oder an der
defensiven Spielweise des DFB-Teams in diesem Match lag, erfährt der Besucher des
Filmes nicht. Herrn Wortmann, der selbst einige Zeit in der zweiten Liga
Fußball spielte, tangieren solche Fragen nicht sonderlich. Warum im Halbfinale
gegen Österreich Rahn nicht traf, dafür Ottmar Walter aber um so mehr, ist
ebenfalls nicht von Belang. Statt dessen werden die Fußballkalauer von
Herberger: „Der Ball ist rund, ein Spiel dauert neunzig Minuten, nach dem Spiel,

ist vor dem Spiel“ auf eine Putzfrau aus der Schweiz zurückgeführt.
Das mag ein gelungener Regieeinfall gewesen sein und ist nicht verwerflich.
Allerdings das Finale am 4. Juli 1954 einfach als „Wunder“
hinzustellen, den 3:2 Sieg des deutschen Teams gegen Ungarn zu mystifizieren, ist mehr
als bedenklich. Diese traditionelle Betrachtung des Endspiels von Bern
„das Wunder", „der Wahnsinn“ ist irrational und steht
intellektuell unter der Binsenweisheit Herbergers: „ Der Ball ist rund“.
Zudem wird dem keineswegs fortschrittlich gesinnten Herberger der
Fußballfachverstand abgesprochen. Denn wenn der Sieg ein „Wunder“ war, dann
hatte die Anweisung Herbergers an Hans Schäfer, „offensiv die Schwächen
der ungarischen Abwehr über links zu nutzen“, keine wirklich
entscheidende Bedeutung. Auch nicht die Order für Horst Ekel, „den ungarischen
Spielmacher hauteng zu decken.“ Die Freiheiten, die Herberger Helmut
„Boß“ Rahn über rechts gewährte, werden ebenfalls nicht richtig
gewichtet. Rahn galt als nervenstarker Fußballegozentriker, der schwer auszurechnen
war. Der berühmte Kommentar: „Schäfer nach innen geflankt, abgewehrt,
aus dem Hintergrund müßte Rahn schießen, Rahn schießt Tor, Tor, Tor,
Tor“, konnte nur deshalb gesprochen werden, weil Rahn statt mit rechts einfach
draufzuhalten, sich den Ball auf den linken Fuß legte, dadurch rutschte der
ungarische Verteidiger ins Leere, es entstand eine Lücke und der nervenstarke
„Boß“ knallte den Ball mit dem linken Fuß ins Tor. Diese Szene
wird im Film gegen Ende kurz nachgestellt, aber Rahn gelingt in dem Film die
Aktion nur, weil er einen kleinen deutschen Jungen aus Essen am Spielfeldrand
erblickt, der ihn mystisch animiert, den Ball für ihn und alle Deutschen ins
Tor zu hauen. Darum, um den völkischen Wahn, geht es dem Filmemacher Sönke
Wortmann in Wahrheit. Anders sind solche sachlichen Fehler, wie die
Beziehungskiste zwischen Fritz Walter und Helmut Rahn falsch darzustellen, nicht
erklärbar. In dem Film, ist der sensible Techniker Walter, der Starke und der in
Wahrheit robuste Rahn, der Weiche. Das Gegenteil war der Fall, ein Blick in die
Memoiren von Fritz Walter hätte Wortmann belehren müssen. Aber es geht in
Wirklichkeit in dem Film nicht um ein Fußballspiel und seine Typen, sondern um
nationalen Pathos. Dass Fußball immer etwas mit Glück zu tun hat, ist eine
Binsenwahrheit. Glück gehört zu jedem gelungenen Torschuß, entscheidend ist aber
das Training, die Taktik, das System und die Einstellung der Mannschaft.
Dennoch ist dem Zufall im Fußball Tür und Tor geöffnet, kein Ergebnis kann sicher
prognostiziert werden. Fußball ist ein Spiel und der Ausgang, wenn halbwegs
gleichwertige Mannschaften aufeinandertreffen, relativ offen. Deshalb hat der
Aberglaube, die Hoffnung und das Metaphysische in diesem Sport breiten Raum.
Das „Wunder von Bern“ stellt den Sieg der deutschen Mannschaft
1954, als nationale „ Wiedergeburt“ nach der
„Niederlage“ von 1945 hin. Eine Familie aus Essen hat in dem Film die Starrolle. Die
deutsche Familie hat die Hauptrolle und nicht Toni Turek, Werner Liebrich, 
Boß Rahn oder der fußballerisch geniale Fritz Walter. 


Eine Familie aus Essen, eine Dame aus München 

Ein kleiner Junge aus Essen ist Freund, Fan und Kofferträger von Helmut
Rahn, der damals für Rot- Weiß Essen kickte. Der älterer Bruder des Jungen
schmeißt die Kneipe der Mutter und ist Kommunist. Die Mutter rackert zusammen mit
ihrer Tochter in der Arbeiterkneipe. Ein gutes Geschäft verspricht sich die
Mutter von der kommenden WM und stellt ein TV-Gerät im Lokal auf. Kurz vor der
WM kehrt der Vater aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück. Tyrannisch
behandelt er seinen Jüngsten, dem er die Bewunderung für Helmut Rahn austreiben
will. Er ohrfeigt den Jungen und fügt hinzu: „ Ein deutscher Junge
weint nicht“. Der Tochter verbietet er, mit amerikanischen Soldaten zu
tanzen und Schminke zu benützen. Dem älteren Sohn verübelt er den Kommunismus und
die Renitenz. Die Mutter versucht den Streit beizulegen, indem sie auf Papas
Schicksal hinweist. Sie prägt den Satz: „Wir alle sind
unschuldig“. Gemeint sind damit alle Deutschen, bezogen auf die jüngste Vergangenheit.
Der älteste Sohn ist nicht gewillt, an dieser Versöhnung teilzunehmen und
übersiedelt in die DDR. Der jüngere Bruder verurteilt diesen Schritt, denn
„soziale Gleichheit könne es nicht geben“. Wunder gibt es nach dem
Kleinen nur, wenn der Boß Fußball spielt. Der tyrannische Vater entdeckt seine
Liebe zum Fußball wieder und fährt mit seinem Filius zum Endspiel nach Bern.
Beglückt nimmt der Mann den Sieg der Fußballmannschaft wahr und freut sich
über das „deutsche Wunder“. In der Kneipe der Eltern werden
anläßlich der Übertragung der Spiele laufend rassistische Sprüche geklopft, wie:
„ Vorsicht die Jugos sind alle Partisanen und unfair“. Ein anderer
Kneipengast sagt, nachdem Ungarn im Endspiel früh 2:0 führt: „Wir werden
das Spiel genauso verlieren wie den Krieg.“ Die Message des Films ist
jedoch eine andere, das Spiel endete 3:2 für Deutschland, die
Kriegsniederlage wiederholte sich nicht. Eine verwöhnte Dame aus München, Frau eines SZ-
Reporters, ist anfangs nicht am Fußball interessiert. Im Lauf des Turniers
entwickelt sie sich zum „Fan“. Vor dem Spiel gegen Ungarn fordert sie:
„Schickt sie zurück in die Pusta, macht Schaschlik aus den
Ungarn“. Während des Spiels kommt die deutsche „Walküre“ groß ins Bild
und brüllt: „Deutschland, Deutschland", die Hauptribüne folgt der Dame
aus München blind. Kurz nach diesem Gefühlsausbruch schießt Max Morlock den
Anschlußtreffer für Deutschland. Kitsch, Nationalismus und Rassismus prägen
den Film, „Das Wunder von Bern“ wird neuzeitlich
instrumentalisiert. Dichtung und Wahrheit liegen nah zusammen, die Kernaussage ist jedoch:
„ Deutschland, Deutschland über alles in der Welt“. Die führenden
Politiker des Landes sind von dem Film begeistert, ein Schelm wer böses dabei
denkt. Sind doch alle bloß Fußballfans, oder ? 

Max Brym 




e-Mail:: maximilianbrym web.de ¦ Homepage::
http://www.members.partisan.net/maxbrym ¦ 




-- 
NEU FÜR ALLE - GMX MediaCenter - für Fotos, Musik, Dateien...
Fotoalbum, File Sharing, MMS, Multimedia-Gruß, GMX FotoService

Jetzt kostenlos anmelden unter http://www.gmx.net

+++ GMX - die erste Adresse für Mail, Message, More! +++

_______________________
http://www.oekonux.de/



[English translation]
Thread: choxT00448 Message: 1/1 L0 [In date index] [In thread index]
Message 00448 [Homepage] [Navigation]