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Message 00595 [Homepage] [Navigation]
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[chox] kritik ist nicht konstruktiv



Kritik ist nicht konstruktiv

Eine Kritik des „konstruktiven Streiks“ an der Leipziger
Universität


„Genau das Negative war das Positive, dieses Bewußtsein des
Nichtmitmachens, des Verweigerns; die unerbittliche Analyse des Bestehenden..., das ist
das eigentliche Wesen der kritischen Theorie.“ (Leo Löwenthal:
„Mitmachen wollte ich nie“)



 

Das „Streikkomitee“ nennt es „konstruktiver Streik“.
Die regierungsnahe TAZ sagt dazu „Streik light“. Was sich
Studenten unter konstruktivem Streik vorstellen, wird in den Verlautbarungen des
Streikkomitees schnell klar. Natürlich werde alles friedlich und konstruktiv
ablaufen und eigentlich solle ja nichts den Unibetrieb einschränken. Das
Komitee will keine „absolute Besetzung“, alle Seminare finden statt und
um dem Geldmangel entgegenzukommen, hält man Seminare in der freien Natur
ab. „Protestformen, die ernst genommen werden“ sind das laut
Ansicht des Streikkomitees. Dem Philosophiedozenten Christoph Türcke wurde dieser
Unsinn als Einem der Ersten klar: „Man kann nicht ein bißchen schwanger
sein“.

Ein Streik ohne Streik also. Streik bedeutet aber die Verweigerung der
Verwertung der Ware Arbeitskraft, die einzige Ware, die wertschaffend ist. Der
Besuch von Vorlesungen und Seminaren stellt keine Verwertung von Arbeitskraft
dar. Soll der Terminus „Streik“ nun auch für eine Form
studentischen Widerstands gebraucht werden, dann muß jedoch Eines klar sein: Eine solche
Verweigerung ist niemals konstruktiv. Der Begriff „konstruktiver
Streik“ ist damit eine Wortblase.

Das ewige Mitmachen, das Schlucken jeder Kröte und das Mitwirken an jeder
sozial- und bildungspolitischen Grausamkeit ist den Leipziger Studenten in
Fleisch in Blut übergegangen. Statt sich der Sachzwanglogik zu verweigern und für
ein gutes Leben auf die Straße zu gehen, zu überlegen, wie sich ein gutes
Leben führen läßt, weicht man auf Nebenschauplätze aus und stellt Forderungen
auf, die jedem neoliberalen Theoretiker das Herz erwärmen lassen: Gegen die
Überfüllung der Hörsäle wird eine Begrenzung der Studentenzahlen gestellt,
Studiengebühren werden nicht grundsätzlich abgelehnt. Sündenböcke sind in
angeblichen Langzeitstudenten schnell gefunden; ein Bezahlstudium wird durchaus
befürwortet, solange es den eigenen Studienbedingungen dient.

Stattdessen käme es darauf an, ganz und gar unkonstruktiv und absolut
solidarisch gegen jedwede Kürzung im Sozial- und Bildungsbereich Front zu machen.
Also knallhart die materiellen Interessen verteidigen, und zwar nicht nur
Studenten gegen Bildungsabbau, sondern diese zusammen mit Arbeitslosen,
Sozialhilfeempfängern, Krankenkassenversicherten auch gegen den Kahlschlag in
Bereichen wie Soziales, Gesundheit oder Renten.

Wer sich auf die Logik der Kürzungen einläßt oder gar die einen gegen die
anderen ausspielen möchte, hat unter der Hand den Kürzungen prinzipiell bereits
das Ja-Wort erteilt. Eine „Konter-Reform“ fordert die nächste
geradezu heraus… 

Immer wieder biedern Studenten in ihren Forderungen ein konstruktives
Mitwirken am „notwendigen“ gesellschaftlichen Umbau an. Der Standort
Deutschland müsse gerettet werden. Nichts scheint sie davon abzubringen, mit
Politikern über das Maß der sozialen Grausamkeiten verhandeln zu wollen und
nicht diese generell abzulehnen.

Reformen laufen heute nur noch auf Verschlechterungen der eigenen
Reproduktionsmöglichkeiten hinaus, die ökonomischen Grundlagen für konkrete
Verbesserungen sind (innerhalb des bestehenden Systems) nicht mehr vorhanden. Jede
systemimmanente Veränderung führt heute nur noch dazu, die menschenverachtenden
kapitalistischen Verhältnisse von ihren sozial-integrativen Momenten vollends
zu „befreien“.

Kritisches Denken befindet sich im Niedergang. Die Studentenschaft schaut
angesichts immer neuer Zumutungen wie ein Schwein ins Uhrwerk. Begriffslos und
realitätsfern meint sie, daß immer noch genug Geld da wäre, welches nur
gerechter verteilt werden müßte. Begriffen wird nicht, daß das System, auf welches
sich die Studenten positiv beziehen, nicht für die Bedürfnisse der Menschen,
sondern für das Prinzip der Kapitalakkumulation da ist. Die Einrichtung
(durchaus system-funktionaler) sozialer Standards war nur in der kurzen Periode
einer prosperierenden Wirtschaft möglich. Doch diese Periode ist längst der
Realität eines ökonomischen Zerfalls gewichen, der nicht mehr umkehrbar ist.
Immer mehr Menschen sind in Folge der „mikroelektronischen
Revolution“ für den Ablauf kapitalistischer Produktion nicht mehr notwendig - sie
werden überflüssig. Das System schafft sich die Menschen vom Hals und sägt damit
an seiner eigenen Grundlage (der Verwertung menschlicher Arbeitskraft). Dies
läßt sich über Reformen nicht aufhalten, sondern nur noch verschärfen.
Reformen ändern nichts an der Tatsache, daß aufgrund von Automatisierung und
Rationalisierung immer weniger menschliche Arbeitskraft notwendig ist, um Produkte
herzustellen. Wäre dies doch verquer der kapitalistischen Logik, mit weniger
Arbeitskraft mehr zu produzieren. Reformen können die Auswirkungen dieser
Logik heute nur noch verwalten und nicht mehr steuern, und auch das immer
schlechter, da diese durch die „mikroelektronische Revolution“ spürbar
verschärfte Tendenz NICHT umkehrbar ist. Mit gesundem Menschenverstand
betrachtet, ist eine Rückkehr zur nicht-automatisierten Produktion auch gar nicht
wünschenswert. Wieso auch? Träumten doch schon immer Menschen davon, sich
mißliche, harte - aber dennoch notwendige - Tätigkeiten vom Leibe zu halten. Zum
ernsten Problem wird diese Entwicklung allerdings innerhalb eines Systems,
in dem die Vermittlung von Menschen und Herstellung von Gesellschaft auf der
Vernutzung menschlicher Arbeitskraft basiert...(Marx lesen!) Es ist nicht mehr
wegzureden, daß soziale Standards heute für den Weiterbestand der
herrschenden Gesellschaftsordnung nicht mehr tragbar sind. Es kann deshalb nicht darum
gehen, den immer kleiner werdenden Rahmen an Durchsetzbarem konstruktiv
auszugestalten. Es gilt, für die Überwindung einer Gesellschaft einzutreten, in
der die Menschen nicht selbst ihre Geschicke in die Hände nehmen können und
ihre Bedürfnisse den Prinzipien einer kapitalistischen Verwertungslogik
unterworfen sind.

Statt „konstruktiv“ zu streiken, ist es nötig, gegen die
Zumutungen dieser kapitalistischen Gesellschaft vorzugehen, es bedarf einer
konsequenten Verweigerung, eines Nicht-Mitmachens. Wer sich darauf festlegt,
„konstruktiv“ zu sein, nimmt grundsätzlicher Kritik die Atemluft. Man
fragt dann weder nach dem Charakter, noch nach den Zukunftsaussichten dessen,
wozu man sich „konstruktiv“ verhalten will. Innerhalb eines
Systems, das sich durch 200-jährige Mißwirtschaft auszeichnet, steht man damit von
Anbeginn auf verlorenem Posten. Einem einstürzenden Gebäude gegenüber kann man
sich nicht mehr konstruktiv verhalten. Es bringt nichts, auf keinen Fall
rausrennen zu wollen und statt dessen auf Gedeih und Verderb die
herunterprasselnden Balken festzuhalten.

Jedes konstruktive Mitgestalten lehnen wir kategorisch ab. Für einen Streik,
der seinem Begriff gerecht wird, sind wir allerdings immer zu haben.

 

Wertkritische Kommunisten Leipzig, 14. Januar 2004

 

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