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[chox] TELEPOLIS: Copyright-Krieg in der EU



Dieser TELEPOLIS Artikel wurde Ihnen
von Helmuth Supik <helmuth.s gmx.li> gesandt.

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Copyright-Krieg in der EU

Stefan Krempl   10.03.2004 

Das Europaparlament hat der drastischen Verschärfung der 
Durchsetzungsmöglichkeiten von "geistigem Eigentum" zugestimmt und die 
Entfremdung der "Generation Copy" von der Politik damit auf die Spitze 
getrieben 

Die Musik- und die Filmindustrie hat mit der  Verabschiedung [1] der 
 Richtlinie über die Maßnahmen und Verfahren zum Schutz der Rechte an 
geistigem Eigentum [2] einen weiteren Phyrrus-Sieg in ihrem 
fortdauernden Krieg gegen Raubkopierer erzielt. Nun kann sie endlich 
ein drastisches Sanktionsinstrumentarium, das sich ursprünglich gegen 
gewerbliche Produkt- und Markenpiraten sowie Urheberrechtsverletzer im 
großen Stil richten sollte, auch gegen die Nutzer von 
Online-Tauschbörsen in Stellung bringen. Doch der Schuss wird nach 
hinten los gehen, denn die gebeutelte Branche wird mit den Waffen des 
neuen Gesetzes keinen einzigen Kunden zurückgewinnen. Im Gegenteil. 

Der 9. März 2004 dürfte als Tag in die Geschichte eingehen, an dem in 
Europa ein mit allen Bandagen ausgefochtener Copyright-Krieg ausbrach. 
Es war der Tag, an dem die Mehrheit der Europaparlamentarier grünes 
Licht - schnell  begrüßt [3] von der Kommission - für einen 
vermeintlichen Kompromiss zu einem umstrittenen Gesetzeswerk gaben, 
welches das Regiment des "geistigen Eigentums" zu stärken suchte und 
damit den Bogen endgültig überspannte. 

Schon bei der Verkündigung der Abstimmungsergebnisse reagierten empörte 
Vertreter der Netzgeneration mit erst gar nicht verklausulierten 
Mordaufrufen gegen die von den Industrielobbyisten gekauften Politiker 
sowie mit umfassenden Aufrufen zum Boykott des Kaufs von Musik-CDs, 
Kinotickets oder kommerziellen Videos. 

Die Inhaber und Verwerter von Urheber-, Patent- oder Markenrechten 
durften wenige Monate später nach der erfolgten Umsetzung der 
Richtlinie in nationales Recht ohne die Einleitung umständlicher 
Strafverfahren umfassende Auskünfte über Bürger einholen, die sich des 
Verstoßes an ihrem "geistigen Eigentum" verdächtig gemacht hatten. Sie 
durften mit Hilfe willfähriger Richter Hausdurchsuchungen anordnen und 
Bankunterlagen, Computer oder andere Beweismittel konfiszieren. Sie 
konnten hohe Schadensersatzforderungen einklagen und die Streitkosten 
sowie "immaterielle Schäden" auf die Betroffenen abwälzen. 

Nur ein Alptraum? 

Dies alles und noch viel mehr lässt die Richtlinie zur Durchsetzung 
"geistiger Eigentumsrechte" zu, ja verlangt es geradezu. Ihre zunächst 
sang- und klanglose und nur von einer Protestdemo einer Handvoll 
Bürgerrechtler im Vorfeld begleitete Verabschiedung stellt einen 
demokratischen Tiefpunkt des  Europaparlaments [4] dar. Der begann 
damit, dass mit  Janelly Fourtou [5] just die Gattin des Bosses des 
Medienkonzerns Vivendi zur Berichterstatterin und damit zur 
Vollstreckerin der Richtlinie berufen wurde. 

Die zur Gärtnerin gemachte Ziege hatte denn auch nichts Besseres zu 
tun, als den Geltungsbereich der Richtlinie deutlich  auszuweiten [6]. 
Er umfasst nun laut Artikel 2 "jede Verletzung von Rechten des 
geistigen Eigentums, die das Gemeinschaftsrecht und/oder das 
einzelstaatliche Recht des betreffenden Mitgliedstaats vorsieht." Um ja 
keine Zweifel anhand dieser eventuell doch noch Interpretationen offen 
lassenden Formulierung aufkommen zu lassen, betont der vorangestellte 
Erwägungsgrund 13 noch einmal: Der Anwendungsbereich der Richtlinie 
müsse zur Erfüllung dieses Zwecks "so breit wie möglich gewählt 
werden." 

Kein Wunder, dass die EU-Mitgliedsstaaten über den Rat der Europäischen 
Union auch gleich noch Patente darunter fallen ließen und damit die Tür 
zu den heftig umstrittenen und eigentlich auch vom Europaparlament mit 
großer Mehrheit  abgelehnten Softwarepatenten [7] weiter öffneten. 

Was schert den progressiv in die Zukunft blickenden Abgeordneten auch 
schon sein Votum von gestern, wenn ihm eine Schar von 
Industrielobbyisten auf dem Schoss sitzt und das Lied von den 
Abermilliarden Verlusten durch Piraterie in den digitalen Netzen und 
dem drohenden "Kulturverfall" vorsingt. 

Fourtous Dehnung der Realität 

Einige kritische Parlamentarier aus dem linken Flügel hatten mithilfe 
von Änderungsanträgen zwar noch den verzweifelten Versuch gestartet, 
dem Machwerk die schlimmsten Zähne zu ziehen. Doch keiner davon fand 
eine  Mehrheit [8]. Bewusst irreführend erscheint da der Spin, dem 
Fourtou der Abstimmung in Straßburg abzugewinnen vermochte: So ließ die 
Göttergattin verlautbaren, dass das Parlament Änderungen zugestimmt 
habe, wonach die Richtlinie nur auf Rechtsverletzungen "in gewerblichem 
Ausmaß" angewendet werden müsse. 

Diese Ansage, die von großen Nachrichtenagenturen wie AP oder AFP 
aufgegriffen und damit in Medien wie  CNN Online [9] wiedergegeben 
wurde, dehnt die Realität jedoch in doppelter Weise. Zum einen haben 
die Abgeordneten selbst im Plenum gar keine Änderungen mehr 
vorgenommen. Die vermeintlichen Abmilderungen stammen aus dem 
Gemauschel der Berichterstatter für die Richtlinie mit dem EU-Rat, bei 
dem sich beide Seiten zur Freude der Industrielobbyisten auch gleich 
hinter geschlossenen Türen auf die Verabschiedung des Konstrukt im 
Hauruck-Verfahren ohne zweite Lesung und damit ohne ernsthafte 
parlamentarische Debatte verständigten. 

Zum anderen ist im ergänzten Erwägungsgrund 13a - also nicht einmal 
konkret im Gesetzestext -- zwar tatsächlich die - rein potenzielle - 
Einschränkung auf Rechtsverstöße "im gewerblichen Ausmaß" enthalten. 
Sie bezieht sich allerdings nur auf  drei Sanktionsmittel [10], nämlich 
das Einfrieren von Konten, die Herausgabe von Bankunterlagen sowie das 
vollständige Enthüllen von Hintergrundzirkeln, die eben tatsächlich 
allein beim Vorgehen gegen das organisierte Verbrechen Sinn machen. 
Diese Erfordernis hindert die Mitgliedstaaten jedoch nicht daran, heißt 
es im Wortlaut des Papiers, "die Bestimmungen dieser Richtlinie bei 
Bedarf zu innerstaatlichen Zwecken auf Handlungen auszuweiten, die den 
unlauteren Wettbewerb unter Einschluss von Raubkopien oder 
vergleichbare Tätigkeiten betreffen." 

Falsche Signale 

Den Hausdurchsuchungen und Kontopfändungen bei jugendlichen 
Tauschbörsennutzern, die Bürgerrechtsvereinigungen von IP Justice über 
die freie Softwarebewegung bis zur Grünen Jugend skizzieren, steht 
folglich kaum noch etwas entgegen außer der "schnellen" Umsetzung der 
Direktive, die Gerd Gebhard, Vorsitzender der  deutschen 
Phonoverbände [11], zugleich mit dem Ausdruck seines Bedauerns über die 
unterbliebene europaweite Angleichung auch der strafrechtlichen Keule 
nun anmahnt. 

Nur gut, dass er auf der  Party zur Echo-Verleihung [12] am vergangenen 
Sonntag in Berlin schon deutsche Politprominenz wie CDU-Generalsekretär 
Laurenz Meyer, Kulturstaatsministerin Christina Weiss und Berlins 
Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit nebst genuinen 
Urheberrechtsexperten aus dem Bundestag wie den CDU-Abgeordneten Günter 
Krings begrüßen und auf die kommenden Weichenstellungen vorbereiten 
durfte. 

Dass die Signale zum überzogenen Schutz "geistiger Eigentumsrechte" 
konsequent in die falsche Richtung weisen (  Ächzen und Stöhnen im 
System des "geistigen Eigentums" [13]), ist dagegen nicht nur den 
Bürgerrechtlern und traditionellen Urheberrechtlern wie Reto Hilty vom 
Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum in München  längst 
klar [14]. Auch Wirtschaftsdenkfabriken haben dem sich durch die 
Vorüberlegungen der Richtlinie ziehenden Argument, dass nur die weitere 
Stärkung von Urheber- und Patentrechten Innovationen fördern könne, 
inzwischen gegenteilige Untersuchungen entgegengestellt (  Das 
Copyright-Regime als Innovationsblocker [15]). 

Der neue und unter untersuchungswürdigen Umständen hervorgebrachte 
Vorstoß aus Straßburg und Brüssel ist demnach unnötig wie ein Kropf. 
Letztlich handelt es sich dabei im Kern ja um die Ausarbeitung von 
Umsetzungsmaßstäben für die grundlegende  Urheberrechtsrichtlinie [16] 
der EU. Doch die Umsetzung von Richtlinien bedarf keiner weiteren 
Richtlinien; sie sollte allein den Mitgliedsstaaten überlassen werden, 
die dabei im Bereich Copyright schon genug Fragen aufwerfen (  Lex 
Bertelsmann in der Zielgeraden [17]). 

Links 

[1] http://www.heise.de/newsticker/meldung/45368
[2] 
http://www2.europarl.eu.int/omk/sipade2?L=DE&OBJID=31526&LEVEL=3&MODE=SI
P&NAV=X&LSTDOC=N
[3] 
http://www.europa.eu.int/rapid/start/cgi/guesten.ksh?p_action.gettxt=gt&;
doc=IP/04/316|0|RAPID&lg=DE&display=
[4] http://www.europarl.eu.int/
[5] http://www.epp-ed.org/Members/en/ShowMember.asp?PERS_ID=4336
[6] http://www.heise.de/ct/aktuell/meldung/40727
[7] http://www.heise.de/newsticker/meldung/40547
[8] http://plone.ffii.org/events/2004/ipred/
[9] http://edition.cnn.com/2004/WORLD/europe/03/09/eu.piracy.ap/
[10] http://lwn.net/Articles/74908/
[11] http://www.ifpi.de/
[12] http://www.am-ende-des-tages.de/g/040306_echo/
[13] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/copy/16000/1.html
[14] http://www.cl.cam.ac.uk/ftp/users/rja14/cornish.pdf
[15] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/copy/16870/1.html
[16] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/copy/11547/1.html
[17] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/copy/14573/1.html

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