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[chox] TELEPOLIS: Positionskaempfe, aber wenig Bewegung



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Positionskämpfe, aber wenig Bewegung

Wolfgang Kleinwächter   24.03.2004 

Der Weltgipfel zur Informationsgesellschaft II wirft erste Schatten 

Nach dem Abstieg vom Genfer  Weltgipfel zur 
Informationsgesellschaft [1] (  WSIS/Dezember 2003 [2]) sind die 
streitenden Parteien wieder im Tal angekommen (  Nach dem Gipfel ist 
vor dem Gipfel [3]). Insbesondere bei den offenen Fragen - Finanzierung 
und Internet Governance - wirft der für November 2005 geplanten  zweite 
Gipfel [4] aber bereits seine Schatten voraus: Die Positionskämpfe für 
den neuerlichen Aufstieg haben bereits begonnen. 

Beim Genfer WSIS-Gipfel war die Frage, wer denn wie den Cyberspace 
regulieren und die Kernressourcen des Internet verwalten und/oder 
kontrollieren soll, bis zur letzten Minute umstritten. Die chinesische 
Regierung, unterstützt von vielen Entwicklungsländern, wollte dies 
einer UN-Organisation, eventuell der ITU, übertragen. Die US-Regierung, 
unterstützt von der EU und dem privaten Sektor, wollte dem Modell 
privater Selbstregulierung, das heißt  ICANN [5], den Vorrang geben. 
Eine Zwischenlösung wollte keiner der beiden Gruppierungen. Und da auch 
eine Serie von Nachtsitzungen keine Lösung brachte, fand man im kalten 
Schweizer Winter den diplomatischsten aller diplomatischen Kompromisse: 
Man gründete einen Arbeitskreis und vertagte sich auf später. 

Den Arbeitskreis gründete die WSIS-Diplomaten natürlich nicht selbst, 
sondern die Regierungen baten den höchsten Diplomaten dieser Welt, 
UN-Generalsekretär Kofi Annan, dies zu tun. Immerhin gab man aber Annan 
einige Leitlinien mit an die Hand, wie er denn vorgehen solle, um diese 
mit viel Sprengkraft versehene Kontroverse in handhabbare Politik 
aufzulösen. So soll die "Working Group on Internet Governance" (WGIG) 
offen und transparent sein, alle "Stakeholder" - sprich Regierungen, 
private Wirtschaft und Zivilgesellschaft - repräsentieren und sich auf 
die Kernfragen - Definition von Internet Governance, Verhältnis von 
politischen und technischen Fragen und mögliche institutionelle 
Mechanismen - konzentrieren. 

Zürich, Genf, Rom: Weder Skalpell noch Streitaxt 

Der Gipfel war noch nicht einmal vorbei, da begannen schon im Genfer 
PALEXPO die Positionskämpfe. Der jordanische Geschäftsmann Talal Abu 
Ghazaleh, seines Zeichens Vizevorsitzender der "United Nations 
Information and Communication Technology Task Force" (UNICTTF), eine 
gleichfalls von Kofi Annan 2001 berufenen handverlesenen Gruppe unter 
Leitung des ehemaligen kostarikanischen Präsidenten Jose Maria Figueres 
Olsen, machte bei einem semi-privaten hochrangigen Arbeitsfrühstück den 
Vorschlag, die neuen Internetgruppe gleich bei der UN Task Force 
anzubinden. 

Als die "International Herald Tribune" dies vermeldete, baute sich 
schnell eine Gegenfront auf. Maria Cattaui, Generalsekretärin der 
"International Chamber of Commerce" (ICC), der auch Al Gazaleh 
angehört, fand die Idee gar nicht so gut. Der private Sektor sei zwar 
in der UN Task Force vertreten, aber die "leadership" liege dort 
eindeutig bei den Regierungen. Auch die Zivilgesellschaft findet sich 
in der Task Force nicht ausreichend repräsentiert. Überdies sei sie 
wenig offen. Und die chinesische Regierung, für die das Thema "Internet 
Governance" im Lauf des WSIS-Prozesses immer mehr an Bedeutung gewann, 
ist in der Task Force gar nicht vertreten. 

Den nächsten Anlauf nahm ITU-Generalsekretär Utsumi. Er schrieb einen 
Brief an Kofi Annan und bot die Dienste seiner Organisation an, die 
sich seit 1865 mit grenzüberschreitender Kommunikation befasst. Als 
"kostenlose" praktische Dienstleistung für die neue Arbeitsgruppe 
organisierte die ITU Ende Februar in Genf ein Expertenseminar zu dem 
man neben individuell ausgewählten "Wissensträgern" auch über 100 
Regierungsbeamte einlud. 

Kurz zuvor waren in Zürich bei der "Domain Pulse"-Konferenz der drei 
deutschsprachigen Internet Registries (DENIC, SWITCH und nic.at) ICANNs 
Vizepräsident Paul Verhoeft und ITUs Richard Hill bei einer 
Podiumsdiskussion aufeinander getroffen. Beide vermieden dort jedwede 
Konfrontation. Sie stimmten mit ein in das Lied, dass beim Züricher 
Treffen private Wirtschaft und Zivilgesellschaft vorgaben: man brauche 
ein differenziertes "Governance System", bei dem einzelne Themen 
individuell geregelt würden und zwar nur dort, wo es nötig sei. Keine 
einzelne Organisation könne alleine alles tun. Unterschiedliche "Layer" 
in der Internetarchitektur forderten ebenso wie unterschiedliche 
Sachverhalte unterschiedliche Regulierungsmechanismen. Es gehe nicht 
darum, "wer das Internet regiert", sondern wie durch eine effektive 
Koordination, Konsultation und Kooperation aller Betroffenen und 
Beteiligten die Stabilität, Sicherheit und Funktionalität des Internet 
auch bei bald einer Milliarde Nutzer gewährleistet werden kann. 
Hochrangige Regierungsvertreter waren in Zürich nicht vertreten. 

In Genf nun waren rund 100 Regierungsvertreter im Saal, darunter auch 
Diplomaten aus China, Brasilien, Nigeria und Syrien, die keinen Hehl 
aus ihrer Ansicht machten, dass es Zeit sei für eine Art "UN des 
Internet", die sich mit Spam, Cybercrime, Kinderpornographie im Netz 
etc. beschäftigt. Und da sich die ITU ja mit (Telefon-)Nummern bestens 
auskenne, sei es doch nur logisch, dass man auch die Namen und Nummern 
des Internet nach bekannten Verfahren verwalten könne. Die staatliche 
Souveränität sei das überragende Prinzip. Innerhalb oder unterhalb 
dieses Souveränitätsraumes könnte es dabei durchaus auch Funktionen 
geben, die man dem privaten Sektor überlassen könnte, aber nur so weit, 
wie die Souveränitätsrechte nicht berührt sind. 

Bei dieser Sichtweise verfingen die Argumente von Ayasha Hassan vom 
ICC, die die Flexibilität einer Selbstregulierung des Internet lobte, 
oder von Bill Manning, einem Root Server-Manager, der darauf verwies, 
dass es dank "Anycast" mittlerweile mehr Root Server außerhalb der USA 
als innerhalb der USA gäbe, nur wenig. Der chinesische Vertreter 
bedankte sich bei den Experten der Genfer Tagung für die "interessanten 
Beiträge", erklärte aber die Tagung insgesamt als für seine Regierung 
irrelevant und forderte ITU-Generalsekretär Utsumi auf, eine formelle 
Regierungskonferenz zu diesem Thema zu organisieren. Geschosse kamen 
auch aus der anderen Ecke dieses neuen globalen Kampfplatzes: Gleich zu 
Beginn des Genfer Workshops hatte der Regierungsvertreter des 
Königreichs Dänemark ein Statement verlesen, das der ITU jedwede 
führende Rolle bei der neuen UN-Gruppe absprach. 

Eine Woche später traf sich der "Internet Governance Konferenz-Tross" 
in Rom wieder. Dort hatte die "Internet Corporation for Assigned Names 
and Numbers" (ICANN) ihre reguläre Tagung und kam natürlich an dem 
Thema WSIS und UN-Arbeitsgruppe nicht vorbei. Bei einem kurzfristig 
anberaumten "Round Table" zu dieser Thematik marschierte gleich ein 
Dutzend von ICANN-Constituencies auf - von den Domain Name Registries 
und Registrars bis zu den ISPs, Internetnutzern und IP-Technikern - und 
wiederholten mehr oder minder unisono, dass die beste Lösung ein 
dezentrales Modell sei, bei der die Kernressourcen in den Händen des 
privaten Sektors bleiben sollten, während Regierungen nur dort 
gebraucht würden, wo es um übergreifende politische Fragen wie eben 
Cyberkriminalität geht. 

Am deutlichsten brachte das Vint Cerf, Vorsitzender des 
ICANN-Direktoriums, auf den Punkt. Die Informationsgesellschaft sei 
viel mehr als das Internet und das Internet wiederum sehr viel mehr als 
das Management von Domain Namen, IP-Adressen und Root Servern. ICANN 
würde eine wichtige Nischenfunktion ausfüllen, sei aber nicht für all 
die anderen Themen zuständig, die sehr wichtig seien, für die aber 
andere Institutionen - staatliche oder nicht-staatliche - Verantwortung 
trügen. Diese "Nischenstrategie" passte gut zusammen mit der Rede, die 
der zuständigen italienischen Minister Lucio Stanca zur Eröffnung der 
ICANN-Tagung hielt: Das Grundprinzip sei die "private sector 
leadership", Regierungen sollten sich nur dann einmischen, wenn 
wesentliche und übergreifende öffentliche Interesses berührt seien. 

Als Milton Mueller von der ICANN Constituencies der nichtkommerziellen 
Domain Name Holder daran erinnerte, dass bei Themen wie 
Whois-Datenbank, neue Top Level Domains oder Streitbeilegung (UDRP) 
technische und politische Aspekte kaum voneinander trennbar seien und 
ICANN durchaus politische Entscheidungen treffe, wollte keiner so recht 
diese "heiße Kartoffel" aufgreifen. Die naive Idee, man könne 
politische von technischen Fragen trennen - ITU macht Politik und ICANN 
Technik - ist strukturell und organisatorisch Nonsens. Die einzelnen 
"Schichten", um die es hier geht, liegen übereinander und lassen sich 
weder mit einem Skalpell noch mit einer Streitaxt fein säuberlich 
voneinander trennen. Wie in Lessings "Ringparabel" gilt Nathans 
Weisheit auch hier: Gegenseitige Toleranz, Respekt und Verantwortung 
für "das Ganze". 

Weisheitstest in New York? 

Der nächste Test, ob die "Weisheit" in der globalen Informations- und 
Wissensgesellschaft eine Chance hat, kommt Ende März 2004 in New York, 
wenn die UN ICT Task Force zu ihrer nächsten regulären Sitzung 
zusammentrifft. Die Task Force hat ihrer eigentlichen Beratung ein 
zweitägiges "Global Governance Forum" vorgeschaltet, für das sich schon 
über 200 "Experten" angemeldet haben. Diesmal sollen weniger 
"Statements" geliefert werden, sondern die "interaktive Kommunikation" 
in "break out sessions" steht im Vordergrund. Nur Vint Cerf wird am 
Abend des 24. März 2004 eine längere Rede halten: Er erklärt den 
Forumsteilnehmern, wie das Internet funktioniert. 

Kofi Annan lässt sich durch seinen WSIS-Botschafter Nita Desai 
vertreten. Er hat aber verlautbaren lassen, dass er dem Forum mit 
Interesse entgegensieht. Auch wenn das Forum sicher eine "Quelle der 
Inspiration" wird, könne jedoch weder Forum noch Task Force die 
Tätigkeit der neuen Arbeitsgruppe präjudizieren. Viel Zeit nach dem New 
Yorker Forum aber kann sich der UN-Generalsekretär nicht mehr lassen, 
denn die Uhr tickt bereits in Richtung WSIS II. 

Bei WSIS ist ganz generell der Schwung von Genf jedoch verebbt. 15 
Wochen nach dem Gipfel gibt es noch immer keinen Wegeplan für die Reise 
nach Tunis. Ein informelles Treffen Anfang März 2004 in Tunesiens 
Hauptstadt ging aus wie das Hornberger Schießen, auch weil noch völlig 
unklar ist, wer denn den zweiten Gipfel mit samt seiner Vorbereitung 
bezahlen soll. Die ITU ist überschuldet, die UN selbst hat dafür kein 
Budget, die Schweizer Eidgenossenschaft sieht ihre Bringschuld seit 
Dezember 2003 als erloschen an und Tunesien beruft sich darauf, dass es 
ein armes Entwicklungsland sei. Auch die anderen 
UN-Spezialorganisationen, die als Mitglieder des obersten 
Gipfelkoordinierungsorgans (HLSOC) noch mit im Boot sitzen, haben schon 
längst ihre Budgets für 2004 geschlossen und könnten allenfalls für 
2005 stärker in die Pflicht genommen werden. So rennt die Zeit dahin 
und die Erwartung, dass WSIS II einen echten Mehrwert zu WSIS I 
produzieren kann, schwindet. 

Das passt zum Thema "Internet Governance", denn die hektischen 
Positionskämpfe zwischen Zürich und New York können nicht darüber 
hinwegtäuschen, dass es in der Sache null Bewegung gibt. Und es wäre 
eine große Überraschung, wenn die beteiligten Gruppierungen sich bis 
zum November 2005 auf ein Modell geeinigt hätten. Dies wird schon aus 
dem Grund kaum realistisch sein, weil das "Memorandum of 
Understanding", das die US Regierung mit ICANN abgeschlossen hat, erst 
im Oktober 2006 ausläuft. Wenn es überhaupt eine Lösung hier gibt, 
meinte unlängst ein erfahrener Internet-Konferenzler in einer 
Kaffeepause, dann vielleicht bei WSIS III. Aber auch das glaube er 
eigentlich nicht, denn bei der Reise in den Cyberspace sei man immer 
irgendwie "unterwegs" und komme nie an. 

Links 

[1] http://www.itu.int/wsis
[2] http://www.itu.int/wsis/geneva/index.html
[3] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/16333/1.html
[4] http://www.smsitunis2005.org/plateforme/index.php?lang=en
[5] http://www.icann.org/

Telepolis Artikel-URL: 
http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/te/17027/1.html 

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